Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Apg. 8, 26 – 39 Befreiung von Einsamkeit

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'The Baptism of the Eunuch', Jan van der Elburcht, 1550-1563

6. Sonntag nach Trinitatis

Befreiung von Einsamkeit Apg. 8, 26 – 39

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2006

Aber der Engel des Herrn redete zu Philippus und sprach: Steh auf und geh nach Süden auf die Straße, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt und öde ist. Und er stand auf und ging hin. Und siehe, ein Mann aus Äthiopien, ein Kämmerer und Mächtiger am Hof der Kandake, der Königin von Äthiopien, welcher ihren ganzen Schatz verwaltete, der war nach Jerusalem gekommen, um anzubeten. Nun zog er wieder heim und saß auf seinem Wagen und las den Propheten Jesaja. Der Geist aber sprach zu Philippus: Geh hin und halte dich zu diesem Wagen! Da lief Philippus hin und hörte, dass er den Propheten Jesaja las, und fragte: Verstehst du auch, was du liest? Er aber sprach: Wie kann ich, wenn mich nicht jemand anleitet? Und er bat Philippus, aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen. Der Inhalt aber der Schrift, die er las, war dieser (Jesaja 53,7-8): »Wie ein Schaf, das zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt, so tut er seinen Mund nicht auf. In seiner Erniedrigung wurde sein Urteil aufgehoben. Wer kann seine Nachkommen aufzählen? Denn sein Leben wird von der Erde weggenommen.« Da antwortete der Kämmerer dem Philippus und sprach: Ich bitte dich, von wem redet der Prophet das, von sich selber oder von jemand anderem? Philippus aber tat seinen Mund auf und fing mit diesem Wort der Schrift an und predigte ihm das Evangelium von Jesus. Und als sie auf der Straße dahinfuhren, kamen sie an ein Wasser. Da sprach der Kämmerer: Siehe, da ist Wasser; was hindert's, dass ich mich taufen lasse? Und er ließ den Wagen halten, und beide stiegen in das Wasser hinab, Philippus und der Kämmerer, und er taufte ihn. Als sie aber aus dem Wasser heraufstiegen, entrückte der Geist des Herrn den Philippus, und der Kämmerer sah ihn nicht mehr; er zog aber seine Straße fröhlich. Apg. 8, 26 – 39

Es gibt in Japan ein Angebot, das heißt: „Eine Familie mieten“. Die Zielgruppe ist die ältere Generation. Es gibt ältere Leute, die einsam sind, weil sie keine Angehörigen haben oder weil sie von ihren Familienangehörigen vernachlässigt werden. Eine Firma, deren Name aus drei Buchstaben besteht „NKH“, bietet eine Ersatzfamilie an; sie besteht aus Schauspielern, die die Rolle von Familienangehörigen übernehmen: sie haben auch Kinder-Schauspieler, die z. B. als Enkelkinder auftreten. Das Angebot ist teuer: Drei Schauspieler, die drei Stunden arbeiten, kosten 150.000 Yen, was € 1022 entspricht. Der Präsident dieser Firma sagt, dass die Schauspieler machen, was man von Ihnen wünscht. Sie können einfach herumsitzen, ohne dass viel gesprochen wird, oder der Auftraggeber kann seinen Frust auf ihnen abladen, indem er sich bei Ihnen beschwert, dass sie ihn vernachlässigt haben. Die Nachfrage bei dieser Firma ist groß.

Diese Begebenheit zeigt, wie überwältigend Einsamkeit sein kann. Wenn Menschen bereit sind, € 1020 für eine kurzfristige Ersatzfamilie zu bezahlen, dann sieht man, wie dramatisch Einsamkeit sein kann.

Ein anderes Beispiel für die Auswirkung von Einsamkeit zeigte sich in einer Zeitungsanzeige im Bundesstaat Kansas. In dieser Anzeige hieß es: „Ich werde Ihnen am Telefon 30 Minuten lang für $5.00 ohne Kommentar zuhören.“ Auf diese Anzeige gab es eine rege Erwiderung. Der Mann, der bereit ist, für $5.00 für eine halbe Stunde zuzuhören, bekommt 10 bis 20 Anrufe pro Tag. Diese Reaktion zeigt auch, wie überwältigend Einsamkeit sein kann.

