Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: 1. Kor. 14, 1 f. Pokergesichter

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'Poker Table', 2007, flipchip / LasVegasVegas.com

2. Sonntag nach Trinitatis

Pokergesichter 1. Kor. 14, 1 f.

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2002

Strebt nach der Liebe! Bemüht euch um die Gaben des Geistes, am meisten aber um die Gabe der prophetischen Rede! Denn wer in Zungen redet, der redet nicht für Menschen, sondern für Gott; denn niemand versteht ihn, vielmehr redet er im Geist von Geheimnissen.
Wer aber prophetisch redet, der redet den Menschen zur Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung. Wer in Zungen redet, der erbaut sich selbst; wer aber prophetisch redet, der erbaut die Gemeinde. Ich will beten mit dem Geist und will auch beten mit dem Verstand; ich will Psalmen singen mit dem Geist und will auch Psalmen singen mit dem Verstand.
Wenn nun die ganze Gemeinde an einem Ort zusammenkäme und alle redeten in Zungen, es kämen aber Unkundige oder Ungläubige hinein, würden sie nicht sagen, ihr seid von Sinnen?
Wenn sie aber alle prophetisch redeten und es käme ein Ungläubiger oder Unkundiger hinein, der würde von allen geprüft und von allen überführt; was in seinem Herzen verborgen ist, würde offenbar, und so würde er niederfallen auf sein Angesicht, Gott anbeten und bekennen, daß Gott wahrhaftig unter euch ist. 1. Kor. 14, 1 f.

Es gibt in Nordamerika ein beliebtes Kartenspiel, das „Poker“ heißt. Wer bei diesem Spiel erfolgreich sein will, muss Glück haben und muss auch den eigenen Gesichtsausdruck beherrschen. Wenn man gute Karten bekommt oder wenn man etwas vortäuschen will, dann muß das Gesicht unverändert bleiben, denn sonst werden die Mitspieler anhand des veränderten Gesichtsausdrucks merken., was los ist. In diesem Zusammenhang redet man von einem „Poker face“: Pokergesicht. Dieses englische Wort steht sogar in deutschen Lexikons. In einem Lexikon heißt es: Poker face: Bezeichnung für einen Menschen, dessen Gesicht keine Gefühle verrät; unbewegter Gesichtsausdruck.

Falls Sie wissen möchten, wie ein Pokergesicht aussieht, brauchen Sie nicht weit zu suchen, denn man sieht sie in Straßenbahnen, in Wartezimmern, bei Konzerten und in evangelischen Gottesdiensten. Die Gesichter von Gottesdienstteilnehmenden sind in der Regel stocknüchtern. In diesen Gesichtern ist keine Gefühlsregung erkennbar. Und vielleicht ist es sogar gut so, denn ich habe auch Gottesdienste erlebt, wo die Menschen bewusst versucht haben, freundliche Gesichter aufzusetzen, und so etwas kann unerträglich sein.

Aber trotzdem: die todernsten Gesichter, die in einem evangelischen Gottesdienst zu sehen sind, sind auch ein Zeugnis. Denn was wird ein Fremder denken, der zum ersten Mal einen Gottesdienst besucht und rechts und links nur Pokergesichter sieht? Falls dieser Fremde erwartet, die Anwesenheit Gottes zu spüren, wird er vielleicht enttäuscht sein.

Einmal habe ich einen Bericht von einem kirchlichen Mitarbeiter gehört, der zu einer Reisegruppe gehörte, die in Russland orthodoxe Gemeinden besucht hatte. Als er zurückkam und an evangelischen Gottesdiensten wieder teilnahm, hat er eine Entdeckung gemacht: er hat gemerkt, dass ihm etwas fehlt. Vor der Reise hatte er diese Lücke nicht wahrgenommen. Aber in den orthodoxen Gottesdiensten wurde die Botschaft vermittelt: hier ist Gott anwesend. Dieses Gefühl von der Anwesenheit Gottes wurde unter Anderem durch die ehrfürchtige Haltung der Gemeinde vermittelt. Und jetzt war er wieder in einem evangelischen Gottesdienst in Frankfurt und dieses Bewusstsein, dass hier in diesem Gottesdienstraum Gott anwesend ist, hat gefehlt.

