Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: 1. Petrus 2, 1 – 10 Warum man in der Kirche bleiben sollte

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6. Sonntag nach Trinitatis

Warum man in der Kirche bleiben sollte 1. Petrus 2, 1 – 10

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt am 29. Juni 2008 in der Ev.-luth. Dreikönigskirche

So legt nun ab alle Bosheit und allen Betrug und Heuchelei und Neid und alle üble Nachrede und seid begierig nach der vernünftigen lauteren Milch wie die neugeborenen Kindlein, damit ihr durch sie zunehmt zu eurem Heil, da ihr ja geschmeckt habt, dass der Herr freundlich ist. Zu ihm kommt als zu dem lebendigen Stein, der von den Menschen verworfen ist, aber bei Gott auserwählt und kostbar.
Und auch ihr als lebendige Steine erbaut euch zum geistlichen Hause und zur heiligen Priesterschaft, zu opfern geistliche Opfer, die Gott wohlgefällig sind durch Jesus Christus. Darum steht in der Schrift (Jesaja 28,16): »Siehe, ich lege in Zion einen auserwählten, kostbaren Eckstein; und wer an ihn glaubt, der soll nicht zuschanden werden.« Für euch nun, die ihr glaubt, ist er kostbar; für die Ungläubigen aber ist »der Stein, den die Bauleute verworfen haben und der zum Eckstein geworden ist, ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Ärgernisses« (Psalm 118,22; Jesaja 8,14); sie stoßen sich an ihm, weil sie nicht an das Wort glauben, wozu sie auch bestimmt sind.
Ihr aber seid das auserwählte Geschlecht, die königliche Priesterschaft, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, dass ihr verkündigen sollt die Wohltaten dessen, der euch berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht; die ihr einst »nicht ein Volk« wart, nun aber »Gottes Volk« seid, und einst nicht in Gnaden wart, nun aber in Gnaden seid (Hosea 2,25). 1. Petrus 2, 1 – 10

Es gibt eine Legende zum Thema teuflische Versuchung. Der Satan hat eines Tages festgestellt, dass es an seinem Arbeitsplatz in der Unterwelt zu viele Werkzeuge gab. Es handelte sich um die vielen Instrumente, die er einsetzte, um die Menschen zu verführen. Dazu gehörten Dinge wie üble Nachrede, Geschwätz, Raffgier, Profilneurose, Gerüchte, Machthunger. Satan hat festgestellt, dass solche Instrumente zwar nützlich waren, aber sie waren auch etwas überholt und sogar zweitrangig geworden. Also hat er einen Flohmarkt veranstaltet, um Überflüssiges loszuwerden.

Es kamen einige Dämonen vorbei, die als mögliche Kunden in Frage kamen. Einer von diesen Unterteufeln konnte nicht begreifen, warum der Satan so viele nützliche Versuchungsinstrumente nicht mehr brauchte. Und er wurde misstrauisch. Als Satan nicht aufpasste, ging er heimlich in das Werkstatt, um zu sehen, was noch da war. Und er fand ein Versuchungsinstrument, das sich offenbar an einem Ehrenplatz befand und das ganz offensichtlich viel gebraucht wurde. Aber es war sorgfältig eingepackt und er konnte nicht sehen, was es war.

Sofort stand Satan neben ihm und fragte aufgebracht, was er hier zu suchen hätte. Der neugierige Teufel fragte, ob Satan bereit wäre, das eingepackte Instrument zu verkaufen. Satan erwiderte: „Nein, das kommt nicht in Frage. Das ist mein Geheimwaffe gegen die Kirche. Damit will ich die Kirche vernichten.“ Der Unterteufel wollte mindestens wissen, was diese Versuchung wäre. Und Satan war zu stolz, um das Geheimnis allein für sich zu behalten. Er vertraute dem Unterteufel an, wie seine Geheimwaffe heißt. Sie heißt - ganz schlicht und einfach - „Entmutigung“. Aber der Unterteufel merkte sofort, dass das nicht alles sein könnte und er hakte nach. Widerwillig sagte Satan: „Also gut: wenn du es ganz genau wissen willst: wie diese hinterliste Waffe heißt, der vollständige Name lautet: „Entmutigung durch Bedürfnisorientierung“.

Was ist hier gemeint? Jeder, der sich mit der Christenheit näher befasst hat, weiß, dass die Kirche manchmal unerträglich ist. Es ist bekannt, dass die Kirche langweilig und schwerfällig sein kann. Es ist bekannt, dass es Menschen und Situationen in einer Kirchengemeinde gibt, die nicht zumutbar sind. Wir haben in unserer eigenen Gemeinde Situationen erlebt, die so spannungsgeladen, so zermürbend oder so hoffnungslos kompliziert waren, dass Resignation das normal zu erwartende wäre.

