Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Joh. 21, 15 – 19 Nicht Schaf bleiben, sondern Hirte werden

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Misericordias Domini

Nicht Schaf bleiben, sondern Hirte werden Joh. 21, 15 – 19

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2007

Ausschnitt aus 'Auferstehungsikone', Ikonenmuseum Frankfurt

Ausschnitt aus 'Auferstehungsikone', Ikonenmuseum Frankfurt

Als sie nun das Mahl gehalten hatten, spricht Jesus zu Simon Petrus: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieber, als mich diese haben? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebhabe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Lämmer! Spricht er zum zweiten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebhabe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe! Spricht er zum dritten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Petrus wurde traurig, weil er zum dritten Mal zu ihm sagte: Hast du mich lieb?, und sprach zu ihm: Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich dich liebhabe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe! Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du hin wolltest; wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hin willst. Das sagte er aber, um anzuzeigen, mit welchem Tod er Gott preisen würde. Und als er das gesagt hatte, spricht er zu ihm: Folge mir nach! Joh. 21, 15 – 19

Es gibt einen Mann mit dem Namen Jack Casey. Als er 5 Jahre alt war, musste er eine schwere Zahnoperation über sich ergehen lassen: unter Vollnarkose sollten 5 Zähne gezogen werden. Der Junge war natürlich voller Angst. Aber er wurde von einer Krankenschwester begleitet, die sagte: „Du brauchst Dir keine Sorgen zu machen; ich werde bei dir bleiben, egal was passiert, bis alles vorbei ist.“ Als er hinterher aufwachte, stand diese Schwester tatsächlich neben seinem Bett. Sie hatte ihr Versprechen gehalten. Dieses Erlebnis hat er nie vergessen und es hatte auch eine nachhaltige Wirkung.

Denn 20 Jahre später gehörte er zu einem Rettungsnotdienst, der zu einem Verkehrsunfall gerufen wurde. Ein Lastwagen war umgekippt und der Fahrer war in seinem Sitz eingeklemmt. Er war in einer gefährlichen Situation, denn Benzin tropfte auf seine Kleider, aber er konnte nur mit einer elektrischen Motorsäge befreit werden. Ein einziger Funken konnte eine Explosion auslösen. Der Fahrer hatte Todesangst. Aber der Notdiensthelfer, der 20 Jahre früher von einer Krankenschwester treu begleitet worden war, kroch in die Kabine des Lastwagens, so dass er direkt neben dem Fahrer lag und sagte: „Sie brauchen sich nicht zu sorgen; ich bin bei Ihnen und ich werde nicht weggehen.“ Und er blieb bei dem Fahrer bis er befreit wurde, obwohl er sich damit in Lebensgefahr begeben hatte.

Dieser Vorgang hat exemplarischen Charakter. Es gibt einen Soziologen mit dem Namen Robert Wuthrow an der Princeton Universität, der ethische Entscheidungen untersucht hat. Er hat die Frage untersucht, warum es Menschen gibt, die auffallend egoistisch und herzlos auftreten, und andere, die gütig, barmherzig und opferwillig handeln. Das Ergebnis seiner Forschung ist nicht überraschend: Er schreibt: „Die Fürsorge, die wir empfangen, kann uns so tief berühren, dass wir voller Dankbarkeit sind, wenn wir die Möglichkeit bekommen, sie an eine andere Person weiterzugeben.“

In diesem Rahmen ist der Text aus dem Johannesevangelium zu betrachten, der für heute vorgesehen ist. Es geht um die Beziehung zwischen Jesus und Petrus. Petrus hatte Jesus drei Mal verraten und bekommt hier dementsprechend dreimal die Gelegenheit, seine Treue zu Jesus erneut zu bestätigen. Aber das eigentliche Haupt-Motiv hier, das hinter diesem Dialog steckt, ist die bedingungslose Treue Jesu zu Petrus. Petrus hatte kläglich versagt: er hatte großmäulig behauptet, er würde Jesus nie im Stich lassen – aber bei der ersten Bewährungsprobe leugnete er, Jesus überhaupt zu kennen. Wer so erbärmlich versagt hat, der muss normalerweise seine Tauglichkeit erneut nachweisen. Aber Jesus verlangt keine Reue und keine Rehabilitation von Petrus. Er sagt auch nicht: ab sofort bist du in der Rangliste der Jünger am 12. Platz, d.h. auf dem Abstiegsplatz, vielleicht mit der Bewährungschance auf Aufstieg. Sondern Petrus soll eine führende Rolle übernehmen, obwohl er es nicht verdient hatte: er wird beauftragt, eine Art Ober-Hirte der Gemeinde zu sein. Diese Beauftragung bedeutet, dass seine Sünden vergeben worden sind.

