Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Heb. 13, 20 – 21 Was Menschen und Schafe gemeinsam fürchten

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Misericordias Domini

Was Menschen und Schafe gemeinsam fürchten Heb. 13, 20 – 21

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2008

Ikone 'Good Shepherd', Ende des 19. Jhds.

Der Gott des Friedens aber, der den großen Hirten der Schafe, unsern Herrn Jesus, von den Toten heraufgeführt hat durch das Blut des ewigen Bundes, der mache euch tüchtig in allem Guten, zu tun seinen Willen, und schaffe in uns, was ihm gefällt, durch Jesus Christus, welchem sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen. Heb. 13, 20 – 21

Es gibt in Schottland Schafherden, die in den Bergen weiden, wo es heimtückische Abhänge gibt. Es kommt vor, dass Schafe an einen Felsabhang herunterspringen zu einem Weideplatz und dann feststellen, dass es keinen Ausweg gibt. Denn sie kommen nicht mehr hoch und wenn sie versuchen würden, herunterzuklettern, würden sie in die Tiefe abstürzen. Wenn ein Schaf merkt, dass es an einem Felsabhang gefangen ist, fängt es an, verzweifelt zu jammern. Wenn ein Hirte das merkt, dann wird er nicht sofort zu dem Schaf gehen, sondern wird abwarten, bis das Schaf alles Gras aufgefressen hat. Wenn es nichts mehr zu fressen hat, wird es irgendwann zu schwach, um stehen zu können. Erst wenn ein Schaf zu schwach ist, um sich zu wehren, wird der Hirte zu ihm gehen, um es zu retten. Ein schottischer Hirte erklärt diesen Vorgang folgendermaßen: „Ein Schaf ist so töricht, dass es in einer solchen Situation seine eigene Rettung nicht annehmen würde; wenn ich frühzeitig zu ihm gehen würde, würde es abspringen und sich selbst umbringen.“

In dieser Hinsicht sind Schafe mit Menschen vergleichbar. Wir Menschen sind erlösungsbedürftig. Aber es fällt den Meisten schwer zu glauben, dass sie tatsächlich auf die Rettung eines Allmächtigen angewiesen sind. Menschen sind wie Schafe: der natürliche Instinkt ist es, sich nicht retten zu lassen, sondern die Flucht zu ergreifen, wenn Gott zu nahe kommt.

Die Bibel offenbart einen Gott, der aktiv auf die Menschen zugeht, der die Verlorenen sucht, um sie in Geborgenheit zu bringen. Und die Christenheit ist eine Erscheinungsform Gottes, mit der er auf die Menschen zugeht. Aber wenn Gott die Menschen aufsucht, um ihnen zu helfen, dann ist die erste Neigung der Menschen, die Flucht zu ergreifen. Das Urbild dieser Flucht vor Gott war im Garten Eden: als Gott Adam und Eva nach dem Sündenfall aufsuchte, versteckten sie sich. Kein Mensch will von sich aus einfach passiv stehen bleiben und sich von einer Erlösung vereinnahmen lassen, die scheinbar überflüssig ist.

In diesem Zusammenhang gibt es eine Begebenheit, die in einem großen Einkaufszentrum geschah. In dem Gewühl der Einkaufenden wurde ein Kind von seinen Eltern getrennt. Ein Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes hat den Jungen entdeckt und hat erkannt, dass er orientierungslos war. Er brachte das Kind in sein Büro. Eine andere Sicherheitsperson hat für den Jungen ein Eis gekauft, und über Lautsprecheranlage wurde die Situation bekannt gemacht. Auf diese Weise erfuhren die Eltern des Kindes, wo sie hingehen sollten. Als die Eltern in das Büro kamen, sahen sie ihren Sohn, wie er sein Eis leckte - offenbar vollkommen glücklich und ohne Sorge. Aber als die Eltern ihn umarmten, fing er an zu weinen. Und jemand von dem Sicherheitsdienst hat mit Verblüffung festgestellt: „Er hat nicht gewusst, dass er verloren war, bis er gefunden wurde.“

