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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: 2. Mose 13, 20 - 22 Die unsichtbare Gemeinschaft

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Altjahrsabend

Die unsichtbare Gemeinschaft 2. Mose 13, 20 - 22

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt am 31. Dezember 2005

'Sakramente', PSch

So zogen sie aus von Sukkot und lagerten sich in Etam am Rande der Wüste. Und der HERR zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten. Niemals wich die Wolkensäule von dem Volk bei Tage noch die Feuersäule bei Nacht. 2. Mose 13, 20 - 22

Es gibt in der US-Hauptstadt Washington eine Kirche, die dafür bekannt ist, dass Präsidenten sie besuchen. In den 30er Jahren bekam der Pfarrer dieser Kirche einen Anruf am 24. Dezember. Der Anrufer fragte: „Gibt es in Ihrer Kirche heute Abend einen Gottesdienst?“ Der Pfarrer erwiderte, dass jawohl, ein Heiligabend-Gottesdienst vorgesehen war. Und dann wollte der Anrufer wissen: „Und ist damit zu rechnen, dass der Präsident heute Abend anwesend sein wird?“ Der Pfarrer erwiderte: „Das kann ich nicht versprechen. Ich kenne die Pläne des Präsidenten nicht. Aber ich kann bestätigen, dass wir fest damit rechnen, dass Gott anwesend sein wird, und wir sind ziemlich sicher, dass seine Anwesenheit eine relativ große Gemeinde anziehen wird.“

Diese kleine Begebenheit veranschaulicht eine bekannte Verhaltensweise. Es geht um die Frage: Warum sollte man einen Gottesdienst besuchen? Gottesdienstbesuch hängt häufig von Bedingungen ab, die eigentlich zweitrangig sind. Häufig hängt Gottesdienstbesuch davon ab, ob man damit rechnen kann, dass Personen da sind, die man sehen will oder zu denen man eine Beziehung hat. Auch sind wir Menschen prominenzsüchtig. Wenn z. B. der Papst eine Kirche aufsucht, - egal wo sich diese Kirche befindet - ist ein überfülltes Haus garantiert.

Aber eigenartigerweise spielt es für manche Menschen so gut wie keine Rolle, dass Gott anwesend ist, wenn zwei oder drei im Namen Jesu Christi versammelt sind, um Gottesdienst zu feiern. Denn eigentlich geht es darum, im Gottesdienst Gott zu begegnen.

Und in diesem Zusammenhang möchte ich auf ein Geheimnis hinweisen. Die Christenheit hat eine Vorstellung von Gottesdienst, die leider ein ziemlich unbekanntes Geheimnis geworden ist. Was ich jetzt sage, wird Ihnen vielleicht hoffnungslos naiv vorkommen, aber es handelt sich hier um einen Glaubensinhalt, der tief verwurzelt ist. Dieses Glaubensgeheimnis lautet: Wenn wir Christen Gottesdienst feiern, dann besteht die Gemeinde nicht allein aus den Personen, die sichtbar sind, sondern die ganze himmlische Welt ist anwesend. Diese Vorstellung von Gottesdienst ist eine biblische Offenbarung.

In unserer Abendmahlsliturgie z. B. sprechen wir von dem „Herrn Zebaoth.“ „Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth“ singen wir in jedem Abendmahlsgottesdienst. Zebaoth ist ein hebräischer Ausdruck für himmlische Heerscharen. Die alttestamentliche Vorstellung von Gott ist, dass er nie allein, sondern von Engelscharen umringt ist. Wenn Gott anwesend ist, ist auch die himmlische Welt anwesend. Das Neue Testament greift dieses Bild auf und ergänzt sie: auch verstorbene Menschen sind Teil der himmlischen Heerscharen. In dem Hebräerbrief wird die christliche Anbetung Gottes mit den folgenden Bildern beschrieben:

