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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: 2. Kor. 1 , 3 – 7 Was ist der Haupttrieb des Menschen?

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Sigmund Freud

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Laetare

Was ist der Haupttrieb des Menschen? 2. Kor. 1 , 3 – 7

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2004

Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, der uns tröstet in aller unserer Trübsal, damit wir auch trösten können, die in allerlei Trübsal sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott. Denn wie die Leiden Christi reichlich über uns kommen, so werden wir auch reichlich getröstet durch Christus. Haben wir aber Trübsal, so geschieht es euch zu Trost und Heil. Haben wir Trost, so geschieht es zu eurem Trost, der sich wirksam erweist, wenn ihr mit Geduld dieselben Leiden ertragt, die auch wir leiden. Und unsre Hoffnung steht fest für euch, weil wir wissen: wie ihr an den Leiden teilhabt, so werdet ihr auch am Trost teilhaben. 2. Kor. 1 , 3 – 7

In der Stadt Wien gab es einmal drei prominente Psychologen: Sigmund Freud, Alfred Adler und Viktor Frankl. Jeder von ihnen befasste sich mit der Frage: was ist der Haupttrieb des Menschen? Was ist in uns Menschen der stärkste Beweggrund? Sigmund Freud soll festgestellt haben, dass das stärkste Verlangen des Menschen das Verlangen nach körperlicher Befriedigung, nach sinnlichem Genuss ist. Alfred Adler war anderer Meinung: anhand seiner Untersuchungen glaubte er, dass der Haupttrieb des Menschen das Verlangen nach Macht ist. Das Leben – seiner Meinung nach – ist ein Streben, möglichst viel Macht und Bedeutung zu gewinnen.

Dale Carnegie, ein Motivationsexperte, dachte auf derselben Linie wie Adler: seiner Meinung nach gab es in jedem Menschen ein unersättliches Verlangen nach Wichtigkeit. Und dieses Verlangen nach Wichtigkeit war das bestimmende Grundmotiv jedes Menschenlebens. Ehe Viktor Frankl seine Arbeit richtig anfangen konnte, wurde Österreich von dem dritten Reich vereinnahmt. Diese drei Psychologen, Freud, Adler und Frankl, waren Juden. Aber weil Freud und Adler weltbekannt waren, konnten sie entkommen.

Frankl dagegen verbrachte 4 Jahre in einem Konzentrationslager. Und er hat dort eine verblüffende Entdeckung gemacht zum Thema Überleben: diejenigen, die sein Konzentrationslager überlebt hatten, waren nicht unbedingt die körperlich starken. Manche Häftlinge, die körperlich robust waren, wurden schnell schwach und starben. Andere Häftlinge, die körperlich schwach waren, zeigten eine unerwartete Zähigkeit und blieben am Leben. Und Frankl fragte sich: was war das Geheimnis dieser Überlebenden?

Und er dachte dabei an die Theorien seiner ehemaligen Mentoren in Wien. Auf der einen Seite gab es für die Insassen eines Konzentrationslagers keinen körperlichen, sinnlichen Genuss, sondern im Gegenteil Schmerz, Hunger und Erniedrigung. Die Theorien von Freud konnten das Überleben der Schwachen nicht erklären. Und auch die These von Adler, dass das Verlangen nach Macht und Wichtigkeit der Haupttrieb des Menschen sei, konnte nicht erklären, warum Menschen, die total ohnmächtig und gedemütigt waren, die Hölle eines Konzentrationslagers überlebet hatten.

Victor Frankl kam auf eine eigene Erklärung. Der Unterschied zwischen den Überlebenden und den Zugrundegegangenen war, dass die Überlebenden eine Hoffnung bewahrt hatten. Die Überlebenden hatten die Hoffnung bewahrt, dass sie eines Tages sinnvoll leben würden. Es handelte sich hier um die Hoffnung, dass das Leben einen Sinn hat oder einen Sinn bekommen wird, egal wie unsinnig die gegenwärtige Situation aussieht.

Das heißt also: was ist der Haupttrieb des Menschen? Was ist es, was einen Menschen lebensfähig macht? Was ist es, was ein Mensch unbedingt haben muss, damit sein Leben lebenswert ist? Es ist nicht körperliche Befriedigung oder sinnlicher Genuss, es ist nicht Macht oder Wichtigkeit, sondern es ist Lebenssinn. Das Leben muss unbedingt einen Sinn haben oder man muss hoffen können, dass es einen Sinn bekommen wird.

Von dieser Perspektive wird der heutige Text aus dem 2. Korintherbrief verständlich. In diesem Text geht es um Leiden und Trost. Die Worte Trost oder trösten kommen innerhalb von 5 Versen 10 Mal vor. Paulus stellt einen Trost in Aussicht, der von dem Leiden Christi abgeleitet ist. Paulus schreibt:

Gott tröstet uns in aller unserer Trübsal, damit wir auch trösten können, die in allerlei Trübsal sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott. Denn wie die Leiden Christi reichlich über uns kommen, so werden wir auch reichlich getröstet durch Christus.

Welche Art Trost ist hier gemeint? Der Trost besteht aus der Verheißung, dass alles, was wir Menschen erleiden, nicht sinnlos ist. In dem 4. Kapitel des 2. Korintherbriefes erläutert Paulus diese Verheißung, indem er schreibt:

Wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert. Denn unsre Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit, uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare.

Die Verheißung hier lautet, dass ein Zusammenhang besteht zwischen dem Vergehen des jetzigen Lebens, - etwas, was sichtbar ist - und der Entstehung einer neuen, unvergänglichen Lebensweise – etwas, was noch verborgen ist. Die Sorgen und Belastungen dieses Lebens sind nicht umsonst, sondern sie tragen zu einer ewigen Herrlichkeit bei, für die wir in Gott vorgesehen sind - und zwar „eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit“.