Und es gibt Personen, die aus dem Leben der Kirche aussteigen, wenn sie entmutigt sind, weil sie resigniert haben. Sie sagen: ich glaube nach wie vor an Gott oder ich habe nach wie vor eine Beziehung zu Jesus, aber die Kirche ist mir zu anstrengend oder zu unglaubwürdig. Ich habe kein Bedürfnis nach Kirche. Ich kann ohne Kirche leben.

Aber die teuflische Versuchung an dieser Stelle ist nicht nur die Entmutigung, sondern vor allem die Bedürfnisorientierung. Es wird heutzutage öfters von sogenannten „religiösen Bedürfnissen“ gesprochen. Man kann immer wieder in den öffentlichen Medien hören oder lesen, dass unsere Bevölkerung dabei ist, erneut ihre religiösen Bedürfnisse zu entdecken. Und es wird in diesem Zusammenhang behauptet, dass diese Bedürfnisse an der Kirche vorbei gehen. Und es wird in Aussicht gestellt: wenn die Kirche sich anstrengen und eine wirksamere Öffentlichkeitsarbeit betreiben würde, dann würden mehr Menschen merken, dass auch die Kirche ihre religiösen Bedürfnisse befriedigen könnte.

In diesem Zusammenhang ergibt sich die Frage: Warum existiert die Kirche überhaupt? Hat Gott die Kirche geschaffen, um sogenannte religiöse Bedürfnisse zu erfüllen?

Abendmahl meim Abschiedsgotetsdienst von Pfr. Phil Schmidt am 12. Juni 2011

Die biblische Antwort auf diese Frage ist eindeutig. In erster Linie geht es nicht um unsere Bedürfnisse, sondern es geht um ein Bedürfnis Gottes. Es geht nicht um das, was wir wollen, sondern es geht um das, was Gott will. Und Gott will unbedingt unter den Menschen wohnen. Gott will dauerhaft unter uns Menschen wohnen, die wir eine Beziehung zu ihm gefunden haben. Deswegen existieren Kirchengemeinden, damit es Orte gibt, an denen Gott beständig für sein Volk anwesend sein kann. Und Kirchengemeinden sind nicht in erster Linie Gebäude, sondern Kirche besteht aus den Menschen, die Gemeinden bilden.

Der Text, der für heute vorgesehen ist, bestätigt diese Betrachtungsweise. Denn es heißt: Als lebendige Steine erbaut euch zum geistlichen Hause und zur heiligen Priesterschaft. Eine Kirchengemeinde besteht aus lebendigen Steinen, d. h. aus den Menschen, die durch Taufe, Abendmahl, Verkündigung und Anbetung miteinander zusammengefügt sind.

Der Text spricht auch von dem lebendigen Eckstein – nämlich Jesus Christi –, der verworfen wurde, weil er Anstoß und Ärgernis erregte. Jesus war für die Menschen seiner Zeit ärgerlich, weil er die religiösen Bedürfnisse der Menschen damals nicht erfüllt hat. Denn die Juden hatten ein tiefes religiöses Bedürfnis nach Heiligung und Reinigung. Es wurde von Jesus als Messiaskandidat erwartet, dass er Palästina heiligt und reinigt, indem er die Römer vertreibt. Es wurde von Jesus erwartet, dass er alle heidnische Unsauberkeit mit Gewalt vertreibt, damit es nur noch Reinheit in einem heiligen Land gibt. Aber anstatt das Unreine mit Gewalt zu vernichten, hat er das Unreine gewaltlos ertragen. Anstatt eines öffentlichen Sieges gab es eine Kreuzigung. Und das war das Ärgernis.

Und dieses Ärgernis überträgt sich auch auf die Kirche – wie der Petrustext bezeugt. Denn es wird auch von der Kirche erwartet, dass sie Reinheit und Heiligkeit darstellt. Scheinbar sollte es in einer Kirchengemeinde nur ethisch einwandfreie Personen geben. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an einen Mann, der aus Protest aus der Kirche ausgetreten war, weil sie für ihn unglaubwürdig erschien. Und er sagte zu mir: „Von moralischer Integrität hängt alles ab. Die Kirche steht und fällt mit der Qualität ihrer moralischen Integrität“.

Aber dieser Mann hat nicht verstanden, was die Kirche ist. Die Existenz der Kirche hängt nicht davon ab, ob sie moralisch und ethisch ein bestimmtes Niveau erreicht hat. Die Existenz der Kirche hängt von lebendigen Steinen ab: von Jesus als dem Eckstein und von allen, die durch Wort und Sakrament mit diesem Eckstein in Verbindung stehen. Es spielt dabei keine Rolle, ob diese lebendigen Steine klein, kantig oder schmutzig sind. Gott will unter diesen Steinen wohnen, so wie sie real sind. Denn die Kirche existiert, weil Gott eine konkrete Wohnstätte unter den Menschen haben will. Alles andere ist zweitrangig.

