Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Frankfurt am Main - Sachsenhausen

Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: 2. Sam 12,1-15 Eine Bildzeitungsgeschichte

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'Prophet Nathan ermahnt König David', 1. Viertel 17. Jahrhundert, Palma il Giovane, Gryffindor 2008

11. Sonntag nach Trinitatis

Eine Bildzeitungsgeschichte 2. Sam 12,1-15

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2002

Und der HERR sandte Nathan zu David. Als der zu ihm kam, sprach er zu ihm: Es waren zwei Männer in einer Stadt, der eine reich, der andere arm. Der Reiche hatte sehr viele Schafe und Rinder; aber der Arme hatte nichts als ein einziges kleines Schäflein, das er gekauft hatte. Und er nährte es, dass es groß wurde bei ihm zugleich mit seinen Kindern. Es aß von seinem Bissen und trank aus seinem Becher und schlief in seinem Schoß, und er hielt's wie eine Tochter. Als aber zu dem reichen Mann ein Gast kam, brachte er's nicht über sich, von seinen Schafen und Rindern zu nehmen, um dem Gast etwas zuzurichten, der zu ihm gekommen war, sondern er nahm das Schaf des armen Mannes und richtete es dem Mann zu, der zu ihm gekommen war. Da geriet David in großen Zorn über den Mann und sprach zu Nathan: So wahr der HERR lebt: der Mann ist ein Kind des Todes, der das getan hat! Dazu soll er das Schaf vierfach bezahlen, weil er das getan und sein eigenes geschont hat. Da sprach Nathan zu David: Du bist der Mann!
So spricht der HERR, der Gott Israels: Ich habe dich zum König gesalbt über Israel und habe dich errettet aus der Hand Sauls und habe dir deines Herrn Haus gegeben, dazu seine Frauen, und habe dir das Haus Israel und Juda gegeben; und ist das zu wenig, will ich noch dies und das dazutun. Warum hast du denn das Wort des HERRN verachtet, dass du getan hast, was ihm missfiel? Uria, den Hetiter, hast du erschlagen mit dem Schwert, seine Frau hast du dir zur Frau genommen, ihn aber hast du umgebracht durchs Schwert der Ammoniter. Nun, so soll von deinem Hause das Schwert nimmermehr lassen, weil du mich verachtet und die Frau Urias, des Hetiters, genommen hast, dass sie deine Frau sei. So spricht der HERR: Siehe, ich will Unheil über dich kommen lassen aus deinem eigenen Hause.... Da sprach David zu Nathan: Ich habe gesündigt gegen den HERRN. Nathan sprach zu David: So hat auch der HERR deine Sünde weggenommen; du wirst nicht sterben. Aber weil du die Feinde des HERRN durch diese Sache zum Lästern gebracht hast, wird der Sohn, der dir geboren ist, des Todes sterben. Und Nathan ging heim. 2.Sam 12,1-15

'Common water hyacinth' from USDA. Photo by Ted Center

Im Jahre 1884 gab es in New Orleans eine Ausstellung. Und eine Attraktion dieser Ausstellung war eine Blume aus Venezuela, eine Wasserhyazinthe, die wie eine Orchidee aussah. Tausende von Frauen nahmen heimlich kleine Zweige von dieser Blume mit. Sie versteckten die Ableger in ihren Handtaschen und nahmen sie nach Hause - in der Hoffnung, dass diese Pflanze in einem Teich in dem eigenen Garten gedeihen könnte. Nach einigen Jahren aber wurde klar, dass diese Pflanze nicht nur überall gedeihen würde, sondern sie drohte, jedes Wasser in allen Südstaaten zu überdecken. Denn als es schon zu spät war, wurde eine unangenehme Entdeckung gemacht: Jede Wasserhyazinthe produziert jeden zweiten Monat 1000 Ableger, die sich selbständig fortpflanzen können. Es gab viele Flüsse und Kanäle im Süden der USA, die von Ufer zu Ufer mit Wasserhyazinthen überwuchert waren.

