Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Bachkantate: „Ach Gott, vom Himmel sieh darein“ - „Es geht darum, was Gott will“

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Kantatengottesdienst: Bachkantate: „Ach Gott, vom Himmel sieh darein“ (BWV 2)
Predigt: „Es geht darum, was Gott will“

Gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 23.06.2002

Icon of Crucifixion. Hermitage, S.Peterburg, 17. Jhd., Emmanuil Lampardos. Cretan school

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es in Japan einen Verbrecher mit dem Namen Tokichi Ishii. Er war einer der gefährlichsten Mörder in der Geschichte Japans. Es wurde von ihm folgendermaßen berichtet: „Er brachte Männer, Frauen und Kinder auf brutalste Weise um. Erbarmungslos wurden alle, die ihm im Wege standen, von ihm ausgemerzt“. Nachdem er 35 Jahre lang als Verbrecher gelebt hatte, wurde er verhaftet und zum Tode verurteilt. Es wurde berichtet, dass er im Gefängnis wie ein gefangenes Raubtier wirkte. Es hieß: seine Augen waren die Augen eines Tieres. Nach menschlichem Ermessen war dieser Verbrecher ein absolut hoffnungsloser Fall. Aber es gab einen Wendepunkt in seinem Leben. Eine schottische Missionarin, die zu dieser Zeit in Tokyo lebte, schickte dem verurteilten Mörder ein Neujahrsgeschenk in Form von Lebensmitteln und einem Neuen Testament.

Einmal nahm er das Buch in die Hand und las zufällig die Geschichte von der Verurteilung und Kreuzestod Jesu. "Als ich das las", schrieb er später, "begann ich nachzudenken. Sogar ich, ein abgebrühter Krimineller; betrachtete es als Schande, dass seine Feinde ihn so behandelt hatten. Als ich weiter las, fesselten folgende Worte meine Aufmerksamkeit: "Und Jesus sagte: Vater; vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun." Ich hielt inne. Es war; als würde sich ein riesiger Nagel durch mein Herz bohren. Was zeigte mir dieser Vers? Die Liebe Jesu? Seine Barmherzigkeit? Ich weiß nicht, wie ich es nennen soll. Ich weiß nur - und dafür bin ich Gott unaussprechlich dankbar -, dass ich glaubte. Mein verhärtetes Herz wurde erweicht und verändert. Ich bekannte und bereute alle meine kriminellen Taten.“

Als die Stunde des Todes näher rückte, schrieb er: "Heute sitze ich in meiner Zelle, gefangen, kann nicht gehen, wohin ich will, und bin doch zufriedener; als ich es in Freiheit jemals war. Ich bekomme nur karge Mahlzeiten und bin doch dankbarer dafür; als ich es draußen für die beste Mahlzeit je war. In dieser engen Zelle bin ich glücklicher; als wenn ich das größte und schönste Haus besäße, das ich mir vorstellen kann. Mein Herz ist jeden Tag voller Freude. Dies verdanke ich allein der Gnade und Liebe Jesu!“ Am 17. August 1918 wurde er hingerichtet und Zeugen berichteten, dass er dem Tod mit erstaunlicher Heiterkeit und Tapferkeit gegenüber trat.

Diese Begebenheit veranschaulicht eine Wahrheit, die wir heutzutage kaum noch wahrnehmen. Diese Wahrheit lautet: Gott hat eine Sehnsucht nach uns Menschen; diese Sehnsucht Gottes hat der verurteilte Japaner im Gefängnis deutlich gespürt; es war, wie er sagte, als würde sich ein riesiger Nagel durch sein Herz bohren. Gott hat eine Sehnsucht nach uns Menschen, und dementsprechend steckt tief in jedem Menschen eine Sehnsucht nach Gott. Diese zwei Sehnsüchte gehören zusammen: sie sind wie die zwei Seiten einer Münze. Und diese doppelte Sehnsucht bezeugt die Bachkantate, die wir gerade gehört haben. Martin Luther schrieb den Text des Eingangschorals, in dem er Psalm 12 vertonte. Der Text lautet:

Ach Gott, vom Himmel sieh darein und laß dichs doch erbarmen! Wie wenig sind der Heilgen dein, verlassen sind wir Armen. Dein Wort man nicht lässt haben wahr, der Glaub ist auch verloschen gar bei allen Menschenkindern.

