Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: 2. König 25, 8 – 12 Absolute Tiefpunkte sind verheißungsvoll

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'Thomas Alva Edison', Current History of the War v.II (April 1915 - September 1915). New York: New York Times Company.

10. Sonntag nach Trinitatis

Absolute Tiefpunkte sind verheißungsvoll 2. König 25, 8 – 12

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2002

Am siebenten Tage des fünften Monats, das ist das neunzehnte Jahr Nebukadnezars, des Königs von Babel, kam Nebusaradan, der Oberste der Leibwache, als Feldhauptmann des Königs von Babel nach Jerusalem und verbrannte das Haus des HERRN und das Haus des Königs und alle Häuser in Jerusalem; alle großen Häuser verbrannte er mit Feuer. Und die ganze Heeresmacht der Chaldäer, die dem Obersten der Leibwache unterstand, riss die Mauern Jerusalems nieder. Das Volk aber, das übrig war in der Stadt, und die zum König von Babel abgefallen waren und was übrig war von den Werkleuten, führte Nebusaradan, der Oberste der Leibwache, weg; aber von den Geringen im Lande ließ er Weingärtner und Ackerleute zurück. 2. König 25, 8 – 12

Einer der größten Erfinder, den es jemals gab, war Thomas Edison. Er hat mehr als 1000 Dinge erfunden: z. B. elektrisches Licht, das Mikrophon, die Speicherbatterie, Spielfilme mit Ton, den Phonographen. Er hatte in New Jersey, USA, seine Werkstatt. Im Dezember 1914 brach ein Feuer im Filmraum seiner Werkstatt aus. Innerhalb von Minuten war ein Feuer entstanden, das nicht mehr zu löschen war. Feuerwehrwagen von 8 Nachbarstädten kamen dazu, aber das Feuer war zu gewaltig, um gelöscht zu werden. Edison verlor alles. Und das, was er verlor, war 2 Millionen Dollar Wert; seine Feuerversicherung erstattete nur einen Bruchteil davon. Der Erfinder war zu diesem Zeitpunkt 67 Jahre alt. Man müsste denken, dass er am Boden zerstört war, aber als seine Werkstatt in Flammen aufging, hat er offenbar nur die Sorge gehabt, dass seine Frau dieses Feuerspektakel verpassen könnte; er bat seinen Sohn, sie zu holen, damit sie etwas sieht, was einmalig wäre. Am nächsten Tag, als Edison die Ruine anschaute, sagte er folgendes: „Eine Katastrophe ist etwas Wertvolles. Alle unsere Fehler werden verbrannt. Gott sei Dank dürfen wir hinterher neu anfangen.“ Drei Wochen nach dieser totalen Vernichtung fertigte Edison den ersten Phonograph.

'Die Zerstörung von Jerusalem', Wilhelm von Kaulbach, 1871

Es gibt also Momente, wenn Menschen alles verlieren, was ihre Lebensgrundlage darstellt. Und wie dieses Beispiel mit Edison zeigt: eine totale Katastrophe muss nicht bedeuten, dass ein Mensch am Boden zerstört liegt, - ohne Lebenssinn - sondern kann bedeuten, dass auch Belastungen und Fehler untergehen und etwas Neues entsteht, was sogar besser ist als das, was es vorher gab.

Diese Erfahrung kommt in der Bibel mehrmals vor. Unser Text schildert eine der schlimmsten Katastrophen in der biblischen Geschichte. Es geht auch hier um eine totale Vernichtung durch Feuer, es geht um die Zerstörung Jerusalems im Jahre 587 vor Christus. Der Tempel, das Königshaus, und alle Häuser in Jerusalem wurden verbrannt. Die Stadt wurde zu einer Ruine gemacht und die Niederreißung der Mauer bedeutete, dass Jerusalem zu einem Dorf abgewertet wurde. Die Bevölkerung wurde deportiert. Es blieben nur die sogenannten „Geringen im Lande“ zurück.

Aber der absolute Tiefpunkt kam hinterher, als Babylon einen Statthalter einsetzte, der die übriggebliebene Bevölkerung verwalten sollte. Dieser Statthalter fing einen Aufstand an, die Babylonier kamen wieder, um diesmal alles zu vernichten. Und das übriggebliebene Volk ist geflohen. Wie es heißt:

„Da machte sich das ganze Volk auf, klein und groß, und die Obersten des Kriegsvolkes und zogen nach Ägypten“.

Diese Flucht nach Ägypten war der absolute Tiefpunkt. Tiefer konnte das Volk Israel nicht absinken, denn damit wurde die Befreiung aus Ägypten rückgängig gemacht. Das große Befreiungsereignis, das Israel als Volk definierte, wurde aufgehoben durch diese Flucht nach Ägypten.