Vielleicht sind das nur subjektive Empfindungen, die uns nichts angehen. Oder vielleicht doch. Denn dieses Thema wird in dem heutigen Korintherbrieftext aufgegriffen. Paulus fragt die Gemeinde in Korinth: was wird ein Fremder denken, wenn er eure Versammlung besucht? Es gab in der damaligen Gemeinde Menschen, die in Zungen redeten, d.h. sie beten Gott an in einer Sprache , die offenbar durch die Wirkung des Geistes spontan entsteht. Ich habe dieses Phänomen erlebt und es ist zunächst etwas Unheimliches. Diejenigen, die in Zungen reden, sagen, dass diese Geistesgabe sie bereichert. Sie haben den Eindruck, dass sie dabei im Glauben und in der Liebe wachsen. Aber wie Paulus feststellt: wenn ein Fremder eine Gemeinde aufsuchen würde, in der alle in Zungen redeten, dann würde er denken, dass er in einem Irrenhaus gelandet ist. Deswegen fordert Paulus die Gemeinde auf, prophetisch zu reden. Prophetisch reden – in diesem Zusammenhang – bedeutet: Zeugen der neuen Botschaft zu sein, die in Jesus offenbart wurde. Ein Prophet ist – biblisch gesehen – nicht jemand, der die Zukunft voraussagt, sondern jemand, der die Botschaft vermittelt, die er von Gott empfangen hat. Prophetisch reden hat also etwas mit dem Verstand zu tun, wie Paulus betont:

„Ich will beten mit dem Geist und will auch beten mit dem Verstand; ich will Psalmen singen mit dem Geist und will auch Psalmen singen mit dem Verstand.“

Wenn Geist und Verstand zusammenarbeiten, dann entsteht ein eindrucksvolles Zeugnis. Wie Paulus schreibt:

Wenn sie aber alle prophetisch redeten und es käme ein Ungläubiger oder Unkundiger hinein, der würde von allen geprüft und von allen überführt; was in seinem Herzen verborgen ist, würde offenbar, und so würde er niederfallen auf sein Angesicht, Gott anbeten und bekennen, dass Gott wahrhaftig unter euch ist.

Und darauf kommt es an; dass ein Fremder erkennt: hier ist Gott anwesend. Paulus geht davon aus, dass die ganze Gemeinde an diesem Vorhaben beteiligt ist, die Anwesenheit Gottes zu bezeugen.

'Crystaline Gold', 2005, Jurema Oliveira

Und dieses Zeugnis ist etwas Hintergründiges. Eine Gottesdienstgemeinde, die strahlende Gesichter hat und die während des Singens sich rhythmisch bewegt, ist nicht automatisch eine Zeugin der Anwesenheit Gottes. Auch eine zurückhaltende Gemeinde kann die Anwesenheit Gottes bezeugen. Aber wenn Gott wirklich anwesend ist und wenn die Gemeinde diese Anwesenheit wahrnimmt, dann wird so etwas nicht zu verstecken sein. Der Fremde, der zufällig dabei ist, wird es merken.