Derjenige, der hier spricht, leidet daran, dass es so wenige sind, die an Gott und an sein Wort glauben. Und der Sprecher dieses Textes verkörpert in diesem Moment das Streben Gottes nach den Menschen. Gott will mit jedem einzelnen Menschen eine Liebesbeziehung herstellen. Und wenn Gott einen Menschen erreicht, findet im Himmel ein Freudenfest statt, wie Jesus sagte. Aber wenn ein Mensch Gott gegenüber gleichgültig bleibt, bricht es das Herz Gottes. Deswegen ist Gott ständig auf der Suche nach Wegen, wie er die Menschen erreichen kann.

Es gibt einen Engländer mit dem Namen Hugh Montifiore. Er ist als Jude aufgewachsen, er wurde Christ, studierte Theologie und war zuletzt ein anglikanischer Bischof. Er hat den Gott des Alten Testamentes mit dem Gott des Neuen Testamentes verglichen und dabei festgestellt, dass es einen einzigen Unterschied gibt. Der Gott des Alten Testamentes wartet darauf, dass ein sündiger Mensch umkehrt. Der Gott des Neuen Testamentes wartet nicht, sondern macht sich aktiv auf die Suche nach Menschen, die sich von ihm entfremdet haben.

Dieses aktive Suchen Gottes nach den Menschen fing damit an, dass Gott Mensch wurde. Und als dieser Mensch am Kreuz hing, versuchte er, seine Peiniger anzusprechen, indem er für sie betete: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ In diesem Gebet steckt das Verlangen Gottes, bei jedem einzelnen Menschen anzukommen. Der verurteilte Japaner spürte dieses Verlangen und entdeckte dabei sein eigenes Heimweh nach der Liebe und Gnade Gottes.

Die Frage, die sich für uns ergibt, lautet: nehmen wir diese Sehnsucht Gottes wahr? Leiden wir darunter, dass so wenige Menschen nach Gott fragen - wie der Sprecher des Eingangschorals der Bachkantate? Es geht hier nicht um uns. Es geht nicht darum, was wir wollen. Es geht um Gott. Und es geht darum, was Gott will.

Es gibt eine kleine Begebenheit, die diesen Unterschied illustriert. Ein fünf-jähriges Mädchen hatte im Kindergottesdienst etwas über Jesus, Himmel und Gebet gelernt. Und eines Tages saß sie mit ihrer Freundin auf den Treppen vor ihrem Hauseingang und erzählte ihr, wie man in den Himmel kommt. Sie sagte: „Wenn du an Jesus glaubst und zu ihm betest, wird er dir deine Sünden vergeben und du wirst in den Himmel kommen.“ Die Freundin war überzeugt und sprach sofort ein Gebet. Danach fragte sie: „Wie ist es mit meiner Mutter, wird sie auch in den Himmel kommen?“ Das fünf-jährige Mädchen dachte nach und erwiderte: „Ja, wenn sie an Jesus glaubt. Aber wenn du sie dort nicht haben willst, erzähle ihr lieber nichts von Jesus.“

Dieses scheinbar naive Gespräch enthält einige Wahrheiten. Denn es stimmt tatsächlich, dass Glaube, Gebet und Vergebung den Himmel eröffnen. Der Inbegriff des Himmels ist Gemeinschaft mit Gott. Himmlisches Leben beginnt, sobald ein Mensch Gemeinschaft mit Gott gefunden hat. Dazu sind wir Menschen erschaffen. Und solange ein Mensch diese Gemeinschaft mit Gott nicht gefunden hat, hat er das Ziel seines Lebens verfehlt. Alle Menschen brauchen die Gnade Gottes, die in Jesus offenbart wurde, auch wenn es ihnen scheinbar ohne Gott gut geht.

Wie es an einer Stelle in der Bachkantate heißt: „sie gleichen denen Totengräbern, die, ob sie zwar von außen schön, nur Stank und Moder in sich fassen und lauter Unflat stehen lassen.“ Gemeint sind Menschen, die ihren eigenen Verstand überschätzen und meinen, ohne die Bibel und ohne das Wort Gottes einen eigenen Glauben formulieren zu können. Und sie merken nicht, dass sie von ihrem wahren Leben abgeschnitten sind.