Und Einsamkeit ist der Schlüssel zu dem Text, der für heute vorgesehen ist. Der Kämmerer aus Äthiopien muss ein einsamer Mensch gewesen sein. In unserem Text heißt es, dass er „Kämmerer“ war; im Urtext steht das Wort „Eunuch“, d.h. damit er am Hof einer Königen dienen konnte, musste er es akzeptieren, einen Eingriff über sich ergehen zu lassen, der bewirkte, dass er keine Kinder bekommen konnte. Solche Menschen heißen in biblischer Sprache „Verschnittene“. Er konnte also keine Familie gründen. Es war sein Schicksal, dass er ohne Ehefrau und ohne Nachkommen sterben würde.

'The Second Jewish Temple', Ariely, 2008

Und er unternimmt eine Pilgerreise nach Jerusalem – offenbar ganz allein - eine gefährliche und beschwerliche Reise von anderthalbtausend Kilometern. Seine Einsamkeit muss überwältigend sein, wenn er so viel auf sich nimmt, um die Nähe Gottes zu suchen. Aber in Jerusalem hat er eine scharfe Abgrenzung erlebt. Obwohl er dort anbeten wollte, musste er Abstand halten - von dem Tempel und von der jüdischen Gemeinde. Denn es heißt im 5. Buch Mose: „Kein Entmannter oder Verschnittener soll in die Gemeinde des HERRN kommen.“ Es gab eine Grenze um den Tempel herum; wer als Nicht-Jude oder als Verschnittener diese Grenze überschritt, musste mit der Todesstrafe rechnen. In Jerusalem hat er erneut seine Einsamkeit erlebt, denn er musste sogar von der Nähe Gottes Abstand halten.

Und auf dem Heimweg liest er in dem Propheten Jesaja. Vermutlich hat er in Jerusalem erfahren, dass Jesaja eine Verheißung für die Verschnittenen anbietet. Denn im 56. Kapitel heißt es:

Denn so spricht der HERR: Den Verschnittenen, die meine Sabbate halten und erwählen, was mir wohlgefällt, und an meinem Bund festhalten, denen will ich in meinem Hause und in meinen Mauern ein Denkmal und einen Namen geben; das ist besser als Söhne und Töchter. Einen ewigen Namen will ich ihnen geben, der nicht vergehen soll. (Jes. 56, 4. 5)

Aber der Kämmerer hat sich nicht nur auf diese Stelle beschränkt, sondern er liest auch von dem leidenden Knecht. Unter anderem liest er:

„Wer kann seine Nachkommen aufzählen? Denn sein Leben wird von der Erde weggenommen.“

In diesen Worten kann er ahnen, dass dieser Leidende auch tief einsam war, und dass auch er scheinbar keine Aussicht auf Nachkommen hatte. Aber er versteht nicht, was er liest. In dem Moment erscheint Philippus und legt ihm die Stelle aus. Und dann wird der Kämmerer getauft. Und von dem Äthiopier heißt es zum Abschluss: „er zog aber seine Straße fröhlich“.

Es gibt viele Einzelheiten hier, die nicht erzählt werden. Aber was hier eingetreten ist, lässt sich veranschaulichen. Dazu ein Beispiel:

In Schottland gibt es einen Steinbruch, bei dem Dynamit eingesetzt wurde, um den Stein abzutragen. Eines Tages wurde der Sprengstoff in einem Loch befestigt und eine Zündschnur wurde angezündet. Die Arbeiter zogen sich zurück und von einer sicheren Entfernung warteten sie ab. Plötzlich sahen sie ein drei-jähriges Kind, das in die Gefahrenzone gelaufen war. Es gab keine Zeit mehr, das Kind herauszuholen; es war zu weit weg. Die Arbeiter schrieen und signalisierten mit ihren Armen, dass es wegrennen sollte. Aber das Kind verstand nicht, was los war und hat die Arbeiter nur angelächelt. Dann erschien die Mutter. Sie hat die Situation sofort erkannt. Sie versuchte nicht, das Kind zu rufen. Sondern sie kniete nieder, breitete ihre Arme aus und lächelte dem Kind zu. Sofort rannte das Kind auf seine Mutter zu, und wurde auf diese Weise gerettet.