Und das ist auch die menschliche Situation. Von sich aus wissen Menschen nicht, dass sie von Gott entfremdet sind und deshalb dringend erlösungsbedürftig sind. Erst wenn ein Mensch von Gott gefunden wird, weiß er, dass er verloren war. Erst wenn jemand die Gnade Gottes erfahren hat, kann er feststellen, dass er diese Gnade brauchte. Erst wenn Gott die Gemeinschaft mit einem Menschen verwirklicht, lässt er es sich gefallen, gerettet zu werden. In dieser Hinsicht sind die Menschen wie Schafe. Wie es in dem Buch des Propheten Jesaja heißt: „Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg.“

Und der Hebräerbrieftext, der für heute vorgesehen ist, beschreibt die Rettungsaktion, die Gott durchgeführt hat, um alle Verlorenen heimzubringen. Es heißt im Text, dass Gott „den großen Hirten der Schafe, unsern Herrn Jesus, von den Toten heraufgeführt hat durch das Blut des ewigen Bundes“. Diese kompakte Formulierung enthält inhaltsreiche Aussagen.

Fresco 'Descent of Christ to Limbo', 1365-1368

Die Urchristenheit hat sich die Auferstehung Christi so vorgestellt, dass er in das Totenreich nicht nur hinabstieg, sondern dass er mit Gewalt in das Totenreich eingedrungen ist, um die Menschheit von den Banden des Todes zu befreien. Er hat die Toten herausgeführt, wie ein Hirte, der in ein finsteres Tal mit Stecken und Stab hinabsteigt, um seine Schafe herauszuholen. Aber um das zu tun musste Jesus sterben. Deshalb wird von dem „Blut des ewigen Bundes“ gesprochen. Indem Jesus sein Blut geopfert hat, hat er einen Bund gestiftet, der Gott mit uns Menschen in Ewigkeit verbindet.

In diesem Auferstehungsereignis wird alles offenbart, was wir Menschen in einer verborgenen Tiefe der Seele brauchen. Wir brauchen einen Hirten, der sich für uns aufopfert, der in das Totenreich für uns hinabsteigt, der die scheinbar endgültig Verlorenen herausholt, damit wir wissen können, dass es keine Macht gibt, die uns von Gott trennen kann.

Wie wir in dem Evangelium gehört haben:

Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen. Mein Vater, der mir sie gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann sie aus des Vaters Hand reißen. Ich und der Vater sind eins.

Diese Mitteilung der ewigen Geborgenheit in Gott, die in dem Tod und der Auferstehung des Hirten Jesus Christus offenbart wurde, ist das, was uns Menschen rettet. Es ist diese Botschaft, die wir mehr brauchen als alles andere – ob wir das wissen oder nicht.

Es gab in England einen Fernsehkommentator mit dem Namen Kenneth Clark. Er war für seine Fernsehreihe zum Thema „Zivilisation“ bekannt geworden. Er war kein gläubiger Mensch. Aber einmal, als er eine schöne Kirche besuchte, wurde er von einem religiösen Erlebnis überwältigt. In seiner Autobiographie schrieb er: „Mein ganzes Wesen war beleuchtet von einer himmlischen Freude, die viel intensiver war als alles, was ich bisher kannte.“ Er bezeichnete diesen Moment mit dem widersprüchlichen Begriff „Betrübnis der Gnade“. Denn er merkte: wenn er sich von diesem Erlebnis bestimmen lassen würde, müsste er sich grundlegend ändern. Er hatte Angst, dass seine Familie denken würde, dass er seinen Verstand verloren hätte. Und er hatte Angst, dass diese intensive Freude, die er in der Kirche erlebt hatte, sich als Illusion herausstellen würde. Seine Schlussfolgerung lautete: „Ich war zu tief in meiner Welt eingebettet, um eine neue Richtung einzuschlagen.“

Diese Begebenheit offenbart zwei Dinge. Erstens: hier sehen wir wieder, wie ein Mensch sich dagegen sträubt, eine Erlösung anzunehmen, die ihn momentan ergriffen hatte. Hier zeigt sich, dass wir Menschen wie Schafe sind, die ihre Eigenwilligkeit nicht preisgeben wollen – auch wenn es in ihrem besten Interesse wäre.

