Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: 4. Mose 6, 22 - 27 Möchtegerngöttlichkeit

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Trinitatis

Möchtegerngöttlichkeit 4. Mose 6, 22 - 27

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2007

A 6th century mosaic of Jesus, 2006, Aiden

Und der HERR redete mit Mose und sprach: Sage Aaron und seinen Söhnen und sprich: So sollt ihr sagen zu den Israeliten, wenn ihr sie segnet: Der HERR segne dich und behüte dich; der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der HERR hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden. Denn ihr sollt meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne. 4. Mose 6, 22 - 27

Es gibt eine Musikgruppe, die sich „Der Fluch“ nennt, die 1981 in Leverkusen gegründet wurde. Diese Gruppe hat ein Lied produziert, das lautet: „Ich bin Gott“. Dieser Titel spricht etwas an, was tief in uns Menschen lauert. Denn die Urversuchung der Menschheit lautet: Du könntest sein wie Gott. Diese Versuchung führte zu dem Sündenfall im Garten Eden.

Es hat immer wieder Menschen gegeben, die sich einbildeten, Gott zu sein. Zum Beispiel: am 7. September 1902 hat ein anglikanischer Pfarrer mit dem Namen John Smyth-Pigott seinen Zuhörern mitgeteilt, dass er Gott sei. Er kündigte an, dass er vorhatte, über Wasser zu laufen. Dieses Versprechen hat er nie erfüllt; dafür hat er ein uneheliches Kind gezeugt. Als er von dem zuständigen Bischof deswegen zur Rechenschaft gezogen wurde, hat er erwidert: „Ich bin Gott. Es ist egal was andere denken.“

Oder in der Stadt New York gab es ab 1915 eine Gemeinde mit dem Namen „Die Kirche des lebendigen Gottes“; der Leiter dieser Glaubensgemeinschaft hieß George Baker. Nicht nur hielt er sich selbst für Gott, sondern er behauptete, dass 20 Millionen Menschen ihn als Gott anerkannt hätten. Er bekam Schwierigkeiten mit der Polizei, als seine Anhänger eines Tages ausrasteten und sogenannte Gottlose mit Messern angriffen.

Diese zwei Beispiele gehören zu der Spitze des Eisberges. Sie machen anschaulich, was in der Tiefe verborgen ist. Denn in jedem von uns lauert diese Versuchung, sich selbst für einen Gott zu halten. Jede Person kann dazu neigen, sich selbst als höchste Instanz anzusehen. Eine berühmt gewordene Überschrift der Bildzeitung lautete: „Wir sind Papst“. Aber diese Übertreibung ist zutreffend, denn es steckt etwas in uns Menschen, dass sich selbst für einen kleinen Papst hält, was auch eine Form des göttlichen Größenwahns ist.

Sein zu wollen wie Gott ist aber meistens etwas Hintergründiges. Zum Beispiel gab es neulich die Enthüllung, dass einige Radprofis Dopingmittel genommen haben. Oder fast jede Woche kann man in der Zeitung von Bestechungsskandalen unter Beamten und Politikern lesen. Es gibt etwas in uns Menschen, das sich heimlich freut, wenn solche Skandale enthüllt werden. Moralische Entrüstung ist etwas, was uns Menschen gottähnlich macht. Moralische Entrüstung gehört zu dieser inneren Stimme, die uns einreden will: du könntest sein wie Gott.
Denn es steckt in uns Menschen eine Möchtegerngöttlichkeit, die genießerisch auf andere herabschauen will, andere richten und verdammen will. Diese Möchtegerngöttlichkeit betrachtet sich selbst als etwas Besonderes, was sich von der Masse der Menschen hervorhebt.

Denn Empörung ist nicht die einzige Möglichkeit, wie man auf Skandale reagieren kann. Man kann auch so reagieren, dass man sagt: jede Person, die entlarvt worden ist, könnte ich sein. Wenn die Gnade Gottes nicht mit mir wäre, könnte ich auch da stehen als eine Person, die angeprangert wird. So etwas wäre eine menschliche Reaktion.

