Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Jesaja 43, 1 – 7 Die Mitte des Glaubens

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'Antonio López de Santa Anna', Mitte des 19. Jhd, DO'Neil, 2005

6. Sonntag nach Trinitatis

Die Mitte des Glaubens Jesaja 43, 1 – 7

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2001

Und nun spricht der HERR, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht ersäufen sollen; und wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen. Denn ich bin der HERR, dein Gott, der Heilige Israels, dein Heiland. Ich habe Ägypten für dich als Lösegeld gegeben, Kusch und Seba an deiner Statt, weil du in meinen Augen so wertgeachtet und auch herrlich bist und weil ich dich liebhabe. Ich gebe Menschen an deiner Statt und Völker für dein Leben. So fürchte dich nun nicht, denn ich bin bei dir. Ich will vom Osten deine Kinder bringen und dich vom Westen her sammeln, ich will sagen zum Norden: Gib her! und zum Süden: Halte nicht zurück! Bring her meine Söhne von ferne und meine Töchter vom Ende der Erde, alle, die mit meinem Namen genannt sind, die ich zu meiner Ehre geschaffen und zubereitet und gemacht habe. Jesaja 43, 1 – 7

Im 19. Jahrhundert gab es einen mexikanischen General mit dem Namen Antonio Lopez de Santa Anna. Dieser General verehrte Napoleon und versuchte, sein Haar so zu kämmen, dass er wie sein Vorbild aussah. Leider war es ihm nicht gelungen, die taktische Geschicktheit von Napoleon zu übernehmen. Denn was Strategie und Taktik betraf, galt Santa Anna als inkompetent. Eine seiner größten Dummheiten beging er, als er einen Überraschungsangriff plante. Als er überlegte, wie er am besten eine feindliche Armee überlisten könnte, kam er auf eine Idee, die er für genial hielt: er würde seine Soldaten mit den Uniformen des Feindes ausstatten. Dann würden die feindlichen Truppen nicht wissen, auf wen sie schießen sollten. Dieser Plan hatte allerdings einen großen Nachteil: seine eigenen Soldaten wussten auch nicht, auf wen sie schießen sollten. Der Kampf wurde zu einem Fiasko: die mexikanischen Soldaten haben zuletzt mehr Truppen von den eigenen Reihen erschossen als von den Feinden. Und Santa Anna verlor diese Schlacht.

Diese Begebenheit kann als Gleichnis dienen. Das Leben ist ein Kampf und es ist manchmal nicht klar, wofür oder wogegen man kämpft, denn die Fronten sind nicht immer eindeutig. Und deswegen kämpfen Christen manchmal mehr gegen einander als gegen das Böse. Im Moment scheint die evangelische Kirche um ihre Identität zu kämpfen; wir sind offensichtlich auf der Suche nach einem „evangelischen Profil“, wie es immer wieder heißt. Außerdem kämpfen wir evangelische Christen um Strukturen und Gebäudebestand. Manchmal könnte man denken, dass wir kein anderes Thema haben als Finanz- und Mitgliederknappheit und deren Folgen. Die Bevölkerung und die Medien wollen uns oft einreden, wofür oder wogegen wir kämpfen sollten. Angeblich sollten wir um unsere gesellschaftliche Relevanz kämpfen. Angeblich sollten wir nicht so sehr darum kämpfen, unseren Glauben zu verbreiten oder unsere Beziehung zu Gott zu klären, sondern eher darum kämpfen, ein kundenfreundlicher Dienstleistungsbetrieb zu sein, der eine pragmatische Nützlichkeit vorweisen kann.

In diesem Zusammenhang hat die Taufe uns etwas zu sagen. An dem heutigen Sonntag geht es um das Thema Taufe. Das ursprüngliche Symbol der Taufe war das weiße Gewand. Wer frisch getauft war, zog ein weißes Gewand an, um zu veranschaulichen, dass er Christus angezogen hat und dass er jetzt zu der ewigen Herrlichkeit Gottes gehört und nicht mehr zu der vergehenden Welt. Die Taufe sollte deutlich machen, wofür und wogegen wir Christen kämpfen. Wir kämpfen darum, dass Gott in Ewigkeit verherrlicht wird: der Gott, der in Christus erschienen ist und persönlich zu uns kommt. Wir kämpfen gegen die vergehende Welt, die Götzen verherrlicht. Das weiße Gewand war die Uniform der Christenheit, die deutlich machen sollte, auf welcher Seite Christen kämpfen.

'Celestial Church of Christ baptism ceremony, Cotonou, Benin', Ferdinand Reus, mangostar 2007

Es sieht manchmal so aus, als ob Christen nicht mehr wissen, für wen sie kämpfen und wer ihr Gegner ist. Denn, wie gesagt, Christen kämpfen manchmal mehr gegeneinander als miteinander. Unsere Situation ist manchmal vergleichbar mit der Situation der mexikanischen Soldaten unter Santa Anna, die nicht mehr feststellen konnten, wer der Gegner war und deshalb gegen sich selbst kämpften.

