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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Jesaja 53 Hat Gott die Kreuzigung Jesu inszeniert?

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Weißer Parament aus dem Jahr 1897, der im Kloster St. Marienberg in Helmstedt angefertigt wurde.

Karfreitag

Hat Gott die Kreuzigung Jesu inszeniert? Jesaja 53

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2002

Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt. Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg. Aber der HERR warf unser aller Sünde auf ihn.
Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf.
Er ist aus Angst und Gericht hinweggenommen. Wer aber kann sein Geschick ermessen? Denn er ist aus dem Lande der Lebendigen weggerissen, da er für die Missetat meines Volks geplagt war. Und man gab ihm sein Grab bei Gottlosen und bei Übeltätern, als er gestorben war, wiewohl er niemand Unrecht getan hat und kein Betrug in seinem Munde gewesen ist.
So wollte ihn der HERR zerschlagen mit Krankheit. Wenn er sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat, wird er Nachkommen haben und in die Länge leben, und des HERRN Plan wird durch seine Hand gelingen. Weil seine Seele sich abgemüht hat, wird er das Licht schauen und die Fülle haben. Und durch seine Erkenntnis wird er, mein Knecht, der Gerechte, den Vielen Gerechtigkeit schaffen; denn er trägt ihre Sünden.
Darum will ich ihm die Vielen zur Beute geben, und er soll die Starken zum Raube haben, dafür dass er sein Leben in den Tod gegeben hat und den Übeltätern gleichgerechnet ist und er die Sünde der Vielen getragen hat und für die Übeltäter gebeten. Jesaja 53

Die Mehrheit unserer Bevölkerung kann mit der Kirche nichts anfangen. Es hängt damit zusammen, dass die Kirche eine Vermittlerrolle zwischen Gott und Mensch spielen will. Und in unserem Zeitalter des Individualismus ist die Meinung besonders ausgeprägt, dass jeder Mensch seine Beziehung zu Gott allein klären kann; ein Vermittler wird nicht gebraucht und ist nicht erwünscht. Die allgemeine Einstellung hier lautet: „Ich komme mit Gott allein zurecht. Wenn ich mit Gott sprechen will, dann bete ich; ich muss nicht erst in die Kirche gehen. Wie ich zu Gott stehe, kläre ich auf meine Weise, dazu brauche ich nicht sein Bodenpersonal.“ Diese Denkweise setzt voraus, dass Gott jederzeit zugänglich ist. Es wird vorausgesetzt: Ich kann zu ihm gehen, wann und wo ich will, und er wird automatisch für mich da sein.

Aber die Verfasser der Bibel haben eine andere Erfahrung gemacht: sie haben festgestellt, dass Gott nicht immer und nicht überall zugänglich ist. Sie haben festgestellt, dass sie kein automatisches Recht auf Gott hatten, sondern dass sie darauf angewiesen waren, dass Gott sich ihnen zuwendet und einen Zugang ermöglicht. Der Gott der Bibel ist nicht überall und jederzeit zu haben, sondern der Mensch ist auf Vermittlung angewiesen, und diese Vermittlung muss Gott einrichten, indem er z.B. Sprecher auswählt und Kulthandlungen verordnet.

Für unsere Zeitgenossen sind solche Vorstellungen nicht akzeptabel. Die Einstellung heute lautet: Gott hat jederzeit zugänglich und verfügbar zu sein, denn so stelle ich mir den lieben Gott vor, sonst hat er mich als Kunde verloren, denn ich habe keine Zeit und Lust, mich mit Vermittlungsinstanzen aufzuhalten.

Und so wie die Kirche als Vermittlungsinstanz ausgegrenzt wird, so wird auch Jesus keine Vermittlerrolle zugestanden. Jesus als moralisches Vorbild und Jesus als Lehrer – dass kann jeder akzeptieren. Aber dass ich auf Jesus angewiesen sein soll, damit ich Zugang zu Gott finde, das sieht nicht jeder ein. Und dass sogar der Tod Jesu am Kreuz eine Handlung sein könnte, die auch stellvertretend für mich gelten sollte, das geht scheinbar zu weit. Denn so kleinlich kann Gott nicht sein, lautet die Erwiderung. Der liebe Gott wird auch so meine Schuld vergeben. Das ist sein Geschäft, wie Heinrich Heine sagte. Was hat ein gekreuzigter Jesus damit zu tun? Ist Gott so grausam, dass er zuerst Blut sehen muss, ehe er bereit ist, sich auf Vergebung einzulassen?