In diesem Moment hörte Israel auf, zu existieren. Es gab keinen Tempel, keine Gottesdienste und keine Kulthandlungen, alle heiligen Geräte des Tempels wurden geplündert, es gab keine heilige Stadt, keine Bevölkerung und die Befreiung aus Ägypten wurde rückgängig gemacht. Nach menschlichem Ermessen gab es absolut keine Hoffnung mehr.

Aber solche Momente kommen in der Bibel vor, damit wir etwas daraus lernen; nämlich: mit Gott ist alles möglich. Denn die totale Auslöschung dessen, was das Volk Israel ausmachte, war für Gott kein Problem. Gott ging mit seinem Volk in die Verbannung. Und dort in Babylon entstanden neue, größere und tiefere Glaubenserkenntnisse. Das Volk kam nach Jerusalem zurück mit einem stärkeren, reichhaltigeren Glauben als vorher. Ohne diesen reiferen Glauben wäre die Offenbarung in Jesus nicht vorstellbar. Zum Beispiel die Schriften des Propheten Jesaja sind ohne die Katastrophe von 586 nicht vorstellbar. Sie sind nach dem totalen Untergang Jerusalems entstanden. Und ohne Jesaja wäre es nicht möglich gewesen, die Kreuzigung Jesu zu deuten. Ohne Jesaja wäre die Kreuzigung Jesu eine sinnlose Niederlage gewesen. Alles, was im Neuen Testament vorkommt, lebt von dem, was nach der totalen Vernichtung Jerusalems zustande kam.

'Gefangener zu Psalm 88', 1975 - Walter Habdank. © Galerie Habdank

'Gefangener zu Psalm 88', 1975 - Walter Habdank. © Galerie Habdank

Aber nicht nur in der biblischen Heilsgeschichte, sondern auch in jedem einzelnen Leben haben die absoluten Tiefpunkte einen Sinn. Der große Theologe, Karl Barth, schrieb folgendes:

„Hast du jemals die Tiefe erreicht? Nicht nur die Tiefe einer inneren oder äußeren Trübsal, sondern die Tiefe, in der ein Mensch zugeben muss, dass er sich selbst nicht mehr helfen kann, dass kein Mensch ihm helfen kann, dass es absolut keine Hilfe gibt außer Gottes Barmherzigkeit. In dieser Tiefe hat die Barmherzigkeit Gottes dich schon gesucht und gefunden und du wirst erleben, dass sie dich zu der höchsten Höhe erheben wird.“

Die Bibel bezeugt, dass ein Leben ohne Gott nichtig ist. Normalerweise wird diese Nichtigkeit nicht wahrgenommen, denn die alltäglichen Aufgaben und Zerstreuungen verdrängen sie. Aber diese Nichtigkeit ist eine Wirklichkeit. Und es kann heilsam sein, ab und zu diese Nichtigkeit zu erleben, denn nur so kommen wir zu einer Gemeinschaft mit Gott.

Denn Jesus nahm unsere Nichtigkeit an. Der dänische Theologe Kierkegaard sagte: „Wenn ich nur ein Wort sagen könnte, und ich die Macht hätte, dieses Wort so zu sagen, dass es unvergesslich bleibt, dann weiß ich genau, was ich sagen würde; ich würde sagen: Unser Herr Jesus Christus war ein Nichts.“ Er meinte damit, dass Jesus unsere Nichtigkeit auf sich genommen hatte, um eine Verbindung zu uns zu finden. So lange wir uns einbilden, dass wir ohne die Barmherzigkeit Gottes leben können, werden wir die Verbindung zu Jesus in seiner Nichtigkeit nicht finden. Aber Menschen, die wissen, was absolute Hilflosigkeit ist, werden eher zu Gott finden. Eine schwarze Frau in einer Kirche in Chicago sagte deshalb: „Ich danke Gott, dass mein Heiland ein Hund war wie ich. Er (Jesus) war ein Nichts, und ich bin ein Nichts, und auf diese Weise haben wir einander gefunden.“

'The Tiananmen gate house in Beijing, China', Calton, 2005

Es kann auch für eine Kirche heilsam sein, wenn sie Tiefpunkte durchmacht. Unserer evangelischen Kirche geht es scheinbar nicht gut. Die Mitgliederzahl geht ständig zurück. Viele Einrichtungen, die einmal selbstverständlich waren, können wir kaum aufrechterhalten, wie z. B. Kindergottesdienste oder Seniorenkreise oder Gemeindeschwester. Bald werden wir wahrscheinlich zu wenig Pfarrer haben, bzw. zu wenig Pfarrstellen. In manchen Kirchengemeinden ist es abzusehen, dass der sonntägliche Gottesdienst nicht auf Dauer aufrechtzuerhalten ist. Wir gehen langsam auf einen Tiefpunkt zu. Aber wenn Gott es zulässt, dass wir vieles verlieren, was für uns einmal selbstverständlich war, ist so etwas vielleicht auch heilsam. Denn ein Zusammenbruch bedeutet auch, - wie Thomas Edison feststellte – dass Fehlentwicklungen untergehen. Ein Zusammenbruch beinhaltet die Möglichkeit, dass ein reiferer und tiefgründiger Glaube entstehen kann.