Und weil wir als Gemeindemitglieder lebendige Steine sind, gibt es zwei Folgen. Eine Folge ist, dass wir keine Steine eigenmächtig entfernen dürfen. Jedes Mitglied einer Gemeinde ist etwas Kostbares – egal ob es viel oder wenig leistet. Deswegen ist es wichtig, dass jeder von uns darauf achtet, was er sagt. Denn ein einziges Wort genügt, um ein Gemeindemitglied abgrundtief zu kränken und für immer zu vertreiben.

Damit ich nicht etwas Indiskretes sage, erwähne ich als Beispiel einen Vorgang, der vor 35 Jahren passierte. Alle Beteiligten sind nicht mehr am Leben oder weit weg. Es gab einen Gemeindeausflug, bei dem eine Person mit ungedämpfter Stimme sagte: „Wo sind alle diese Menschen, wenn es Gottesdienst gibt? Sie kommen, wenn es etwas zu genießen gibt, aber am Sonntagmorgen sind sie nicht zu sehen.“ Die Person, die diese Bemerkung machte, ist nicht auf die Idee gekommen, dass alle Angebote der Gemeinde einen werbenden Charakter haben und dazu beitragen können, dass Menschen einen neuen Schritt des Glaubens wagen. Wegen dieser Bemerkung gab es einige Personen, die so gekränkt waren, dass sie nie wieder in der Gemeinde zu sehen waren. Und diese Kränkung konnte durch keine Gegenargumente ausgeglichen werden. Die Macht der Zunge ist gewaltig und kann großen Schaden anrichten. Deswegen müssen wir mit unseren Worten behutsam sein.

Aber auf der anderen Seite müssen gekränkte Personen lernen, dass sie nicht einfach weggehen dürfen. Zugehörigkeit zu einer Kirchengemeinde kann ein Leiden sein, aber wir sind durch das Kreuz Jesu dazu berufen, dieses Leiden zu ertragen. Das Kreuz Jesu ist deswegen ein Anstoß und ein Ärgernis, weil es offenbart, dass die Welt durch Leidenertragen verändert werden sollte. Jesus ist die Offenbarung, dass Gott das Bösartige nicht mit einem gewaltigen Befreiungsschlag ausrotten will, sondern er will die Menschen ertragen und aushalten, die Böses tun. Denn durch Geduld und Güte will Gott die Menschen verwandeln.

'Weizen', 2007, böhringer friedrich

Dementsprechend gibt es das Gleichnis Jesu von dem Unkraut, das unter dem aufwachsenden Weizen wächst. Jesus erlaubt es nicht, - in dem Feld Gottes - dass das Unkraut herausgerissen wird, denn sonst würde man aus Versehen auch das Gute herausreißen. Das Unkraut muss ertragen werden. Und es muss Gott überlassen werden, eine Unterscheidung zu machen zwischen Fruchtbarem und Unnützlichem - zu einer Zeit, die er zu bestimmen hat. Bis dahin haben seine Anhänger die Aufgabe, einfach auszuharren.

Denn das Wohnen Gottes in einer Gemeinde ist nicht davon abhängig, ob diese Gemeinde aus untadeligen Menschen besteht oder nicht. Denn Gott liebt die Welt und Gott liebt die Kirche, so wie sie sind. Gott will nicht in einer abstrakten Idealwelt wohnen, er will an konkreten Orten wohnen. Gott ist kein Moralapostel, der naiv meint, dass die Welt durch eine Intensivierung der moralischen Leistungsfähigkeit verbessert werden kann. Die Welt wird verbessert dadurch, dass Gott Orte auswählt, wo er dauerhaft unter den Menschen wohnt und seine geduldige Liebe ausstrahlt. Wir als lebendige Steine seines Wohnorts sind dazu berufen, Gott nachzuahmen und auch geduldig in der Liebe zur Kirche und Liebe zu der Welt auszuharren.

Dieses geduldige Ausharren erfüllt scheinbar kein religiöses Bedürfnis, aber entspricht doch unserem tiefsten Bedürfnis. Unser tiefstes Bedürfnis ist es, endgültig in der Nähe Gottes zu bleiben, ihn zu verherrlichen und seine Gegenwart zu genießen. Dazu ist die Kirche da. Das Urbedürfnis aller Menschen ist es, in der Anwesenheit Gottes zu leben – heute und für immer. Jede Kirchengemeinde – egal ob sie nach menschlichen Ermessen gut oder schlecht ist - ist ein sichtbares Zeichen, dass Gott beständig unter uns anwesend ist – heute und für immer.

Die Photographie 'Weizen', 2007, böhringer friedrich, ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 2.5 Generic license.

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