Der Text aus dem Propheten Jesaja, den wir vorhin gehört haben, erweckt den Eindruck, dass Gott eine grausame Seite hat. Es heißt zum Beispiel:

Er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt. ...der HERR warf unser aller Sünde auf ihn... So wollte ihn der HERR zerschlagen mit Krankheit

Dieser Text erweckt den Eindruck, dass Gott unbedingt eine Strafe vollziehen musste, und dass diese Strafe entweder die Schuldigen treffen musste oder – wie hier – einen Stellvertreter, den die Christenheit mit Jesus identifizierte.

Aber es gibt ein Missverständnis, das in diesem Zusammenhang entstehen kann. Nämlich: es könnte der Eindruck entstehen, als ob Gott den Mord an Jesus inszeniert hätte, als ob Gott eine blutige Hinrichtung plante und ausführte. Nach dieser Vorstellung waren die Hohenpriester, Judas, Pilatus und die Römer bloß Werkzeuge Gottes, die - nach dieser Vorstellung - die Drecksarbeit für Gott leisteten, damit er sein Blutopfer haben konnte, das er angeblich brauchte, um die Menschheit von ihrer Schuld freisprechen zu können. Dieses Missverständnis wird in dem Jesajatext vielleicht sogar angesprochen, wo es heißt: „Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre.“

Es gibt Bibeltexte, die den Eindruck erwecken, als ob Gott im Voraus einen Plan hatte, wie der Leidensweg Jesu abzulaufen hatte. Und dementsprechend gibt es Menschen, die meinen, dass Gott nicht nur für Jesus, sondern für alle Menschen im Voraus einiges programmiert hat, was im Leben vorkommen wird – besonders die sogenannten Schicksalsschläge wie Krankheiten, Todesfällen und zuletzt die Stunde des Todes.

Aber diese Vorstellung von einem Gott, der aus Menschen Marionetten macht, gehört zu dem Bereich des Aberglaubens. Und diese Vorstellung von einem Gott, der den gewaltsamen Tod Jesu programmiert haben soll, ist unhaltbar. Dieser Gott, der angeblich Grausamkeiten inszeniert, ist nicht der Gott der Bibel, sondern ist das Produkt einer vordergründigen Bibelauslegung.

Auf der einen Seite berichten die Evangelien, dass Jesus vorausgesehen hat, was mit ihm passieren würde und er hat in diesen Ereignissen eine Schrifterfüllung erkannt. Aber weil etwas vorausgesehen wurde, bedeutet das nicht, dass es geplant war. Der Theologe Klaus Berger hat in diesem Zusammenhang klare Worte gesprochen. In seinem Buch: „Wozu ist Jesus am Kreuz gestorben“, schreibt er Folgendes:

„Gott brauchte die Bosheit der Römer nicht, er gebrauchte sie. Er hatte Gewalt und Blutvergießen nicht nötig, sondern er fand sie vor. Er ist nicht an den Weg der Grausamkeit gebunden, sondern er verwandelt ihn ins Gegenteil. Er diktiert nicht insgeheim den Mord, sondern er will Leben und Gewaltverzicht um jeden Preis. Er bindet Vergebung nicht an Gewalt, sondern antwortet auf Gewalt mit Vergebung. Er ist kein Trittbrettfahrer des Mordes an Jesus, sondern vergibt immer und allezeit in freier Gnade. Er ist kein geheimer Nutznießer der Gewalt, sondern das Kreuz fordert mehr als alles andere das Ende jeder Gewalt. Er kooperiert nicht mit den Mördern, sondern sie verletzen sein eigenes Herz....Das Blut Jesu Christi besänftigt nicht seinen Zorn, sondern Gott verzichtet auf Rache an den Mördern. Er vollzieht am Kreuz nicht das Gericht über Jesus, sondern macht ihn, den Märtyrer, zu unserem Anwalt an seinem Thron....Nicht durch das Töten kommt das Heil, sondern trotz des Tötens kommt es.“

Wenn das Leiden Jesu eine heilende Wirkung für uns hat, dann nur deswegen, weil Gott entschieden hat, diese Wirkung zu schaffen. Wenn das unschuldige Leiden Jesu einen stellvertretenden Charakter hat, dann nur deswegen, weil Gott entschieden hat, dieses Leiden so zu sehen. Gott ist hier der Schöpfer, der aus dem Bösen Gutes schafft. Wie es in dem 2. Korintherbrief heißt: Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber. Als Jesus starb, war Gott dabei und machte aus dieser Hinrichtung einen Versöhnungsweg.
Und deswegen kommen wir auch nicht an dem Kreuz vorbei, denn Gott hat entschieden: hier ist die Versöhnung zu suchen.

Wenn jemand also sagen würde: ich habe Schuldgefühle, also mache ich einen Waldspaziergang und kläre die Sache mit Gott allein ab – das geht nicht. Nicht wir Menschen entscheiden, wie wir zu Gott kommen, sondern Gott hat entschieden, auf welche Weise er in unser Leben hineinkommt. Und dieser Weg geht über Golgatha.

