Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Römerbrief 6, 3 – 11 Wir sind befreit, ob wir es wissen oder nicht

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Taufszene, Vassil, 2008

6. Sonntag nach Trinitatis

Wir sind befreit, ob wir es wissen oder nicht Römerbrief 6, 3 – 11

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2004

Wisst ihr nicht, dass alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, die sind in seinen Tod getauft? So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, auch wir in einem neuen Leben wandeln. Denn wenn wir mit ihm verbunden und ihm gleichgeworden sind in seinem Tod, so werden wir ihm auch in der Auferstehung gleich sein. Wir wissen ja, dass unser alter Mensch mit ihm gekreuzigt ist, damit der Leib der Sünde vernichtet werde, so dass wir hinfort der Sünde nicht dienen. Denn wer gestorben ist, der ist frei geworden von der Sünde. Sind wir aber mit Christus gestorben, so glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden, und wissen, dass Christus, von den Toten erweckt, hinfort nicht stirbt; der Tod kann hinfort über ihn nicht herrschen. Denn was er gestorben ist, das ist er der Sünde gestorben ein für allemal; was er aber lebt, das lebt er Gott. So auch ihr, haltet dafür, dass ihr der Sünde gestorben seid und lebt Gott in Christus Jesus. Römerbrief 6, 3 – 11

Im Jahre 1993 starb in Polen ein Mann Namens Kazimerz Symanski. Dieser Symanski war während des 2. Weltkriegs ein Kriegsgefangener. Was er in dieser Zeit erlebt hatte, wird nicht berichtet. Aber seine Zeit als Gefangener hatte ihn unwiderruflich verändert. Denn in den späteren Jahren seines Lebens konnte er offenbar nicht akzeptieren, dass er ein freier Mensch war. Eines Tages verwandelte er seine Wohnung in eine Gefängniszelle. Er montierte Eisengitter an seine Fenster und errichtete innerhalb seiner Wohnung einen Käfig, der wie eine Gefängniszelle aussah, und in diesem Käfig schlief er. Elektrizität und Wasser wurden abgeschaltet. Er wollte offenbar so primitiv und eingeengt leben, wie zur Zeit seiner Kriegsgefangenschaft. Diese selbstauferlegten Einschränkungen kürzten allerdings sein Leben ab. Er hätte nicht im Jahre 1993 sterben müssen. Ganz offensichtlich konnte er nicht akzeptieren, dass ihm ein Leben in Freiheit zustand.

Diese wahre Begebenheit kann uns als Gleichnis dienen. Denn im Bereich des Glaubens gibt es einen ähnlichen Vorgang wie bei diesem ehemaligen Kriegsgefangenen. In einem übertragenen Sinne ist jeder von uns in der Gefahr, so wie Kazimerz Symanski zu leben. Denn die Bibel verkündet: du bist ein freier Mensch. Aber diese Freiheit anzunehmen und auszuleben ist gar nicht so einfach, denn wir sind gewohnt, wie Gefangene zu leben.

Gemeint ist folgendes: seit dem ersten Ostermorgen sind wir alle nicht mehr Gefangene der Vergänglichkeit; wir sind frei von der Macht des Todes. In diesem Zusammenhang gilt das Wort Christi aus der Offenbarung:

Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.

„Die Schlüssel des Todes und der Hölle“ heißt es. Mit dem Wort Hölle ist das Totenreich gemeint, und das Bild hier ist von dem Totenreich als Gefängnis, zu dem Christus den Schlüssel hat. Und er hat die Gefängnistür schon geöffnet.

