Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: 3. Mose 19,2 Darf Gott von einem Computerbildschirm gelöscht werden?

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Pfingsten: 3. Mose 19,2 Darf Gott von einem Computerbildschirm gelöscht werden?

Gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2002

'Temple Mount and Western Wall during Shabbat', 2007, David Shankbone

Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, der HERR, euer Gott

3. Mose 19,2

Seit drei Jahren schreibe ich Texte mit einem Computer. Vorher benutzte ich eine Schreibmaschine. Mit einer Schreibmaschine zu arbeiten, ist wesentlich schwerfälliger, weil es mühsam ist, Fehler zu korrigieren und Sätze zu verbessern. Der Vorteil bei einem PC ist, dass man Worte mühelos auslöschen kann. Weil man ganze Sätze blitzschnell auslöschen kann, ist es sehr leicht, Verbesserungen vorzunehmen.

In diesem Zusammenhang kann ich dankbar sein, dass ich kein orthodoxer Rabbi bin. Denn für einen orthodoxen Juden ergibt sich eine Schwierigkeit, wenn er mit einem Computer einen religiösen Text schreibt. Nämlich: das Wort Gott darf er eigentlich nie auslöschen. Für Juden ist der Name Gottes und das Wort Gott heilig. Und das heißt konkret: Wenn das Wort Gott geschrieben oder gedruckt wird, darf es nicht ausradiert, gelöscht oder in den Mülleimer geworfen werden. Wenn das Wort Gott einmal geschrieben steht, gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder muss das Wort in Ehrfurcht aufbewahrt oder es kann rituell beerdigt werden.

Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie sind ein Rabbi und schreiben mit dem Computer eine Predigt. In einem Satz, in dem Sie von Gott sprechen, entsteht ein Fehler. Der Satz muss neu geschrieben werden, aber das geht nur, wenn Gott ausgelöscht wird. Aber das geht eigentlich nicht. Entweder müssen Sie „Gott“ stehen lassen und um dieses Wort herum arbeiten, oder falls Sie doch aus Versehen Gott löschen, dann sollten Sie am Besten die Festplatte aus dem Rechner nehmen und im Garten mit dazu passenden Gebeten begraben und danach eine neue Festplatte kaufen.

Inzwischen hat der führende orthodoxe Rabbiner Israels, Mosche Schaul Klein, in einer Computerzeitschrift diese Fragestellung aufgegriffen. Und er hat verkündet, dass es doch erlaubt ist, Gott von dem Bildschirm zu löschen, weil die Buchstaben „aus Pixeln bestehen, das heißt aus Lichtpunkten. Selbst auf der Festplatte ist das Wort Gott nichts als eine Ansammlung von Einsen und Nullen“. Also darf das Wort Gott im Computer doch gelöscht werden, weil es sich nicht um echte Buchstaben handelt.

Für uns Evangelischen klingt das alles wie übertriebene Haarspalterei. Aber ich glaube, dass wir von den Juden etwas lernen könnten, denn es geht hier um die Heiligkeit Gottes. Juden fühlen sich verpflichtet, die Heiligkeit Gottes in allen Lebensbereichen zu bezeugen, bis in das kleinste Detail hinein. Wie es in dem 3. Buch Mose heißt: »Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, der HERR, euer Gott« Bei uns Protestanten gibt es eine riesige Verständnislücke, wenn es um den Begriff „Heiligkeit“ geht.

El Arca introduciéndose en el Templo

Heute am Pfingstfest geht es um den „heiligen“ Geist. Wir Evangelische haben in diesem Zusammenhang ein Problem. Das Problem für uns ist, dass wir im Allgemeinen keine Ahnung haben, was das Wort „heilig“ bedeutet. Hier kann uns das Alte Testament helfen.

