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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Johannes 12,12-19 Gibt es gottfreie Zonen?

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Palmsonntag

Gibt es gottfreie Zonen? Johannes 12,12-19

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2009

Journalistin Ariane Sherine, Atheist Bus Campaign, Januar 2009, Zoe Margolis

Als am nächsten Tag die große Menge, die aufs Fest gekommen war, hörte, dass Jesus nach Jerusalem käme, nahmen sie Palmzweige und gingen hinaus ihm entgegen und riefen: Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der König von Israel! Jesus aber fand einen jungen Esel und ritt darauf, wie geschrieben steht (Sacharja 9,9): »Fürchte dich nicht, du Tochter Zion! Siehe, dein König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen.« Das verstanden seine Jünger zuerst nicht; doch als Jesus verherrlicht war, da dachten sie daran, dass dies von ihm geschrieben stand und man so mit ihm getan hatte. Das Volk aber, das bei ihm war, als er Lazarus aus dem Grabe rief und von den Toten auferweckte, rühmte die Tat. Darum ging ihm auch die Menge entgegen, weil sie hörte, er habe dieses Zeichen getan. Die Pharisäer aber sprachen untereinander: Ihr seht, dass ihr nichts ausrichtet; siehe, alle Welt läuft ihm nach. Johannes 12,12-19

Am Anfang dieses Jahres erschien eine ungewöhnliche Buswerbung in London. Auf der Außenseite von 200 Bussen in London war in großen Buchstaben der folgende Spruch zu lesen: "Es gibt wahrscheinlich keinen Gott. Jetzt mach' Dir keine Sorgen und genieß' Dein Leben".

Diese Werbekampagne wurde von einer Journalistin mit dem Namen Ariane Sherine eingeführt. Überraschend ist, wie viel Unterstützung diese Aktion bekam. Nach einigen Wochen kamen 140.000 Pfund Spendengelder zusammen. Damit wurden 800 sogenannte Atheisten-Busse in Großbritannien finanziert.

Und diese Kampagne hat sich ausgebreitet. In Barcelona z. B. gibt es solche atheistische Buswerbung. In Deutschland ist sie auch vorgesehen. Dafür sind schon Spendengelder eingegangen; innerhalb von 4 Tagen kamen über €20.000 zusammen. Vorgesehen sind zwei Sprüche: "Es gibt (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) keinen Gott. Aufklärung heißt, Verantwortung übernehmen." Und: "Gottlos glücklich. Ein erfülltes Leben braucht keinen Glauben."

Es ist erstaunlich, dass Menschen, die Gott leugnen, so viel Geld und Energie einsetzen wollen, um ihren Standpunkt öffentlich zu bezeugen. Wenn es keinen Gott gibt, warum können sie das Thema Gott nicht einfach ruhen lassen? Warum wollen diese Menschen Geld ausgeben, um ihre Ansichten zu verbreiten und gottfreie Zonen einzurichten?

Es steckt in dieser Sache eine Ironie. Diese atheistischen Werbeaktionen bezeugen indirekt genau das Gegenteil von dem, was sie bezeugen wollen. Denn was diese Atheisten eigentlich beglaubigen, ist folgendes: Wir nehmen Gott ernst! Gott lässt uns keine Ruhe! Wir wollen ihn von unserem Leben ausklammern, aber das gelingt uns nicht. Deshalb versuchen wir, gottfreie Zonen zu schaffen, um uns selber Mut zu machen. Diese atheistische Werbekampagne bezeugt eindringlich, dass Gott und Glaube keine Belanglosigkeiten sind, sondern dass sie tief in den Seelen von Menschen herumwühlen – auch in den Seelen von Menschen, die behaupten, dass sie Gottesleugner sind.

Diese Werbekampagne kann uns helfen, die Dynamik zu verstehen, die der Einzug Jesu in Jerusalem auslöste. Das Johannesevangelium bietet eine eigentümliche Perspektive, die in den anderen drei Evangelien nicht vorkommt. Johannes betont zwei Begebenheiten: erstens wird Jesus ausdrücklich „König von Israel“ genannt. Dieser Titel stand eigentlich nur Gott allein zu. Und zweitens: Johannes erwähnt, dass der Jubel um Jesus damit zusammenhing, dass er Lazarus von den Toten auferweckt hatte. Aber wer kann einen Toten auferwecken als Gott allein? Mit anderen Worten: als Jesus in Jerusalem einzog, zog Gott in Jerusalem ein. Jesus war die Verkörperung der Anwesenheit Gottes.

Und nach dem Einzug trat eine Dynamik ein, die vergleichbar ist mit der atheistischen Werbekampagne in europäischen Städten. Warum waren die Hohenpriester, die Schriftgelehrten und die Ältesten des Volkes auf einmal so maßlos aufgewühlt? Warum konnten sie nicht einfach sagen: „Jesus und seine Anhänger sind Spinner. Irgendwann wird die Begeisterung zu Ende sein. Jesus wird an den Römern scheitern und dann haben wir wieder unsere Ruhe“? Natürlich gab es pragmatische Gründe, Jesus möglichst schnell an die Römer auszuliefern, aber die Gegner Jesu wirken nicht pragmatisch, sondern fast hysterisch. Man merkt an den darauf folgenden Ereignissen, dass sie tief in ihren Seelen aufgewühlt waren. Jesus war ihnen unter die Haut gegangen. Sie konnten keine Ruhe finden, bis sie Jesus am Kreuz sahen. Sie mussten unbedingt Jesus ans Kreuz bringen - sie schrieen „Kreuzige ihn!“ - , denn es genügte nicht, Jesus nur zu vernichten. Er musste auch erniedrigt werden. Denn nur die Erniedrigung einer Kreuzigung konnte ihn als König Israels disqualifizieren.

