Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Lukas 7, 35 – 50 Die Unfassbarkeit der Liebe Gottes

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'Christ in the House of Simon', 1440-1450, Dieric Bouts

11. Sonntag nach Trinitatis

Die Unfassbarkeit der Liebe Gottes Lukas 7, 35 – 50

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2007

Es bat ihn aber einer der Pharisäer, bei ihm zu essen. Und er ging hinein in das Haus des Pharisäers und setzte sich zu Tisch. Und siehe, eine Frau war in der Stadt, die war eine Sünderin. Als die vernahm, dass er zu Tisch saß im Haus des Pharisäers, brachte sie ein Glas mit Salböl und trat von hinten zu seinen Füßen, weinte und fing an, seine Füße mit Tränen zu benetzen und mit den Haaren ihres Hauptes zu trocknen, und küsste seine Füße und salbte sie mit Salböl. Als aber das der Pharisäer sah, der ihn eingeladen hatte, sprach er bei sich selbst und sagte: Wenn dieser ein Prophet wäre, so wüsste er, wer und was für eine Frau das ist, die ihn anrührt; denn sie ist eine Sünderin. Jesus antwortete und sprach zu ihm: Simon, ich habe dir etwas zu sagen. Er aber sprach: Meister, sag es! Ein Gläubiger hatte zwei Schuldner. Einer war fünfhundert Silbergroschen schuldig, der andere fünfzig. Da sie aber nicht bezahlen konnten, schenkte er's beiden. Wer von ihnen wird ihn am meisten lieben? Simon antwortete und sprach: Ich denke, der, dem er am meisten geschenkt hat. Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geurteilt. Und er wandte sich zu der Frau und sprach zu Simon: Siehst du diese Frau? Ich bin in dein Haus gekommen; du hast mir kein Wasser für meine Füße gegeben; diese aber hat meine Füße mit Tränen benetzt und mit ihren Haaren getrocknet. Du hast mir keinen Kuss gegeben; diese aber hat, seit ich hereingekommen bin, nicht abgelassen, meine Füße zu küssen. Du hast mein Haupt nicht mit Öl gesalbt; sie aber hat meine Füße mit Salböl gesalbt. Deshalb sage ich dir: Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel Liebe gezeigt; wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig. Und er sprach zu ihr: Dir sind deine Sünden vergeben. Da fingen die an, die mit zu Tisch saßen, und sprachen bei sich selbst: Wer ist dieser, der auch die Sünden vergibt? Er aber sprach zu der Frau: Dein Glaube hat dir geholfen; geh hin in Frieden! Lukas 7, 35 – 50

In der Stadt Honolulu auf Hawaii gab es einmal eine ungewöhnliche Geburtstagsfeier. Der Ort war eine heruntergekommene Gaststätte, die für Straßenmädchen als Treffpunkt diente. Der Ehrengast war eine Prostituierte namens Agnes, 39 Jahre alt. Die Feier war mitten in der Nacht, um 3.30 Uhr morgens. Und der Gastgeber war ein evangelischer Pfarrer mit dem Namen Tony Campolo. Dieser Pfarrer war am Tag vorher in der Gaststätte gewesen und konnte mithören, wie eine Frau jammerte, dass sie am nächsten Tag Geburtstag hätte und dass sie nie in ihrem Leben eine Geburtstagsfeier bekommen hätte. Dazu muss man wissen, dass es in Amerika öfters vorkommt, dass Geburtstagsfeiern von Freunden vorbereitet werden – im Gegensatz zu Deutschland, wo das Geburtstagskind selber dafür zuständig ist, etwas zu organisieren.

'Honolulu and Waikiki from top of Diamond Head', 2005, Jim Harper

Der Pfarrer hat von dem Gaststättenbesitzer erfahren, dass diese Person, die nie eine Geburtstagsfeier geschenkt bekommen hatte, eine Prostituierte mit dem Namen Agnes war. Er hat auch erfahren, dass sie mit ihren Berufskolleginnen zusammen täglich um 3.30 Uhr die Gaststätte aufsucht. Dieser Pfarrer Campolo fing sofort an, eine Geburtstagsfeier für Agnes zu organisieren.

Er sprach mit dem Wirt ab, wie alles ablaufen sollte. Auf der Straße sprach es sich schnell herum, was hier im Gange war. In der nächsten Nacht um 3.15 war die Gaststätte überfüllt. Als Agnes hereinkam, sah sie, dass alles bunt geschmückt war - mit farbigem Papier und mit Ballons. Der Wirt und seine Frau hielten einen Geburtstagskuchen in der Hand. Jeder schrie laut: „Herzliche Glückwünsche“. Agnes war überwältigt und konnte nicht aufhören zu weinen, als ein Geburtstagslied gesungen wurde. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie eine Liebe erfahren, die reine Gnade war, bei der keine Gegenleistung von ihr erwartet wurde. Der Wirt sagte hinterher: eine Kirche, die so etwas tue, sei eine Kirche, zu der er gehören möchte.

