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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Hebräer 9, 15.26b – 28 Braucht Gott ein Opfer?

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Karfreitag

Braucht Gott ein Opfer? Hebräer 9, 15.26b – 28

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2006

Und darum ist er auch der Mittler des neuen Bundes, damit durch seinen Tod, der geschehen ist zur Erlösung von den Übertretungen unter dem ersten Bund, die Berufenen das verheißene ewige Erbe empfangen ... Nun aber, am Ende der Welt, ist er ein für allemal erschienen, durch sein eigenes Opfer die Sünde aufzuheben. Und wie den Menschen bestimmt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht: so ist auch Christus einmal geopfert worden, die Sünden vieler wegzunehmen; zum zweiten Mal wird er nicht der Sünde wegen erscheinen, sondern denen, die auf ihn warten, zum Heil. Hebräer 9, 15.26b – 28

Vor einigen Wochen wurde ein Einbürgerungstest des Landes Hessen veröffentlicht. In diesem umstrittenen Test gab es Fragen zu der Geschichte Deutschlands. Frage 15 lautet: Erläutern Sie den Begriff Holocaust! Auf einer Internet-Website findet man auch die vorgesehene Antwort auf diese Frage, und sie lautet: „Der Holocaust bezeichnet einen Völkermord, in diesem Sinne den Massenmord an etwa sechs Millionen Juden in Europa zur Zeit des Nationalsozialismus.“

Diese Antwort ist allerdings unvollständig, denn die wortwörtliche Bedeutung von „Holocaust“ wird damit nicht erklärt. Holocaust bedeutet nämlich ein vollständiges Brandopfer, ein Opfer, das durch Feuer vollständig vernichtet wird.

Und in diesem Begriff „Ganzopfer“ steckt eine Glaubensaussage: nämlich, dass Gott dem Ganzen zusteht. Alles gehört Gott. Und eine Opfergabe an Gott soll dementsprechend ein totales Opfer sein, bei dem nichts zurückgehalten wird. Nur ein Holocaust, ein Ganzopfer, wird Gott gerecht, lautet hier die alttestamentliche Denkweise.

Holocaust kommt aus dem Griechischen. In der allerersten Bibelübersetzung, der Septuaginta, wurde die hebräische Bibel schon vor der Zeit Jesu von Juden in Alexandrien in Griechisch übersetzt. Und der Begriff Holokauton, von dem Holocaust abgeleitet ist, kommt mehrmals vor. Zum Beispiel: in dem 1. Buch Mose gibt es die berüchtigte Geschichte von der Versuchung Abrahams, bei der Abraham von Gott aufgefordert wird, seinen Sohn Isaak zu opfern. Da heißt es: "Gott sprach zu Abraham: 'Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du liebhast, und geh hin in das Land Morija und bringe ihn dort als Brandopfer dar (wortwörtlich als holokauton, d. h. als vollständiges Brandopfer)." Auch in diesem Zusammenhang sieht man deutlich die Bedeutung von Holocaust: Vor Gott kann man nichts zurückhalten. Wenn Gott alles fordert, muss man alles geben.

Diese Abrahamgeschichte zeigt, dass Holocaust nicht nur eine historische oder biblische Begebenheit ist, sondern sie beschreibt auch eine innere Haltung. Es steckt in uns Menschen eine Angst vor Gott, gerade weil wir instinktiv ahnen, dass er das Recht hat, von uns alles zu fordern. Es steckt tief in uns Menschen die Angst, dass Gott das Liebste fordern könnte oder dass er eine totale Selbstaufopferung erwartet, dass Gott eine Opfergabe erwartet, die absolut rückhaltlos ist, d.h. ein Ganzopfer. Diese Angst kommt besonders vor in Krisenzeiten, in Zeiten der Krankheit oder Trauer.

