Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Johannes 6, 55 – 65 Fleisch essen und Blut trinken

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'Christus mit der Eucharistie', 3. Viertel 16. Jh., Juanes, Juan de

Laetare

Fleisch essen und Blut trinken Johannes 6, 55 – 65

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2005

Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht das Fleisch des Menschensohns esst und sein Blut trinkt, so habt ihr kein Leben in euch. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben, und ich werde ihn am Jüngsten Tage auferwecken. Denn mein Fleisch ist die wahre Speise, und mein Blut ist der wahre Trank. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm. Wie mich der lebendige Vater gesandt hat und ich lebe um des Vaters willen, so wird auch, wer mich isst, leben um meinetwillen. Dies ist das Brot, das vom Himmel gekommen ist. Es ist nicht wie bei den Vätern, die gegessen haben und gestorben sind. Wer dies Brot isst, der wird leben in Ewigkeit. Das sagte er in der Synagoge, als er in Kapernaum lehrte.
Viele nun seiner Jünger, die das hörten, sprachen: Das ist eine harte Rede; wer kann sie hören? Da Jesus aber bei sich selbst merkte, dass seine Jünger darüber murrten, sprach er zu ihnen: Ärgert euch das? Wie, wenn ihr nun sehen werdet den Menschensohn auffahren dahin, wo er zuvor war? Der Geist ist's, der lebendig macht; das Fleisch ist nichts nütze. Die Worte, die ich zu euch geredet habe, die sind Geist und sind Leben. Aber es gibt einige unter euch, die glauben nicht. Denn Jesus wusste von Anfang an, wer die waren, die nicht glaubten, und wer ihn verraten würde. Und er sprach: Darum habe ich euch gesagt: Niemand kann zu mir kommen, es sei ihm denn vom Vater gegeben. Johannes 6, 55 – 65

In den letzten Schultagen vor Weihnachten im vorigen Jahre gab es in England eine Unterrichtsstunde in dem Fach Erdkunde. Der Lehrer – mit Namen Andrew Kearny - hatte als Thema Erdbeben und Flutwellen. Er erklärte seinen Schülern wie man erkennen kann, dass eine Flutwelle bevorsteht. Eine seiner Schülerinnen mit Namen Tilly, 10 Jahre alt, war einige Tage später mit ihrer Familie am Strand in Phuket, Thailand. Als diese Schülerin auf das Meer schaute, fiel ihr auf, dass es im Wasser Luftblasen gab und dass eine unnatürliche Ebbe eingetreten war. Sie dachte an das, was sie im Erdkundeunterricht gelernt hatte und wusste, dass eine Flutwelle bevorstand. Sie fing an, die Menschen am Strand und das Hotelpersonal zu warnen. Das Personal des Hotels nahm die Warnungen dieses Mädchens ernst und forderte die Menschen auf, sich vom Strand zu entfernen. Überall sonst hatten die Touristen zwar die Warnzeichen gesehen, aber hatten nicht gewusst, was bevorstand. Das 10-jährige Mädchen hatte das Leben von mehr als 100 Menschen gerettet, weil sie im Unterricht aufgepasst hatte.

Dieses Beispiel kann uns helfen, die Sprache der Bibel zu verstehen; besonders die drastische Sprache Jesu in unserem Text. Als Jesus davon sprach, sein Fleisch zu essen und sein Blut zu trinken, hat er seine Zuhörer offenbar schockiert. Aber seine Sprache hat eine Vorlage. Zu der jüdischen Literatur in der Zeit vor Jesus gehört das Buch Jesus Sirach, das zu den sogenannten Apokryphen gehört, die ein Teil der katholischen Bibel ausmachen. In diesem Buch gibt es eine Stelle, wo die Weisheit spricht. Sie sagt:

Kommt her zu mir, alle, die ihr nach mir verlangt... Ich sprosste lieblich wie der Weinstock. Wer von mir isst, den hungert immer nach mir; und wer von mir trinkt, den dürstet immer nach mir.

Vielleicht kannte Jesus diese Stelle, denn auch er sagte: Kommt her zu mir, auch er bezeichnete sich selbst als Weinstock. Und auch er sprach auch von der Möglichkeit, von ihm zu essen und zu trinken.

Eine ähnliche Sprache kommt im Alten Testament vor. Der Prophet Hesekiel schrieb:

Und er (Gott) sprach zu mir: Du Menschenkind, ...iss diese Schriftrolle und geh hin und rede zum Hause Israel! Da tat ich meinen Mund auf, und er gab mir die Rolle zu essen und sprach zu mir: Du Menschenkind, du musst diese Schriftrolle, die ich dir gebe, in dich hinein essen und deinen Leib damit füllen. Da aß ich sie, und sie war in meinem Munde so süß wie Honig.