Der Trost besteht aus Verheißung, der Verheißung, dass Gott aus dem scheinbar Sinnlosen etwas Sinnvolles schaffen kann und will. Dieser Trost setzt allerdings Geduld voraus. Christlicher Trost ist keine sofortige Tröstung, sondern eine Tröstung, auf die man warten muss – und zwar manchmal bis in die Ewigkeit hinein.

Im 19. Jahrhundert gab es einen jungen Pfarrer und seine Frau, die ihre Flitterwochen in Indien verbrachten. Als das jung verheiratete Paar in Allahabad war, aß die Frau einige Trauben. Offenbar waren diese Trauben nicht in Ordnung, denn sie wurde hinterher todkrank und starb in der Nacht. Der Ehemann war außer sich vor Trauer. Die Trauerrede wurde von dem anglikanischen Bischof von Kalkutta, Edward Johnson, gehalten. In der Predigt sagte der Bischof einen Satz, der für den trauernden Ehemann unvergesslich blieb. Der Satz lautete: „Es ist die Eigenart Gottes, dass er nichts verschwendet, sogar Trauer wird von ihm nicht verschwendet.“ Dieser Satz wurde zu einem Anhaltspunkt seines weiteren Lebens.

Parament zur Passionszeit aus dem Frankfurter Diakonissenhaus

In diesem Beispiel wird gezeigt, wie christlicher Trost aussieht. Christlicher Trost besteht aus der Verheißung, dass Trauer, Schmerz und Verlust nicht umsonst sind, denn solche Bitterkeiten werden als Rohstoff dienen für das, was Gott mit uns Menschen vorhat. Dieser Trost bedeutet keine sofortige Befreiung von Elend, sondern besteht aus dem Versprechen, dass eine endgültige Befreiung von allem Leid in Ewigkeit vorgesehen ist. Dieser Trost wird manchmal verächtlich „Vertröstung auf das Jenseits“ bezeichnet. Aber diese Tröstung auf das Jenseits hat eine ganz praktische Wirkung auf das Diesseits, nämlich, sie macht uns lebensfähig. Wie Viktor Frankl im KZ feststellte: Der Mensch muss die Hoffnung haben, dass das Leben einen endgültigen Sinn hat, sonst ist er nicht lebenstauglich.

Am Anfang wurden die drei jüdischen Psychologen erwähnt, die versucht hatten herauszufinden, was der Urbeweggrund des Menschen ist. Aber vielleicht haben sie alle nicht den tiefsten Kern der Sache getroffen. Vielleicht hat Jesus, als er am Kreuz hing, den Urbeweggrund aller Menschen genannt als er die Anfangsworte aus Psalm 22 rezitierte: „Mein Gott, mein Gott, wozu hast du mich verlassen?“ Das Urproblem der Menschheit ist, dass sie von Gott entfremdet ist. Deswegen kommt es vielen Menschen so vor, als ob das ganze Universum zuletzt nur für Vernichtung vorgesehen ist: Vernichtung, die zuletzt alles sinnlos machen wird, was wir im Laufe eines Lebens sagen und tun. Es kann uns deshalb so vorkommen, als ob wir von Gott verlassen sind – besonders wenn ein katastrophaler Schicksalsschlag eintritt. Jesus hat diese Entfremdung von Gott auf sich genommen; er hat die Gottverlassenheit erlitten. Aber dieser Psalm 22 nennt nicht nur das Problem, sondern gibt gleichzeitig die Antwort. Die Antwort lautet: Gott hat alles im Griff und Gott wird alles zu einem guten Ende führen. Wie es in dem letzten Abschnitt von Psalm 22 heißt:

Die Elenden sollen essen, dass sie satt werden; und die nach dem HERRN fragen, werden ihn preisen; euer Herz soll ewiglich leben. Es werden gedenken und sich zum HERRN bekehren aller Welt Enden und vor ihm anbeten alle Geschlechter der Heiden. Denn des HERRN ist das Reich, und er herrscht unter den Heiden. Ihn allein werden anbeten alle, die in der Erde schlafen; vor ihm werden die Knie beugen alle, die zum Staube hinabfuhren und ihr Leben nicht konnten erhalten.

Es gibt Bibelausleger, die davon ausgehen, dass Jesus den ganzen Psalm 22 am Kreuz gebetet hat. Dieser Psalm war für ihn offenbar ein Trost im Sterben und ist auch unser Trost: denn hier wird die Verheißung verkündet, dass die Elenden dazu bestimmt sind, eine sättigende Lebenserfüllung zu bekommen, dass alle Menschen dazu bestimmt sind, Gott anzubeten und ihn in Ewigkeit zu preisen, dass die Verstorbenen für Auferstehung vorgesehen sind, dass Gott sich überall und endgültig durchsetzen wird. In diesem Sinne können wir nachvollziehen, was Paulus meinte als er schrieb:Denn wie die Leiden Christi reichlich über uns kommen, so werden wir auch reichlich getröstet durch Christus. Psalm 22 fasst das Leiden und den Trost Christi zusammen. Wir haben diesen Trost bekommen, nicht nur für uns selbst, sondern damit wir diesen Trost weitergeben. Wie Paulus schreibt:

...der uns tröstet in aller unserer Trübsal, damit wir auch trösten können, die in allerlei Trübsal sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott.

Das Bild von Siegmund Freud, Christian Lunzer (Hrsg.): Wien um 1900 - Jahrhundertwende, ALBUM Verlag für Photografie, Wien 1999, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Wir danken dem Frankfurter Diakonissenhaus für die Erlaubnis, Paramente aus dem Diakonissenhaus zeigen zu dürfen.

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