Nicht wir entscheiden, wie wir zu Gott kommen, sondern Gott hat entschieden, wie er zu uns kommt. Und dass Gott sich entschieden hat, aus dem Kreuz einen Brennpunkt seiner Gnade zu machen, war keine beliebige Entscheidung. Es gibt in dem Römerbrief, Kapitel 3, eine Stelle, die andeutet, worum es hier geht. Jesus wird in Vs. 25 mit dem Deckel der Bundeslade verglichen. Als der Tempel in Jerusalem noch stand, ging der Hohepriester einmal im Jahr am Versöhnungstag in das Allerheiligste, wo früher die Bundeslade stand. Er besprengte den Deckel der Bundeslade mit Opferblut. Auf diese Weise wurde ein Blutopfer für die Sünden des Volkes zu Gott gebracht; die Sünden wurden auf diese Weise gesühnt. Der Deckel der Bundeslade war der heiligste Ort, den es gab, denn hier hatte sich Gott niedergelassen: hier war Gott persönlich anwesend.

Diese Handlung ist vielleicht vergleichbar mit der Wirkung eines Magnetes: so wie ein Magnet alles Metall anzieht, das gegenläufig gepolt ist, so zieht der Heiligste Ort in Israel alle Sündenschuld auf sich.

Jesus war die neue Bundeslade, er war der heiligste Ort im Lande, denn in ihm war Gott persönlich anwesend. Weil Jesus als heilig galt, weil er unschuldig gelitten hatte, deswegen hat er das Gegenteilige angezogen, deswegen konnte alle Schuld auf ihn geladen werden. Er zog die Sündenschuld an, wie ein Magnet das gegenteilig Gepolte anzieht. Er zog die Feindseligkeit der Menschen an sich, wie ein Blitzableiter eine elektrische Ladung auf sich zieht.

Diese Dynamik kommt im alltäglichen Leben vor. Z.B. im Jahre 1961 lag ein Geldbeutel mit fast eine Millionen Mark auf der Straße. Durch eine Kette von unwahrscheinlichen Zufällen war dieser Beutel aus einem Geldtransportwagen herausgefallen. Ein arbeitsloser Hausmeister fand das Geld und übergab es der Polizei. Sein Bild kam in die Zeitungen und er wurde gelobt für seine Ehrlichkeit. Aber dieser ehrlicher Finder wirkte wie ein Magnet auf die Hässlichkeiten, die tief in uns Menschen verborgen sind. Er bekam anonyme Briefe, in denen es z.B. hieß: „Du blöder Depp. So viel Geld und Du gibst es einfach zurück!“ Es gab Hunderte von Vorschlägen, was er mit dem Geld hätte anfangen können: z.B. ins Ausland fliehen oder es bei Pferdewetten einsetzten. Als er Arbeit suchte, wurde ihm gesagt: „Sie hätten nicht arbeiten müssen...Sie sind ein Idiot.“ Wildfremde Menschen pöbelten den ehrlichen Finder an. Seine Kinder wurden in der Schule geprügelt. Eines Tages erschien eine Frau an der Tür und sagte: „Ich wollte nur sehen, ob Sie so blöd aussehen, wie Sie sind.“ Es ist offensichtlich, dass dieser Mann nicht nur ehrlich, sondern auch wehrlos war. Und wehrlose Menschen sind beliebte Mobbingopfer.

Und so war es bei Jesus: er war heilig, unschuldig und wehrlos und zog die Wut der Menschen an. Dass Jesus gekreuzigt wurde, hatte eine gewisse Logik, denn die Menschen in ihrer Sündhaftigkeit verkraften die Heiligkeit Gottes nicht, deswegen haben die Menschen Jesus nicht verkraftet und haben ihn aus der Welt geschafft. Sogar seine Jünger konnten seine Anwesenheit manchmal nicht ertragen, denn Petrus musste einmal zu Jesus sagen: Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch.

Auch wir müssen deshalb mit einer gewissen Spannung leben. Jesus ist zugleich anziehend und abschreckend. Aber Jesus ist der einzige Weg zu Gott, den wir Christen kennen. Vielleicht gibt es andere Wege, aber Jesus ist der einzige Weg, von dem wir mit Gewissheit sagen können: hier ist Gott zu suchen; hier kommt uns Gott entgegen, hier bietet uns Gott Versöhnung, Gemeinschaft und ewiges Leben an. Und dieser Weg ist so konkret wie das Holz des Kreuzes und wie der Stein seines offenen Grabes, so konkret wie das Brot und der Kelch, die wir einsetzen, wenn wir Abendmahl feiern.

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