Aber weil wir Menschen dazu neigen, unsere Menschlichkeit überschreiten zu wollen und nach Göttlichkeit zu streben, wird in der Bibel eine scharfe Unterscheidung zwischen Gott und Mensch vollzogen. Eine Kernbotschaft der Bibel lautet: Du bist nicht Gott!

Segnende Hände auf Grabstein: jüdischer Friedhof in Worms

Die Bibel hebt hervor, was der Mensch nicht tun kann, weil er nicht Gott ist. In dem ersten Satz der Bibel heißt es, dass Gott Himmel und Erde schuf. Das Hebräische Wort für schaffen wird nur im Zusammenhang mit Gott verwendet. Nur Gott kann schaffen, nur Gott ist Schöpfer. Scientology übrigens glaubt nicht an diesen biblischen Grundsatz und stellt seinen Anhängern in Aussicht, dass sie göttliche Schöpfungsmacht besitzen, - d. h. die Fähigkeit aus dem Nichts etwas zu schaffen, - eine Fähigkeit, die durch Scientology angeblich entfaltet werden kann.

Oder die Bibel betont, dass Gott allein unsterblich ist. Wir Menschen besitzen nicht Unsterblichkeit. Es gibt viele junge Menschen, die das nicht glauben, und deshalb Auto mit Todesverachtung fahren, so als ob sie unsterblich wären. Nach der Bibel hat der Mensch auch keine unsterbliche Seele. Unvergänglichkeit gehört Gott allein und wenn wir Menschen für Unvergänglichkeit vorgesehen sind, so ist das ein reines Geschenk Gottes.

Und die Bibel betont, dass Gott allein erlösen kann. Kein Mensch kann Erlöser sein. Der Tod ist auch keine Erlösung, obwohl er manchmal so angesehen wird. Selbstmord bringt auch keine Erlösung. Der Mensch verfügt nicht über Erlösung. Nur Gott ist der Erlöser. Denn nur Gott kann die Kluft zwischen ihm und uns überbrücken.

Und alle diese Wahrheiten sind in dem Text zusammengefasst, der für heute vorgesehen ist. Dieser Text bezeugt: nur Gott kann segnen. Der Mensch kann sich selbst nicht segnen. Der Mensch kann auch nicht bestimmen, wann, wo und wie gesegnet wird. Gott allein verfügt über Segen. Und Segen ist der Inbegriff der Unterscheidung zwischen Gott und Mensch.

In diesem Zusammenhang können wir etwas vom Judentum lernen. Die Segensworte, die in unserem heutigen Text vorkommen, sind uns bekannt, denn jeder evangelische Gottesdienst schließt mit diesem sogenannten aaronitischen Segen.

Dieser Segen war einmal für den Gottesdienst im Tempel in Jerusalem vorgesehen. Als der Tempel im Jahre 70 zerstört wurde, gab es etwa 300 Gebote aus dem Alten Testament, die nicht mehr erfüllbar waren. Alles, was im Tempel vorgeschrieben war, verschwand von der Bildfläche. Aber ein einziges Element des Tempelgottesdienstes überlebte dieser Zerstörung: nämlich der Segen.

Bis heute wird dieser Segen an hohen Festtagen in Synagogen gesprochen; aber nur wenn männliche Nachkommen Aarons anwesend sind. Denn wie wir gehört haben: nur Aaron und seine Söhne sind beauftragt, den Segen zu sprechen. Diese Nachkommen sind an ihrem Namen erkennbar: jüdische Männer, die Kohen, Kohn, Kahn oder Katz heißen, sind Nachkommen der aaronitischen Priesterschaft und sie allein dürfen den Segen sprechen. In einem Gottesdienst kann es vorkommen, dass mehrere gleichzeitig den Segen sprechen.