Was dieser Wirt vielleicht nicht weiß ist, dass es auch Kirchenmitglieder gibt, die nicht zu einer Kirche gehören möchten, die so etwas tut. Es kommt auch vor, dass Menschen aus der Kirche austreten, wenn die Grenzenlosigkeit der Gnade Gottes allzu deutlich bezeugt wird.

Auf jeden Fall macht diese Geburtstagsfete in Honolulu anschaulich, was der heutige Lukastext beschreibt. Der sogenannten Sünderin, die ihre Liebe zu Jesus buchstäblich ausgegossen hatte, erging es ähnlich wie dieser Agnes.

Der Begriff „Sünderin“ ist nach damaligem Sprachgebrauch eine Umschreibung für eine Dirne. Es heißt:

Sie brachte ein Glas mit Salböl und trat von hinten zu seinen Füßen, weinte und fing an, seine Füße mit Tränen zu benetzen und mit den Haaren ihres Hauptes zu trocknen, und küsste seine Füße und salbte sie mit Salböl.

Die Tatsache, dass diese Frau ihre Haare einsetzen konnte, um die Füße Jesu zu trocknen, zeigt, dass sie mit offenen Haaren herumlief. Eine anständige Frau damals ist aber nicht mit offenen Haaren herumgelaufen. Es wäre ungefähr etwas Vergleichbares, wenn eine Frau in Saudi Arabien ohne Kopftuch herumlaufen würde.

Und eine zweite historische Information, die hier relevant ist, ist dass der Gastgeber alle Sitten der Gastfreundschaft verletzt hatte. Wie es heißt:

Und Jesus wandte sich zu der Frau und sprach zu Simon: Siehst du diese Frau? Ich bin in dein Haus gekommen; du hast mir kein Wasser für meine Füße gegeben; diese aber hat meine Füße mit Tränen benetzt und mit ihren Haaren getrocknet. Du hast mir keinen Kuss gegeben; diese aber hat, seit ich hereingekommen bin, nicht abgelassen, meine Füße zu küssen. Du hast mein Haupt nicht mit Öl gesalbt; sie aber hat meine Füße mit Salböl gesalbt.

Diese drei Gesten, die Jesus nennt, waren selbstverständliche Höflichkeitsgesten eines Gastgebers in der damaligen Zeit. Dass der Gastgeber sie unterlässt, zeigt, dass er Jesus nicht sonderlich schätzt.

Aber zuletzt geht es hier nicht um Manieren. Sondern es geht um die Intensität der Liebe, die aus der Vergebung hervorgeht. Jesus erzählte dazu ein Gleichnis von Schuldenerlass, um deutlich zu machen, dass die Frau viel Liebe gezeigt hat, weil ihr viel vergeben worden ist. Und die Zurückhaltung des Gastgebers – als Kontrastprogramm -, zeigt, wie wenig Vergebung er in seinem Leben gespürt hat.

Aber das Gleichnis von Schuldenerlass kann einen falschen Eindruck erwecken. Denn Vergebung ist nicht bloß Schuldenerlass; Vergebung ist nicht wie die Tilgung einer Kontorechnung; Vergebung ist kein juristischer Vorgang. Sondern bei Vergebung geht es immer nur um die Beziehung zu Gott. Wenn die Beziehung zu Gott hergestellt ist, dann ist Vergebung eingetreten. Diese Frau, die über die Füße Jesu ihre Tränen ausgegossen hatte, erlebte durch Jesus, dass sie von Gott bedingungslos geliebt wurde, und indem sie diese Liebe als Geschenk annahm, ist bei ihr Vergebung eingetreten.

Und das ist der Unterschied zu dem Vorgang in Honolulu. Die Frau mit dem Namen Agnes hat auch die Bedingungslosigkeit der Liebe Gottes erlebt, aber ob sie diese Liebe als Geschenk Gottes annahm oder nicht war zunächst offen geblieben. Bei der Frau in dem Lukastext ist es eindeutig, dass sie Vergebung angenommen hat, denn sie hat Jesus körperlich berührt, um ihm ihre Liebe zu zeigen. Hier sehen wir ein Urbild des Abendmahls, bei dem wir das Geschenk der Vergebung annehmen, indem wir Jesus berühren, indem wir Brot und Kelch anfassen.

Es ist bemerkenswert, dass es Jesus in diesem Moment völlig egal ist, wie die Zuschauer diese Begegnung beurteilen. Was sich in dem Haus des Pharisäers abspielt ist nach damaliger Sittlichkeit unanständig. Wenn Jesus Wert auf Anständigkeit gelegt hätte, dann hätte er sich nicht von dieser Frau berühren lassen. Wie der Pharisäer sagt: „Wenn dieser ein Prophet wäre, so wüsste er, wer und was für eine Frau das ist, die ihn anrührt; denn sie ist eine Sünderin.“ Der Anstand schrieb damals vor, die Berührung dieser Frau abzuweisen. Aber Jesus grenzte sich nicht ab, denn der Vollzug der Vergebung hatte für ihn absolute Priorität.