Diese Pflanze kann als Gleichnis dienen für eine Dynamik, die in jedem Leben vorkommen kann. Diese Dynamik heißt im christlichen Sprachgebrauch: die Sündhaftigkeit. Und die Sündhaftigkeit ist vergleichbar mit dieser Wasserhyazinthe: sie fängt klein und heimlich an: wenn sie im Herzen Wurzeln geschlagen hat, ist sie nicht mehr in den Griff zu kriegen und kann zuletzt das Herz eines Menschen überwuchern und ersticken. Diese Dynamik wurde in David veranschaulicht.

'David and Bathsheba', 1562, Jan Massys

Denn die Sünde Davids fing klein an. Er schaute eines Abends von dem Dach des Königspalastes und sah eine Frau, die badete. Dieses Schauen war noch nicht Sünde. Sünde ist da, wenn ein Mensch sich von Gott abwendet. David hätte in dem Moment des Schauens auch Gott dafür danken können, dass es ihm so gut geht. Aber er entschied sich für eine andere Richtung: er entschied sich dafür, sein eigener Gott zu sein, der über Leben und Tod verfügt, der tun und lassen kann, was er will. Diese Entscheidung führte zu einem Ehebruch. Ehebruch führte zu einer Schwangerschaft und die Schwangerschaft führte zu einem kaltblütigen Mord an dem Ehemann. Hier ist die Sünde mit jener Pflanze vergleichbar, die als kleiner Ableger anfängt und so wuchert, dass sie nicht mehr unter Kontrolle zu bringen ist.

Für David fing alles mit einem Blick an. Für andere kann es eine kleine Kränkung sein. Oder ein Moment des Neides. Oder ein Moment der Gier, der Ungeduld oder der Undankbarkeit. Das menschliche Herz bietet fruchtbaren Boden für kleine Ableger der Sünde, die im eigenen Herzen unbegrenzt wuchern können.

Der Theologe Paul Tillich definiert Sünde als “die unbegrenzte Sehnsucht, das Ganze der Wirklichkeit dem eigenen Selbst einzuverleiben...das Streben, alles auf sich zu beziehen, alles für sich zu haben.“ Dieser Zustand war bei David eingetreten: er sah nur sich selbst und seine eigenen Bedürfnisse; er bildete sich ein, dass ihm alles zusteht, er sah alles nur von seiner Perspektive. Wie Luther sagte: der Sünder ist in sich selbst gekrümmt.

Aber die Geschichte von David und Bathseba ist in einer Hinsicht irreführend. Was David tat, ist eine Bildzeitungsgeschichte, wo es um Prominenz, Skandal und Nervenkitzel geht. Es ist sehr leicht, beim Hören dieser Geschichte zu denken: Ja, so sind die Großen: sie werden größenwahnsinnig und erlauben sich alles; der kleine Mann kann sich so etwas nicht erlauben. Aber das, was in David vorkam, ist etwas, was täglich passiert. Die Sünde Davids lauert in uns allen.

Ich erinnere mich z. B. wie ich im Jahre 1973 meine Frau von einer Schule in Klein-Krotzenburg abholen wollte. Die Zufahrt zur Schule war eine enge Straße. Eine Mutter, die ihr Kind gerade abgeholt hatte, kam mir mit ihrem Auto entgegen. Wir konnten nicht aneinander vorbei fahren, denn links von mir war eine Hecke und rechts von mir ein Bürgersteig, auf dem die Schüler liefen. Meiner Meinung nach sollten wir einen Moment warten, bis der Bürgersteig frei wäre. Aber die Mutter, die mir entgegenkam, hat energisch nach rechts gedeutet; sie erwartete, dass ich sofort auf den Bürgersteig in die laufenden Schüler hineinfahren sollte – was unverantwortlich wäre. Ich tat es nicht und die Mutter fuhr wütend an mir vorbei, indem sie die Hecke streifte. Ich fuhr ein bisschen weiter und dann kam eine zweite Mutter. Und auch sie deutete energisch nach rechts. Auch sie erwartete, dass ich es riskierte, einen Schüler zu verletzten, damit sie sofort und ungehindert vorbeifahren könnte. Hier ist ein Beispiel, wie Sündhaftigkeit im Alltag zum Vorschein kommen kann. Es fängt mit einem kleinen Moment der Ungeduld an. Die betreffende Person sieht nur die eigenen Bedürfnisse und etwas wuchert im Herzen: es entsteht ein Moment der kaltblütigen Menschenverachtung. Meistens geht die Sache gut aus und scheint harmlos zu sein. Aber Sünde ist nie harmlos, denn sie tötet immer ein Stück Leben ab.

