Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Joh 2,13-22 Warum Sonntagsruhe lebensnotwendig ist

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'Shopping Centre in Century City, Cape Town, South Africa',  Henry Trotter, 2006

10. Sonntag nach Trinitatis

Warum Sonntagsruhe lebensnotwendig ist Joh 2,13-22

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 1999

Und das Passafest der Juden war nahe, und Jesus zog hinauf nach Jerusalem. Und er fand im Tempel die Händler, die Rinder, Schafe und Tauben verkauften, und die Wechsler, die da saßen. Und er machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle zum Tempel hinaus samt den Schafen und Rindern und schüttete den Wechslern das Geld aus und stieß die Tische um und sprach zu denen, die die Tauben verkauften: Tragt das weg und macht nicht meines Vaters Haus zum Kaufhaus! Seine Jünger aber dachten daran, dass geschrieben steht (Psalm 69,10): »Der Eifer um dein Haus wird mich fressen.« Da fingen die Juden an und sprachen zu ihm: Was zeigst du uns für ein Zeichen, dass du dies tun darfst? Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Brecht diesen Tempel ab, und in drei Tagen will ich ihn aufrichten. Da sprachen die Juden: Dieser Tempel ist in sechsundvierzig Jahren erbaut worden, und du willst ihn in drei Tagen aufrichten? Er aber redete von dem Tempel seines Leibes. Als er nun auferstanden war von den Toten, dachten seine Jünger daran, dass er dies gesagt hatte, und glaubten der Schrift und dem Wort, das Jesus gesagt hatte. Joh 2,13-22

Dieser Text hat eine verblüffende Aktualität. Denn es gibt im Moment die Diskussion um die Aufhebung der Ladenschlusszeiten an Sonntagen. Und so wie damals zur Zeit Jesu ein heiliger Ort durch Kaufbetrieb in Frage gestellt wurde, so wird heute die Heiligkeit des Sonntags durch Kaufbetrieb in Frage gestellt.

Aber dieser Angriff auf den Sonntag gibt uns einen Anlass, uns bewusst zu machen, was der Sonntag für uns Christen und für unsere Bevölkerung bedeutet.

Der Bischof Kamphaus in Limburg hat in einem Kommentar zu diesem Thema auf etwas hingewiesen, was nicht allgemein bekannt ist. Nach unserem üblichen Sprachgebrauch gehört der Sonntag zu dem sogenannten Wochenende. Immer wieder kann man in den Medien lesen, dass der Sonntag angeblich der 7. Tag der Woche ist. Aber das stimmt nicht. Nach biblischer/christlicher Zeitrechnung ist der Sonntag der erste Tag der Woche. Und diese Zeitrechnung bezeugt eine Wahrheit. Wie Kamphaus schreibt: „Nicht ohne Grund beginnt der christliche Kalender mit dem Sonntag als erstem Tag der Woche: Wir beginnen mit einem freien Tag, weil wir nicht leben um zu arbeiten, sondern arbeiten um zu leben. Wo der Sonntag nur noch die Funktion hat, sich von der Arbeit zu erholen, um montags wieder fit zu sein, gerät er in die Fänge des Arbeitsprozesses und wird verfügbar. Ein solcher Sonntag kann auch mittwochs gefeiert werden, oder donnerstags, so flexibel, wie es der Arbeitgeber wünscht.“

'Evangelische Stadtkirche, Innenansicht von der Orgelempore', Andreas Praefcke, 2005

Der Sonntag als heiliger Tag verkündet die Freiheit aller Menschen. Denn der Sonntag als arbeitsfreier Tag soll jede Woche demonstrieren, dass der Mensch nicht versklavt werden darf. An diesem Tag soll er tun und lassen, was er will. Keine Regierung, keine wirtschaftlichen Interessen, kein Dienstherr soll ihn an diesem Tag dazu zwingen, für sich zu arbeiten. Der Sonntag bezeugt den Unterschied zwischen Sklaven und freien Menschen. Denn was macht die Sklaverei aus? Ein Sklave hat keinen freien Tag; er muss jeden Tag, 24 Stunden am Tag, seinem Herrscher zur Verfügung stehen. Ein Mensch, der an einem Tag der Woche ausruhen darf, ist kein Sklave.

