Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Joel 3,1-5 Erlebnisorientierte Religion

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'Bushmen in Deception Valley', 2005, Ian Sewell

Pfingsten

Erlebnisorientierte Religion Joel 3,1-5

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2006

Das ist's, was durch den Propheten Joel gesagt worden ist (Joel 3,1-5):
»Und es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da will ich ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch.“

Es ist bekannt, dass westliche Missionare in Afrika tätig waren. Ein Volk, das von Missionaren besucht wurde, besteht aus sogenannten Buschmännern in der Kalahari-Wüste. Es gibt dort ein Dorf mit dem Namen Denui. Die Bewohner dieses Dorfes ließen sich von den christlichen Missionaren nicht beeinflussen sondern sind bei ihrer traditionellen Religion geblieben. Zu den Sitten dieser Religion gehört es, dass die Frauen und Kinder abends um ein Feuer sitzen; sie singen und klatschen, während die Männer um das Feuer herum tanzen. Der Rhythmus steigert sich und der Gesang wird intensiver, so dass der anwesende Schamane in eine Trance versetzt wird – d. h. in einen hypnoseähnlichen Zustand. Und in diesem Zustand soll er Kontakt zu einer jenseitigen Geistwelt bekommen.

Diese Buschmänner wurden im Jahre 2000 von einem Journalisten der Zeitschrift National Geographic besucht und der Leiter des Denui-Dorfes erzählte ihm folgendes: „Wir sind Traditionalisten hier. Wir sind (deshalb) nicht Christen (geworden). Aber wir können zu dem reden, mit dem die Christen reden. Es ist überall derselbe Gott. Es gibt halt unterschiedliche Möglichkeiten, wie man zu ihm reden kann.“

Stimmt diese Behauptung? Ist der Gott, zu dem wir Christen sprechen, derselbe Gott, den die Buschmänner in Afrika durch ihre Riten aufsuchen?

Auf der einen Seite: nur Gott allein kann diese Frage beantworten. Es wäre anmaßend, zu meinen, dass wir feststellen könnten, was in der Seele eines anderen Menschen vor sich geht und wie Gott darauf zu reagieren hat.

'Kalahari in Namibia', 2003, Elmar Thiel

Aber wir können Vergleiche machen. Und es geht hier nicht nur um Religion in Afrika, sondern moderne Spiritualität ist vergleichbar mit den Buschmännerriten. Was der afrikanische Schamane in einem Trancezustand erlebt ist das, was auch Menschen in Europe und Amerika suchen. Gesucht wird ein direkter, erfahrbarer Zugang zu der jenseitigen Welt; man will diese Welt unmittelbar erleben können.

Deswegen gibt es Menschen, die sich auf Buddhismus und östliche Religionen einlassen, die eine Erlösung in Aussicht stellen, die erlebbar ist und bei der ein Mensch in einen anderen Zustand versetzt wird. Deswegen gab es Menschen, die Drogen wie LSD nahmen, weil sie meinten, dass sie dadurch in eine jenseitige Welt versetzt würden und sogar Gotteserlebnisse bekämen. Oder die Esoterikszene ist eine Suche nach jenseitigen Kräften, die man unmittelbar erleben und für sich vereinnahmen will. Ekstatische Religion – d. h. Religionen, bei der ein Mensch in einen außerordentlichen Zustand versetzt wird, ist das, was heutige Menschen suchen. Und es soll schnell gehen. Am liebsten in einem einzigen Wochenendseminar.

Zum Beispiel: ein Angebot aus der Esoterikszene sind sogenannte Mind-Maschines. Sie werden am Kopf getragen und sehen aus wie Kopfhörer mit beleuchteter Schutzbrille. Es werden Licht- und Tonimpulse erzeugt, die in kurzer Zeit intensive Trance-Zustände hervorrufen sollten. Diese Methode wird als „Schnellstraße zum veränderten Bewusstsein“ bezeichnet.

Vordergründig gesehen gibt es Ähnlichkeiten zwischen ekstatischer Religion und dem Pfingstereignis. Denn die Jünger wurden in eine jenseitige Welt versetzt; sie hatten Visionen von Feuerflammen und es gab ein Rauscherlebnis: sie hörten das Brausen eines gewaltigen Windes. Sie wurden scheinbar in einen ekstatischen Trancezustand versetzt, denn die Zuschauer meinten, sie wären betrunken. Und das alles ging blitzschnell.