„Ihr seid gekommen zu dem Berg Zion und zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, und zu den vielen tausend Engeln, und zu der Versammlung und Gemeinde der Erstgeborenen, die im Himmel aufgeschrieben sind, und zu Gott, dem Richter über alle, und zu den Geistern der vollendeten Gerechten und zu dem Mittler des neuen Bundes, Jesus.
(Heb. 12, 22 – 24)

Dementsprechend heißt es in der lutherischen Abendmahlsliturgie: „Darum preisen wir dich mit allen Engeln und Heiligen und rufen mit ihnen: Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth.“

Wenn eine Gemeinde sich im Namen Jesu Christi versammelt, um einen Gottesdienst zu feiern, ist die Gemeinde nicht nur unter sich, sondern die gesamte himmlische Welt ist anwesend. Dieses Bild von Gottesdienst ist uralt. Diese Vorstellung von einer Gemeinschaft, zu der Menschen und Engel gleichzeitig gehören, gab es schon zur Zeit Jesu in der jüdischen Gemeinde, die sich in Qumran versammelte. Und in einer ostsyrischen Liturgie aus dem 4. Jahrhundert heißt es: „Vor dem glorreichen Thron deiner Majestät, Herr, und dem hohen und erhabenen Sitz deiner Herrlichkeit...zusammen mit Tausenden von Cherubim, die dir Halleluja singen, und Zehntausenden von Seraphim und Erzengeln, die dich heilig nennen. Mit ihnen beten wir dich an, preisen wir dich und verherrlichen wir dich allezeit.“

Deswegen gibt es auch in großen Kathedralen so viele Engel und Heilige in dem Altarraum. Es gibt z.B. in der englischen Stadt Durham eine große Kathedrale. Gottesdienstbesucher dürfen in den Chorgestühlen sitzen, und einmal vor dem Beginn eines Gottesdienstes dort habe ich versucht, zu zählen, wie viele Engel ich von meinem Sitzplatz aus sehen konnte - geschnitzt, gemalt oder in den Glasfenstern. Ich kam auf eine Zahl von über 300. Und diese Engelschar im Chorraum ist etwas Typisches; man sieht sie auch in dem Altarraum des Doms hier in Frankfurt. Denn frühere Generationen haben gewusst, was christlicher Gottesdienst bedeutet: Gottesdienst bedeutet, dass die irdische und die himmlische Welt zusammenkommen; Gottesdienst bedeutet, dass wir Christen hier auf Erden Gott loben - gemeinsam mit den Engeln, Heiligen und denen, die uns durch den Tod hindurch vorausgegangen sind. In einem christlichen Gottesdienst wird die Trennwand zwischen Himmel und Erde beiseite geschoben: die Trennung zwischen denen, die zu der Unvergänglichkeit gehören und denen, die noch vergänglich sind, wird aufgehoben. Jeder Gottesdienst hat deshalb Vorschaucharakter: wir nehmen den Tag vorweg, an dem alle Menschen unmittelbar vor Gott stehen und ihn in Ewigkeit verherrlichen.

Es hat immer wieder Menschen gegeben, die in Visionen erlebt hatten, dass sie Teil einer himmlischen Welt sind. Zum Beispiel: im 17. Jahrhundert lebte ein Wissenschaftler mit dem Namen Pascal. Er war ein mathematisches Genie. Als er 12 Jahre alt war, ehe er irgendeine richtige Schulbildung hatte, entdeckte er selbstständig die 32 geometrischen Prinzipien von Euklid. Als er im Jahre 1662 starb, wurde ein Schriftstück entdeckt, das in seinem Mantel eingenäht war. Pascal hatte auf dieses Schriftstück ein Erlebnis aufgeschrieben, das er am 23. November 1654 hatte – in der Zeit zwischen 22.30 Uhr und 0.30 Uhr. Die Überschrift heißt: „Feuer“. Er hatte ein Erlebnis der Anwesenheit Gottes. Die ersten Worten seiner Beschreibung lauten:
„Feuer. Der Gott Abrahams, der Gott Isaaks, der Gott Jakobs. Nicht der Philosophen oder der Gelehrten. Gewissheit, Zuversicht, Gefühl, Freude, Frieden. Gott Jesu Christi....“ Und gegen Ende des Textes standen die Worte: „Ewige Freude..“ Pascal behielt dieses Erlebnis für sich. Es war sein Geheimnis, das er in seinem Mantel versteckt hatte.

