Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Martin Vorländer: Johannes 21, 1-14 Déjà-vu

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'Happy Girl Midori Running at The Beach'

Quasimodogeniti - Erster Sonntag in der Osterzeit

Déjà-vu Johannes 21, 1-14


Predigt gehalten von Pfarrer Martin Vorländer am 01. Mai 2011 in der Bergkirche und im Gemeindezentrum Süd

Liebe Gemeinde!

Déjà vu

Sie kennen Situationen und Momente, in denen es einen durchfährt: „Das habe ich doch schon einmal erlebt. Genau das habe ich geträumt.“ „Déjà-vu“ nennt man solche Anwandlungen, die einen wie aus dem Nichts überfallen. „Déjà vu“ heißt aus dem Französischen übersetzt: „schon gesehen“. Obwohl die Situation ganz neu ist, man an dem Ort vielleicht noch gar nie war und eigentlich fremden Menschen begegnet, hat man das bestimmte Gefühl: Das hier kenne ich. Es ist ein Gefühl wie Vorherbestimmung. Oft geht es mit dem Unbehagen einher, gleich passiert etwas Schlimmes, als hätte man eine böse Vorahnung.

Déjà-vu in die Kindheit

Manchmal ist das „déjà-vu“-Erlebnis nach einigem Nachdenken zu erklären. Ein Geruch, ein Geschmack, eine Stimme, eine besondere Redewendung, ein Geräusch hat einen auf einmal in die Kindheit zurückversetzt. Man fühlt sich quasi wie „quasimodogeniti“, wie damals in der Kindheit. Und es würde einen nicht wundern, wenn der kleine Junge, der man einmal gewesen ist, oder das kleine Mädchen, das frau war, plötzlich um die Ecke kommt, einen anschaut und fragt: „Mensch Alter, was ist denn aus dir geworden?“

Goethes Déjà-vu

Von einem „déjà-vu“-Erlebnis, nur umgekehrt von jung zu alt, berichtet Goethe in seinem autobiografischen Werk „Dichtung und Wahrheit“. Er hat sich gerade von seiner damaligen Geliebten Friederike verabschiedet und reitet von ihr weg. Auf dem Weg überfällt ihn „eine der sonderbarsten Ahndungen“. Ihm ist, als würde er sich selbst sehen, nur um einiges älter, ebenfalls zu Pferd denselben Weg entgegenkommen, in einer Kleidung hechtgrau mit etwas Gold, die er noch nie getragen hat. Acht Jahre später, so zumindest erzählt unser Dichterfürst, ritt er tatsächlich wieder denselben Weg entlang, tatsächlich in einer solchen Kleidung, nicht bewusst gekauft, sondern aus Zufall. (Dichtung und Wahrheit, 11. Buch)

Oster- Déjà-vu

Im Predigttext für den heutigen Sonntag haben sieben Jünger Jesu ein Déjà-vu. Sie sind wieder am See Tiberias, das ist ein anderer Name für den See Genezareth. Dort, wo die Geschichte mit Jesus angefangen hat, wo sie als Fischer gearbeitet und gelebt haben, bis Jesus kam und sagte: Folgt mir nach!

'La seconde pêche miraculeuse

Danach offenbarte sich Jesus abermals den Jüngern am See Tiberias. Er offenbarte sich aber so: Es waren beieinander Simon Petrus und Thomas, der Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger. Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich will fischen gehen. Sie sprechen zu ihm: So wollen wir mit dir gehen. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts. Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein. Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten's nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische. Da spricht der Jünger, den Jesus liebhatte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte, dass es der Herr war, gürtete er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich ins Wasser. Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, nur etwa zweihundert Ellen, und zogen das Netz mit den Fischen. Als sie nun ans Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer und Fische darauf und Brot. Spricht Jesus zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt! Simon Petrus stieg hinein und zog das Netz an Land, voll großer Fische, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht. Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl! Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten, dass es der Herr war. Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt's ihnen, desgleichen auch die Fische. Das ist nun das dritte Mal, dass Jesus den Jüngern offenbart wurde, nachdem er von den Toten auferstanden war. Johannes 21, 1-14

Die Geschichte kenne ich doch!