Diese Begebenheit zeigt, wie sehr wir Menschen manchmal auf Signale der Körpersprache angewiesen sind. In kritischen Situationen sind Worte nicht ausreichend. Und dies gilt besonders für Menschen, die in einer tiefen Einsamkeit gefangen sind. Worte allein können solche Menschen nicht erreichen. Und Gott in Jesus hat die Signale der Körpersprache eingesetzt, um alle einsamen Menschen zu sich zu rufen.

'Lamb in Nunspeet', Fruggo, 2004

Der Kämmerer aus Äthiopien las in seinem Jesajatext: „Wie ein Schaf, das zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt, so tut er seinen Mund nicht auf.“ Und vorher hatte er gelesen: „Er war der Allerverachtetste und Unwerteste“. Und dann hat der Kämmerer bei der Auslegung des Philippus erfahren, dass Jesus die Erfüllung dieser Stelle war. Jesus hatte auf seinem Leidensweg die tiefste Einsamkeit erlebt, die denkbar ist, damit alle, die einsam sind, wissen können, dass sie von Gott verstanden und begleitet werden. Jesus hat durch seine Körpersprache – die Körpersprache eines Opferlammes - sein einsames Ausgeliefertsein sichtbar gemacht. Und als er am Kreuz hing, waren seine Arme ausgebreitet, - wie die Mutter im Steinbruch - und diese ausgebreiteten Arme soll man als Einladung verstehen, die an alle gerichtet ist.

Und heute kommt Jesus zu uns in Brot und Wein. Denn Worte allein genügen nicht. Wir brauchen sichtbare, spürbare Zeichen, dass Gott in unsere Einsamkeit hinein kommen und sie mit seiner Gegenwart ausfüllen will. Und zwar für alle Ewigkeit. In uns Menschen steckt eine Sehnsucht nach Ewigkeit.

Neulich bei der Fußballweltmeisterschaft, wurde ein 11-Meter Strafstoß auf eine ungewöhnliche Weise ausgeführt: Nicht hart und auf eine Ecke gerichtet – wie üblich, sondern sanft und direkt auf die Mitte des Tores gezielt. Es wurde in der Halbzeit gerätselt, warum der 11-Meter so unkonventionell und so risikoreich ausgeführt wurde. Und die Antwort von dem Experten lautete: „Das war ein Tor für die Ewigkeit.“ Das heißt: der Spieler wollte sich damit einen unvergänglichen Namen machen.

Aber wir Menschen können uns selbst nicht unvergänglich machen. Nur Gott kann uns einen unvergänglichen Namen geben. Und das geschieht in der Taufe. Die Verheißung aus dem Propheten Jesaja für die Verschnittenen gilt für alle, die getauft sind, wo es heißt:

„Einen ewigen Namen will ich ihnen geben, der nicht vergehen soll.“

Und deswegen konnte der Kämmerer seine Straße fröhlich ziehen. Er wurde von seiner Einsamkeit nicht nur momentan befreit, sondern für alle Ewigkeit. Gott will eine ewige Gemeinschaft mit uns Menschen haben. Was er zu seinem Volk Israel sagte, gilt für uns: „Ich will mich mit dir verloben für alle Ewigkeit“. Möge Gott uns helfen, diese Verheißung wahrzunehmen, damit wir etwas von der ewigen Freude ausstrahlen, für die wir vorgesehen sind.

Das Ölgemälde 'The Baptism of the Eunuch', Jan van der Elburcht, 1550-1563, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Das Modell 'The Second Jewish Temple', Ariely, 2008, ist lizenziert unter der Creative Commons–Lizenz „Attribution 3.0 Unported“.
Die Photographie 'Lamb in Nunspeet', Fruggo, 2004, ist lizenziert unter der Creative Commons-Lizenz Namensnennung 1.0.

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