Johns Hopkins hospital, Conway71, 2006

Vielleicht klingt das alles für unsere Ohren abstrakt, aber es gibt eine konkrete Auswirkung. Dieser polnische Gefangene, der vorhin erwähnt wurde, starb früher als er sollte, weil er seine Freiheit nicht annehmen konnte. Und dasselbe könnte auch uns passieren. Es gibt in der Stadt Baltimore in Nordamerika eine Universität, die John Hopkins Universität, die seit 1899 eine Klinik unterhält. Diese John Hopkins Universität hat einen guten Ruf, denn sie bekommt mehr öffentliche Zuschüsse für medizinische Forschung als alle anderen medizinischen Schulen im Lande. Ein Arzt, der Forschungsarbeit an dieser Universitätsklinik betreibt, sagte folgendes: „Menschen, die ständig mit ängstlichen Sorgen belastet sind, sterben früher als Menschen, die nicht ständig mit ängstlichen Sorgen belastet sind. Wir wissen nicht, woran das liegt, aber es ist eine Tatsache.“ Das heißt: ängstliche Sorge ist für uns wie ein tödliches Gift. Als Kommentar zu dieser medizinischen Feststellung, schrieb ein Theologe folgendes: „ Wir sind innerlich geschaffen für Vertrauen, nicht für Angst. Angst ist nicht meine natürliche Heimat, sondern Glauben. Ich bin so geschaffen, dass Sorge und Angst den natürlichen Lebensablauf stören – wie Sand in einem Mechanismus.... Unsere Nerven, unsere Haut, unsere Gehirnzellen sind für Vertrauen geschaffen und nicht für Angst. Wer dauerhaft in ängstlicher Sorge lebt, lebt gegen die Wirklichkeit.“

Aber wie befreien wir uns von Angst und Sorge? Die Antwort lautet: wir können uns nicht befreien, aber Gott hat es schon getan. Die Befreiung geschah an und um Golgatha, wo Jesus durch den Tod hindurchging. Und damit kommen wir zu unserem Text für heute. Denn der Tod und die Auferstehung Jesu waren seine Taufe, aber nicht nur seine Taufe, sondern an Golgatha wurden alle Menschen getauft. Diese Taufe wurde ohne unsere Mitwirkung vollzogen. Egal, ob wir daran glauben oder nicht, wir wurden an Golgatha getauft.

Diese Sprache klingt sicherlich fremdartig, aber sie ist die Sprache Jesu und die Sprache des neuen Testamentes. Jesus sagte einmal zu seinen Jüngern: „Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde?“ Diese Aussage kam lange nach seiner Taufe im Jordan. Hier meint er seinen Durchzug durch den Tod. Die Vorlage für diese Sprache war der Durchzug Israels durch das Schilfmeer, was Paulus als die Taufe Israels bezeichnete. So wie Israel durch die Tiefe des Meeres hindurch zog – aus der ägyptischen Gefangenschaft in die Freiheit hinein – so ist Jesus durch den Tod hindurchgezogen – aus der Gefangenschaft der Vergänglichkeit in die Freiheit der Unvergänglichkeit hinein. Aber nicht nur Jesus: die Menschheit ist mit ihm durchgezogen. Paulus bezeugt diese Botschaft in dem 2. Korintherbrief, Kapitel 5, Verse 14, wo er schreibt:

Wir sind überzeugt, dass, wenn einer (d.h. Jesus) für alle gestorben ist, so sind sie alle gestorben.

Das heißt: als Jesus am Kreuz für alle starb, sind wir alle mit ihm gestorben, und sind auch mit ihm auferstanden, ob wir das wissen oder nicht. Als Jesus am Kreuz getauft wurde, wurden wir mit ihm getauft.

Und das bringt uns zu dem Sinn der christlichen Taufe. Wenn ein Mensch getauft wird, wird damit bezeugt, dass die Taufe Jesu am Golgatha auch für ihn persönlich gilt. Die Taufe war ursprünglich ein symbolisches Begräbnis, denn der Taufkandidat wurde vollständig untergetaucht. Was wir heute machen mit den paar Tropfen Wasser ist eigentlich ein Symbol für ein Symbol. Aber trotzdem – auch in der heutigen Form bezeugt die Taufe, dass die getaufte Person zu Jesus Christus gehört und dass sie mit ihm begraben und auferstanden ist. Wie wir vorhin in dem Römerbrieftext hörten.