'Demon', 2007, Ofrockwood

Es gibt in diesem Zusammenhang eine Begebenheit, die als Gleichnis dienen kann. Es gab einen Waldförster mit dem Namen John Elliot, in Alberta, Kanada, der den ganzen Tag in den Bergen im Schnee unterwegs war. Es war seine Aufgabe an diesem Tag, zu kontrollieren, ob es Schneelawinen gegeben hatte. Er wurde von einem Schneesturm überrascht und flüchtete in eine Holzhütte. Er war so erschöpft, dass er keine Kraft hatte, ein Feuer anzuzünden oder seine nassen Kleider auszuziehen. Und in dieser Eiseskälte tat er etwas, was man nicht tun darf: er schlief ein. Er hatte aber einen Bernhardiner bei sich, der die Gefahr erkannte. Der Hund bellte so lange, bis der Förster wieder wach wurde, und hat damit sein Leben gerettet. Der Förster sagte hinterer: „Wenn der Hund nicht bei mir gewesen wäre, wäre ich heute tot. Wenn man dabei ist, tödlich zu erfrieren, fühlt man eine umfassende Wärme, und man will nicht aufwachen, denn diese trügerische Wärme fühlt sich so gut an.“ Und so ist auch die Sündhaftigkeit. Sünde strahlt eine trügerische Wärme aus. Es kommt einem so vor, als ob die Fülle des Lebens eingetreten wäre, denn man hat einen Erlebnishunger und einen grenzenlosen Appetit, alles für sich zu vereinnahmen, alles auf sich zu beziehen. Und die tödliche Kälte, die droht, wird nicht wahrgenommen.

'A 3 weeks old lamb', 2007, Saruman

Und so wie der Förster durch ein Tier gerettet wurde, wurde auch David durch ein Tier befreit. David war nicht in der Lage, Mitleid mit dem betrogenen Ehemann zu empfinden, aber für ein wehrloses Tier konnte er etwas empfinden. Und so sind wir Menschen. Die Wehrlosigkeit eines Lammes kann manche Herzen eher ansprechen als die Wehrlosigkeit eines Menschen. Als Nathan die Geschichte von dem Lamm erzählte, wurde David momentan von seiner Ichhaftigkeit befreit. Für einen Moment konnte er sich in die Lage eines anderen Menschen versetzen. Und auf diese Weise kam er zur Einsicht über das, was er angerichtet hatte.

Und das Gleichnis des Propheten Nathan wirkt wie eine Vorschau auf Christus. Denn Christus war das Lamm Gottes, das die Sünden der Welt trägt. Es gibt Menschen, die sich von einem leidenden Jesus am Kreuz nicht angesprochen fühlen. Aber die Vorstellung von einem Lamm, dass in totaler Wehrlosigkeit geopfert wird, dass kann jedes Herz ansprechen. Und deswegen kommt es in der Bibel öfters vor, dass Gott mit einem Tier vergleichen wird. Jesus z. B. verglich Gott mit einer Henne, die ihre Küken unter ihren Flügeln sammelt, um ihnen Wärme und Geborgenheit zu geben. Die Tierwelt bietet Gleichnisse für die Güte und Fürsorge Gottes.

Und nur die Güte Gottes kann uns zuletzt retten. Nathan mit seine Strafpredigt hat David zwar momentan wachgerüttelt, aber David wurde nicht dadurch ein anderer Mensch. Denn Mahnungen und Strafdrohungen können uns von der Sündhaftigkeit nicht befreien. Mahnungen können zwar dazu führen, dass ein Menschen zähneknirschend das Richtige tut, aber nur Güte kann ein gütiges Herz produzieren. Nur die Gnade Gottes kann uns retten und dauerhaft ändern.