Wie es heißt: „Der eine wählet dies, der andre das, die törichte Vernunft ist ihr Kompaß“. Diese Worte erinnern an Menschen, die meinen, dass es beliebig ist, was man glaubt, denn angeblich führen viele Wege irgendwie zuletzt zu Gott. Die Bibel aber verkündet: der Mensch kann nicht aus eigener Kraft und Vernunft einen Weg zu Gott finden. Sondern Gott muss einen Weg zu uns finden. Nicht wir finden Gott, sondern Gott findet uns. Nicht wir finden Wege zu Gott, sondern Gott findet Wege zu uns. Und dieser Weg zu uns war für Gott ein Leidensweg. Wenn es wirklich allen Menschen gut geht – auch ohne Gott, warum hat Gott den Weg zu Golgatha denn auf sich genommen?

Gott will also einen Weg zu jedem einzelnen Menschen finden. Aber wollen wir das auch? Wollen wir Gott dabei helfen? Wenn wir nicht wollen, dass Menschen das Leben in Gott finden, dann ist es ganz einfach für uns: wir brauchen ihnen von Jesus nicht zu erzählen – wie das 5-jährige Mädchen feststellte. Aber als Christen haben wir eigentlich keine Wahl: es ist unser Auftrag, zu bezeugen, was Gott in Jesus offenbart hat.

Das Problem dabei ist nicht so sehr, die richtige Methode zu finden. Das Problem ist in erster Linie, ob Christen wirklich wollen, was Gott will. Deswegen sollen wir unsere Herzen überprüfen und an uns arbeiten. Denn wie es in dem 1. Timotheusbrief heißt: Gott will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. (1.Tim 2,4).

Möge Gott uns helfen, dass wir wollen, was er will. Amen.

J. S. Bach, BWV 2 „Ach Gott, vom Himmel sieh darein“

1. Choral

Ach Gott, vom Himmel sieh darein und laß dichs doch erbarmen! Wie wenig sind der Heilgen dein, verlassen sind wir Armen. Dein Wort man nicht lässt haben wahr, der Glaub ist auch verloschen gar bei allen Menschenkindern

2. Recitativo

Sie lehren eitel falsche List, was wider Gott und seine Wahrheit ist; und was der eigen Witz erdenket –O Jammer! der die Kirche schmerzlich kränket-,das muß anstatt der Bibel stehn. Der eine wählet dies, der andre das, die törichte Vernunft ist ihr Kompaß; sie gleichen denen Totengräbern, die, ob sie zwar von außen schön, nur Stank und Moder in sich fassen und lauter Unflat stehen lassen.

3. Aria

Tilg, o Gott, die Lehren, so dein Wort verkehren! Wehre doch der Ketzerei und allen Rottengeistern; Denn sie sprechen ohne Scheu: Trotz dem, der uns will meistern.

4. Recitativo

Die Armen sind verstört, ihr seufzend Ach! ihr ängstlich Klagen bei soviel Kreuz und Not,´wodurch die Feinde fromme Seelen plagen, dringt in das Gnadenohr des Allerhöchsten ein. Darum spricht Gott: Ich muß ihr Helfer sein! Ich hab ihr Flehn erhört, der Hilfe Morgenrot, der reinen Wahrheit heller Sonnenschein soll sie mit neuer Kraft, die Trost und Leben schafft, erquicken und erfreun. Ich will mich ihrer Not erbarmen, mein heilsam Wort soll sein die Kraft der Armen.

5. Aria

Durchs Feuer wird das Silber rein, durchs Kreuz das Wort bewährt erfunden. Drum soll ein Christ zu allen Stunden im Kreuz und Not geduldig sein.

6. Choral

Das wollst du, Gott, bewahren rein für diesem arg´n Geschlechte; Und laß uns dir befohlen sein, dass sich’s in uns nicht flechte. Der gottlos Hauf sich umher findt, wo solche Leute sind in deinem Volk erhaben.

Die Ikone 'Icon of Crucifixion' (Hermitage, S.Peterburg, 17. Jhd., Emmanuil Lampardos. Cretan school) ist im public domain, weil ihr copyright abgelaufen ist.

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