'Kabeljauw, Atlantic Cod, Gadus morhua', 2007, Patrick Gijsbers

Aber der Ausgangspunkt für alles, was in diesem Lukasbericht vorkommt, ist die Unfassbarkeit der Liebe Gottes. Es gibt eine Begebenheit, die uns vielleicht helfen kann, zu begreifen, wie unfassbar die Liebe und Gnade Gottes ist.

Es geht um einen norwegischen Fischer mit dem Namen Harold Hauso, 69 Jahre alt. Im März des Jahres 2000 entdeckte er einen Kabeljaufisch in seinem Netz, der alt und blind war. Der Fisch tat ihm leid und war auch zu dünn, um ihn zu essen, also befreite er ihn. Eine Woche später war dieser Fisch wieder in dem Netz gefangen; wieder wurde er befreit. Einige Tage später war der alte, blinde Fisch wieder im Netz; wieder wurde er freigesetzt. Und so ging es Monatelang. Innerhalb der nächsten 10 Monate, wurde der alte Fisch 35 Mal gefangen und 35 Mal freigesetzt. Dieser Fisch landete deswegen immer wieder ins Netz, weil er nicht mehr fähig war, sein Futter zu fangen, aber wenn er in einem Netz gefangen war, konnte er die kleinen Krebse und Sternfische essen, die mit ihm in einem engen Raum waren. Heute befindet sich dieser Fisch in einem öffentlichen Aquarium: der einzige Fisch der Welt, der sozusagen in ein eigenes fischgerechtes Altersheim gesteckt wurde.

'House Sparrow', 2006, Siebrand

Durch diese Begebenheit können wir etwas von Gott erahnen. Wenn ein Fischer, 69 Jahre alt, der Tausende von Fischen im Laufe seines Lebens gefangen hatte, dazu fähig ist, Mitleid und Geduld mit einem einzigen alten, nutzlosen Fisch zu empfinden, wie groß muss im Vergleich dazu die Liebe und die Geduld Gottes für uns Menschen sein! Jesus schilderte die Unermesslichkeit der Liebe Gottes, indem er sagte, dass Gott es registriert, wenn ein Sperling zu Boden fällt. Ein Sperling ist – was seine Nützlichkeit betrifft – bedeutungslos, wie ein alter Fisch . Wie Jesus sagte:

Kauft man nicht zwei Sperlinge für einen Groschen? Dennoch fällt keiner von ihnen auf die Erde ohne euren Vater...Darum fürchtet euch nicht; ihr seid besser als viele Sperlinge.

Wenn Gott sich die Mühe nimmt, das Schicksal von jedem einzigen Vogel auf dieser Welt wahrzunehmen, um wie viel mehr wird er mit uns Menschen Liebe und Geduld aufbringen.

Das ist es, was die sogenannte Sünderin des Lukastextes in Jesus entdeckt hatte. Für Gott ist jedes lebende Wesen unendlich wertvoll; kein Mensch ist für Gott bedeutungslos. Diese Liebe Gottes hat die sogenannte Sünderin nicht nur gespürt, sondern, - und darauf kommt es an – sie hat diese Gnade für sich selbst angenommen und vollzogen, indem sie einen Liebesdienst an Jesus vollbrachte.

Diese Frau übernahm die Liebesdienste eines Gastgebers. Was der Gastgeber Simon versäumte, hat sie übernommen. Auch wir können Gastgeber Jesu sein. Er will in uns wohnen, denn er kommt zu uns in Wort und Sakrament, damit er dauerhaft in uns wohnen kann. Möge Gott uns helfen, seine Gnade anzunehmen, indem wir ihn aufnehmen und die Liebe weitergeben, die wir von Gott in Jesus empfangen.. Amen.

Das Bild 'Christ in the House of Simon', 1440-1450, Dieric Bouts, istim public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Die Photographie 'House Sparrow', 2006, Siebrand, enthält Material, das auf der Arbeit eines Mitarbeiters des National Park Service basiert, die während des Ablaufes der öffentlichen Pflichten dieser Person entstand. Als eine Arbeit des U.S. federal government ist solch eine Arbeit im public domain.
Die Photographie 'Honolulu and Waikiki from top of Diamond Head', 2005, Jim Harper, ist lizensiert unter der Creative Commons Lizenz Attribution ShareAlike 1.0.
Die Photographie 'Kabeljauw, Atlantic Cod, Gadus morhua', 2007, Patrick Gijsbers, wurde unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht. Es ist erlaubt, die Datei unter den Bedingungen der GNU-Lizenz für freie Dokumentation, Version 1.2 oder einer späteren Version, veröffentlicht von der Free Software Foundation, zu kopieren, zu verbreiten und/oder zu modifizieren.

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