Immanuelskiche, Kopenhagen. Mosaik über der Tür, Ib Rasmussen, 2006

Dieser Dialog zwischen Jesus und Petrus erinnert an eine Fußwaschung Jesu. Jesus bekam einmal von einer sogenannten Sünderin die Füße gewaschen. Sie zeigte Jesus viel Liebe, indem sie ihre Tränen einsetzte, um ihm die Füße zu waschen, dann küsste sie seine Füße und salbte sie mit Öl. Jesu Kommentar dazu lautete: Die Liebe, die sie gezeigt hat, bezeugt, dass ihr viel vergeben worden ist; „wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig“. Petrus bekam viel vergeben, deshalb wollte Jesus feststellen, wie viel Liebe in Petrus steckt, indem er ihn drei mal fragt, wie stark seine Liebe zu ihm ist.

Wie gesagt: das Hauptmotiv hier ist die kompromisslose Treue, die Jesus verkörpert. Anders ausgedrückt, Jesus verkörpert die Eigenschaften eines Hirten im Mittleren-Osten. Es ist festgestellt worden, dass ein Hirte in Palästina – bis heute – seiner Herde mit unerbittlicher Treue beisteht und sie schützt, - gegen Räuber und wilde Tiere – auch wenn er sein Leben dabei aufopfern muss. Diese Haltung des Beistands um jeden Preis ist veranschaulicht in den zwei Beispielen, die am Anfang erwähnt wurden: die Krankenschwester, die an der Seite des Jungen blieb, bis er aufwachte; der selbe Junge 20 Jahre später als Notdiensthelfer, der unter Lebensgefahr dem Lastwagenfahrer Beistand leistete. Und Petrus gehört in diese Linie hinein: er hat in Jesus einen Beistand erfahren, der nie aufhört. Petrus hatte Jesus als Hirte erlebt, der die Beziehung zu ihm nie abgebrochen hatte, und jetzt soll er dieselbe Hirtenhaltung der entstehenden Kirchengemeinde gegenüber zeigen.

Und in diesem Zusammenhang: Jesus teilte Petrus mit, wie er sterben wird: „Wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hin willst. Das sagte er aber, um anzuzeigen, mit welchem Tod er Gott preisen würde.“ Nach der Tradition ist Petrus in Rom als Anhänger Jesu Christi gekreuzigt worden: er blieb seinem Auftrag bis zum bitteren Ende treu.

Ausschnitt aus 'Auferstehungsikone', Ikonenmuseum Frankfurt

Ausschnitt aus 'Auferstehungsikone', Ikonenmuseum Frankfurt

Aber das konnte er nur tun, wenn Jesus der Hirte ist, der seine Schafe sogar aus dem Totenreich herausholen kann. Deswegen kommt dieses Jesus-als-guter-Hirte-Motiv in der Osterzeit vor – an dem 2. Sonntag nach Ostern. Jesus ist deswegen der gute Hirte, weil er sogar in das Totenreich gegangen ist, um verlorene Menschen dort zu suchen und heraus zu holen. Die Urchristenheit hat sich die Auferstehung Christi so vorgestellt, dass er in das Totenreich nicht nur hinabstieg, sondern dass er mit Gewalt in das Totenreich eingedrungen ist – er hat die Türen zur Totenwelt aufgebrochen, um dort zu predigen und um die Menschheit von den Banden des Todes zu befreien. Er hat die Toten herausgeführt, wie ein Hirte, der seine Schafe aus einem finsteren Tal herausholt. Diese Sprache klingt mythologisch, aber Wahrheit lässt sich manchmal nur mit mythologischer Sprache ausdrücken.