„Heilig“ ist im Alten Testament alles, was zu Gott und dem göttlichen Bereich gehört. Diese Heiligkeit wurde durch scharfe Abgrenzungen deutlich gemacht. Zum Beispiel: als Gott im brennenden Dornbusch erschien, galt der Boden in der Umgebung dieser Offenbarungsstätte als heilig: deshalb musste Mose seine Schuhe ausziehen und er musste Abstand von dem Busch halten. Oder als Gott am Berg Sinai erschien, galt der Berg als heilig. Es gab eine Abgrenzungsmarkierung um den Berg herum. Wer diese Abgrenzung überschritt – ob Mensch oder Tier – für den galt die Todesstrafe. Oder es gab die Bundeslade: ein Kasten, mit Gold überzogen, der als heiliger Thron Gottes galt. Diese Bundeslade durfte von Menschenhand nicht angefasst werden. Einmal hat einer das getan, weil er verhindern wollte, dass die Bundeslade umkippt. Sofort fiel er tot um. Als die Bundeslade unterwegs war, musste das Volk 1000 Meter Abstand halten. Nur besonders geweihte Menschen (d.h. geheiligte Menschen) durften sich in der Nähe der Bundeslade aufhalten. Denn da, wo Gott in seiner Heiligkeit erscheint, da muss alles, was unheilig ist, Abstand halten.

Als der Tempel gebaut wurde, galt der Innenraum des Tempels, das Allerheilige, als Wohnort Gottes. Nur der Hohepriester durfte diesen Raum betreten, und nur einmal im Jahr. Der Hohepriester musste strenge Reinheitsvorschriften einhalten, damit er das Allerheilige betreten durfte. Wenn er in einem unreinen Zustand das Allerheilige betreten hätte, dann hätte er Unheil auf sich selbst und auf das Volk gebracht. In dem 2. Jahrhundert vor Christus hat ein heidnischer Herrscher einen Götzen in dem Allerheiligen aufgestellt. Diese Entweihung des heiligsten Ortes war für die Juden so ungeheuerlich, dass ein Krieg ausbrach.

Und zur Zeit Jesu gab es eine Abgrenzungsmauer um den Tempel herum. Wer zu dem heiligen Volk gehörte, durfte diese Abgrenzungsmarkierung überschreiten und die Nähe des Tempels aufsuchen. Wenn aber ein Nicht-Jude diese Grenze überschritten hätte, dann galt die Todesstrafe. Denn die bloße Anwesenheit eines Nicht-Geweihten in der Nähe des Tempels hätte die Heiligkeit des Tempels beeinträchtigt.

Sign near entrance to the Temple Mount in Jerusalem warning Jews & non-Jews alike against entering, Bantosh

Der Tempel wurde zerstört, aber die Heiligkeit des Bodens ist geblieben. Der Islam baute den Felsendom an der Stelle, wo der Tempel stand. Im 19. Jahrhundert musste eine Uhr in diesem Felsendom repariert werden und damals war nur ein Europäer in der Lage, diese Uhr zu reparieren. Aber es war unmöglich, dass er als Christ den heiligen Boden des Felsendoms betrat. Er wurde also in den Felsendom getragen, damit seine Füße den heiligen Boden nicht berührten und verunreinigten. Und um ganz sicher zu gehen, hat ein Imam in einem Exorzismusritual die Menschlichkeit des Uhrmachers ausgetrieben; er galt offiziell als Tier und als Tier konnte er den Ort nicht so schlimm entheiligen, als ein Mensch das hätte tun können.

Dieses Beispiel veranschaulicht nicht nur, wie der Islam Heiligkeit im 19. Jahrhundert verstanden hat, sondern auch, wie Heiligkeit in der biblischen Welt in der vorchristlichen Zeit ausgesehen hat. Die Heiligkeit Gottes wurde sichtbar gemacht durch heilige Gegenstände, heilige Räume und heiligen Boden, die von der übrigen Welt scharf abgegrenzt waren. Nur besonders geweihte Personen durften sich in der Nähe des Heiligen aufhalten und das Heilige berühren.