'Latrobe nugget', 2008, Gump Stump

In dem vorigen Jahrhundert gab es in dem Westen der USA ein ständiges Suchen nach Gold. In dem Bundesstaat Montana gab es eine Gruppe von Goldsuchern, Die sich an einem Bach ausruhten und auch dort übernachten wollten. Einer der Männer nahm einen Stein aus dem Flussbett und mit einem Hammer spaltete er den Stein. Er sagte zu seinen Kollegen: „Es sieht so aus, als ob es Gold an dieser Stelle geben könnte.“ Die Männer arbeiteten den ganzen Nachmittag und fanden Gold im Wert von etwa $12. Am nächsten Tag arbeiteten sie weiter und fanden Gold in Wert von etwa $50. Eine große Summe damals. Sie waren jetzt überzeugt, dass sie eine gute Stelle entdeckt hatten. Sie gingen in die nächste Stadt, die Bannock hieß, und haben unauffällig die Ausrüstung angeschafft, die sie brauchen würden, um die Goldstelle zu bearbeiten. Als sie bereit waren, machten sie sich auf den Weg. Aber sie erlebten dabei eine böse Überraschung: 300 Männer kamen ihnen hinterher. Was war schief gegangen? Niemand von dieser Gruppe hatte ein Wort über die Goldentdeckung erzählt. Aber die ganze Stadt wusste trotzdem, dass sie Gold entdeckt hatten. Denn ihre Gesichter hatten sie verraten. Es war ihnen nicht gelungen, Pokergesichter aufzusetzen.

Und genau so ist es in einer christlichen Gemeinde. Wenn wir wirklich glauben, dass Gott unter uns anwesend ist, dann wird es nicht möglich sein, diesen Glauben geheim zu halten. Jeder Fremde, der uns besucht, wird sofort merken, was los ist, auch wenn wir im Gottesdienst nur Pokergesichter zeigen. Und umgekehrt: wenn wir nicht daran glauben, dass Gott unter uns anwesend ist, wird auch dieser Unglaube nicht zu verstecken sein, egal wie freundlich unsere Gesichter aussehen, egal wie lebhaft unsere Gottesdienste ablaufen.

In dem Korintherbrieftext wird von Paulus bezeugt, dass es auf die ganze Gemeinde ankommt und dass Geist und Verstand zusammenarbeiten müssen. Was wir also während der Woche tun – ob wir beten oder nicht, ob wir versuchen, unseren Glauben zu begreifen oder nicht, ob wir selbstlose Liebe tun oder nicht tun – solche Dinge werden eine Auswirkung auf unseren Gottesdienst haben und auf unser Zeugnis.

Eines Abends wurde ein Arzt in ein Krankenhaus gerufen. Als er im Krankenhaus war und einen Gang herunterging, ging plötzlich eine Tür auf. Ein Mann stürzte aus einem Krankenzimmer und als er den Arzt sah, ging er stürmisch auf ihn zu. Sein Gesicht war voller Freude und er sagte: „Sie wird es schaffen. Es geht ihr besser. Sie wird es schaffen“ Und dann ging er weiter den Gang entlang und verschwand. Dieser Mann hatte gerade etwas Erfreuliches erlebt und er musste es unbedingt mitteilen. Er konnte diese gute Nachricht nicht für sich behalten.

Und diese Begebenheit veranschaulicht das, wonach wir streben sollten. Auch wir haben eine gute Nachricht und normalerweise müsste es ein Anliegen sein, die Freude zu teilen, die sich aus dieser Botschaft ergibt. Aber unsere gute Nachricht – unser Evangelium – muss immer wieder neu entdeckt werden: nicht nur um unsertwillen, sondern vor allem um der Menschen willen, die es noch nicht gehört haben.

Die Photographie 'Poker Table', 2007, flipchip / LasVegasVegas.com, wurde unter den Bedingungen der Creative Commons "Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported"-Lizenz veröffentlicht.
Die Photographie 'Crystaline Gold', 2005, Jurema Oliveira, ist im public domain, weil es Material enthält, das ursprünglich vom Geologischen Dienst der Vereinigten Staaten (United States Geological Survey) stammte, einer Dienststelle des Innenmisterium der Vereinigten Staaten.
Die Abbildung 'Latrobe nugget', 2008, Gump Stump, wurde unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht. Es ist erlaubt, die Datei unter den Bedingungen der GNU-Lizenz für freie Dokumentation, Version 1.2 oder einer späteren Version, veröffentlicht von der Free Software Foundation, zu kopieren, zu verbreiten und/oder zu modifizieren.

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