Ist nicht das Pfingstereignis genau das, was moderne Menschen suchen? Ist das Pfingstereignis nicht vergleichbar mit der Buschmännerreligion in Afrika? Führen nicht viele Wege zu Gott?

'Calling of the Apostles', Ghirlandaio Domenico, 1481

Aber das Pfingstereignis ist doch etwas ganz anderes als das, was unsere schnelllebige Welt sucht. Ein großer Unterschied zwischen ekstatischer Religion und biblischem Glauben ist, dass biblischer Glaube in einer Geschichte verankert ist. Ohne die biblische Geschichte, die Jahrhunderte erfasst, wäre Pfingsten nicht eingetreten. Wenn die Jünger sich in der Bibel nicht ausgekannt hätten, wenn die Jünger den Lebenslauf Jesu – von der Taufe bis zur Himmelfahrt - nicht gekannt hätten, dann hätte es kein Pfingstereignis gegeben. Das Ausgießen des Heiligen Geistes bei diesem jüdischen Fest 50 Tage nach Ostern war die Vollendung einer Geschichte, die jahrhundertealt war. Der Heilige Geist ist kein ekstatisches Erlebnis, das man jederzeit haben kann. Der Heilige Geist arbeitet nicht in einem Vakuum. Der Geist Gottes schafft Anhaltspunkte, die er bedient, um sich zu offenbaren. Bei den Riten in Afrika, bei östlichen Religionen und bei den Angeboten der Esoterikszene spielt Geschichte keine Rolle, denn der Zugang zu der jenseitigen Welt soll unmittelbar sein – ohne Umwege. Die Jünger dagegen haben die Nähe Gottes gespürt, weil sie drei Jahre lang mit Jesus zusammen waren und weil sie drei Jahre lang von ihm unterrichtet wurden. Vor allem hat Jesus die biblische Geschichte für die Jünger ausgelegt. Ohne Geschichte, ohne Lehre, ohne Bekenntnisse und ohne Glaubensstrukturen gibt es kein Pfingstereignis.

Ein anderer Unterschied zwischen ekstatischer Religion und dem Pfingstereignis ist, dass in ekstatischer Religion nur einige Auserwählte etwas erleben dürfen. In Afrika bekommt nur der Schamane einen direkten Zugang zu der jenseitigen Welt; die anderen sind Zuschauer. Esoterische Erlebnisse sind immer nur für eine Elite-Minderheit zugänglich; Nirwana ist kein Massenerlebnis. Aber Pfingsten bedeutete, dass der Zugang zu der himmlischen Welt nicht mehr auf einige Auserwählte beschränkt bleibt. Pfingsten ist ein großer Wendepunkt. Petrus erläuterte diesen Wendepunkt, indem er in seiner Pfingstpredigt den Propheten Joel zitierte: »Und es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da will ich ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch“. Alles Fleisch heißt alle Menschen. Die unmittelbare Nähe Gottes wird ab jetzt für alle Menschen eine Möglichkeit. Und diese unmittelbare Nähe Gottes wird nicht durch ekstatische Erlebnisse verwirklicht, sondern Gott verwirklicht diese Verheißung, einfach weil er es so bestimmt hat, dass er in allen Menschen wohnen will. Und diese unmittelbare Nähe Gottes ist eine Tatsache, die nicht von menschlichen Erlebnissen oder Gefühlen abhängt.

Es wird von einer Mutter berichtet, die von ihrem kleinen Sohn gefragt wurde, ob Gott überall sei. Es war gerade Vollmond und der Junge deutete auf den Mond und fragte: „Ist Gott dort oben in dem Mond?“ Und die Mutter erwiderte: „Gott ist überall“. Dann fragte er: „Ist Gott auch in meinem Magen?“. Die Mutter war jetzt etwas verunsichert, denn sie wusste nicht, was hinter dieser Frage steckte, aber sie musste zugeben, dass Gott, wenn er überall ist, auch in dem Magen seines Sohnes anwesend ist. Daraufhin sagte das Kind: „Gott will ein Stück Schokolade haben.“