Diese scharfen Abgrenzungen sollten bezeugen, dass eine unüberbrückbare Kluft zwischen Gott und uns Menschen besteht. Die Bibel bezeugt: Gott ist heilig, und wir Menschen sind zunächst unheilig. Wir Menschen haben keine Berechtigung, in der Nähe Gottes zu sein. Wir Menschen können die Kluft, die zwischen uns und Gott besteht, nicht aus eigener Kraft überbrücken. Wir können uns selbst nicht heilig machen. Nach der Bibel ist Heiligkeit etwas, was Gott allein gehört und was Gott allein verleihen kann. Und in dem alten Bund war Gott sparsam, wenn es um die Übertragung von Heiligkeit ging. Der heilige Geist Gottes wurde nur auf einzelne auserwählte Personen übertragen. Nur sehr wenige Personen durften in der Nähe Gottes sein.

'Ausgießung des Heiligen Geistes', El Greco, 1604-1614

Und von diesem Hintergrund aus ist es möglich, zu begreifen, warum die Anhänger Jesu an Pfingsten so ausgerastet sind. Vor Pfingsten hielten sich die Jünger hinter verschlossenen Türen versteckt, denn sie hatten Todesangst. Als Anhänger eines Gekreuzigten mussten sie damit rechnen, verhaftet und hingerichtet zu werden. Aber 50 Tage nach Ostern wurde der Heilige Geist auf die Apostel ausgegossen. Und sie konnten danach nicht mehr in ihrem Versteck bleiben. Sie gingen auf einen öffentlichen Platz in Jerusalem und predigten mit einer solchen Begeisterung, dass einige dachten, sie seien betrunken. Der Grund für diese überwältigende Begeisterung war, dass die Heiligkeit Gottes ab jetzt auf alle Menschen übertragen werden sollte. Wie Petrus in seiner Pfingstpredigt feststellte: Apg 2,15-18

Diese sind nicht betrunken, wie ihr meint, ...sondern das ist's, was durch den Propheten Joel gesagt worden ist (Joel 3,1-5): »Und es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da will ich ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch; und eure Söhne und eure Töchter sollen weissagen, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen, und eure Alten sollen Träume haben; und auf meine Knechte und auf meine Mägde will ich in jenen Tagen von meinem Geist ausgießen.

Petrus beschreibt hier eine Revolution, die in seinen Ausmaßen atemberaubend ist. Ein gigantisches Wunder ist eingetreten, nämlich die Heiligkeit Gottes soll ab jetzt auf alle Menschen übertragen werden. Bis Pfingsten galt nur der Hohepriester als heilig genug, um einmal im Jahre die unmittelbare Nähe Gottes aufzusuchen. Aber ab Pfingsten wurde Heiligkeit neu verteilt: ab jetzt kommt der Geist Gottes zu ganz gewöhnlichen Menschen und macht sie heilig. Gott hat nicht mehr nur den einen Tempel in Jerusalem, sondern ab jetzt ist jeder Christ ein Tempel des heiligen Geistes. Ab jetzt gibt es Taufe und Abendmahl, die aus gewöhnlichen Menschen heilige Menschen machen. Ab jetzt ist die Heiligkeit Gottes etwas, was man anfassen kann, wenn man beim Abendmahl Brot und Kelch berührt.

Es gab in der Urgemeinde eine eigentümliche Sitte im Gottesdienst, mit der die Heiligkeit aller Christen bezeugt wurde: nämlich, der heilige Kuss. In der antiken Welt gab es die allgemeine Sitte, heilige Geräte und heiligen Boden zu küssen. Für die Christenheit gab es keine heiligen Geräte und keinen heiligen Boden, sondern heilig waren die Glieder Christi, denn der heilige Geist wohnte in ihnen. Der heilige Kuss bezeugte die Heiligkeit aller Christinnen und Christen.