Und eine gute Veranschaulichung dieser Angst findet man in den Philippinen. Es gibt in den Philippinen ein makaberes Karfreitagsritual: es gibt Menschen, die sich kreuzigen lassen: Zum Beispiel in einem Jahr gab es 14 Männer und eine Frau, die sich kreuzigen ließen. Die Kreuzigung wird so durchgeführt, dass die Opfer diese Handlung normalerweise ohne schwerwiegende Gesundheitsschäden überleben. Ein Mann namens Robert Velez ließ sich 11 Mal kreuzigen. Ein anderer mit dem Namen Arnel Sanggalang hat einen Eid abgelegt, dass er sich 25 Jahre lang kreuzigen lassen will. Als Begründung sagte er, er wolle damit Gott danken, nachdem seine Mutter von einer Krankheit geheilt wurde. Eine andere Begründung für dieses Kreuzigungsritual ist, dass es darum geht, Naturkatastrophen abzuwenden. Ausdrücklich wurde auf die Gefahr von Schlammlawinen hingewiesen, die durch vulkanische Tätigkeit entstehen. Manche ließen sich kreuzigen, um Gott dazu zu bewegen, solches vulkanisches Unheil abzuwenden.

Hier sehen wir die Holocaust-Mentalität: die Vorstellung, dass Gott ein Ganzopfer erwartet oder dass Gott Freude an solchen Opfern hat; die Vorstellung, dass ein Ganzopfer notwendig ist, um Gott gnädig zu stimmen.

In diesem Zusammenhang wurde auch der Tod Jesu am Kreuz oft verstanden. Nach der Holocaust-Denkweise konnte Gott nur durch das Ganzopfer seines Sohnes gnädig gestimmt werden. Nur ein Holocaust konnte Gott dazu bewegen, die Sünden der Menschheit zu vergeben und nur sein Sohn konnte dieses Ganzopfer liefern. Dazu passt es, dass die Bereitschaft Isaaks, sich als Holocaust opfern zu lassen, als Vorlage für den Opfergang Jesu gesehen wurde. In diesem Zusammenhang hat der Hebräerbrieftext, der für heute vorgesehen ist, etwas Relevantes zu sagen. Es heißt:

Nun aber, am Ende der Welt, ist er ein für allemal erschienen, durch sein eigenes Opfer die Sünde aufzuheben. Und wie den Menschen bestimmt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht: so ist auch Christus einmal geopfert worden, die Sünden vieler wegzunehmen.

Hier wird die Einmaligkeit des Opfers Jesu Christi herausgestellt. Das, was in Jesus am Kreuz vollzogen wurde, ist unwiederholbar. Und das, was einmalig und unwiederholbar ist, ist absolut vollkommen. Das ist der springende Punkt hier. Das, was in der Kreuzigung Jesu vollzogen wurde, ist ein absolutes Ganzopfer, ein vollkommener Holocaust. Danach gibt es nichts mehr zu erwarten. Denn wie es im Text heißt: „Er ist ein für allemal erschienen“; und es heißt: „die Sünde ist aufgehoben“, d.h. die Entfremdung zwischen Gott und Mensch ist aufgehoben.

Und konkret bedeutet das, dass Gott kein weiteres Opfer erwartet. Wenn wir Menschen auf die Idee kommen sollten, dass Gott Gefallen daran hat, wenn wir uns in seinem Namen aufopfern, so ist das eine Einbildung. Wenn ein Mensch sich für Gott im Namen Jesu Christi mit Hingabe einsetzen will, so ist das eine rein freiwillige Handlung, d.h. eine reine Liebeshandlung. Aber Liebeshandlungen können nicht erzwungen werden. Niemand darf unter Druck gesetzt werden, sich selbst aufzuopfern. Denn seit Jesus Christus sind alle Opfer hinfällig.

Im 19. Jahrhundert gab es in London einen prominenten Prediger mit dem Namen Charles Spurgeon. Seine Kirche, die Tabernakel genannt wurde, war jeden Sonntag mit 6.000 Menschen gefüllt. Es wird berichtet, dass er an einem Sonntag einen amerikanischen Geistlichen dazu eingeladen hatte, in seiner Kirche zu predigen. Dieser Prediger gehörte zu einer Glaubensströmung, die sinnliche Freuden verurteilte. Er war gegen Tanzen, Trinken und Rauchen. Als Gastprediger hat er besonders Rauchen verurteilt. Zu dieser Zeit hat man noch nicht gewusst, dass Rauchen gesundheitsschädigend war. Und für diesen Pfarrer ging es nicht um Gesundheitsfragen, sondern um ein Vergnügen, das er als weltlich und als sündhaft bezeichnete. Sein Anliegen war, dass ein Christ dazu verpflichtet ist, Opfer zu leisten und auf sinnlichen Genuss zu verzichten.

