Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Martin Vorländer: Liebe braucht Gebote Deuteronomium 7, 6-12

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'Ichthys-Zeichen an einem Mercedes-Pkw', 2009, Oliver Wolters

6. Sonntag nach Trinitatis

Liebe braucht Gebote Deuteronomium 7, 6-12


Predigt gehalten von Pfarrer Martin Vorländer am 31. Juli 2011 in der Bergkirche und im Gemeindezentrum Süd

Liebe Gemeinde!

Mit „Jesus liebt dich“ ohne Rücksicht auf Verluste

An einer großen Straßenkreuzung, sagen wir am Wendelsplatz, wo sich Darmstädter und Mörfelder Landstraße begegnen. An einem Auto sind hinten gut sichtbar zwei Aufkleber angebracht. Ein Fisch als Zeichen, hier ist ein bekennender Christenmensch unterwegs. Um das noch zu verdeutlichen, ein zweiter Aufkleber: „Jesus liebt dich.“ Der Fahrer starrt stur geradeaus und zieht seinen Wagen, ohne auch nur einmal in den Rückspiegel zu schauen, von der rechten Spur quer über die Breite der Straße nach links. Bei seinem Manöver fährt er beinahe einen Radfahrer über den Haufen. „Hej!“, ruft der. „Aufpassen!“ Der Fahrer des „Jesus liebt dich“ - Autos dreht kurz den Kopf, zuckt mit der Schulter und fährt weiter. „Jesus liebt dich“, aber offenbar ohne Rücksicht auf Verluste.

Leben, was man glaubt

Glauben und Leben müssen übereinstimmen. Man muss leben, was man glaubt. Worauf ich meine Hoffnung setze, wovon mein Herz voll, was mir Halt im Leben gibt, das hat Auswirkung auf meine Haltung und mein Verhalten. Natürlich werde ich dadurch nicht perfekt und fehlerfrei. Christenmenschen sind nicht per se die besseren Autofahrer – schön wär’s. Ich hätte mir viele Fahrstunden erspart… Aber es geht um eine Lebenshaltung der Aufmerksamkeit für andere im Kleinen wie im Großen. Es geht um Rücksichtnahme und Einstehenkönnen, wenn man Fehler gemacht hat. Es hat keinen Sinn, sich für besonders fromm zu halten und das nach außen zu plakatieren, wenn davon nichts zu spüren ist. Der Apostel Paulus würde sagen: „Hätte ich allen Glauben, so dass ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts.“ (1. Korinther 13, 2) Gott lieben und den Nächsten lieben, das ist im Alten wie im Neuen Testament das höchste Gebot.

Gottes Liebe und Gottes Gebote

Glaube und Leben müssen zusammenpassen. Darum geht es im Predigttext für den heutigen Sonntag. Gottes Liebe, sein Handeln für uns ist nicht zu trennen von seinen Geboten, wie wir handeln sollen. Ich lese aus dem 5. Buch Mose, mit anderem Namen Deuteronomium im 7. Kapitel die Verse 6 bis 11.

'Friendship love and truth'

Denn du bist ein heiliges Volk dem HERRN, deinem Gott. Dich hat der HERR, dein Gott, erwählt zum Volk des Eigentums aus allen Völkern, die auf Erden sind. Nicht hat euch der HERR angenommen und euch erwählt, weil ihr größer wäret als alle Völker – denn du bist das kleinste unter allen Völkern –, sondern weil er euch geliebt hat und damit er seinen Eid hielte, den er euren Vätern geschworen hat. Darum hat er euch herausgeführt mit mächtiger Hand und hat dich erlöst von der Knechtschaft, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten. So sollst du nun wissen, dass der HERR, dein Gott, allein Gott ist, der treue Gott, der den Bund und die Barmherzigkeit bis ins tausendste Glied hält denen, die ihn lieben und seine Gebote halten, und vergilt ins Angesicht denen, die ihn hassen, und bringt sie um und säumt nicht, zu vergelten ins Angesicht denen, die ihn hassen. So halte nun die Gebote und Gesetze und Rechte, die ich dir heute gebiete, dass du danach tust.

Gott segne unser Hören und Reden. Amen.

Liebesbrief statt „Law and order“

Hört man die ersten Verse, so ist es stets von neuem erstaunlich, wie Gott um Menschen wirbt. Seine Gebote haben keinen diktatorischen Anordnungscharakter: Befehl ist Befehl. Los, Mensch, gehorche blind. Kein „Law and order“-Prinzip, sondern ein Liebesbrief. Gott wirbt, lockt, lässt spüren, was er alles für sein Volk tut und getan hat und tun will. Du bist mir heilig, sagt Gott zu seinem Volk. Ich habe dich erwählt. Nicht weil du größer, schöner, besser bist als andere Völker. Ich habe dich um deiner selbst willen erwählt. Gottes Liebe, Gottes Erwählung macht das Volk Israel heilig.

