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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: 1. Petrus 3, 8 – 15 Warum sollte man anständig sein?

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'Wallet with Euros', 2004, Nino Barbieri

4. Sonntag nach Trinitatis

Warum sollte man anständig sein? 1. Petrus 3, 8 – 15

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2000

Endlich aber seid allesamt gleichgesinnt, mitleidig, brüderlich, barmherzig, demütig. Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Scheltwort mit Scheltwort, sondern segnet vielmehr, weil ihr dazu berufen seid, dass ihr den Segen ererbt. Denn »wer das Leben lieben und gute Tage sehen will, der hüte seine Zunge, dass sie nichts Böses rede, und seine Lippen, dass sie nicht betrügen. Er wende sich ab vom Bösen und tue Gutes; er suche Frieden und jage ihm nach. Denn die Augen des Herrn sehen auf die Gerechten, und seine Ohren hören auf ihr Gebet; das Angesicht des Herrn aber steht wider die, die Böses tun« (Psalm 34,13-17). Und wer ist's, der euch schaden könnte, wenn ihr dem Guten nacheifert? Und wenn ihr auch leidet um der Gerechtigkeit willen, so seid ihr doch selig. Fürchtet euch nicht vor ihrem Drohen und erschreckt nicht; heiligt aber den Herrn Christus in euren Herzen. Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist, und das mit Sanftmut und Gottesfurcht, und habt ein gutes Gewissen, damit die, die euch verleumden, zuschanden werden, wenn sie euren guten Wandel in Christus schmähen. 1. Petrus 3, 8 – 15

Wie ehrlich sind die Menschen? Im Jahre 1996 hat die Zeitschrift Reader’s Digest einen Ehrlichkeitstest europaweit durchgeführt. In insgesamt 20 Städten wurden je zehn Portemonnaies mit etwas Geld (150 Mark), Familienfotos und den Adressen der Besitzer an öffentlichen Plätzen liegengelassen. Wie viele kamen zurück? Die Antwort lautet: durchschnittlich 60%. Allerdings mit regionalen Unterschieden: z.B. empfiehlt es sich nicht, in Weimar etwas zu verlieren, denn dort wurden nur 2 von den 10 Geldbörsen bei einer Fundstelle oder bei der Polizei abgegeben. In Stuttgart dagegen wurden 7 von den 10 zurückgegeben. In Paris und in Liverpool gab es das durchschnittliche Ergebnis: 60% wurde zurückgegeben.

Aber das bedeutet: 40% der Menschen sind offenbar nicht anständig, sondern sind bereit, eine gefundene Geldbörse mit Familienphotos zu behalten, ohne Rücksicht darauf, was dieser Verlust für den Verlierer bedeuten könnte.

In den 60er Jahren gab es in der Schweiz auch ein Experiment, bei dem es um Ehrlichkeit ging. Die größte Lebensmittelsupermarktkette der Schweiz mit dem Namen „Migros“ führte in Zürich ein neues Kassensystem ein. Es gab eine Reihe von Kassenautomaten, bei denen die Kunden ihre eigene Rechnung ausstellten. Sie nahmen diese selbstgefertigte Rechnung zu einer Kasse und zahlten, ohne dass die Rechnungen überprüft wurden. Es wurde also damit gerechnet, dass die Kunden ehrlich sind und alles auf die Rechnung setzen würden, was sie in den Einkaufswagen gelegt hatten und dass sie die richtigen Preise eintippen würden.

'The chocolate section of a Migros supermarket', 2005, Coolcaesar

Innerhalb von einigen Monaten gab es einen enormen Zuwachs an Kunden. In Zürich stieg Migros von dem 6. Platz zu dem 2. Platz auf, was das Verkaufsvolumen betraf. Aber je mehr diese Lebensmittelkette verkaufte, um so geringer fielen die Profite aus, denn jetzt war Ladendiebstahl kinderleicht und der Verlust durch Unehrlichkeit verdreifachte sich. Dieser Versuch, sich auf die Ehrlichkeit der Kunden zu verlassen, musste eingestellt werden.