Auf der einen Seite hat dieses Kind etwas verstanden, was Erwachsene oft nicht verstehen: Gott ist uns so nahe, dass er unsere Sehnsüchte mitfühlt. Wenn wir Hunger haben, - auch Hunger nach kleinen Lebensfreuden, wie sie z. B. durch Schokolade vermittelt werden - kennt Gott diesen Hunger auch – er hat sie in Jesus hautnahe erlebt und bejaht. Der Ausdruck Heiliger Geist bedeutet, dass Gott in uns wohnt und jede Einzelheit erlebt und erleidet, was wir erleben und erleiden.

Aber auf der anderen Seite sind unsere Wünsche nicht unbedingt identisch mit den Wünschen Gottes. Wenn ein Kind Schokolade sofort haben will ist das nicht unbedingt das, was Gott sich wünscht.

Und in diesem Kontext: ein großer Unterschied zwischen Gott und Mensch kommt in dem Bereich Geduld vor: Gott ist unermesslich geduldig; wir Menschen sind ungeduldig. Wir wünschen uns Gotteserlebnisse, die sich gut anfühlen und prompt eintreten, wir möchten, dass Gott unsere Probleme innerhalb von 24 Stunden löst und unsere Krankheiten und Wunden schnell heilt. Aber wer die Nähe Gottes haben möchte, sollte sich auf die Anhaltspunkte einlassen, die er vorgegeben hat: die biblische Geschichte, die Sakramente, die Gemeinschaft der Heiligen. Es erfordert Geduld, die biblische Geschichte zu lesen und sie durch Gruppengespräche und durch Auslegungen zu verstehen. Es erfordert Geduld, sich auf einen Gottesdienst einzulassen, der keine Euphorie bietet, sondern Worte, Bekenntnisse und Lieder, die scheinbar keine sofortige Wirkung haben.

Saint Augustine

Aber was uns verheißen wird, sind nicht berauschende Erlebnisse, sondern dass Gott dauerhaft mit uns wohnen will. Diese Verheißung gilt für alle Menschen: d. h. für alle Menschen die bereit sind, sich auf Gott einzulassen, so wie er sich offenbart hat.

Der Kirchenvater Augustin wurde einmal von einem Mann angesprochen, der ein Götzenbild in der Hand hatte. Dieser Mann sagte mit aggressivem Tonfall: „Hier ist mein Gott; wo ist dein Gott?“ Augustin erwiderte: „Ich kann dir meinen Gott nicht zeigen, weil du keine Augen dafür hast.“ Hier ist der Unterschied zwischen erlebnisorientierter Religion und Christentum. Erlebnisorientierte Religion kann ihre göttliche Welt vorführen: sie kann von ihren Gotteserfahrungen berichten; sie kann das Göttliche vorweisen, weil es angeblich erfahrbar ist. Wir Christen können keine eindeutigen Gotteserlebnisse vorweisen, denn der lebendige Gott ist unsichtbar, jenseits der sichtbaren, spürbaren Welt. Aber wir haben trotzdem sichtbare, spürbare, handfeste Zeichen, dass Gott mit uns ist. Wir haben die Bibel, wir haben die Sakramente und wir haben die versammelte Gemeinde. Für den, der Augen hat, sind diese sichtbaren Zeichen ausreichend. Möge Gott uns helfen, dass wir uns mit Treue an den Zeichen festhalten, die uns gegeben sind: die Bibel, Brot und Kelch, die versammelte Gemeinde. Denn diese Zeichen vermitteln die Botschaft: Gott ist mit uns, Gott bleibt bei uns, heute und für immer.

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Die Photographie 'Kalahari in Namibia', 2003, Elmar Thiel, wurde unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht. Es ist erlaubt, die Datei unter den Bedingungen der GNU-Lizenz für freie Dokumentation, Version 1.2 oder einer späteren Version, veröffentlicht von der Free Software Foundation, zu kopieren, zu verbreiten und/oder zu modifizieren.
Die Abbildungen der Gemälde 'Calling of the Apostles', Ghirlandaio Domenico, 1481, sowie des Heiligen Augustin (Saint Augustine) sind im public domain, weil ihr copyrigth abgelaufen ist.

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