Aber hier zeigt sich auch, dass religiöse Erlebnisse eigentlich nicht ausreichen, um Menschen zu erlösen. Unsere Bevölkerung ist erlebnishungrig – auch im Bereich des Glaubens. Und es ist eine große Gnade, wenn ein Mensch die himmlische Freude erleben darf, für die er vorgesehen ist. Aber wir werden zuletzt nicht durch Erlebnisse erlöst. Was uns erlöst ist das, was der Hebräerbrieftext so kompakt beschreibt, dass „der Gott des Friedens....den großen Hirten der Schafe, unsern Herrn Jesus, von den Toten heraufgeführt hat durch das Blut des ewigen Bundes“. Wovon wir zuletzt leben – heute und in Ewigkeit – ist nicht ein religiöses Erlebnis, sondern ein objektives Ereignis.

Russische Ikone 'Good Shepherd', 19. Jhd.

Es gibt eine kleine Begebenheit aus den Philippinen, die unsere Situation seit dem Osterereignis beschreibt. Es gibt in den Philippinen Wagen, die von Wasserbüffeln gezogen werden: sie heißen „Carabao“-Wagen. Eines Tages fuhr ein Mann mit einem solchen Wagen zu einem Marktplatz. Unterwegs sah er einen alten Mann, der zu Fuß unterwegs war und eine Last auf seinen Schultern trug, die für ihn viel zu schwer war. Der Wagenfahrer lud den alten Mann dazu ein, auf seinen Wagen zu steigen: er würde ihn zum Markt mitnehmen. Der Mann nahm dieses Angebot dankbar an. Nach einer Weile drehte sich der Fahrer um, um zu sehen wie es seinem Fahrgast ging und war verblüfft, was er zu sehen bekam. Der alte Mann saß hinten auf dem Wagen – aber er hatte seine schwere Last von seinen Schultern nicht abgelegt, sondern er hat sich weiterhin unter dieser Bürde abgemüht.

Und das ist ein Bild der Menschheit. Seit Ostern sind wir Menschen von Gott erlöst worden. Unsere Bestimmung ist die ewige Herrlichkeit. Wir müssen uns nicht abmühen, um einzutreten in die ewige Geborgenheit Gottes, denn wir werden dorthin getragen - wie Schafe auf den Schultern eines Hirten. Es gibt Dinge, die deshalb nicht mehr über uns herrschen können, wie z. B. Todesangst, Gebrechlichkeit, Vergänglichkeit, Rechtfertigungszwang, unerfüllte Sehnsucht. Solche Dinge sind vorläufige Belastungen, aber zuletzt sind sie machtlos. Denn nichts kann uns aus der Hand Gottes entreißen. Seit Ostern gilt das biblische Trostwort: „Alle eure Sorgen werft auf ihn, denn er sorgt für euch.“ Aber trotzdem fällt es uns Menschen schwer, Lasten wirklich abzulegen. Wir sind auf einen Hirten angewiesen, der unsere Lasten auf die Schultern nimmt und uns heimbringt.

Möge Gott uns helfen, die Erlösung anzunehmen, die uns seit dem ersten Ostermorgen zugänglich gemacht wurde, dass wir unnötige Lasten und Sorgen ablegen, damit wir frei sind für selbstlose Liebe und eine Reinheit des Herzens. Denn selbstlose Liebe und Herzensreinheit sind das Ergebnis der Erlösung, die Gott uns schenken will. Möge Gott uns beistehen, damit wir nicht von ihm wegrennen, sondern uns von ihm helfen lassen.

Die Abbildungen der Ikone 'Good Shepherd', Ende des 19. Jhds., der Russischen Ikone 'Good Shepherd', 19. Jhd., sowie des Frescos 'Descent of Christ to Limbo' (Cappella Spagnuolo, Santa Maria Novella, Florence, 1365-1368, Andrea Bonaiuti da Firenze) sind im public domain, weil ihr copyright abgelaufen ist.

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