Aber dieses Experiment war in den 60er Jahren; heute wäre keine Firma so naiv, so etwas zu versuchen, denn heutzutage ist es bekannt, dass Unternehmen nicht nur den Kunden nicht trauen können, sondern sie können auch nicht den eigenen Mitarbeitern trauen. Nach Einschätzung des deutschen Einzelhandelsverbandes begehen durchschnittlich 20% der Mitarbeiter einer Firma oder eines Kaufhauses Diebstahl. In einem Altersheim in unserem Gemeindegebiet habe ich einer Mitarbeiterin von dieser Statistik erzählt und sie hat daraufhin gesagt: das trifft auch bei uns zu; etwa 20% unserer Mitarbeiter nehmen Dinge mit nach Hause, die ihnen nicht gehören.

Es wurde von einer Flugzeugfabrik berichtet: als die Mitarbeiter dabei waren, nach Hause zu gehen, wurden sie gebeten, einen Moment auf dem Fabrikgelände zu warten. Innerhalb von Sekunden war das Gelände mit Werkzeugen übersät: mit Schraubenziehern, mit Zangen, mit Schraubschlüsseln und mit anderen Geräten, die Arbeiter herausschmuggeln wollten und die sie jetzt unauffällig fallen gelassen hatten. Es stellte sich heraus, dass die Firma ein Gruppenphoto von ihren Mitarbeitern machen wollte, aber diese Mitarbeiter hatten mit einer Durchsuchung gerechnet.

Hotels bieten auch eine Veranschaulichung, wie wenig den Menschen zu trauen ist. In dem Americana Hotel in New York z.B. wurden während der ersten 10 Monate nach der Eröffnung 18.000 Handtücher und 38.000 Löffel gestohlen, außerdem wurden 355 silberne Kaffeekannen und sogar 100 Bibeln von diebstahlfreudigen Kunden mitgenommen.

Es ergibt sich also die Frage: warum sollte man in der heutigen Zeit ehrlich sein? Warum sollte man sich z.B. die Mühe geben, eine verlorene Geldbörse bei der Polizei abzugeben? Oder wenn man an einer Kasse aus Versehen zu viel Wechselgeld bekommt, warum sollte man das überschüssige Geld zurückgeben? Oder warum sollte man die eigene Steuererklärung korrekt ausfüllen? Warum nicht ein bisschen schummeln? Warum nicht krank feiern, wenn man keine Lust hat, zu arbeiten und einen kostbaren Urlaubstag nicht preisgeben will? Machen das nicht alle? Oder warum sollte man als Schüler nicht abschreiben? Im Religionsunterricht muss ich höllisch aufpassen, wenn ich eine Arbeit schreiben lasse, denn es wird unweigerlich Schüler geben, die abschreiben, oder sich Antworten zuflüstern, oder Spickzettel benutzen. Und in diesem Zusammenhang ist auch den Schülerinnen und Schülern nicht zu trauen, die ansonsten anständig sind.

Warum sollte man also ehrlich, korrekt und anständig sein? Denn wer versucht, ehrlich, korrekt und anständig zu sein, wird nicht damit rechnen können, Anerkennung dafür zu bekommen, sondern muss sogar damit rechnen, als Spießer, als Schleimer, als Trottel, als Depp zu gelten.

In diesem Zusammenhang gibt uns der 1. Petrusbrief Hinweise, warum wir anders leben sollten als unsere Umwelt. Am Anfang dieses Briefes heißt es: 1.Petr 2,9

Ihr aber seid das auserwählte Geschlecht, die königliche Priesterschaft, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, dass ihr verkündigen sollt die Wohltaten dessen, der euch berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht.