Aber Sklaverei ist ein Begriff, der sich nicht nur auf Arbeit bezieht. Hinter dem Versuch, die Kaufhäuser auch am Sonntag zu öffnen, steckt eine Form der Sklaverei. Es gibt nämlich Menschen, die die bisherige Ruhe des Sonntags nicht verkraften. Es gibt Menschen, die mit sich selbst nichts anfangen können, die Stillstand nicht ertragen, sondern für sie gilt: es muss pausenlos etwas los sein. Es gibt Menschen, die jeden Tag der Woche eine öffentliche Geräuschkulisse brauchen, die täglich eine öffentliche Zerstreuung brauchen. Für sie ist der Sonntag öde, weil zu wenig los ist.

Im Jahre 1944 schrieb der Engländer C. S. Lewis einen Klassiker der Christenheit: „Dienstanweisung für einen Unterteufel.“ Dieses Buch besteht aus erfundenen Briefen, die ein Oberteufel in der Hölle an einen Unterteufel schickt. Dieser Unterteufel ist auf der Erde dazu beauftragt, einen bestimmten Mann so zu bearbeiten, dass er zuletzt endgültig von Gott entfremdet wird. Der Oberteufel gibt Anweisungen, wie die Versuchung dieses Menschen vorgehen soll. In einem Kapitel spricht der Oberteufel das Thema „Stille“ an, und schreibt folgendes:

„Musik und Stille – wie hasse ich beides! Wie dankbar sollten wir dafür sein, dass nicht ein Quadratzentimeter des Höllenraumes noch eine Minute der Höllenzeit diesen beiden abscheulichen Kräften ausgeliefert ist, sondern alles von Lärm erfüllt ist: Lärm, die große Dynamik! Der hörbare Ausdruck alles Triumphierenden, Unbarmherzigen, Männlichen! Lärm, der uns allein schützt vor allen törichten Schwächeanfällen, vor zweifelnden Gewissensbissen, vor unmöglichen Wünschen! Wir werden am Ende das ganze Weltall zu einem einzigen Lärm machen. Wir sind, was die Erde anbetrifft, in dieser Hinsicht bereits ein gutes Stück vorwärtsgekommen. Die Melodien und auch die Stille des Himmels werden am Ende niedergeschrien sein.“

Was C. S. Lewis vor 55 Jahren schrieb, wirkt heute wie eine prophetische Voraussage. Denn die letzte Oase der Ruhe – der Sonntag – ist seit Jahren bedroht und jetzt hat die Bedrohung eine Zuspitzung erreicht. So wie die Tempelhändler zur Zeit Jesu den Tempelplatz in einen Ort des Lärms verwandelten, so wird der Sonntag immer mehr mit Lärm ausgefüllt. Es gibt schon jetzt am Sonntag mehr als genug Autolärm; und jetzt soll auch die Geräuschkulisse der Kaufhäuser dazukommen.

In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an Gespräche im Religionsunterricht und Konfirmandenunterricht zum Thema Sonntag. Wenn ich Schüler oder Konfirmanden frage, wie der Sonntag verbessert werden könnte, kommt unweigerlich als Antwort: die Geschäfte sollen geöffnet sein. Bei diesem Wunsch geht es nicht in erster Linie um Einkaufen allein. Es geht darum, dass ein großes Kaufhaus oder ein Einkaufszentrum das Gefühl vermittelt, dass etwas los ist. Es würde nicht genügen, wenn kleine Geschäfte oder Tante-Emma-Läden am Sonntag auf hätten, denn kleine Geschäfte vermitteln nicht das, worum es geht. Es geht nicht um Einkaufen, sondern um das Einkaufserlebnis. Dazu gehören Dinge wie: riesige Räume, Geräusche, glitzernde Lichter und leuchtende Farben, eine große Auswahl an Waren, die dem Kunden ein Gefühl vermitteln, dass er wie ein König ist, weil er sich so viel leisten könnte, wenn er wollte. Auch die Menschenmassen, die in einem Einkaufszentrum oder einer Fußgängerzone vorkommen, gehören unbedingt zu dem sogenannten Einkaufserlebnis.