„Die Geschichte kenne ich doch, nur etwas anders“, kann man beim Hören denken. Der Evangelist Johannes erzählt hier von einer Begegnung des Auferstandenen mit seinen Jüngern und es klingt so, wie der Evangelist Lukas vom Anfang des Wirkens Jesu erzählt –lange vor dem Kreuzestod, lange vor der Auferstehung. Da waren die Jünger noch keine Jünger, sondern Fischer am See Genezareth. Sie hatten die ganze Nacht gefischt, aber nichts gefangen. Da begegnet ihnen am Ufer ein Fremder, der sagt: Fahrt nochmals am helllichten Tag hinaus, dorthin, wo der See am Tiefsten ist und werft eure Netze aus.

'La pêche miraculeuse'

Keine Ahnung vom Fischen?

Der Mann scheint keine Ahnung vom Fischen zu haben: Fische kommen vornehmlich in der Nacht an die Wasseroberfläche. Darum fahren Fischer ja erst hinaus, wenn die rote Sonne im Meer versinkt. Trotzdem: Simon, der damals noch nicht Petrus hieß, sagt: „Meister, auf dein Wort will ich die Netze auswerfen.“ Und sie fahren hinaus und fischen mit Tiefgang und siehe da, sie fangen so viel, dass die Netze zu reißen drohen und das Boot vor Fischen so voll ist, dass es fast sinkt.

Genau das erleben die Jünger jetzt wieder mit dem Auferstandenen. Die Fülle des Lebens, die im Wortsinn wundervolle Zeit, die sie mit Jesus erlebt haben, geht weiter. Der Kreuzestod hat nicht ausgelöscht, was Jesus an himmlischem Leben auf die Erde gebracht hat. Im Gegenteil: Seine Auferstehung bestätigt in überwältigender Weise, was er verkündet, bewirkt und gelebt hat.

Gemeinde-Typen

Schauen wir uns die sieben Jünger an, die das erleben. Sie stehen im Johannesevangelium für die nachösterliche Gemeinde, also auch für uns, liebe Gemeinde! Die sieben sind typisch, stehen für Typen und Haltungen, wie sie damals und heute vorkommen. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig ... Simon Petrus ist der Fels in der Gemeinde: Er ist immer da, wo er gebraucht wird. Auf ihn kann man sich 100-prozentig verlassen und alle Aufgaben auf ihn abladen. Jede Stärke hat ihre Schwäche. Jede Schwäche hat ihre Stärke. Ein Mensch wie ein Fels ist in Gefahr, sich zu viel zuzumuten oder von anderen zu viel zugemutet zu bekommen.

Thomas ist der Zweifler, der Ungläubige, der Skeptiker. Er will kein Leben aus zweiter Hand. Er will sein Heil nicht auf etwas setzen, das er nur vom Hörensagen kennt. Keine virtuelle Welt, sondern die Wirklichkeit zum Anfassen. Er legt den Finger in manche Wunde.

Nathanael kommt schon im ersten Kapitel des Johannesevangeliums vor. Von anderen wird ihm gesagt: Wir haben den Messias gefunden, Jesus aus Nazareth! Nathanaels Reaktion ist äußerst reserviert: „Was kann aus Nazareth Gutes kommen!“ Ein Satz auch wie ein déjà-vu bzw. entendu: „Da könnte ja jeder kommen… Das haben wir schon immer so gemacht… Wo kämen wir denn da hin, wenn…“ Doch Jesus lockt Nathanael aus seiner Reserve, indem er ihm zu erkennen gibt, dass er ihn erkennt in seinem Wesen, dass er ihn gesehen hat, noch ehe Nathanael ihn sehen konnte. Da ist Nathanael baff.

Unser Leben sei ein Fest

Er soll noch viel mehr mit Jesus erleben, ein Wunder, auf das unser Predigttext hinweist: Nathanael aus Kana. Das Wunder von Kana, der Hochzeit, bei der der Wein ausging – was für ein peinlicher Faux-pas für die Gastgeber! Jesus wandelt Wasser in Wein, damit die Hochzeitsfreude weitergeht. Im Johannesevangelium ist es das erste Wunder, das Jesus tut, und damit ein Vorzeichen dafür, was Jesus verkündet und lebt: Das Reich Gottes auf Erden wie ein Fest, wie eine Hoch-Zeit, eine hohe Zeit, bei der es an nichts fehlt, bei der alle mitfeiern können. Glanz, Schönheit und vor allem Liebe, die nicht aufhört. Liebe, die die ganze Welt, das ganze Leben erfüllt. So soll unser Leben in Gottes Namen sein.