Es ist die Aufgabe der Christenheit, eine Priesterschaft zu sein, d.h. eine Vermittlerin zu sein zwischen Gott und Menschen. Die Christenheit soll den Gott bezeugen, der sie von der Finsternis der Vergänglichkeit befreit hat. Und die Einhaltung der Gebote ist eine Möglichkeit, wie wir unseren Gott bezeugen können. In dem ersten Satz des heutigen Textes heißt es: Seid allesamt... mitleidig, brüderlich, barmherzig, demütig. Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Scheltwort mit Scheltwort, sondern segnet vielmehr, weil ihr dazu berufen seid, dass ihr den Segen ererbt. Christen sind unterwegs zu einer ewigen Seligkeit, und es geht darum, diese Verheißung zu bezeugen...damit andere Menschen neugierig werden und als Folge das eintreten kann, was in Vs. 15 steht: Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist.

Denn ein Christ, der ehrlich, korrekt und anständig ist, bezeugt, dass er nicht bloß für sich selbst und für seinen eigenen Vorteil lebt, und dass er sich selbst nicht für das Maß aller Dinge hält, sondern dass er einen Gott hat, der über ihm steht. Ein Mensch, der z.B. das 7. Gebot missachtet – du sollst nicht stehlen – leugnet damit die Zusammengehörigkeit aller Menschen, denn er tut so, als ob er anderen Menschen gegenüber Sonderrechte hätte. Aber ein Christ, der das 7. Gebot achtet, bezeugt damit, dass alle Menschen zusammengehören, denn alle Menschen sind dazu bestimmt, am Ende der Zeit in Gott vereint und versöhnt zu werden. Der Christ nimmt diesen Tag vorweg, indem er sich weigert, Sonderrechte für sich in Anspruch zu nehmen oder auf Kosten anderer sich zu bereichern. Ein Christ, der z.B. darauf verzichtet, eine fremde Geldbörse zu behalten sondern sie bei der Polizei abgibt, bezeugt damit, dass er für etwas lebt, was größer ist als Konsum und Genuss. Ein Christ, der eindeutig kein Bedürfnis hat, über andere zu lästern oder auf anderen herumzuhacken, bezeugt damit, dass er ein Ziel vor Augen hat, das höher ist als billige Befriedigung. Ein Christ, der in einer unzumutbaren Situation gutmütig bleibt, auch wenn er aggressiv reagieren will, bezeugt damit, dass er eine Hoffnung vor Augen hat, die ihm schon jetzt Kraft gibt. Wer so lebt, wird die Neugier aber auch die Missgunst der Mitmenschen erwecken, so wie es am Anfang der Christenheit war.

Die ersten Christen waren ein Rätsel für ihre Umwelt. Es gibt einen Brief, der um das Jahr 200 geschrieben wurde. Ein vornehmer Grieche namens Diognet bat einen Freund um eine Erläuterung, wer diese Menschen sind, die sich Christen nennen. Der Freund beschrieb die Christen in einem Antwortschreiben und es wirkt fast so, als ob er Menschen von einem anderen Planeten beschreibt. Er schreibt folgendes:

'Fresco of female figure holding chalice in the Agape Feast' Catacomb of Saints

Die Christen unterscheiden sich weder durch Heimat noch Sprache noch durch besondere Gebräuche von den andern Menschen; denn sie bewohnen weder eigene Städte noch sprechen sie eine eigene Sprache; sie haben keine ungewöhnliche Lebensweise. Sie richten sich in Kleidung und Nahrung und in ihrer sonstigen Lebensweise nach der Landessitte, haben aber dennoch eine wunderbare und besondere Ordnung und Verfassung.
Sie heiraten wie alle, setzen aber die Kinder nicht aus. (Unerwünschte Kinder wurden damals einfach ausgesetzt). Sie sind im Fleisch, leben aber nicht nach dem Fleisch. Sie halten gemeinsame Malzeiten, aber keine gemeinen. Sie weilen auf Erden, haben aber ihr Bürgerrecht im Himmel. Sie gehorchen den bestehenden Gesetzen, überbieten aber durch ihren Wandel die Forderungen der Gesetze. Sie lieben alle und werden von allen verfolgt. Man kennt sie nicht und verurteilt sie doch. Sie werden gelästert und doch als gerecht befunden. Die Welt hasst die Christen, obwohl ihr nichts zuleide geschieht, nur weil sie ihren Lüsten entgegentreten. Die Christen werden in der Welt festgehalten wie in einem Gefängnis, sie selbst aber halten die Welt zusammen.