Im Psalm 23 heißt es: Und wenn ich schon wanderte im finsteren Tal – wortwörtlich „Im Tal des Todesschattens - fürchte ich kein Unglück, denn Du bist bei mir; dein Stecken und Stab trösten mich. Ein Stecken ist eine Keule, die ein Hirte gegen wilde Tiere und Räuber einsetzte, um seine Schafe zu schützen. In einer russischen Auferstehungs-Ikone wird dementsprechend gezeigt, wie Jesus in das Totenreich einbricht und wie der Teufel mit einer Keule geschlagen wird. Diese kompromisslose Treue, die bereit und fähig ist, sogar in das Totenreich zu gehen, um die Verlorenen herauszuholen, ist die Grundlage der Kirche und die Grundlage für Petrus und die anderen Apostel.

Nach seiner österlichen Beauftragung zeigte Petrus eine Reife und eine Weisheit, die vorher nicht erkennbar waren. Bei dem Pfingstfest z.B. hielt er in aller Öffentlichkeit – trotz Todesgefahr - die erste christliche Predigt, die es überhaupt gab. Petrus übernahm die Verantwortung der Leitung der Gemeinde. Er war es, der zum Beispiel anordnete, dass ein Nachfolger für Judas Iskariot durch Auslosung zu bestimmen war. Er war es, der den ersten Versuch, ein kirchliches Amt zu kaufen, abwehrte. Er war es, der sich nicht einschüchtern ließ, als er von der höchsten jüdischen Behörde in Jerusalem Redeverbot erteilt bekam. Er ließ nicht zu, dass die Jesusgemeinde sich in einen Privatbereich zurückgezogen hätte, sondern bestand auf der Öffentlichkeit der christlichen Verkündigung. Er war auch maßgeblich daran beteiligt, dass die Jesusgemeinde Nichtjuden aufnahm – ohne von ihnen eine Bekehrung zum Judentum zu erwarten. Durch diesen Schritt wurde aus einer jüdischen Sekte der Anfang einer Weltreligion. Und Petrus hat zuletzt nach gut belegter Tradition unvorstellbares Leid ausgehalten, ohne Christus zu leugnen und ohne dass sein Wille gebrochen wurde.

Petrus gilt in der römisch-katholischen Tradition als erster Papst. Für uns Evangelische ist Petrus eine Vorlage. Denn auf der einen Seite sind wir Menschen wie Schafe und bleiben so ein ganzes Leben lang – Petrus war auch manchmal wie ein einfältiges Schaf; aber gleichzeitig ist jeder getaufte Christ dazu berufen, etwas von den Eigenschaften eines Hirten zu übernehmen. In einer afrikanischen Kirche in Mosambik gibt es in diesem Zusammenhang eine Sitte: sobald ein Gemeindeglied eine Verantwortung übernimmt, bekommt es einen Hirtenstab. Damit wird eine Wahrheit veranschaulicht: wir Christen sollen nicht Schafe bleiben, sondern Hirten werden. Niemand ist zu „gewöhnlich“, um Hirte zu werden, denn Petrus war auch in vielen Hinsichten ein ganz gewöhnlicher Mensch. Aber durch Jesus, der als guter Hirte in das finstere Tal des Totenreichs gegangen ist, um das Verlorene herauszuholen, ist Petrus verwandelt worden. Alles hängt von der Treue ab, die von dem Auferstandenen ausgeht. Wer diese Treue empfangen hat, will sie in Dankbarkeit weitergeben. Möge Gott uns helfen, die treue Begleitung, die wir von Jesus erfahren haben, weiter zu geben. Amen.

Die Abbildung des Mosaiks über der Tür der Immanuelskiche in Kopenhagen, 2006, wurde von Ib Rasmussen, ihrem Urheber, zur uneingeschränkten Nutzung freigegeben. Das Bild ist damit gemeinfrei („public domain“). Dies gilt weltweit.
Wir danken dem Ikonenmuseum Frankfurt (www.ikonenmuseumfrankfurt.de ) für die Genehmigung, Ikonen aus diesem Museum kostenlos zeigen zu dürfen.

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