Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Jeremia 31, 31 - 34 Möchten Sie eine Nonne adoptieren?

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Exaudi: Jeremia 31, 31 - 34 Möchten Sie eine Nonne adoptieren?

Gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2000

'A Discalced Carmelite nun sits in her cell, praying, meditating on the Bible', Melchior2006

Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen, nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit ihren Vätern schloß, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägyptenland zu führen, ein Bund, den sie nicht gehalten haben, ob ich gleich ihr Herr war, spricht der HERR; sondern das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der HERR: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein. Und es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: »Erkenne den HERRN«, sondern sie sollen mich alle erkennen, beide, klein und groß, spricht der HERR; denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.

Jeremia 31, 31 - 34

In den USA kann man alles Mögliche adoptieren. Man kann z.B. ein Zoo-Tier adoptieren, indem man sich dazu verpflichtet, für den Unterhalt des Tieres regelmäßige Spenden zu leisten. In diesem Sinne kann man auch Bäume oder alte Rennhunde, oder eine Landstraße oder sogar ein Minenfeld adoptieren. Bei dem Minenfeld z.B. geht es darum, Geld zu spenden, damit ein Minenfeld frei geräumt wird. Der Vorteil bei diesem Adoptionssystem ist, dass man genau weiß, wofür man spendet und die Berechtigung hat, zu sagen: dieser Tiger im Zoo gehört zu mir, oder dieses Minenfeld in Afrika habe ich frei geräumt. Und jetzt gibt es eine noch aufregendere Möglichkeit: man kann eine Ordensfrau adoptieren. Ein Franziskanerinnenorden braucht 7 Millionen Mark, um ein neues Mutterhaus zu finanzieren. Wer dafür eine Spende leistet, kann eine Nonne zugeteilt bekommen, die ein Jahr lang für den Spender betet. Man kann die Ordensschwester sogar aussuchen, die für einen betet. Spender erhalten eine Liste mit den zur „Adoption“ bereitstehenden Ordensfrauen und können sich anhand der mitgeschickten Beschreibungen eine Nonne aussuchen. Nach Angaben des Ordens machen überwiegend ältere Schwestern bei dem Projekt mit, weil sie mehr Zeit zum Beten hätten als jüngere Schwestern.

'München, Fronleichnamsprozession', Reineke, Engelbert, 1971

Dieses Angebot ist verlockend. Ich würde es auch gern haben, dass eine Ordensfrau für mich betet. Aber es gibt dabei eine Gefahr: die Gefahr, dass ein Spender die Sache abergläubisch missversteht. Denn es ist unvermeidbar, dass der Spender damit rechnet – bewusst oder unbewusst – dass es ihm in diesem Jahr besser als sonst gehen müsste. Wenn aber eine schwere Krankheit oder ein Unfall eintreten würden, oder wenn man in diesem Jahr großes Pech hätte, dann würde man sich fragen: wozu „bezahle“ ich die Gebete einer Ordensfrau, wenn die Gebete so wirkungslos sind?

Dieses Angebot bringt eine bestimmte Denkweise zum Vorschein: nämlich die Denkweise, dass es Menschen gibt, die Gott näher sind als normale Menschen. Wir Menschen neigen dazu, zu meinen, dass es heilige oder spirituelle Menschen gibt, die eine besondere Beziehung zu Gott haben und die deshalb durch ihre Gebete mehr bewirken können als gewöhnliche Menschen. Wenn eine ältere, fromme Ordensfrau für mich betet, dann haben diese Gebete scheinbar mehr Wirksamkeit als die Gebete einer gewöhnlichen Person.

Diese Denkweise hat sogar eine biblische Vorlage. Im Alten Testament wird zum Beispiel berichtet, wie Elia durch seine Gebete Feuer vom Himmel herunter rufen konnte; und durch Gebet konnte er eine Dürre durch einen Regensturm beenden und er konnte sogar durch Gebet eine Totenauferweckung vollziehen. Und auch das Adoptieren hat eine biblische Grundlage. Gott selber hat Menschen adoptiert. Gott adoptierte die Nachkommen Israels, die in Ägypten versklavt waren, und hat sie zu seinem Volk gemacht. Der Ausdruck „Sohn Gottes“ bezog sich ursprünglich auf das Volk Israel. In dem Propheten Hosea heißt es: (Hos 11,1) „Als Israel jung war, hatte ich ihn lieb und rief ihn, meinen Sohn, aus Ägypten“. Gott hat also ein Volk adoptiert und erklärte dieses Volk zu seinem „Sohn“. Und an dem Berg Sinai wurde diese Beziehung versiegelt.