'Deposition of Christ', Pierre II Veyrier, 1560

Wisst ihr nicht, dass alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, die sind in seinen Tod getauft? So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, auch wir in einem neuen Leben wandeln. Denn wenn wir mit ihm verbunden und ihm gleichgeworden sind in seinem Tod, so werden wir ihm auch in der Auferstehung gleich sein. Wir wissen ja, dass unser alter Mensch mit ihm gekreuzigt ist.... Sind wir aber mit Christus gestorben, so glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden, und wissen, dass Christus, von den Toten erweckt, hinfort nicht stirbt; der Tod kann hinfort über ihn nicht herrschen.

Dieser Text macht deutlich, dass ein Getaufter schon jetzt zu der ewigen Herrlichkeit Gottes gehört. Und dieser Text macht deutlich, warum die Taufe grundsätzlich nicht wiederholbar ist. So wie Christus einmal gestorben ist und unwiderruflich von der Vergänglichkeit befreit wurde, so ist eine getaufte Person unwiderruflich befreit. So wie Christus nicht zurückkehren kann zu der Vergänglichkeit, so kann eine getaufte Person nicht mehr zurückkehren.

Es gab vor einigen Jahren einen evangelischen Pfarrer, der meinte, dass seine Taufe nicht gültig wäre, weil er sie nicht bewusst erlebt hatte, und er ließ sich noch einmal taufen. Er wurde von der Kirchenleitung suspendiert. Denn er hat durch sein Verhalten eine urchristliche Botschaft geleugnet. Denn es spielt keine Rolle, ob man als Säugling oder als Erwachsene getauft wurde – die Taufe kann nicht ungültig gemacht werden und darf nicht wiederholt werden. So wie man die eigene Geburt nicht wiederholen kann, so kann man die Wiedergeburt der Taufe nicht wiederholen.

Und die Säuglingstaufe macht außerdem deutlich, dass es hier nicht auf unsere Glaubensleistung ankommt, sondern allein darauf, was Gott schon für uns getan hat. Gott hat uns von dem Tod befreit. Wir können dieses Geschenk nur annehmen. Und die Taufe ist die vorgesehene Möglichkeit, wie wir dieses Geschenk annehmen können.

Und das Schöne an der Taufe ist ihre Objektivität. Sie ist eine Tatsache, nicht eine subjektive Einbildung. Als Martin Luther von Angst und Sorge geplagt wurde, schrieb er mit Kreide einen Satz auf seinen Schreibtisch. Dieser Satz lautete nicht: Ich bin bekehrt. Und dieser Satz lautete nicht: Ich glaube. Und auch nicht: Ich zahle Kirchensteuer. Er hat auch nicht geschrieben: Ich tue mein Bestes und versuche anständig, ehrlich und hilfsbereit zu sein. Luther wusste, dass es nur einen sicheren Anhaltspunkt gibt, wenn Todesangst sich meldet. Luther schrieb auf seinen Tisch: „Ich bin getauft“.

Die Taufe soll uns von aller ängstlichen Sorge befreien. Denn wir sind schon befreit worden von Tod und Vergänglichkeit. Es ist also nicht angemessen, so zu leben, als ob wir noch in dem Gefängnis der Vergänglichkeit wären. Wer so tut, als ob er noch gefangen ist, wird seine Lebensmöglichkeiten unnötigerweise verkürzen. Möge Gott uns helfen, den Trost wahrzunehmen, den wir durch die Taufe haben, damit wir so befreit wie möglich leben, damit wir so weit wie möglich seelisch und körperlich gesund bleiben.

Das Glasfenster 'Taufszene', Vassil, 2008 (cathédrale Notre-Dame de Paris) sowie die Photographie Johns Hopkins hospital, Conway71, 2006, wurden von ihren Urhebern zur uneingeschränkten Nutzung freigegeben. Die Bilder sind damit gemeinfrei („public domain“). Dies gilt weltweit.
Das Bild 'Deposition of Christ', Pierre II Veyrier, 1560, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.

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