'Billy Graham im Publikum sitzend', 1954, Lachmann, Hans

Während der Zeit, als Breschnew die Sowjetunion regierte, kam der berühmte Evangelist Billy Graham nach Moskau. Es war die Zeit des kalten Krieges. Und er traf sich mit Vertretern der Regierung und der Kirchen. Er war den Regierungsvertretern gegenüber auffallend höflich und respektvoll. Und als er heimkehrte, wurde er für sein Verhalten kritisiert. Seine Kritiker sagten: als er den Regierungsvertretern begegnet ist, hätte er prophetisch auftreten sollen – z. B. wie der Prophet Nathan vor David – und er hätte die Menschenrechtsverletzungen und die fehlende Glaubensfreiheit anprangern sollen. Ein Kritiker sagte, durch sein Verhalten hätte er die Kirche 50 Jahre zurückversetzt. Als Graham das hörte, senkte er seinen Kopf und sagte: „Ich schäme mich zutiefst, dass ich die Kirche fünfzig Jahre zurückversetzt habe. Denn meine Absicht war es, die Kirche 2000 Jahre zurückzuversetzen!“ Mit anderen Worten: er wollte zurückkehren zu der Zeit Jesu, er wollte die Gnade und Güte Jesu vermitteln, denn nur so werden Menschen grundlegend verändert, nicht durch moralische Appelle.

Sünde bedeutet, dass ein Mensch sich selbst zu einem Gott macht. Nur durch die Gnade Gottes kann ein Mensch befreit werden, dass er Gott als Gott anerkennt und anbetet. Eine gute Vorbeugung gegen die Sünde ist Dankgebet. Das Neue Testament empfiehlt, Gott allezeit für alles zu danken – in dem Vertrauen, dass alles, was vorkommt, zuletzt dem Guten dienen wird. Auch das Abendmahl ist eine Dankhandlung, die dazu beitragen kann, dass Gott als Gott anerkannt wird. Oder wenn man einen Dienst der Liebe tut, weil er in dem Geist Jesu handeln will, dann ist das auch eine gute Vorbeugung gegen die Gefahren der Sündhaftigkeit.

Möge Gott uns helfen, das zu tun, was Leben fördert.

Amen.

Das Gemälde 'Prophet Nathan ermahnt König David', 1. Viertel 17. Jahrhundert, Palma il Giovane, Gryffindor 2008, sowie das Bild 'David and Bathsheba', 1562, Jan Massys, sind im public domain, weil ihr copyright abgelaufen ist.
Die Photographie 'Common water hyacinth' from USDA. Photo by Ted Center, ist im public domain, weil es Material enthält, das ursprünglich vom Landwirtschaftsministerium der Vereinigten Staaten stammt.
Die Photographie 'Demon', 2007, Ofrockwood wurde unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht. Es ist erlaubt, die Datei unter den Bedingungen der GNU-Lizenz für freie Dokumentation, Version 1.2 oder einer späteren Version, veröffentlicht von der Free Software Foundation, zu kopieren, zu verbreiten und/oder zu modifizieren.
Die Photographie 'A 3 weeks old lamb', 2007, Saruman, wurde von ihrem Urheber zur uneingeschränkten Nutzung freigegeben. Diese Datei ist damit gemeinfrei („public domain“). Dies gilt weltweit.
Die Photographie 'Billy Graham im Publikum sitzend', 1954, Hans Lachmann, wurde im Rahmen einer Kooperation zwischen dem Bundesarchiv und Wikimedia Deutschland aus dem Bundesarchiv für Wikimedia Commons zur Verfügung gestellt. Das Bundesarchiv gewährleistet eine authentische Bildüberlieferung nur durch die Originale (Negative und/oder Positive), bzw. die Digitalisate der Originale im Rahmen des Digitalen Bildarchivs.

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