Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Lukas 5,1-11 Sei realistisch, fordere das Unmögliche

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5. Sonntag nach Trinitatis: Lukas 5,1-11 Sei realistisch, fordere das Unmögliche

Gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2009

'Fischfang', 1974 - Walter Habdank. © Galerie Habdank

'Fischfang', 1974 - Walter Habdank.
© Galerie Habdank

Es begab sich aber, als sich die Menge zu ihm drängte, um das Wort Gottes zu hören, da stand er am See Genezareth und sah zwei Boote am Ufer liegen; die Fischer aber waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze. Da stieg er in eines der Boote, das Simon gehörte, und bat ihn, ein wenig vom Land wegzufahren. Und er setzte sich und lehrte die Menge vom Boot aus. Und als er aufgehört hatte zu reden, sprach er zu Simon: Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus! Und Simon antwortete und sprach: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort will ich die Netze auswerfen. Und als sie das taten, fingen sie eine große Menge Fische, und ihre Netze begannen zu reißen. Und sie winkten ihren Gefährten, die im andern Boot waren, sie sollten kommen und mit ihnen ziehen. Und sie kamen und füllten beide Boote voll, so dass sie fast sanken. Als das Simon Petrus sah, fiel er Jesus zu Füßen und sprach: Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch. Denn ein Schrecken hatte ihn erfasst und alle, die bei ihm waren, über diesen Fang, den sie miteinander getan hatten, ebenso auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, Simons Gefährten. Und Jesus sprach zu Simon: Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen. Und sie brachten die Boote ans Land und verließen alles und folgten ihm nach.

Lukas 5,1-11

In einem palästinensischen Gebiet von Israel gibt es einen Muslim, der Christ wurde und der versucht, seinen neuen Glauben unter Muslimen zu verbreiten. Er organisiert Veranstaltungen, bei denen er seinen christlichen Glauben bezeugt. Dazu sagt er folgendes:

„Muslime sind eifriger als die meisten Christen. Sie beten mindestens fünf Mal am Tag, und zwar öffentlich. Sie fasten regelmäßig. Sie haben Ehrfurcht vor Allah. Sie sind normalerweise nicht zugänglich für Christen oder für christliche Inhalte. Das Einzige, was ihre Aufmerksamkeit gewinnen kann, sind die Wundertaten Gottes. Ich veranstalte Versammlungen in Israel und manchmal sind bis zu 25.000 Muslime anwesend. Bei diesen Versammlungen gibt es Zeichen und Wunder. Wenn sie sehen, was Gott bewirken kann, dass Blinde sehen, dass Lahme gehen, dass Kranke geheilt werden, dann wissen sie, dass Jesus lebt und sie wenden ihre Gesichter zu Christus. So etwas passiert in jeder Versammlung.“

Solche Berichte von Zeichen und Wundern sind für uns westliche Christen schwer einzuordnen. Wenn eine Gemeinde in Deutschland berichten würde, dass sie Versammlungen veranstaltet, bei denen Blinde sehen, Lahme gehen, Kranke geheilt werden, und Muslime sich zu Christus bekehren, würde die evangelische Christenheit mit großer Skepsis reagieren.

Die erste Reaktion wäre: „Das müssen Fanatiker oder Fundamentalisten sein, die sich etwas einbilden; oder das sind Schwindler, die etwas vortäuschen. In der kirchlichen Landschaft von Europa gibt es eigentlich keinen Raum für Zeichen und Wunder.