Die Bibel redet in diesem Zusammenhang von einem Bund, d.h. Vertrag. Dieser Vertrag sah so aus: Gott versprach etwas, das Volk verpflichtete sich zu etwas, und die Sache wurde durch ein sichtbares Zeichen versiegelt. Gott versprach, dem Volk beizustehen, das Volk zu erziehen, und durch dieses Volk eine weltweite Gerechtigkeit zu verwirklichen. Das Volk übernahm die Verpflichtung, Gott allein zu dienen – durch die Einhaltung der 613 Gebote, die nach der Tradition am Sinai offenbart wurden. Und dieser Vertrag wurde am Berg Sinai mit Blut versiegelt. Mose baute einen Altar mit zwölf Steinen auf: 12 Steine für die 12 Stämme Israels. Er hat das Volk gefragt, ob es bereit wäre, die Weisung Gottes anzunehmen. Und das Volk antwortete: „Alle Worte, die der HERR gesagt hat, wollen wir tun“. Und danach wurde das Volk mit dem Opferblut besprengt und auch der Altar wurde mit Blut besprengt. Und damit war der Bund versiegelt (so wie man heute einen Vertrag mit Unterschrift versiegelt).

Dieser Bundesschluss am Sinai ist vergleichbar mit einer Konfirmation heute. Denn der Gang durch das Schilfmeer gilt in der Bibel als Urbild der Taufe und dementsprechend gab es an dem Berg Sinai die Konfirmation. Konfirmanden heute werden gefragt: Wollt ihr Glieder der Kirche sein, die aus Gottes Wort und Sakrament lebt? Und sie antworten: Ja, mit Gottes Hilfe. Aber was passiert danach? Konfirmanden stellen fest, dass sie ihre Willenskraft überschätzt haben. Einige wollen wirklich weiterhin an der christlichen Gemeinschaft teilhaben, aber die Willenskraft ist nicht stark genug. Andere Beschäftigungen wie z.B. Ausschlafen, Computerspiele, Diskos, Sport, Schulaufgaben und Freizeit sind nicht nur wichtiger, sondern sie übernehmen den Platz im Herzen, der Gott allein zusteht.

'Das goldene Kalb', Schedelsche Weltchronik, Hartmann Schedel, 1493

Es gibt ein ironisch gemeintes Gebet, das diesen Vorgang veranschaulicht. Das Vater Unser wurde folgendermaßen umgedichtet:
„Computer unser, der du bist in der Zentrale, geheiligt sei dein Bildschirm, dein Output komme, dein Wille geschehe, wie im Speicher so auf dem Drucker. Unsere tägliche Liste gib uns heute und vergib uns unsere Fehler, wie auch wir vergeben denen die falsch programmieren. Lass uns nicht lange warten und erlöse uns von dem shutdown, denn dein ist die Macht und die Firma und das Personal in Ewigkeit. Enter“.

Dieses sogenannte Gebet veranschaulicht, dass die Stelle im Herzen, die für Gott vorgesehen ist, von anderen Dingen vereinnahmt werden kann, wie z.B. von elektronischen Geräten. Denn wir Menschen können es einfach nicht unterlassen, uns von Götzen vereinnahmen zu lassen, und deswegen versagt auch die Willenskraft in uns.

Israel am Sinai hat bei seiner Konfirmation gesagt: „Alle Worte, die der HERR gesagt hat, wollen wir tun.“ Aber das Volk konnte dieses Vorhaben nicht durchhalten, denn einige Tage später wurde das goldene Kalb gebaut: die Götzen im Herzen waren einfach zu stark verwurzelt.

In dem Text, der für heute vorgesehen ist, spricht der Prophet Jeremia von diesem alten Bund, der gescheitert ist und von einem neuen Bund, der nicht scheitern wird. Am Sinai wurde der alte Bund veranschaulicht durch Gebote, die an steinerne Tafeln und später auf Schriftrollen geschrieben wurden. Aber unter dem neuen Bund werden die Gebote nicht auf Stein und nicht nur auf Papier stehen, sondern Gott wird seinen Willen direkt in das Herz eines Menschen übertragen.
Wie es heißt:

Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein. Und es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: »Erkenne den HERRN«, sondern sie sollen mich alle erkennen, beide, klein und groß, spricht der HERR.