Dieser Brief beschreibt eine Dynamik, die es auch heute gibt. Christen, die ehrlich und anständig leben, müssen damit rechnen, dass andere auf sie herabschauen wollen. Denn Menschen, die nur für ihre eigene Vorteile leben wollen, werden sich in Frage gestellt fühlen.

Ein drastisches Beispiel für diese Dynamik zeigte sich vor 40 Jahren. Im Jahre 1961 fand ein arbeitsloser Hausmeister einmal einen grauen Leinensack auf der Straße. In dem Sack waren DM 960.000. Durch eine Kette von merkwürdigen Zufällen war diese Tasche aus der Hintertür eines Geldtransportwagens herausgefallen, ohne dass die Transportwächter es merkten. Der Arbeitslose brachte das Geld zu der Polizei. Einige Tage lang wurde er als ehrlichen Finder gefeiert: sein Bild stand in der Zeitung. Aber gleichzeitig zeigte sich eine dunkle Seite der menschlichen Natur. Der ehrliche Finder bekam anonyme Briefe, in denen er beschimpft und verspottet wurde. In einem Brief hieß es: „Du blöder Depp, du hattest so viel Geld in der Hand und hast es einfach losgelassen.“ Als der Arbeitslose sich um eine Stelle bewarb, bekam er zu hören: „Du hättest nicht arbeiten müssen...du bist ein Idiot. Du hattest so viel Geld und hast es weggeworfen.“ Einmal stand eine fremde Frau vor der Haustür und als sie hereingelassen wurde, sagte sie: „Ich wollte nur sehen, ob Sie wirklich so dumm aussehen, wie sie sind!“ Auch die Kinder des Arbeitslosen waren in der Schule dem Spott der Mitschüler ausgesetzt; sie galten jetzt die Kinder eines Trottels.

Dieses Beispiel zeigt, dass Ehrlichkeit alles andere als harmlos ist. Wenn Christen ehrlich, gutmütig und anständig leben, dann sind sie wie ein Licht in der Finsternis dieser Welt und sie sind Hinweise auf das Licht der Welt. Wir brauchen und wollen unser Verhalten nicht zu Schau stellen. Es geht nicht darum, besser als andere sein zu wollen. Es geht darum, eine Priesterschaft zu sein, die eine künftige Herrlichkeit bezeugt. Wir wollen nicht besser als andere sein; wir wollen die Verheißung weiterschenken, die uns bereichert hat; wir wollen, dass andere an unserer Hoffnung auch teilhaben. Denn alle Menschen gehören zusammen. Und deswegen soll ein Christ kein Arbeitsmaterial nach Hause schmuggeln, das ihm nicht gehört, oder Handtücher aus einem Hotelzimmer als Souvenir mitnehmen, oder nicht krank feiern, wenn er nicht krank ist, oder nicht das überschüssige Geld behalten, das er aus Versehen an einer Kasse bekommen hat, oder sich nicht vordrängen, anstatt geduldig in einer Schlange zu warten.

Möge Gott uns helfen, treue Zeugen für ihn zu sein.

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Das Fresco 'Female figure holding chalice in the Agape Feast', Catacomb of Saints Pietro e Marcellino (Saints Marcellinus and Peter), Via Labicana, Rome, Itally, ist im publicdomain, weil sein copyright ebgelaufen ist.

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