Aber diese Übertragung des heiligen Geistes war keine pauschale Übertragung. Denn der Geist Gottes ging dorthin, wo bestimmte Voraussetzungen vorkamen. Und die wichtigste Voraussetzung war die Verkündigung des Evangeliums. In seiner Pfingstpredigt machte Petrus deutlich, was das Evangelium ist, nämlich die Botschaft, dass Jesus, der am Kreuz starb und begraben wurde, auferstanden ist und dass seine Auferstehung definiert hat, wer Gott ist und wie Gott uns Menschen aufsuchen will. Der heilige Geist ist also darauf angewiesen, dass eine bestimmte Botschaft verkündet wird.

Diese Wahrheit wurde im 19. Jahrhundert in Neu-Guinea veranschaulicht. Es gab einen schottischen Missionar, James Chalmers, der unter Menschenfressern arbeitete, bis er im Jahre 1901 sein Leben verlor. Einmal wurde dieser Missionar von zwei Häuptlingen besucht. Sie baten ihn eindringlich, christliche Lehrer zu ihren Dörfern zu schicken. Aber es gab niemanden, den er schicken konnte. Der Missionar wurde immer wieder von diesen Häuptlingen bedrängt und nach zwei Jahren beschloss er, selber hinzugehen. Als er in einem der Dörfer war, erlebte er etwas Verblüffendes. An einem Sonntag kamen die Menschen zusammen und knieten nieder. Sie blieben 4 Stunde lang auf ihren Knien, aber sagten kein Wort. Es herrschte absolutes Schweigen. Der Missionar fragte den Häuptling des Stammes, was diese Leute machen. Er antwortete: „Sie beten. Aber sie wissen nicht, was sie sagen sollen. Seit zwei Jahren beten sie auf diese Weise, ohne ein Wort sagen zu können.“ Diese Begebenheit veranschaulicht, wie hilflos wir Menschen sind, wenn es darum geht, Gott aufzusuchen. Von uns aus, wissen wir nicht einmal, was wir sagen sollen. Wir sind darauf angewiesen, dass Gott uns Worte gibt, die uns eine Gemeinschaft mit ihm ermöglichen.

Und deswegen geht der heilige Geist dorthin, wo die christliche Botschaft gepredigt wird. Der heilige Geist arbeitet nicht in einem luftleeren Raum, sondern er wirkt da, wo es Worte und Sakramente gibt, die er für seine Zwecke verwenden kann.

Das Leitwort von Pfingsten könnte der Satz aus dem 3. Buch Mose sein, der vorhin zitiert wurde:

»Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, der HERR, euer Gott« (3. Mose 19,2)

Seit Pfingsten gibt es eine heilige christliche Kirche, eine Gemeinschaft der Heiligen. Das ist es, was wir heute feiern.

Die Abbildung 'Sign near entrance to the Temple Mount in Jerusalem warning Jews & non-Jews alike against entering, Bantosh', ist lizenziert unter der Creative Commons-Lizenz Attribution ShareAlike 2.5.
Die Photographie 'Temple Mount and Western Wall during Shabbat', 2007, David Shankbone wurde unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht. Es ist erlaubt, die Datei unter den Bedingungen der GNU-Lizenz für freie Dokumentation, Version 1.2 oder einer späteren Version, veröffentlicht von der Free Software Foundation, zu kopieren, zu verbreiten und/oder zu modifizieren.
Die Abbildung 'El Arca introduciéndose en el Templo' (Les Très Riches Heures du duc de Berry, Folio 29r - The Ark of God Carried into the Temple the Musée Condé, Chantilly), ist im public domain,weil sein copyright abgelaufen ist.
Das Gemälde 'Ausgießung des Heiligen Geistes', El Greco, 1604-1614, und dessen Reproduktion gehört weltweit zum "public domain". Das Bild ist Teil einer Reproduktions-Sammlung, die von The Yorck Project zusammengestellt wurde. Das copyright dieser Zusammenstellung liegt bei der Zenodot Verlagsgesellschaft mbH und ist unter GNU Free Documentation lizensiert.

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