In diesem Zusammenhang kann es hilfreich sein, den Text zu betrachten, der für heute vorgesehen ist. Die Worte aus Jesaja 43 sind an die Juden gerichtet, die sich im babylonischen Exil befinden. Der Prophet vermittelt hier ein Gotteswort, das die Juden im Exil dazu auffordert, heimzukehren. Jerusalem mit seinem Tempel musste wieder aufgebaut werden. Denn Jerusalem war das Zentrum des Volkes Israel. Ohne Jerusalem war das damalige Volk Gottes ohne seine Mitte.

Aber die Juden in Babylon wollten nicht unbedingt heimkehren. Denn in Babylon lebten sie nicht schlecht und im Exil hatten sie eine neue Identität gefunden, die ohne Jerusalem als heiliges Zentrum auskam. Eine Rückkehr würde eine beschwerliche und gefährliche Reise durch die Wüste bedeuten. Warum nicht in Babylon bleiben, wo es ihnen gut ging?

Das Gotteswort in Jesaja 43 erinnert die Juden in Babylon daran, dass sie nicht sich selbst gehören. Wie es heißt:

Und nun spricht der HERR, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!

Dieser Text wird häufig als Taufspruch verwendet. Er ist eine Erinnerung daran, dass der Mensch seine wahre Identität nur dann finden kann, wenn es ihm bewusst ist, dass er nicht sich selbst gehört, sondern seinem Schöpfer.

Und Gott will diese Juden im Exil zurück zu ihrem Zentrum führen. Sie sind zerstreut und er will sie zu ihrer geistigen Mitte, zu Jerusalem, zurückbringen. Wie es heißt:

Ich will vom Osten deine Kinder bringen und dich vom Westen her sammeln, ich will sagen zum Norden: Gib her! und zum Süden: Halte nicht zurück! Bring her meine Söhne von ferne und meine Töchter vom Ende der Erde, alle, die mit meinem Namen genannt sind.

Und weil der Weg durch eine gefährliche Wüste führt, verspricht Gott seinen Beistand:

Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht ersäufen sollen; und wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen... So fürchte dich nun nicht, denn ich bin bei dir.

Und worum geht es zuletzt? Warum sollen die Juden im Exil zu ihrem Zentrum zurückkehren? Die Antwort lautet: Gott hat diese Menschen zu seiner Ehre geschaffen und zubereitet, wie es heißt. Es geht zuletzt um die Ehre Gottes. Dafür leben wir Menschen, dass Gott verherrlicht wird, und dafür sollen wir kämpfen.

Wir leben in einer Welt, in der die Ehre Gottes keine Rolle spielt. Ob Gott geehrt wird, spielt für unsere Bevölkerung und für unsere Medien überhaupt keine Rolle. Die Ehre Gottes ist für unsere Welt total uninteressant. Die Kategorie „Ehre Gottes“ existiert nicht in der Öffentlichkeit, und manchmal existiert diese Kategorie nicht einmal in der Kirche.

Bei dem Kirchentag hier in Frankfurt gab es rund 3000 Veranstaltungen. Es gab keine Veranstaltung, die ausdrücklich das Thema „Ehre Gottes“ aufgegriffen hatte, denn eine solche Formulierung klingt einfach zu weltfremd und zu irrelevant. Wer würde zu einer Veranstaltung gehen, bei der es um die Ehre Gottes geht? Aber nach biblischer Aussage leben wir Menschen für die Ehre Gottes. Gott hat uns zu seiner Ehre geschaffen und erlöst. Der Sinn unserer Existenz hängt davon ab, dass Gott verherrlicht wird. Aber für die evangelische Christenheit existiert dieses Thema scheinbar nicht.

Und wie wird Gott verherrlicht? Der Jesajatext bezeugt, wie Gott verherrlicht wird: Gott selber sorgt für seine Ehre, indem er sein Volk zu seinem Zentrum zurück führt. Für die Juden ist Jerusalem ein unentbehrliches Zentrum des Glaubens. Wir Christen haben ein anderes Zentrum: die Offenbarung Gottes in Jesus Christus. Ein Christ befindet sich im Zentrum, wenn er eine persönliche Vertrauensbeziehung zu Jesus Christus hat. Martin Luther entdeckte dieses Zentrum vor 500 Jahren, aber die evangelische Kirche hat dieses Zentrum scheinbar verloren, deswegen haben wir auch eine Identitätskrise.

Denn ein Mitglied der evangelischen Kirche kann alles glauben, was er will, ohne seine Mitgliedschaft zu verlieren. Viele Mitglieder der evangelischen Kirche leben von einem selbstdefinierten Gottesglauben, in dem eine Beziehung zu Christus keine Rolle spielt, und sie bleiben trotzdem Mitglieder. Ein Mitglied der evangelischen Kirche – sogar ein evangelischer Theologe - könnte glauben und verkündigen, dass Jesus ein Mensch war, der nicht die Menschwerdung Gottes war, der nicht von den Toten auferstanden ist, der endgültig tot ist und dem man deshalb nicht im Abendmahl begegnen kann, aber er würde seine Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche deswegen nicht verlieren. Ein Mitglied der evangelischen Kirche könnte an mehrere Götter glauben oder glauben, dass Gott eine unpersönliche Energie ist, oder dass Gott nicht existiert, und würde seine Mitgliedschaft dadurch nicht verlieren. Ein evangelischer Christ könnte sein Heil in Buddhismus oder in der Hare-Krischna-Bewegung suchen ohne seine Mitgliedschaft zu verlieren.