Und die Todfeinde Jesu waren von Jesus so aufgewühlt, dass sie sich hinreißen ließen, eine atheistische Parole zu rufen. Sie sagten zu Pilatus:„Wir haben keinen König als den Kaiser“. Jesus hatte diese Menschen so gründlich erschüttert, dass sie sogar Gott als König von Israel leugneten. „Wir haben keinen König als den Kaiser“ ist im Rahmen des Judentums ein atheistisches Bekenntnis.

'Ecce Homo' - Guido Reni, Pinacoteca, Bologna, vor 1882

Aber durch diese öffentliche atheistische Parole bezeugten sie genau das Gegenteil von dem, was sie bezeugen wollten. Sie wollten ausdrücken: „Jesus ist ein Nichts“, aber was sie eigentlich beglaubigten, lautete: „Es steckt in diesem Jesus viel mehr als wir zugeben wollen.“ Und was sie nicht zugeben wollten, ist, dass Jesus die unmittelbare Nähe Gottes in die Stadt Jerusalem gebracht hat. Jerusalem war auf einmal zu eng geworden. Die Hohenpriester, die Schriftgelehrten, die Ältesten hatten verzweifelt versucht, eine Gott-Freie-Zone zu schaffen mit einer atheistischen Parole: „Wir haben keinen Gott als den Kaiser.“ Denn Gott war ihnen auf einmal zu nahe gekommen.

Es gab einmal einen Einbruch in die Wohnung einer wohlhabenden Familie. Der Dieb sammelte Wertsachen von verschiedenen Räumen und stapelte sie auf den Boden des Wohnzimmers. Er war dabei, Wertsachen in eine Tasche zu stecken, als er sah, dass ein Bild von Jesus an der Wand hing; es war ein Bild mit dem Namen „Ecco Homo“ (= „Siehe, der Mensch“), die Kopie eines Bildes von Guido Reni: es zeigte Jesus mit der Dornenkrone. Sofort war er wie gelähmt: er konnte momentan nicht weitermachen. Er ging deshalb zur Wand und drehte das Bild um, so dass Jesus nicht mehr zu sehen war. Erst dann konnte er seine kriminelle Handlung fortsetzen. Denn Jesus verkörpert die Anwesenheit Gottes. Und in der Anwesenheit Gottes kann man nicht einfach alles tun, was man will.

So wie dieser Dieb das Bild Jesu erlebte, so hatten die Hohenpriester, die Schriftgelehrten, die Ältesten des Volkes Jesus erlebt, als er in Jerusalem einzog. Als Jesus in die Stadt einzog ist Gott selber eingezogen. Die Anwesenheit Jesu in der Stadt war deshalb auf die Dauer unerträglich. Denn da, wo Gott sich aufhält, kann man nicht einfach so weitermachen wie bisher und tun, was man will. Entweder muss man sich ändern lassen - Änderung ist unweigerlich schmerzhaft - , oder man muss irgendwie das Gesicht Jesu zur Wand drehen, so dass er nicht mehr zu sehen ist.

Auch wir sind aufgefordert, zu überlegen, wie wir zu Jesus als Erscheinung der Anwesenheit Gottes stehen. Wenn man dauerhaft in der Anwesenheit Gottes leben will, kann man nicht einfach tun, was man will, sondern muss damit rechnen, immer wieder in Frage gestellt zu werden. In dieser Hinsicht haben die Atheisten mit ihrer Buswerbung teilweise recht. Wer sein Leben unbeschwert genießen will, muss Gott leugnen und versuchen, gottfreie Zonen zu schaffen. Aber was die Atheisten noch nicht wissen ist, dass es keinen Frieden gibt ohne Gott. Jesus ist zwar aufwühlend, aber zuletzt ist es noch viel aufwühlender, ohne eine Beziehung zu Gott leben zu wollen. Wer sein Leben wirklich genießen will, kommt zuletzt an Jesus nicht vorbei.

Denn wer gegen Jesus kämpft, kann nicht gewinnen. Er wurde getötet, aber er ist auferstanden. Er wurde aus der Stadt und aus der Welt befördert, aber die Täter fanden zuletzt doch keine Ruhe, denn Jesus war nach seiner Auferstehung überall anwesend. Wenn Jesus einmal die Seele eines Menschen angesprochen hat, dann ist es aus: entweder muss man mit endloser Unruhe leben oder man muss diese Unruhe verdrängen oder man muss sich der Barmherzigkeit Gottes ausliefern. Man muss entweder das Gesicht Jesu zur Wand drehen, oder man muss aufhören, von Gott wegzurennen. Man muss entweder gottfreie Zonen einrichten, oder man muss überall in der Anwesenheit Gottes leben. Wie werden wir uns entscheiden?

Möge Gott uns helfen, dass wir uns ihm anvertrauen und die Änderungen akzeptieren, die ein Leben in der Anwesenheit Gottes mit sich bringen.

Das Kunstwerk 'Ecce Homo' - Guido Reni, Pinacoteca, Bologna, vor 1882, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Die Photographie mit Journalistin Ariane Sherineder, Atheist Bus Campaign, Januar 2009, Zoe Margolis, ist unter der Creative Commons Namensnennung 2.0 Lizenz lizenziert.

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