Im Gegensatz zu einem Gottesdienst, wo der Beteiligte normalerweise wenig Menschen um sich hat, bietet ein Einkaufszentrum das Gefühl: hier ist etwas los, weil viele Menschen hier zusammengekommen sind. Für Menschen, die den Sonntag als öde empfinden, weil es zu ruhig zugeht, wären offene Kaufhäuser genau das Richtige.

Aber dieser Zustand ist auch eine Sklaverei. Wer an einem Tag der Woche nicht ruhen kann und Ruhe nicht verkraftet, steckt in einer tiefen Gefangenschaft.

Es gibt Menschen, die regelrecht Angst vor dem Sonntag haben, die an diesem Tag deshalb seelische und körperliche Leiden bekommen. Besonders alleinstehende Menschen sind anfällig für diese Störungen, denn an dem Sonntag bekommen sie ihr Alleinsein besonders deutlich zu spüren. Auf der einen Seite muss man Mitgefühl haben für alle Menschen, die am Sonntag ihre Einsamkeit spüren. Aber auf der anderen Seite muss man von einer teuflischen Gefangenschaft sprechen, die dem eigentlichen Sinn des Sonntags widerspricht. Denn der Sonntag ist uns von Gott gegeben, damit wir durch Ruhen unsere Freiheit erleben und feiern. Aber es gibt Menschen, die mit einer Sklavenmentalität leben, die Angst haben vor der Freiheit, die in einer Gott-gegeben Ruhe zum Ausdruck kommen sollte.

'Front porch. Sunday afternoon, Vincennes, Indiana', John Vachon, 1941

In Psalm 46 heißt es: „Seid stille und erkennet, dass ich Gott bin.“ Die Weigerung, stille zu werden und Ruhe anzunehmen, ist gleichzeitig eine Weigerung, Gott anzuerkennen. Denn wer nicht ruhen kann, will sein eigener Gott sein. Von Gott heißt es, dass "er schläft und schlummert nicht" (Psalm 121). Jetzt haben wir eine Gesellschaft, die sich selbst vergöttlicht, indem sie "schläft und schlummert nicht". Denn wer nicht ruhen kann, sagt damit: „Ich muss den Wert meines Lebens selber schaffen, indem ich ständig in Bewegung bleibe, indem ich ständig aktiv bleibe. Ich kann mir keinen Stillstand leisten, denn es könnte dadurch eine tödliche Öde entstehen, die ich mir nicht leisten kann.“

Die Ruhe, die für den Sonntag vorgesehen ist, ist zuletzt ein Glaubenszeugnis. Hier können wir etwas von den Juden lernen, die mit Sabbatruhe eine lange Tradition haben. Es gibt eine Erzählung aus dem Judentum, die veranschaulicht, worum es zuletzt geht. Es geschah einmal, dass ein frommer Mann an einem Sabbat in seinem Weinberg spazieren ging, um herauszufinden, welche Arbeit im Weinberg zu leisten sei. Da sah er, dass der Zaun an einer Stelle zusammengebrochen war, so daß es eine Lücke im Zaun gab. Da beschloss er, den Zaun nach Sabbatende zu reparieren. Dann dachte er aber nach und stellte fest, dass er den Sabbat schon entheiligt hatte, denn Arbeitsplanung ist auch Arbeit. Und um diese Entheiligung wiedergutzumachen, beschloss er, die Arbeit doch nicht auszuführen. Er sagte sich: „Ich werde den Zaun nie reparieren, denn dann sind meine Gedanken keine Arbeitsplanung, sondern nur Gedankenspiele.“ Als Gott merkte, wie dieser Weinbergbesitzer die Sabbatheiligung so ernst nahm, hat er ihn belohnt: Da, wo die Lücke im Zaun war, ließ Gott einen Obstbaum wachsen, der die Lücke vollständig abdeckte und von dem der fromme Mann sein ganzes Leben lang Nahrung bekam.

