Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Frankfurt am Main - Sachsenhausen

Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Hesekiel 34, 1-2.10-16.31 „Dennoch-Glaube“

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'Verirrte Schafe', William Holman Hunt, 1852

Misericordias Domini

Dennoch-Glaube Hesekiel 34, 1-2.10-16.31

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2005

Und des HERRN Wort geschah zu mir: Du Menschenkind, weissage gegen die Hirten Israels, weissage und sprich zu ihnen: So spricht Gott der HERR: Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde weiden?
So spricht Gott der HERR: Siehe, ich will an die Hirten und will meine Herde von ihren Händen fordern; ich will ein Ende damit machen, dass sie Hirten sind, und sie sollen sich nicht mehr selbst weiden. Ich will meine Schafe erretten aus ihrem Rachen, dass sie sie nicht mehr fressen sollen. Denn so spricht Gott der HERR: Siehe, ich will mich meiner Herde selbst annehmen und sie suchen. Wie ein Hirte seine Schafe sucht, wenn sie von seiner Herde verirrt sind, so will ich meine Schafe suchen und will sie erretten von allen Orten, wohin sie zerstreut waren zur Zeit, als es trüb und finster war. Ich will sie aus allen Völkern herausführen und aus allen Ländern sammeln und will sie in ihr Land bringen und will sie weiden auf den Bergen Israels, in den Tälern und an allen Plätzen des Landes. Ich will sie auf die beste Weide führen, und auf den hohen Bergen in Israel sollen ihre Auen sein; da werden sie auf guten Auen lagern und fette Weide haben auf den Bergen Israels. Ich selbst will meine Schafe weiden, und ich will sie lagern lassen, spricht Gott der HERR. Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken und, was fett und stark ist, behüten; ich will sie weiden, wie es recht ist. Ja, ihr sollt meine Herde sein, die Herde meiner Weide, und ich will euer Gott sein, spricht Gott der HERR. Hesekiel 34

In dem Westen der USA entstehen manchmal gewaltige Waldbrände. Es gab einen Photographen, der von einer Illustrierten beauftragt wurde, Bilder von einem Brand aufzunehmen. Es wurde ihm gesagt, dass er einen bestimmten Flugplatz aufsuchen sollte und dort würde ein Flugzeug für ihn bereit stehen. Er suchte den Flugplatz auf und da stand tatsächlich ein Flugzeug, das startbereit war. Er stieg ein und sagte zu dem Piloten: „Es kann losgehen.“ Nachdem das Flugzeug in der Luft war, sagte der Photograph zu dem Piloten: „Suchen Sie bitte den nördlichen Teil des Waldbrandes auf und fliegen Sie dann knapp über die Bäume!“ Der Pilot war ganz offensichtlich irritiert, als er das hörte; er fragte: „Warum soll ich das tun?“ Der Photograph verstand die Frage nicht. Er erwiderte einfältig: „Weil ich ein Photograph bin und ein Photograph macht Aufnahmen.“ Nach einer Pause fragte der Pilot: „Sind Sie nicht der Fluglehrer?“ Mit anderen Worten: dieser Pilot war nicht der, der auf den Photograph warten sollte, sondern ein Schüler, der auf seinen Fluglehrer gewartet hatte. Beide Personen hier – der Schülerpilot und der Photograph hatten ihr Vertrauen blind eingesetzt. In diesem Fall ging es gut aus, denn mit Hilfe eines Lotsen konnte der Pilot sicher landen.

Diese Begebenheit ist ein Hinweis, wie vertrauensselig wir Menschen normalerweise sind, denn täglich tun wir genau das, was der Schülerpilot und der Photograph taten: wir legen unser Leben vertrauensvoll in die Hände von wildfremden Menschen. Zum Beispiel: jedesmal wenn ich mit dem Auto unterwegs bin, setze ich mein Leben vertrauensvoll in die Hände von Menschen, die ich nicht kenne. Ich vertraue darauf, dass alle Autofahrer nüchtern sind, dass keine Selbstmordkandidaten oder Wahnsinnige dabei sind, dass alle Fahrer sich jederzeit an die Verkehrsregeln halten. Ich vertraue darauf, dass die Bremsen meines Autos einwandfrei gebaut und korrekt überprüft wurden. Oder jedesmal wenn ich in einen Aufzug steige, vertraue ich darauf, dass der Aufzug richtig gebaut wurde und dass die Sicherheit dieses Aufzugs regelmäßig kontrolliert wird. Jedesmal wenn ich einen Arzt besuche, vertraue ich darauf, dass er weiß, was er tut. Jedesmal wenn ich in eine U-Bahn steige, setze ich mein Vertrauen in den Fahrer, dass er keine roten Ampeln übersieht. Jeden Tag sobald wir morgens aus unseren Wohnungstüren gehen, vertrauen wir uns Sicherheitskräften an, die Terroristen und Kriminelle rechtzeitig entdecken und verhaften sollten.