Als die Predigt fertig war, stand Charles Spurgeon auf und ging zur Kanzel. Die Zuhörer waren gespannt, was er sagen würde, denn die Gemeinde wusste etwas, was der Gastprediger nicht wusste: nämlich dass Spurgeon ein regelmäßiger Pfeifenraucher war. Und Spurgeon sagte folgendes: „Ich möchte meinem Bruder für seine eifrigen Worte danken. Ich möchte ihm gleichzeitig mitteilen, dass ich trotz allem, was er gesagt hat, jeden Abend vor dem Schlafengehen eine Pfeife zur Ehre Gottes rauche und ich werde weiterhin so handeln.“ Dieser Charles Spurgeon war ohne Zweifel ein eifriger Christ, der mit voller Hingabe Gott diente. Aber er hat hier eine Grenze gezogen: niemand darf dazu gedrängt werden, ein Opfer für Gott zu bringen. Wenn man im Namen Jesu Christ auf Lebensgenuss verzichten will, weil man auf diese Weise seine Liebe zu Gott zum Ausdruck bringen will, ist nichts dagegen zu sagen. Wer aber aus Lebensgenussverzicht ein Gesetz machen will, verfälscht den christlichen Glauben. Wenn Charles Spurgeon zur Ehre Gottes raucht – wie er sagt – dann meint er damit, dass er durch eine solche Lebensfreude die Lebensfreundlichkeit Gottes bezeugen will.

Denn Gott verlangt nicht Opfer. Das Thema Opfer ist seit Jesus Christus ein für allemal erledigt.

Aber das Thema Opfer ist auch deswegen erledigt, weil Gott sowieso nie ein Holocaust gebraucht hat, sondern im Gegenteil: er liefert sich selbst als Holocaust an die Menschen aus.

In Irland wurden in einem Sumpfgebiet zwei silberne Becher entdeckt. Ein Becher stammte aus einer Zeit vor Christus, als heidnische Götter angebetet wurden. Auf diesem Becher sieht man eine gigantische Gottheit, die einige Menschen in seinen Händen hält und sie in heißes Öl fallen lässt, damit er sie kochen und verspeisen kann. Hier sieht man die Mentalität des Heidentums: Der Mensch existiert, um den Appetit der Götter zu befriedigen. Die Götter verlangen und brauchen Ganzopfer.

Der zweite Becher, der aus dem Sumpf geholt wurde, stammte aus dem 7. oder 8. Jahrhundert und ist ein Abendmahlskelch. Die Bilder, die hier vorkommen, sind der genaue Gegensatz zu denen auf dem heidnischen Becher. Hier wird ein Gott dargestellt, der sich für die Menschen aufopfert. Und das ist die Botschaft von Karfreitag: Gott, der sich in Jesus Christus offenbart hat, fordert nicht ein Ganzopfer, sondern dieser Gott liefert sich selbst an die Menschen als Ganzopfer aus. Gott, der sich in Jesus offenbart hat, will nicht die Menschen verspeisen, sondern bietet sich selbst als Speise an. Deshalb ist es passend, dass wir heute Abendmahl feiern. Gott schenkt sich uns, damit wir – wenn wir wollen – uns Gott schenken können. Nicht Opfer, sondern Geschenk ist das entscheidende Wort.

Denn wie der Hebräerbrieftext bezeugt: die Sünde ist aufgehoben, das Thema Opfer ist ein für allemal erledigt, und wenn Jesus Christus wieder erscheint, dann nicht um einen göttlichen Appetit zu sättigen, sondern den Menschen „zum Heil“, wie es geschrieben steht.

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