Geldschein der Republik China aus dem Jahre 1914. Kirche in Schanghai, Psch

Aber in Afrika, Asien und Südamerika, wo die Kirche dabei ist, sich auszubreiten, gehören Zeichen und Wunder dazu. Das schnellste Wachstum ist in China, wo es jeden Tag 16.5000 neue Christen gibt. Warum wächst die Christenheit ausgerechnet in einem kommunistischen Land explosivartig? Ein christlicher Journalist in China mit dem Namen Kim-Kwong Chan nennt drei Gründe. Erstens: es gibt ein ideologisches Vakuum in China, zweitens, die Christenheit bietet eine Gemeinschaft, die von Liebe, Hilfsbereitschaft und Fürsorge geprägt ist, und drittens: es gibt Zeichen und Wunder. Dieser Journalist schreibt: „Wenn ich in das Innengebiet von China reise, berichten alle christlichen Gemeinden, dass sie Wunder gesehen und erlebt haben.“ Es gibt unzählige Berichte, z. B. von einer Frau, die als 80-jährige eine Laienpredigerin wurde. Dorfbewohner suchten sie auf, um Gebete von ihr zu empfangen und wurden spontan geheilt, hieß es. Oder es wird von einer Christin berichtet, die eine Minenexplosion voraussagte – einfach weil sie eine Vorahnung hatte; ihre Warnung wurde ernstgenommen und Menschenleben wurden gerettet. Oder in der Provinz Hunan wurde von einem Mann berichtet, der einen qualvollen Gehirntumor hatte. Er wurde von dem Krankenhaus nach Hause geschickt, um zu sterben, aber wurde stattdessen zu einem christlichen Gottesdienst getragen, wo zwei Frauen mit Handauflegung für ihn beteten. Er wurde geheilt. Daraufhin ließen sich 300 Menschen taufen.

Solche Berichte sind scheinbar zu phantastisch, um wahr zu sein. Die westliche Reaktion auf solche Berichte ist programmiert: Menschen, die meinen, Zeichen und Wunder im Namen Christi erlebt zu haben, müssen – nach westlicher Perspektive - unkritisch und unaufgeklärt sein. Eine säkularisierte Bevölkerung kann solche Berichte nur als Täuschung oder als Einbildung verstehen.

Aber machen wir dazu ein Gedankenspiel. Ist es möglich, dass diese unzähligen Berichte von spontanen Wunderheilungen im Namen Jesu Christi tatsächlich wahr sind? Es geht nicht um die Frage, ob sie wahrscheinlich sind, sondern ob sie möglich sind. Es gibt nur eine Antwort auf diese Frage: mit Gott ist alles möglich. Außerdem: wenn man das Stichwort „Wunder“ in ein Internet-Suchprogramm eintippt, bekommt man 7,5 Millionen Antwortseiten: ein Zeichen, dass das Thema Wunder ernst genommen wird, vielleicht manchmal sogar mehr außerhalb als innerhalb der Kirche. Es ergibt sich deshalb die Frage, warum Zeichen und Wunder bei uns nicht vorkommen, aber in Asien, Afrika und Südamerika. In diesem Zusammenhang sollte man bedenken, dass sogar Jesus nicht überall Wunderheilungen vollbringen konnte: da, wo Unglaube herrschte, gab es keine Wunder und Zeichen von Jesus. Zum Beispiel in Nazareth, wo Jesus als Prophet abgelehnt wurde, heißt es: „Und er konnte dort nicht eine einzige Tat tun, außer dass er wenigen Kranken die Hände auflegte und sie heilte. Und er wunderte sich über ihren Unglauben.“ Dementsprechend hat Jesus nach einer Heilung öfters gesagt: „Dein Glaube hat dich gesund gemacht“, bzw. „Dein Glaube hat dir geholfen“.

Der Lukastext, der für heute vorgesehen ist, deutet an, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der Ausbreitung des Christentums und dem Wunderwirken Gottes. Jesus war ein Zimmermann, der von Fischen nichts verstand. Die Anweisung, die er gab, war unfachmännisch. Sie lautete:

Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus.

Diese Anweisung war völlig daneben, denn mitten am Tag werden die Fische nicht an der Oberfläche verweilen an der Stelle, wo das Wasser am tiefsten ist. Trotzdem führte Petrus diesen scheinbar unsinnigen Befehl aus. Er vollzog damit eine Glaubensentscheidung, bei der er es riskierte, sich lächerlich zu machen. Und siehe da, es passierte ein Wunder.

'The Miraculous Draft of Fishes', 2005, TTaylor

In jedem Wunder steckt eine Botschaft. Sie sind nicht bloß Machtdemonstrationen. Wenn Jesus ein Wunder vollbrachte, dann wollte er damit etwas sagen. Die Botschaft, um die es hier geht, hängt mit dem Auftrag an Petrus zusammen:

Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen!

Der wundersame Fischfang veranschaulicht, wie die Christenheit sich ausbreiten würde. Diese Ausbreitung ist nicht in erster Linie eine menschliche Leistung, sondern eine Wundertat Jesu Christi.

