Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
Zurück zum Archiv Home der Dreikönigsgemeinde

Evangelisch-Lutherische

DREIKÖNIGSGEMEINDE

Frankfurt am Main - Sachsenhausen

Predigten von Pfarrer Phil Schmidt:

« Predigten Home

Kantatengottesdienst „Wer nur den lieben Gott lässt walten“ (J. S. Bach)

Gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2001

'In manibus tuius zu Psalm 31', 1972 - Walter Habdank. © Galerie Habdank

'In manibus tuius zu Psalm 31', 1972 - Walter Habdank. © Galerie Habdank

In einer Kirche in Bayern passierte etwas Ungewöhnliches am Anfang eines Gottesdienstes. In der vierten Bank saß eine ältere Frau, die ihre Handtasche aus Versehen umkippte. Und etwas fiel aus der Tasche heraus und landete auf dem Boden. Die Frau hatte diesen Vorfall nicht bemerkt, aber ein Gottesdienstbesucher, der 2 Meter von ihr entfernt saß, sah, dass die Frau etwas verloren hatte. Er bückte sich, um den Gegenstand für die Frau aufzuheben und konnte kaum glauben, was da lag, nämlich ein Gebiss. Er beugte sich zu der Frau hinüber und leise flüsterte er: „Sie, gute Frau, Ihr Gebiss ist Ihnen rausgefallen aus der Tasche.“ Die Frau blickte ihn irritiert an und bückte sich, um das gute Stück aufzuheben. Sie erklärte ihm folgendes: „Meins ist das nicht. Das ist das von meinem Mann. Das nehm ich immer mit. Der geht mir sonst an den Sonntagsbraten.“

Diese Begebenheit kann als Gleichnis dienen. Was wäre, wenn Gott so vorgehen würde wie diese Frau, die ihren Mann entmündigte und entwürdigte? Was wäre nämlich, wenn Gott uns Menschen die Möglichkeit wegnehmen würde, bissig zu sein? In dem Galaterbrief gibt es eine Stelle (5, 15), wo Paulus zu den Gemeindegliedern sagt: „Wenn ihr euch aber untereinander beißt und fresst, so seht zu, dass ihr nicht einer vom andern aufgefressen werdet“. Mit diesen Worten beschreibt er die aggressive Bissigkeit, die Menschen gegeneinander einsetzen. Diese Welt wäre offenbar friedlicher, wenn Gott so eingreifen würde, dass die Menschen so zu sagen keinen Biss mehr hätten. Wie wäre es z.B., wenn Gott alle Menschen stumm machen würde, die vorhaben, Rufmord zu begehen? Oder wie wäre es, wenn Gott alle Menschen lähmen würde, die vorhaben, etwas Brutales zu tun? Wenn Hooligans oder Terroristen vorhaben, etwas Abscheuliches zu tun, wie wäre es, wenn Gott die aggressive Energie einfach ausschalten würde? Diese Welt wäre scheinbar besser, wenn Gott alle Menschen entmündigen würde, die vorhaben, Böses zu tun.

Aber wäre die Welt dadurch wirklich besser? Wäre das Leben wirklich sinnvoller, wenn Gott uns Menschen entmündigen und entwürdigen würde, indem er uns die Möglichkeit wegnimmt, zwischen gut und böse zu entscheiden? Hier ergibt sich eine Glaubensentscheidung: sind wir bereit, Gott zu vertrauen, dass er weiß, was er tut? Die Bibel bezeugt, dass das Leben – so wie Gott das Leben geschaffen hat – zuletzt gut ist. Sind wir bereit, Gott zu vertrauen, dass er das Leben gut gemacht hat und dass er das Leben in Ewigkeit sinnvoll vollenden kann, egal was eintreten mag?

Der Choral, den wir vorhin gehört haben, will uns dazu ermutigen, Gott zu vertrauen.

„Wer nur den lieben Gott lässt walten“ wurde von Georg Neumark im Jahre 1641 geschrieben, und dieser Dichter kannte die Ungewissheiten des Lebens. In der Nähe von Gardelegen war Georg Neumark Opfer eines Überfalls. Dieses Erlebnis hatte er im Hintergrund, als er schrieb: „Wer nur den lieben Gott lässt walten und hoffet auf ihn allezeit, den wird er wunderbar erhalten in aller Not und Traurigkeit“.