Das Zusammenleben der Menschen in einer Stadt wie Frankfurt würde total zusammenbrechen, wenn die Bevölkerung von heute auf morgen sich weigern würde, ihr Leben fremden Menschen anzuvertrauen.

In dieser Hinsicht ist die Bevölkerung einer Stadt wie eine große Schafherde. So wie ein einzelnes Schaf mit der Herde mitgeht – und darauf vertraut, dass die Herde nicht über einen Felsenrand abstürzt – so wandern wir Menschen durch den Tag und vertrauen darauf, dass die große Menschenherde, zu der wir gehören, am Ende des Tages sicher nach Hause kommen wird.

Und fast immer geht es gut. Aber niemand ist perfekt. Und es gibt eine Menge Leute, die nicht vertrauenswürdig sind, sondern das Leben anderer willkürlich oder kaltblütig aufs Spiel setzen.

Die Bibel macht in diesem Zusammenhang eine Aussage, die vielleicht zynisch klingt; sie lautet: setze dein Vertrauen nicht in Menschen: Gott allein ist zuletzt vertrauenswürdig. Wie es in Psalm 118 heißt: „Es ist gut, auf den HERRN vertrauen und nicht sich verlassen auf Menschen.“ Oder in Psalm 146 heißt es: „Verlasset euch nicht auf Fürsten; sie sind Menschen, die können ja nicht helfen.“ Der Prophet Jeremias war noch drastischer: So spricht der HERR: „Verflucht ist der Mann, der sich auf Menschen verlässt.“

Solche Aussagen sind ein Hinweis, dass wir Menschen dazu neigen, unser Vertrauen falsch einzusetzen. Wenn der Sinn meines Lebens von anderen Menschen abhängt, dann ist eine bittere Enttäuschung programmiert.

Aber scheinbar hält sich Gott selber nicht an diese Warnungen. Denn Gott setzt sein Vertrauen in Menschen. Gott hat das Leben seines Volkes Menschen anvertraut. Und dieses Vertrauen wurde missbraucht. Das ist das Thema des heutigen Textes aus dem Propheten Hesekiel. Wie wir vorhin gehört haben:

So spricht Gott der HERR: Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde weiden? So spricht Gott der HERR: Siehe, ich will an die Hirten und will meine Herde von ihren Händen fordern; ich will ein Ende damit machen, dass sie Hirten sind, und sie sollen sich nicht mehr selbst weiden. Ich will meine Schafe erretten aus ihrem Rachen, dass sie sie nicht mehr fressen sollen. Denn so spricht Gott der HERR: Siehe, ich will mich meiner Herde selbst annehmen und sie suchen. Wie ein Hirte seine Schafe sucht, wenn sie von seiner Herde verirrt sind, so will ich meine Schafe suchen und will sie erretten von allen Orten, wohin sie zerstreut waren zur Zeit, als es trüb und finster war.

Die Hirten sind in diesem Kontext alle, die eine öffentliche Verantwortung für das Volk hatten – angefangen von den Königen. Die Botschaft hier lautet: Kein Mensch kann für ein Volk Hirte sein; dafür sind die Menschen nicht zuverlässig genug. Hirte kann zuletzt nur Gott sein. Nur Gott hat die nötige selbstlose Liebe und die nötige Allmacht, um das Verlorene zu suchen und heimzubringen, um alle Bedrohungen abzuwehren, um alle Wunden zu heilen, um alle Bedürfnisse zu erfüllen.