In diesem Zusammenhang kann man an die Christenheit in China denken. Vor der Machtübernahme der Kommunisten im Jahre 1949 gab es etwa 4 Millionen Christen in China. Während der sogenannten Kulturrevolution, die 1966 anfing, wurden die Kirchen geschlossen, die Pfarrer wurden in die Landwirtschaft oder in Fabriken verbannt. Bibel und Gesangbücher wurden verbrannt. Die Christenheit wurde offiziell ausgelöscht. Und in der Tat hatten die Christen alles verloren, was eine Kirche normalerweise braucht, um zu überleben: es gab keine Kirchen, keine Pfarrer, keine Bibeln, keine Gesangbücher, keine Gemeindebriefe, keine Öffentlichkeitsarbeit, keine öffentlichen Gottesdienste. Aber in geheimen Hauskirchen trafen sich die Christen – trotz Lebensgefahr. Und ein Jahr nach dem Tod Mao Tse-Tungs im Jahre 1976, durften die Kirchen wieder eröffnet werden. Und obwohl die Christenheit offiziell nicht mehr existierte, waren die Kirchen überfüllt. Es gibt heute in China schätzungsweise 30 bis 50 Millionen Christen. Die Christenheit ist in China dabei, explosivartig zu wachsen, denn sie ist in der Bevölkerung auf eine Weise verwurzelt, die vor 1949 nicht vorkam.

'Hiob', 1988 - Walter Habdank. © Galerie Habdank

'Hiob', 1988 - Walter Habdank.
© Galerie Habdank

Dieses Beispiel zeigt, was Gott aus einer totalen Vernichtung machen kann. Das bedeutet nicht, dass wir einen Niedergang der Kirche einfach akzeptieren sollten, weil Zusammenbrüche scheinbar so heilsam sind. Die Kirche hat immer die Aufgabe, wertvolle Tradition aufrecht zu erhalten und dafür zu kämpfen, dass das, was uns anvertraut ist, erhalten bleibt. Aber wenn wir als Kirchengemeinde hochgeschätzte Dinge und wertvolle Menschen verlieren, brauchen wir nicht zu verzweifeln, denn zuletzt hängt alles von Gott ab. Gott allein kann uns als Volk Gottes am Leben erhalten und uns erneuern.

In dem Buch Hiob wird berichtet, wie Hiob die schlimmsten Katastrophen erlebte, die man sich vorstellen kann. Aber er fasste alles zusammen mit den Worten: „Ich bin nackt von meiner Mutter Leibe gekommen, nackt werde ich wieder dahinfahren. Der HERR hat's gegeben, der HERR hat's genommen; der Name des HERRN sei gelobt!" Damit bezeugte er die Nichtigkeit seines Lebens, und dass er total auf die Barmherzigkeit Gottes angewiesen war. Und er erkannte auch – in diesem absoluten Nullpunkt – dass der Sinn seines Lebens darin besteht, Gott zu loben. Damit ist alles gesagt. Egal was eintreten mag, sind wir dazu bestimmt, Gott zu loben, heute und in Ewigkeit. Der Sinn unserer Existenz hängt nicht davon ab, wie viel wir behalten oder wie viel wir verlieren, sondern dass wir Gott danken und loben, heute und in Ewigkeit.

Die Photographie 'Thomas Alva Edison', Current History of the War v.II (April 1915 - September 1915), New York: New York Times Company, (Courtesy of the University of Texas Libraries, The University of Texas at Austin), stammt von 'the Portrait Gallery of the Perry-Castañeda Library of the University of Texas' in Austin. Entsprechend der Titelseite der Sammlung, ist dieses Bild im public domain und benötigt keine Nutzungsrechte.
Das Bild 'The Tiananmen gate house in Beijing, China', Calton, 2005, wurde unter den Bedingungen der Creative Commons „Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported“ Lizenz veröffentlicht.
Das Wandgemälde 'Die Zerstörung von Jerusalem', Wilhelm von Kaulbach, 1871, (Wilhelm Kaulbach's Wandgemälde im Treppenhaus des neue Museums zu Berlin, Verlag Alexander Dunckel, 1871), ONAR, 2005, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.

Wir danken Frau Friedgard Habdank sehr herzlich, dass sie uns die Bilder ihres Mannes auf so großzügige und kostenlose Weise zur Verfügung gestellt hat.
© Galerie Habdank, www.habdank-walter.de

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