Unter dem alten Bund hat der Geist Gottes nur in einigen auserwählten Personen gewohnt, wie z.B. in Mose, in David oder in Propheten wie Elia. Aber unter dem neuen Bund soll der Geist Gottes in allen Mitgliedern des Volkes Gottes wohnen. Und es gibt unter diesem neuen Bund keine Rangordnung, denn der Geist Gottes wohnt in allen, alle sind in der Gemeinschaft mit Gott. Es gibt keine unterschiedlichen Entfernungen zu Gott, sondern alle – ob klein oder groß – haben denselben Zugang zu Gott. Es spielt keine Rolle mehr, ob eine Ordensfrau für mich betet, oder ob der Papst oder ein Kirchenpräsident oder ein Kind im Kindergottesdienst für mich betet. In dem neuen Bund gibt es vor Gott keine Rangordnungen mehr, wenn es um die Nähe zu Gott geht.

'Pentecostes
', 1540 - 1550

Diese Nähe zu Gott unter dem neuen Bund ist vergleichbar mit einer Eintrittskarte. Wenn ich zum Beispiel eine Eintrittskarte zu einem Fußballspiel im Waldstadion habe, dann spielt es keine Rolle mehr, ob ich ein guter oder schlechter Zuschauer bin, ob ich gut oder schlecht informiert bin, ob ich jahrelang ein treuer Anhänger war oder nur oberflächlich interessiert bin. Eine Eintrittskarte gibt mir den Zugang und alle Eintrittskarten sind gleichwertig. So ist es auch, wenn wir zu dem neuen Bund gehören: wir haben denselben Zugang zu Gott, egal ob wir jahrelang treu dabei waren oder nicht, egal ob wir die Bibel auswendig kennen oder nur ein paar Verse. Das Gebet eines Kindes ist deshalb genau so wertvoll wie das Gebet eines Bischofs.

Und wo vollzieht sich der neue Bund? Die Antwort ist hier eindeutig. Denn als Jesus das Abendmahl einsetzte, sagte er: „Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut“ Diese Worte sind eine Anspielung auf den alten Bund, denn als Mose den ersten Bund mit Blut versiegelte, sagte er wortwörtlich: „Seht, das ist das Blut des Bundes, den der HERR mit euch geschlossen hat aufgrund aller dieser Worte.“ Jesus hat den neuen Bund mit seinem eigenen Blut versiegelt und konnte deshalb sagen: „Dieser Kelch ist das neue Testament (d.h. der neue Bund, die neue Abmachung) in meinem Blut“.

Vorhin wurde dieses Spendenprogramm geschildert, das die Möglichkeit anbietet, eine Nonne zu adoptieren. Es ist sicherlich eine schöne Sache, wenn eine Ordensfrau für einen betet. Aber bei dem Pfingstfest in Jerusalem, das nach der Auferstehung Christi vorkam, wurde ein neues Zeitalter eingeleitet: der Geist Gottes wohnt nicht mehr nur in besonderen Auserwählten, sondern der Geist Gottes wohnt in allen, die zu Gott gehören. Deswegen sind alle Mitglieder der Christenheit heilig. Eine Ordensfrau oder ein ordinierter Geistlicher sind nicht heiliger als normale Mitglieder der Kirche. Unter diesem neuen Bund sind alle Mitglieder Priester; alle haben die Aufgabe, für andere zu beten. Gott hat uns unter dem neuen Bund als Söhne und Töchter adoptiert, jetzt sollen auch wir Menschen adoptieren, für die wir beten. Dazu ist jede und jeder von uns bevollmächtigt. Wie Luther sagte: Christen, die beten, sind lauter Helfer und Heilande, ja Herrn und Götter der Welt, sie sind Beine, die die ganze Welt tragen.

Die Photographie 'A Discalced Carmelite nun sits in her cell, praying, meditating on the Bible', Melchior2006, wurde von ihrem Urheber zur uneingeschränkten Nutzung freigegeben. Das Bild ist damit gemeinfrei („public domain“). Dies gilt weltweit.
Die Photographie 'München, Fronleichnamsprozession', Reineke, Engelbert, 1971 wurdeim Rahmen einer Kooperation zwischen dem Bundesarchiv und Wikimedia Deutschland aus dem Bundesarchiv für Wikimedia Commons zur Verfügung gestellt. Das Bundesarchiv gewährleistet eine authentische Bildüberlieferung nur durch die Originale (Negative und/oder Positive), bzw. die Digitalisate der Originale im Rahmen des Digitalen Bildarchivs.
'Das goldene Kalb', Schedelsche Weltchronik, Hartmann Schedel, 1493, sowie das Gemälde 'Pentecostes', 1540 - 1550, sind im public domain, weil ihr copyright abgelaufen ist.

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