Wir können deshalb dankbar sein, dass es pietistische Erweckungsbewegungen gibt, die die geistige Mitte des christlichen Glaubens so klar betonen. In diesem Zusammenhang muss ich an einen Moment denken, der vor dreißig Jahren vorkam. Einmal kam ein wildfremder Mensch auf mich zu und fragte mich unvermittelt: „Haben Sie eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus als Herr und Heiland?“ Meine erste Reaktion war Widerwillen. Ich dachte: mit welchem Recht stellt er mir eine solche Frage? Aber inzwischen bewundere ich seine Zielstrebigkeit. Er hat genau die Frage gestellt, die in die Mitte gehört und die wir in der evangelischen Kirche zu oft aus der Mitte verdrängen.

Ikone vom Megalo Meteora Kloster in Griechenland, 'Erstes ökumenisches Konzil zu Nizäa' 325 A.D.', Jjensen, 2008

Ikone vom Megalo Meteora Kloster in Griechenland, 'Erstes ökumenisches Konzil zu Nizäa' 325 A.D.
In der Mitte unten liegt Arius, dessen Lehre bei diesem Konzil verurteilt wurde.

Hier können wir etwas von der Kirchengeschichte lernen. Es gab eine Zeit im 4. Jahrhundert als die Christenheit in ihrer Existenz bedroht war. Die schlimmste Bedrohung damals bestand nicht aus Verfolgung und Unterdrückung. Die Christenheit erlebte damals eine heimtückische Bedrohung durch einen Theologen mit dem Namen Arius, der den christlichen Glauben plausibler machen wollte. Und er hatte es beinahe geschafft, die Christenheit mit seiner Glaubensverfälschung abzuschaffen Dieser Theologe leugnete die Göttlichkeit Jesu, denn er konnte nicht akzeptieren, dass Jesus gleichzeitig göttlich und menschlich sein könnte. Es gab eine Zeit als ¾ der Christenheit aus Arianern bestand. Wer weiß, vielleicht besteht ¾ der evangelischen Kirche heute aus Arianern. Und die Anhänger dieser Abweichung änderten einen Teil der Liturgie. Am Anfang des Gottesdienstes singen wir heute „Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist..“ Die Arianer änderten diese Formulierung und sangen: „Ehre sei dem Vater von dem Sohn durch den heiligen Geist...“ Die Arianer meinten, dass nur Gott Vater verherrlicht werden darf. Jesus und der heilige Geist sind nach dieser Auffassung weniger als Gott, was auch plausibel klingt. Aber die sogenannten Orthodoxen Christen bestanden darauf, dass Gott nur dann richtig verherrlicht wird, wenn Vater, Sohn und heiliger Geist als dreieiniger Gott angebetet werden. Und Orthodox bedeutet wortwörtlich „rechte Verherrlichung“. Von dieser Auseinandersetzung ist eine Wahrheit eindeutig geworden: es ist nicht egal, was man glaubt. Glaubensinhalte sind nicht beliebig. Wer Gott ehren will, muss sich auch um Glaubenswahrheit ringen und wissen, wo die Mitte des Glaubens liegt. Und die Suche nach der Mitte ist ein ständiger Glaubenskampf.

Die rechte Verherrlichung Gottes ist das vornehmste Ziel der Christenheit. Wenn wir die Mitte unseres Glaubens in der Mitte festhalten, d. h. wenn wir die Beziehung zu Christus als wahren Mensch und wahren Gott pflegen, dann werden wir nicht gegeneinander kämpfen, sondern miteinander für die Ehre Gottes. Und Themen, die an den Rand gehören, bleiben auch am Rande, wenn die Mitte klar ist. Dazu sind wir durch die Taufe berufen. Dafür existieren wir – heute und in Ewigkeit. Möge Gott uns durch die Wüsten unserer Zeit immer wieder zur Mitte unseres Glaubens zurückführen. Amen.

Das Bild 'Antonio López de Santa Anna', Mitte des 19. Jhd, DO'Neil, 2005, weil sein copyright abgelaufen ist.
Die Photographie 'Celestial Church of Christ baptism ceremony, Cotonou, Benin', Ferdinand Reus, mangostar 2007, ist lizenziert unter der Creative Commons-Lizenz Attribution ShareAlike 2.0.
Die Ikone 'First Ecumenical Council of Nikea 325 A.D.', Jjensen, 2008, wurde unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht. Es ist erlaubt, die Datei unter den Bedingungen der GNU-Lizenz für freie Dokumentation, Version 1.2 oder einer späteren Version, veröffentlicht von der Free Software Foundation, zu kopieren, zu verbreiten und/oder zu modifizieren.

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