'Christ Leading the Patriarchs to Paradise', 1480

Christus führt die Toten (im Vordergrund Adam und Eva) aus dem Totenreich heraus in das Paradies hinein; links steht der Cherub, der die Paradiespforte nach der Austreibung mit einem flammenden Schwert bewacht hatte. Christus deutet auf den "Baum des Lebens", der im Garten Eden stand, der durch sein Kreuz ersetzt worden ist.

Um Hirte zu sein, muss man die nötige Macht haben, man muss mit göttlicher Allmacht ausgestattet sein. Und deswegen kommt dieses Hirtenmotiv in der Osterzeit vor – an dem 2. Sonntag nach Ostern. Jesus ist der gute Hirte – wie wir vorhin in dem Evangelium gehört haben. Und er ist deswegen der gute Hirte, weil er sogar in das Totenreich gegangen ist, um verlorene Menschen dort zu suchen und heraus zu holen.

Die ganze Vertrauenswürdigkeit Gottes als Hirte für sein Volk hängt von diesem Ostersieg ab. Aber ist Gott wirklich vertrauenswürdig? Es gibt eine Menge Leute, die das Gegenteil behaupten.

Zu der Zeit als Juden in Konzentrationslagern inhaftiert waren, gab es ein eigentümliches Gerichtsverfahren. Einige jüdische Gefangene haben eine Gerichtsverhandlung durchgespielt, bei der Gott der Angeklagte war. Einer spielte den Ankläger. Die Anklage lautete: Gott hat sein Volk im Stich gelassen: die Mitglieder seines Volkes sind enteignet, verschleppt, misshandelt, gedemütigt, getötet und verbrannt worden. Es gab auch einen Anwalt für die Verteidigung, der versucht hatte, das Verhalten Gottes zu rechtfertigen. Danach wurde abgestimmt. Und das Ergebnis: Gott wurde für schuldig erklärt; er hatte seinem Volk gegenüber versagt. Er hat sein Volk schutzlos ausgesetzt und fallen gelassen. Damit war das Gerichtsverfahren gegen Gott abgeschlossen. Und einige Minuten später war es Zeit für das Abendgebet. Und dieselben Männer, die Gott so schonungslos angeklagt hatten, knieten hin für das Abendgebet. Sie haben Gott trotzdem angebetet, und das heißt: sie haben sich trotzdem Gott anvertraut.

Diese Art Glaube ist manchmal ein Dennoch-Glaube genannt worden. Diese Formulierung bezieht sich auf Psalm 73, wo zuerst geschildert wird, dass es scheinbar nichts bringt, Gott treu zu bleiben, weil es den Gottlosen offensichtlich zu gut geht; sie können so viel Böses tun und Freches reden, wie sie möchten. Die Glaubenstreuen dagegen müssen unschuldig leiden. Und dann heißt es:

Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand, du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich am Ende mit Ehren an. Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde. Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil.

Solcher Dennoch-Glaube ist nur möglich, wenn man damit rechnen kann, dass Gott mächtiger ist als alles, und dass er sich zuletzt durchsetzen wird - gegen alle Bösartigkeit, Sinnlosigkeit und Vergänglichkeit. Denn nur wenn Gott mächtiger ist als der Tod, kann er die Verheißung erfüllen, die der Hesekieltext verkündet, die lautet:

Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken und, was fett und stark ist, behüten; ich will sie weiden, wie es recht ist. Ja, ihr sollt meine Herde sein, die Herde meiner Weide, und ich will euer Gott sein, spricht Gott der HERR.

Möge Gott uns helfen, uns Gott anzuvertrauen, der allein unser Leben zu einem sinnvollen, heilsame Ziel in Ewigkeit führen kann.

Die Genremalerei 'Verirrte Schafe', William Holman Hunt, 1852, und dessen Reproduktion gehört weltweit zum "public domain". Das Bild ist Teil einer Reproduktions-Sammlung, die von The Yorck Project zusammengestellt wurde. Das copyright dieser Zusammenstellung liegt bei der Zenodot Verlagsgesellschaft mbH und ist unter GNU Free Documentation lizensiert.
Das Kunstwerk 'Christ Leading the Patriarchs to Paradise', 1480, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.

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