Göttlicher Sinn für das Große im Kleinen

Menschen bewundern und verehren gerne, was schon groß und strahlend daherkommt. „Die Liebe Gottes findet nicht vor, sondern schafft sich, was sie liebt“, hat Martin Luther geschrieben (28. These der Heidelberger Disputation 1518). Gottes Liebe erwählt sich das Kleine, Unscheinbare und macht es groß, macht es heilig. Im Alten Testament ist es Israel, das kleinste unter allen Völkern. Im Neuen Testament das Kind in der Krippe von Bethlehem, in dem Gott selbst Mensch wird. Vom göttlichen Sinn, das Große im Kleinen, das Liebenswerte im Unscheinbaren hervorzubringen, kann man sich nur inspirieren lassen. Und von seiner liebevollen Geduld, mit der er Menschen die richtige Spur für ihr Leben zeigt.

Gott befreit

Gottes Liebe erwählt. Gottes Liebe befreit. „Darum hat er euch herausgeführt mit mächtiger Hand und hat dich erlöst von der Knechtschaft, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten.“ Gottes Hand ist mächtiger als die Hand auch des größten Machthabers. Die Potentaten dieser Welt können viel Angst und Schrecken verbreiten. Doch sie haben nicht die letzte Macht, nicht das letzte Wort. Ich hoffe, dass dieses Wissen unseres Glaubens innerlich bestärkt, wenn man sich manchmal einschüchtern lässt von Menschen, die mit großem Machtanspruch auftreten und andere damit zur Seite schieben.

'Les tables de la Loi', vitrail de synagogue, Alsace, fin du 19e siècle, Musée alsacien de Strasbourg

Euch und dich

Gott hat euch herausgeführt und er hat dich erlöst. Erst euch, dann dich. In der wissenschaftlichen Untersuchung von biblischen Texten ist dieser Wechsel ein möglicher Hinweis, dass hier verschiedene Verfasser, vielleicht sogar aus verschiedenen Zeiten am Werk gewesen sein könnten. Dem nachzugehen, ist aufschlussreich, um der faszinierenden Geschichte eines Bibelwortes auf die Spur zu kommen. Man versteht dann besser, tiefer, welche Glaubenserfahrung die Menschen je für ihre Zeit weitergeben wollten.

Zusammen und individuell

Die Menschen der Bibel haben sich etwas dabei gedacht, dass sie das Bibelwort so überliefert haben, wie wir es heute lesen. Gott hat euch herausgeführt und er hat dich erlöst. Gottes befreiendes Handeln schließt zu einer Gemeinschaft zusammen, stiftet Verbundenheit. „Vergesst nicht, Freunde: Wir reisen gemeinsam“, hat Rose Ausländer gedichtet. Wir sind im Namen Gottes nicht allein unterwegs. Zugleich spricht Gott jede und jeden von uns höchstpersönlich an. Er hat dich erlöst.

Freiheit, schöner Götterfunke

Gottes Liebe erlöst und befreit. Er führt sein Volk Israel aus der Sklaverei in Ägypten in die Freiheit. Gottes Wille für unser Leben ist, dass wir frei werden von dem, was uns gefangen hält und zu Sklaven macht. Freiheit, schöner Götterfunke… Gottes Gebote sind Gebote der Freiheit. Gott fordert keinen blinden Gehorsam, er übt keinen Zwang zur Unterwerfung. Gott spricht: Halte die Gebote! Bewahre die Freiheit, die ich dir schenke.

Was ist Gottes Wille?

Was ist Gottes Wille? Was sind seine Gebote? Nur eine Seite vorher in der Bibel hat Gott seine zehn Gebote dem Volk Israel in Erinnerung gerufen:

„Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst nicht andere Götter haben neben mir.“

Was ist das? Gott allein ist Herr. Wir sollen uns nicht zu Sklaven machen von keiner Sache, keinem Ding. Keine Macht, kein Machthaber hat totalen Anspruch auf uns, auf unser Leben. Gott allein ist Herr der Welt. Das schenkt innere Freiheit.

„Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes nicht unnütz gebrauchen.“

Was ist das? Der Name Gottes kann nicht für alles herhalten, was uns gerade in den Kram passt. Vorsicht, zu leichtfertig von Gott zu sprechen. Wir haben Gott nicht in der Hand. Auch die Bibel ist nicht einfach Gottes Wort zwischen zwei Buchdeckel gepresst, so dass wir beliebig damit verfahren können. Mit einzelnen Bibelversen kann man alles Mögliche und Unmögliche begründen. Der Vers im heutigen Predigttext, in dem Gott androht, alle umzubringen, die seine Gebote nicht halten, fordert heraus. Es ist ein gewalttätiger Vers in unserer Heiligen Schrift. Wie ist er zusammenzubringen mit Gottes Geduld, mit dem Gebot „Du sollst nicht töten“, mit dem Gebot der Feindesliebe, die Gottes Vollkommenheit ausmacht? „Der Buchstabe tötet; aber der Geist macht lebendig“, schreibt Paulus. Wir müssen die Bibel geistvoll lesen. Dann wird sie zu Gottes Wort, das zu uns spricht.