Solches Vertrauen hat eine praktische Auswirkung. Es hat Untersuchungen mit Kindern gegeben, die mit großen Benachteiligungen aufgewachsen sind. Es ist nicht so, dass Kinder, die traumatische Erfahrungen hatten, zwangsläufig kriminell oder drogensüchtig werden oder anfällig für radikale Bewegungen sind. Nicht jedes Kind, das misshandelt wurde, wird automatisch zu einem gewalttätigen Vater (oder Mutter). Nicht jedes Kind, dass in zerrütteten Verhältnissen aufwächst, wird automatisch ein Neonazi-Skinhead. Unter denen, die erfolgreich ihre Vergangenheit bewältigten, gab es einen gemeinsamen Nenner: nämlich eine Grundeinstellung der optimistischen Hoffnung. Es ist Hoffnung, die Energie freisetzt, um katastrophale Situationen zu überwinden. Ein Psychologieprofessor sagte einmal folgendes: „Es gibt eine Klischee-Vorstellung, dass ein Optimist naiv ist und in einer Scheinwelt lebt. Angeblich ist der Pessimist realistischer. Aber es ist der Pessimist der blind ist, weil er mögliche Lösungen nicht sehen kann. Es ist der Optimist, der Probleme besser anpacken und lösen kann.“

Optimismus und Hoffnung sind auf die Dauer nur möglich, wenn man ein Urvertrauen hat. Und um ein Urvertrauen in Gott zu finden, gibt es eine Voraussetzung, auf die wir nicht verzichten können: wir Menschen müssen die Freiheit haben, uns freiwillig für das Gute oder das Böse zu entscheiden. Wenn Gott uns entmündigen und entwürdigen würde, indem er uns die Möglichkeit wegnehmen würde, Böses zu tun, dann könnte kein Vertrauensverhältnis entstehen. Ohne Freiheit, kein Vertrauen. Aber Freiheit und Vertrauen setzen die besten Kräfte und Begabungen frei, die in uns stecken.

Isaac Newton, 1689

Gott ist also nicht wie die Frau, die das Gebiss ihres Mannes zum Gottesdienst mitnahm, damit er sich nicht an den Sonntagsbraten vergreifen konnte. Gott ist eher mit dem Wissenschaftler Isaak Newton zu vergleichen. Newton arbeitete 8 Jahre lang an einem Buch, in dem seine wissenschaftlichen Erkenntnisse und Ergebnisse festgehalten wurden. Eines Morgens kam er in sein Arbeitszimmer und machte eine entsetzliche Entdeckung: sein Hund hatte eine Kerze umgekippt und sein Buch war in Flammen aufgegangen. Newton reagierte mit einer erstaunlichen Besonnenheit: er schlug den Hund nicht, er schimpfte nicht mit ihm, er verbannte ihn nicht aus dem Haus, der Hund wurde nicht angekettet und bekam auch keinen Maulkorb. Sondern Newton sagte zu seinem Hund: „Diamant (der Name des Hundes), du hast keine Ahnung, wie viel Arbeit und Mühe du mir gemacht hast.“ Danach setzte sich der Wissenschaftler hin und fing wieder an, sein Buch erneut zu schreiben. Hier sehen wir ein Gleichnis, wie geduldig und besonnen Gott uns gegenüber ist.

Wie geduldig und besonnen Gott ist, wurde offenbart, als Gott in Jesus erschienen ist. Gott kam in die Welt und verzichtete auf seine Macht und Herrlichkeit – denn er wollte die Menschen nicht überwältigen, sondern um ihr Vertrauen werben. In totaler Wehrlosigkeit vertraute er sich den Menschen an: mit dem vollen Risiko, das die Menschen ihn ablehnen und angreifen könnten. Und als Jesus am Kreuz hing sagte er: „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Hier wurde das Herz Gottes offenbart: hier offenbarte sich eine endlose Geduld mit uns Menschen. In Jesus wurde offenbart, dass Gott uns Vertrauen schenkt, damit wir den Freiraum bekommen, um die Würde und die Ausreifung zu finden, für die wir in Ewigkeit vorgesehen sind.

Wir sollen einem Gott vertrauen, der uns so viel Vertrauen schenkt. Wir sollen an einen Gott glauben, der so an uns glaubt.

Das Portrait von Isaac Newton, 1689, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
* Wir danken Frau Friedgard Habdank sehr herzlich, dass sie uns die Bilder ihres Mannes auf so großzügige und kostenlose Weise zur Verfügung gestellt hat.
© Galerie Habdank, www.habdank-walter.de

^ Zum Seitenanfang

PSch