Und es wird dabei betont, dass diese Priesternachkommen den Segen bloß sprechen. Wie es in dem Text aus dem 4. Buch Mose heißt: „So sollt ihr sagen zu den Israeliten...“ Ein Mensch kann den Segen Gottes sagen, aber er kann nicht segnen. Dementsprechend heißt es am Ende des Textes: „Denn ihr sollt meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne.“

Christ Blessing Monument, Manado, Indonesia, 2008, Midori

Es gibt dabei Veranschaulichungen, dass Gott allein der Segnende ist. Es gibt die Vorstellung im Judentum, dass Gott während der Segenshandlung persönlich anwesend ist. Deswegen müssen die Priester ihre Schuhe vorher ausziehen, so wie Mose seine Schuhe auszog, als er sich in der Anwesenheit Gottes befand. Die Gemeinde soll nicht auf die Hände der Priester während des Segens schauen, denn unmittelbar oberhalb der Hände soll Gott anwesend sein, denn so wie Mose nicht in die Richtung hinschauen konnte, wo Gott erschienen war, so soll die Gemeinde ihre Augen abwenden. Es gibt auch die Sitte, dass die Hände der Priester unter einem Gebetsmantel verhüllt sind, was auch ein Ausdruck der Ehrfurcht ist, denn Mose verhüllte sein Gesicht, als er vor Gott stand. Die Finger der Priester sind gespreizt. Eine Erklärung dazu lautet: „schließlich halten sie den Segen nicht in den geschlossenen Händen; er kann nur aus der Höhe hinabkommen, nicht dagegen aus ihren Händen.“

Bei dem aaronitischen Segen wird der Name Gottes dreimal ausgesprochen. Für uns Christen ist diese dreifache Nennung ein indirekter Hinweis auf die Dreifaltigkeit Gottes. Bei dem Segen in einem christlichen Gottesdienst ist der dreieinige Gott persönlich anwesend.

Es wird manchmal behauptet, dass der evangelische Gottesdienst erlebnisarm ist. Aber bei dem Segen spüren die Menschen, dass etwas geschieht. Ich habe oft die Bemerkung gehört, dass der Segen der wichtigste Moment im Gottesdienst ist.

In dem Zusammenhang muss ich an ein eigenes Erlebnis denken. Seit frühester Kindheit war ich jeden Sonntag mit meinen Eltern im Gottesdienst. Ich hatte schätzungsweise 300 Gottesdienste besucht, ohne dass ich irgendetwas Besonderes dabei erlebt hatte. Aber bei dem 301. Gottesdienst geschah etwas bei dem Schlusssegen. Es war ein gewöhnlicher, trockener, lutherischer Gottesdienst gewesen – bis zu dem Segen. Und als der Pfarrer den aaronitischen Segen sprach, haben sich die Worte für mich ereignet: es war das Erlebnis, gesegnet, behütet, erleuchtet, mit Gnade und Frieden erfüllt zu sein. Es war, als ob ich in der ewigen Geborgenheit Gottes eingehüllt war. Solche Erlebnisse werden normalerweise nicht vorkommen. Ich habe seitdem mehr als 1000 weitere Gottesdienste besucht, ohne dass dieses Erlebnis wiederholt wurde. Aber einmal genügt, um zu wissen, dass Gottes Segen das Wichtigste ist, was es geben kann. Einmal genügt, um zu wissen, dass Gott allein Gott ist, dass Gott allein verherrlicht und angebetet werden darf.

Wenn wir also den Schlusssegen hören, soll jeder von uns in diesem Moment merken: ich bin nicht Gott, denn ich bin total auf den Segen Gottes angewiesen. Gott allein ist Schöpfer und Erlöser, Gott allein verfügt über die Ewigkeit, Gott allein ist unvergänglich, Gott allein gebührt Ehre und Anbetung.

Das Mosaik 'A 6th century mosaic of Jesus, 2006, Aiden' ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Das Monumnet 'Christ Blessing Monument, Manado, Indonesia, 2008, Midori', wurde unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht. Es ist erlaubt, die Datei unter den Bedingungen der GNU-Lizenz für freie Dokumentation, Version 1.2 oder einer späteren Version, veröffentlicht von der Free Software Foundation, zu kopieren, zu verbreiten und/oder zu modifizieren.

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