'Chromstahl Letter auf einer rostigen Stahlplatte.', 2009, böhringer friedrich

„Du sollst den Feiertag heiligen.“

Was ist das? So sehr Arbeit uns erfüllt, ein Tag in der Woche ohne eben mal schnell E-Mails-Checken, ohne nur schnell die eine Rechnung fertig machen, ohne eben mal kurz die Waschmaschine anwerfen, ist unendlich heilsam. Wir müssen uns nicht für allmächtiger als den Allmächtigen halten. Am siebten Tag ruhte Gott. Also können wir auch mal Ruhe geben und einen Tag auf andere Gedanken kommen. Mach dich mal frei – mach mal Sonntag!

„Du sollst Vater und Mutter ehren.“

Was ist das? Das war schon zu Zeiten des Alten Testaments keine Begründung, dass Kinder ihren Eltern gehorchen sollen. Das Gebot stellt sicher, dass die Jüngeren für die Älteren sorgen, wenn die nicht mehr so können. Höchst aktuell in Zeiten, in denen man Leben mit Schwächen schnell als „lebensunwert“ diffamiert.

„Du sollst nicht töten.“

Was ist das? Das Gebot steht für sich. Und dennoch: Wie oft töten Menschen schon mit einem verächtlichen Blick, richten andere mit abschätzigen, vernichtenden Worten hin. Und wie entsetzlich, wenn Menschen wie der Attentäter von Oslo und Utoya dem Wahn folgen, das christliche Abendland zu verteidigen und dafür über Leichen gehen.

„Du sollst nicht ehebrechen.“

Was ist das? Den anderen lieben und ehren, sich die Treue halten in guten wie in bösen Tagen, für Fehler um Vergebung bitten und dem anderen vergeben, wie Gott uns vergibt.

„Du sollst nicht stehlen“ nehme ich zusammen mit dem neunten und zehnten Gebot „Du sollst nicht begehren“.

Was ist das? Augustin nannte das Vergleichen wollen eine Wurzel der Sünde. Der andere hat mehr als ich. Neid ist ein urmenschliches Gefühl. Neid auf das, was ein anderer hat. Neid auf das, was ein anderer kann, wie er bei anderen ankommt, was er erreicht. Neid macht bitter. Davor will Gottes Gebot bewahren. Statt auf andere zu schielen, entdecke und vergiss nicht, welche Gaben dir gegeben sind.

'mezzuzah', 2006, Derekcohen

„Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.“

Was ist das? Nicht lügen. Und noch mehr: Nicht nachtragen und nicht weitertragen, was ein anderer angeblich falsch gemacht hat. Nicht das Schlechte vom anderen annehmen, sondern, wie Martin Luther formuliert: „Gutes von ihm reden und alles zum Besten kehren.“

Im Hebräischen heißt es übrigens nicht „du sollst nicht“, sondern „du wirst nicht“. Die zehn Gebote sind Selbstverständlichkeiten, selbstverständliche Folge dessen, dass Gott unser Gott ist.

Was uns schräg gerät, rückt Gott gerade

In Häusern von Jüdinnen und Juden wird eine kleine Schriftrolle mit Bibelversen zu Gottes Geboten in eine Kapsel gesteckt und am Türpfosten der Haustür angebracht. Bei jedem Ausgang und Eingang erinnert man sich so an Gottes Gebote. Die Kapsel heißt Mesusa, das bedeutet Türpfosten. Sie wird leicht schief angebracht. Eine Erklärung dafür: Nur Gott kann alle Dinge gerade, richtig machen. Die Handlungen von Menschen bleiben immer unvollständig, leicht schräg.

Das zeugt von Gottvertrauen und Ehrfurcht: Wir sollen uns aus ganzem Herzen und mit all unseren Kräften nach Gottes Willen richten. Wir sind Menschen. Wir werden immer wieder dahinter zurückbleiben. Wir leben aber aus Gottes Liebe und Gnade. Was uns schräg gerät, rückt Gott gerade. Amen.

Die Photographie 'Ichthys-Zeichen an einem Mercedes-Pkw', 2009, Oliver Wolters, ist lizemsiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Germany license.
Die Photographie 'Chromstahl Letter auf einer rostigen Stahlplatte.', 2009, böhringer friedrich, ist lizemsiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 2.5 Generic license.
Das Glasfenster 'Les tables de la Loi', vitrail de synagogue, Alsace, fin du 19e siècle, Musée alsacien de Strasbourg, und dessen Reproduktion gehört weltweit zum "public domain". Das Bild ist Teil einer Reproduktions-Sammlung, die von The Yorck Project zusammengestellt wurde. Das copyright dieser Zusammenstellung liegt bei der Zenodot Verlagsgesellschaft mbH und ist unter GNU Free Documentation lizensiert.
Die Abbildung 'Friendship love and truth' ist gemeinfrei in den Vereinigten Staaten. Dies gilt für US-amerikanische Werke, deren Urheberrecht erloschen ist, üblicherweise, weil ihre Erstveröffentlichung vor dem 1. Januar 1923 liegt.
Das Bild 'mezzuzah', 2006, Derekcohen, wurde durch den Autor, auf Wikimedia Commons, in die Gemeinfreiheit übergeben. Dies gilt weltweit.

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