'Vineyard in Montone', rdesai, 2004

Diese Legende veranschaulicht eine Wahrheit: bei der Sabbatruhe geht es darum, sich Gott völlig anzuvertrauen. Ein Mensch, der einen Tag lang konsequent ruht, übergibt sein Schicksal in die Hände Gottes. Die Sabbatruhe bezeugt: nicht ich schaffe meine Lebenserfüllung, sondern Gott ist zuletzt für meine Lebensvollendung zuständig. Denn ein Mensch, der einen ganzen Ruhetag einlegt, wird einiges in seinem Leben unvollständig lassen. Ein Mensch, der die Sonntagsruhe einhält, muss den Mut haben, wie der Weinbergbesitzer einige Lücken offen zu lassen, einiges unvollständig zu lassen – in der Erwartung, dass Gott zuletzt das Unvollständige zur Vollendung bringen wird.

In unserem Johannestext spricht Jesus von seiner Auferstehung. Die Auferstehung passt auch in diesen Zusammenhang, denn wir Christen feiern jeden Sonntag die Auferstehung Christi. Jeder Sonntagsgottesdienst ist ein kleines Osterfest. Jeden Sonntag feiern wir einen Gott, der an dem ersten Ostermorgen ein für allemal demonstriert hat, dass er und nicht der Tod die Ewigkeit bestimmen wird. Es ist erlaubt und geboten, an diesem Festtag vollständig in Gott zu ruhen, als Zeugnis des Vertrauens.

Es wird von einem Bauern berichtet, der jeden Sonntag den Gottesdienst besuchte. Eines Tages sagte der Pfarrer zu ihm, dass es ungewöhnlich sei, dass er als ein hart arbeitender Mann jeden Sonntag in die Kirche käme. Der Bauer erwiderte: „Aber ich genieße den Gottesdienst. Denn der Sonntag ist mein Ruhetag. Ich arbeite hart die ganze Woche, und dann komme ich sonntags in die Kirche. Und wenn Sie anfangen zu predigen, lege ich meine Füße hoch auf die Heizungsröhre unter die Kirchenbank vor mir und dann schalte ich ab und denke an nichts!“

Es könnte so wirken, als ob dieser Bauer den Sinn des Gottesdienstes nicht erfasst hätte. Aber in einem gewissen Sinne hat er recht; denn es kommt nicht darauf an, im Gottesdienst etwas zu leisten: Es kommt darauf an, in Gott zur Ruhe zu kommen, und in diesem Sinne kann sogar ein guter Kirchenschlaf etwas Heilsames sein.

Aber ruhen ist nicht einfach. Wir müssen um unsere Sonntagsruhe manchmal kämpfen. Denn es steht unermesslich viel auf dem Spiel. Wie Albert Schweizer sagte: „Lass dir niemand den Sonntag wegnehmen...Wenn deine Seele keinen Sonntag hat, ist sie verwaist.“

Die Photographie 'Front porch. Sunday afternoon, Vincennes, Indiana', John Vachon, 1941, ist in den Vereinigten Staaten gemeinfrei, da es von einem Beamten oder Angestellten einer US-amerikanischen Regierungsbehörde in Ausübung seiner dienstlichen Pflichten erstellt wurde und deshalb nach Titel 17, Kapitel 1, Sektion 105 des US Code ein Werk der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika ist.
Die Photographie 'Evangelische Stadtkirche, Innenansicht von der Orgelempore', Andreas Praefcke, 2005, wurde unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht. Es ist erlaubt, die Datei unter den Bedingungen der GNU-Lizenz für freie Dokumentation, Version 1.2 oder einer späteren Version, veröffentlicht von der Free Software Foundation, zu kopieren, zu verbreiten und/oder zu modifizieren.
Die Photographie 'Shopping Centre in Century City, Cape Town, South Africa', Henry Trotter, 2006, wurde von ihrem Urheber zur uneingeschränkten Nutzung freigegeben. Diese Datei ist damit gemeinfrei („public domain“). Dies gilt weltweit.
Die Photographie 'Vineyard in Montone', rdesai, 2004, ist lizenziert unter der Creative Commons Namensnennung 2.0 Lizenz.

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