Solche Formulierungen sind uns zwar fremd, aber es ist gut nachvollziehbar, was gemeint ist. Die 10-jährige Schülerin, die vorhin erwähnt wurde, ist ein Beispiel dafür, was es bedeutet, eine Information zu essen und zu trinken. Denn sie hat die Worte im Unterricht nicht bloß angehört. Sie hat diese Worte einverleibt. Diese Worte waren ein Teil ihrer Person geworden. Denn sie hat anhand der Informationen, die sie vereinnahmt hatte, sofort handeln können. Das Mädchen hat – nach der Sprache der Bibel – die Worte einer Lehre gegessen und getrunken.

Rev. George. H. Clements giving Holy Communion, Chicago, 1973

Als Jesus davon sprach, sein Fleisch zu essen und sein Blut zu trinken, hat er sicherlich mindestens das Einverleiben seiner Botschaft gemeint. Und das hätten seine Zuhörer akzeptieren können.

Aber seine Sprache geht noch einen Schritt weiter. Denn Jesus ist die Verkörperung der Wahrheit und er ist das fleischgewordene Leben. Wer also wahrhaft leben will, muss nicht nur seine Botschaft essen und trinken, sondern ihn selbst.

Diese Sprache ist für die Zuhörer eine Zumutung. Denn Fleisch essen und Blut trinken klingt wie Kannibalismus. Besonders deswegen, weil Jesus wortwörtlich davon spricht, sein Fleisch zu „kauen“ oder zu „beissen“. Und für Juden, denen es nicht erlaubt ist, Blut zu essen oder zu trinken, - denn im Blut ist das Leben und das Leben gehört Gott allein - klingt diese Sprache wie Gotteslästerung.

Manche Bibelausleger haben gemeint, dass Jesus hier das Abendmahl ansprechen will.

Aber die Formulierungen, die Jesus verwendet, gehören nicht zu der Abendmahlssprache. In dem Abendmahl wird von dem Leib Christi gesprochen, der als Brot gegessen wird. „Fleisch kauen“ und „Blut trinken“ gehören nicht zu den Abendmahlsworten. Es ist sicherlich erlaubt, an das Abendmahl zu denken, wenn Jesus von seinem Fleisch und Blut redet. Aber was Jesus hier anspricht ist nicht direkt das Altarsakrament, sondern das Geheimnis der Inkarnation, d.h. das Geheimnis der Fleischwerdung Gottes, dass Gott Fleisch und Blut wurde, unter uns wohnte und am Kreuz starb. Hier liegt das eigentliche Ärgernis.

Jesus spricht dieses Ärgernis direkt an, wenn er zu seinen Jüngern sagt:

Ärgert euch das? Wie, wenn ihr nun sehen werdet den Menschensohn auffahren dahin, wo er zuvor war?

Wenn Jesus hier von seiner Himmelfahrt spricht, dann bedeutet das im Rahmen des Johannesevangeliums seine Kreuzigung. Denn in dem Johannesevangelium sind Kreuzigung, Auferstehung, Himmelfahrt und Verherrlichung ein einziges Ereignis.

Das Ärgernis ist, dass in Jesus ein Gott offenbart wird, den wir Menschen nicht haben möchten. Wir möchten lieber einen Gott haben, der mit Macht und Herrlichkeit erscheint und alle Probleme abschafft. Wir möchten lieber einen Gott haben, zu dem alle Menschen jederzeit Zugang haben. Aber dieser Gott schränkt sich ein. Das Ärgernis hier ist die Selbsteinschränkung Gottes. Gott wurde Mensch: ein einziger Mensch, ein Jude, der in Palästina vor 2000 Jahren ca. 30 Jahre lang lebte. Dieser Jesus war wirklich ein Mensch aus Fleisch und Blut – kein Scheinmensch. Dieser Jesus hat wirklich gelitten und ist wirklich gestorben. Und wer diesen Jesus isst und trinkt, d.h. wer ihn in sich aufnimmt, der hat das Leben. Wer es nicht tut, hat zunächst das Leben nicht. Und das ist die Zumutung. Wie Jesus sagte:

Wenn ihr nicht das Fleisch des Menschensohns esst und sein Blut trinkt, so habt ihr kein Leben in euch.

Johannes hat diese Botschaft in seinen Briefen entfaltet. An einer Stelle schreibt er:

Ein jeder Geist, der bekennt, dass Jesus Christus in das Fleisch gekommen ist, der ist von Gott; und ein jeder Geist, der Jesus nicht bekennt, der ist nicht von Gott.

Gemeint ist folgendes: Es gab von Anfang an unter den Anhängern Jesu Gruppierungen, die Jesus vergeistigen oder verallgemeinern wollten. Sie wollten aus Jesus ein moralisches Vorbild machen. Oder sie wollten aus Jesus eine esoterische Lebensphilosophie machen. Bis heute gibt es Personen, die Jesus auf ein Prinzip oder Leitwort reduzieren – wie z. B. Nächstenliebe, Feindesliebe oder gewaltloser Widerstand. Aber Johannes machte deutlich: Man darf Jesus nicht auf eine Botschaft reduzieren. Denn heilsnotwendig ist Jesus selbst, eine konkrete Person aus Fleisch und Blut; ein Mensch, der Schmerz und Kälte empfinden konnte, der geblutet hat, und in dem Gott selber unter uns gewohnt hat. Und deswegen: Wer Jesu einverleibt hat, hat das Leben; wer Jesus nicht hat, hat das Leben nicht.