Die Ausbreitung der Christenheit ist dementsprechend immer ein Wunder. Denn die Kirche ist eine Schöpfung des Heiligen Geistes. Dass wir hier versammelt sind, um Gottesdienst zu feiern, ist ein Wunder des heiligen Geistes. Keine menschliche Leistung kann die Kirche schaffen oder erhalten. Wir sind Christen allein durch die Gnade Gottes. In diesem Sinne gibt es auch bei uns im Westen Zeichen und Wunder, denn die bloße Existenz der Christenheit hier bei uns ist ein Wunderzeichen.

Aber wir können an der Erhaltung und Verbreitung des christlichen Glaubens mitwirken. Da, wo Kirche ist, gibt es Millionen von Arbeitsstunden im Hintergrund. Dass wir hier und heute Gottesdienst feiern können, hängt damit zusammen, dass unzählige Menschen unermesslich viel geleistet haben, weil sie glaubten, dass es sinnvoll ist, an der Sache Christi beteiligt zu sein, auch wenn viel vergebliche Mühe dabei ist, wie bei Petrus vor dem großen Fischfang. Die Christenheit ist das Ergebnis von menschlicher Arbeit und göttlichem Wunder, wobei das Wunder ausschlaggebend ist.

Petrus ist für uns alle eine Vorlage. Er war bereit, etwas zu tun, was scheinbar sinnlos war, damit ein Wunder geschehen konnte. Und auch wir sollten etwas tun, was scheinbar sinnlos ist: wir sollten mit Wundern rechnen und für Wunder beten.

Es gab einen evangelischen Missionar mit dem Namen Arthur Matthews, der für die China-Inland-Mission gearbeitet hatte. Anhand seiner eigenen Erfahrung hat er folgendes behauptet: „Gott grenzt einige seiner Tätigkeiten ein, je nachdem wie seine Anhänger beten. Wenn sie nicht bitten, wird er nicht handeln. Der Himmel wartet auf unsere Anregungen und unsere Initiativen, dass wir offenbaren, was wir wollen. Er wartet, dass wir im Gebet vorbringen, wonach wir uns sehnen.“

Als ich in den 60er Jahren in San Francisco wohnte, entstand dort die Hippy-Bewegung und die ersten Studenten-Revolten. Beide waren eine Auflehnung gegen konventionelle Einschränkungen. Es entstanden in dieser Zeit einige Sprüche und Parolen. Und unter diesen Parolen gibt es eine, die bei mir hängen geblieben ist und an die ich immer wieder denken muss. Sie lautet: „Sei realistisch, fordere das Unmögliche!“ Dieser Spruch ist ein passender Leitsatz für den christlichen Glauben. Es gibt Gott gegenüber nur eine einzige realistische Haltung, nämlich, man sollte von ihm das Unmögliche erwarten. Wer das Unmögliche von Gott nicht erwartet, macht ihn zu klein. Gerade bei uns Protestanten besteht die Gefahr, dass wir Gott auf das beschränken, was der eigene Verstand begreifen kann. Wenn Gott nicht größer wäre als das, was unser Verstand akzeptieren kann, dann wäre er nicht mehr Gott.

Deswegen sollten wir Berichte von Zeichen und Wundern ernst nehmen. Gott ist stärker als der Tod und ist deshalb stärker als alles. Ich habe es selber erlebt, wie er Menschen zum Leben erweckt hatte, die nach menschlichem Ermessen so gut wie tot waren, denn es wurde für diese Menschen intensiv gebetet.

Die Zukunft unserer Gemeinde und die Zukunft der Christenheit unter uns wird durch unsere Gebete bestimmt. Möge Gott uns helfen – uns Phantasie geben, das Unmögliche zu erwarten und für das Unmögliche zu beten. Alles andere wäre unrealistisch.

Das Glasfenster 'The Miraculous Draft of Fishes', 2005, TTaylor, Canterbury cathedral (Ministry of Jesus window), ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.

Wir danken Frau Friedgard Habdank sehr herzlich, dass sie uns die Bilder ihres Mannes auf so großzügige und kostenlose Weise zur Verfügung gestellt hat. © Galerie Habdank, www.habdank-walter.de

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