Auffallend und charakteristisch ist, dass dieses Erlebnis nicht bloß ein zeitloses, subjektives, mystisches Erlebnis war. Er hat Gott erlebt, so wie er sich in der Bibel offenbart hat: als Feuer, aber auch in der biblischen Geschichte verwurzelt - als Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Als Pascal sein Erlebnis aufschrieb, zitierte er auch die biblische Frau Ruth, die sagte: „Dein Gott wird mein Gott sein“. Er übernahm diese Aussage, als seine eigene. Pascal erlebte: Wer zu Gott gehört, gehört zu einer Gemeinschaft, in der Personen wie Abraham, Isaak, Jakob und Ruth vorkommen – Personen, die seit Jahrhunderten tot sind, die aber aber in der Anwesenheit Gottes leben.

Aber das erste Wort, das er aufschrieb, war Feuer. Denn in der biblischen Geschichte war Feuer die erste Erscheinungsform Gottes: ein sichtbares Zeichen seiner leidenschaftlichen Liebe. In dem Text aus dem 2. Buch Mose, der für heute Abend vorgesehen ist, heißt es:

Und der HERR zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten. Niemals wich die Wolkensäule von dem Volk bei Tage noch die Feuersäule bei Nacht.

Dieser Text offenbart eine Eigenart Gottes: nämlich, er bietet immer wieder sichtbare Zeichen seiner Anwesenheit. Zuerst war es Feuer, dann waren es die Wolken- und Feuersäulen. Dann waren es die Stiftshütte und die Bundeslade, dann der Tempel in Jerusalem, dann Jesus selbst, und bis heute ist jede christliche Gemeinde, die sich im Namen Jesu Christi versammelt, um Gott anzubeten, das sichtbare Zeichen, dass Gott und seine himmlischen Heerscharen mit uns sind und mit uns bleiben.

Und diese Verheißung soll uns begleiten, wenn wir das alte Jahr verabschieden und ein neues Jahr beginnen. Denn egal wie viele Sorgen und Belastungen es im vergehenden Jahr gab oder im neuen Jahr geben wird, die Verheißung der Anwesenheit Gottes übersteigt alles – im Vergleich zu dieser Verheißung ist alles andere nebensächlich.

Die Vorstellung, dass es Engel gibt, die uns die Anwesenheit Gottes vermitteln, ist auf der einen Seite ein Trend der Zeit – wenn man bedenkt, wie viele esoterische Bücher und sentimentale Bilder es zum Thema Engel gibt – aber auf der anderen Seite scheint es völlig naiv zu sein, in der heutigen Zeit an so etwas wie himmlische Heerscharen zu glauben. Aber Christen, die um ihres Glaubens willen in Einzelhaft waren - in einer lebensbedrohlichen Lage - haben diese himmlischen Heerscharen gespürt. Der bekannteste Zeuge dafür ist Dietrich Bonhoeffer, - ein nüchterner, wissenschaftlich-orientierter Theologe, der zum Jahreswechsel 1944/45 im Gefängnis schrieb: „Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar....Von guten Mächten wunderbar geborgen erwarten wir getrost, was kommen mag, Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“

Diese Worte gelten für jeden christlichen Gottesdienst. Deswegen bleibt auch im neuen Jahr der Gottesdienst das Herzstück der Gemeinde, auch wenn nur zwei oder drei im Namen Christi versammelt sind.

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