Die natürliche menschliche Reaktion ist zu sagen: Das ist aber ungerecht! Wieso kann der Weg zu Gott nur über Jesus laufen? Wieso kann Jesus es wagen, zu behaupten:

Ich bin der Weg, die Wahrheit, das Leben: niemand kommt zum Vater denn durch mich.

Ist Gott nicht verpflichtet, alle Glaubensrichtungen zu respektieren, mit denen die Menschen einen Weg zu ihm suchen? Ist Gott nicht verpflichtet, für alle Menschen jederzeit verfügbar zu sein? Ist Gott nicht zur Toleranz verpflichtet? Wie kann Gott es wagen, sich selbst so einzuschränken, dass der Weg zu ihm nur über Golgatha läuft, wo das Fleisch Jesu blutete?

Zu diesen Einwänden gibt es Verschiedenes, was man sagen könnte, aber eins steht fest: Gott ist nicht verpflichtet, sich nach unseren Vorstellungen zu richten. Nicht wir sind Gott. Gott ist Gott. Gott hat das Recht zu entscheiden, welchen Weg er einschlägt, um uns aufzusuchen. Denn nicht wir suchen und finden Gott, sondern Gott sucht und findet uns.

Denn die Menschen wollen Gott nicht unbedingt finden. Deswegen sagt Jesus am Ende unseres Textes:

Niemand kann zu mir kommen, es sei ihm denn vom Vater gegeben.

Deswegen muss Gott uns suchen und finden. Und es hat Gott gefallen, uns Menschen aufzusuchen, indem er Fleisch und Blut nicht nur annahm, sondern – noch ärgerlicher - Fleisch und Blut wurde.

Wir können zwar feststellen: Das gefällt uns aber nicht! Das finden wir nicht gut! Aber wir sind nicht Gott. Es bleibt uns nur noch eine Entscheidung: wir müssen uns entweder damit abfinden und Jesus in uns aufnehmen, oder Jesus verlassen. Zwischen diesen Alternativen gibt es keinen festen Boden.

'Manhattan, New York City', 2007, AngMoKio

In der Tageszeitung „New York Times“ gab es einmal eine ungewöhnliche Anzeige. Ein wohlhabender Mann kündigte an, dass er bereit sei, alle Schulden von allen Menschen zu bezahlen, die ihn aufsuchten. Viele Leute hatten diese Anzeige gelesen, denn New York hat 8 Millionen Einwohner. Wie viele haben dieses Angebot angenommen? Die Antwort lautet: eine einzige Person. Alle anderen haben diese Großzügigkeit nicht geglaubt. Sie dachten, dass es irgendwo einen Haken geben muss. Aber es gab keinen. Der wohlhabende Mann wollte einfach etwas Gutes tun für seine Mitmenschen.

Und so ist es auch in der Beziehung zwischen Gott und Mensch. Gott hat uns Menschen aufgesucht, indem er Fleisch und Blut geworden ist, damit wir unvergängliches Leben bekommen. Das Leben ist ein Geschenk, das Gott uns aus lauter Güte geben will. Und dieses Geschenk anzunehmen ist so einfach wie Brot essen und Wein trinken. Aber viele Menschen glauben nicht an diese Güte. Denn sie sind gefangen in ihrer Eigenwilligkeit. Sie wollen die Bedingungen stellen, die Gott zu erfüllen hat. Sie wollen bestimmen, wie, wo und wann sie Gott aufsuchen. Aber Gott bestimmt, wie, wo und wann er uns Menschen aufsucht.

Möge Gott uns helfen, uns nach Gott zu richten und Jesus so einzuverleiben, dass wir das Leben Jesu verkörpern.

Photographie von John H. White für die Reihe: DOCUMERICA: The Environmental Protection Agency's Program to Photographically Document Subjects of Environmental Concern, October 1973. Das Photo ist für uneingeschränkte Verwendung freigegeben. http://arcweb.archives.gov/arc/action/ExternalIdSearch?id=556236
Das Kunstwerk 'Christus mit der Eucharistie', 3. Viertel 16. Jh., Juanes, Juan de, und dessen Reproduktion gehört weltweit zum "public domain". Das Bild ist Teil einer Reproduktions-Sammlung, die von The Yorck Project zusammengestellt wurde. Das copyright dieser Zusammenstellung liegt bei der Zenodot Verlagsgesellschaft mbH und ist unter GNU Free Documentation lizensiert.
Die Photographie 'Manhattan, New York City', 2007, AngMoKio, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 2.5 Generic license.

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