'Wedding of Prince William of Wales and Kate Middleton'

Krönchen im Haar – Krone des Lebens

Vielleicht ist die Sehnsucht danach der Grund dafür, dass über zwei Milliarden Menschen fasziniert und gerührt die königliche Hochzeit am Freitag im Fernsehen verfolgt haben. Man sah auf Londons Straßen und Plätzen einige, die sich selbst Krönchen ins Haar gesteckt hatten. Hoffentlich tragen sie nicht nur Krönchen im Haar, sondern auch eine Ahnung davon in ihrer Seele, dass sie mindestens ebenso einzigartig und besonders bei Gott gemeint sind wie das Prinzenpaar, dem alle Welt zujubelte. Jesu Worte für unser Leben, für jeden von uns, für gekrönte und scheinbar ungekrönte Häupter: „Ich will dir die Krone des Lebens geben.“ (Offenbarung 2, 10)

Donnersöhne

Flugs weiter in der Reihe der Jünger-Typen. Es kommen die beiden Söhne des Zebedäus, Donnersöhne genannt. Die in der Gemeinde, die mit einem fröhlichen „Hallo, hier sind wir“ immer einen großen Auftritt haben. Sie haben stets himmelstürmende Pläne, so dass andere ein bisschen bang bei sich fragen, ob denn auch alles zu verwirklichen ist, was die beiden vorhaben. Die Donnersöhne wollen immer vorne dran sein und sich schon hier auf Erden die besten Plätze im Himmel sichern. Sympathisch sind sie in ihrem Vorwärtsdrang, aber mitunter merken sie nicht, wie sie durch ihre Art anderen Raum wegnehmen.

Dann der Jünger, den Jesus lieb hatte. Ein Liebling, ein „everybody’s darling“, den man einfach mögen muss, weil er im Wortsinn liebenswürdig, der Liebe würdig ist, der als einer der ganz wenigen Treue hält bis unters Kreuz. Dann noch ein siebter Jünger, der nicht namentlich genannt wird. Das eröffnet die Möglichkeit, dass wir selbst uns mit unserem Namen, unserem Typ und unseren Eigenarten in die Jüngerschar eintragen.

Planlos am See abhängen

Das sind sie, die glorreichen Sieben. Und sie sind wieder da, wo sie waren: Sie waren Fischer, wurden Jünger und sind wieder Fischer. Zurück auf Los, ziemlich ernüchternd. Obwohl Ostern schon hinter ihnen liegt, ist nichts zu spüren von österlicher Freude und Gewissheit. Die Jünger scheinen plan- und ziellos am See herumzuhängen. „Ich will fischen gehen“, sagt Simon Petrus. Okay, wir kommen mit, sagen die anderen. Man geht halt fischen, man könnte es auch sein lassen. So wie wir in der Gemeinde manches tun, probeweise die Netze auswerfen, ohne zu wissen, ob das ertragreich sein wird.

Vergeblich Netze auswerfen

Die sieben Jünger fischen die ganze Nacht. Sie fahren vollen Einsatz und fangen nichts. Frustrierende vergebliche Mühe: Man rackert und rackert und der Arbeitsstapel wird trotzdem nicht kleiner. Man plagt sich den ganzen Tag für die Familie ab, bringt die einen hierhin und holt die anderen dort ab, zwischendrin das bisschen Haushalt und am Abend fragt man sich: Was ist dieser Tag eigentlich gewesen? Zu sehen ist nichts davon. Man lernt für die Schule, paukt und paukt und schafft doch keine bessere Note. Man sucht nach Sinn im Leben, nach Glaubenserfahrungen, wirft seine Netze im Dunkeln aus und hofft, ein Wort Gottes für das eigene Leben zu erhaschen. Aber am Ende der Nacht doch nur leere Netze, spirituell hungriger Magen.

'Mount Shasta and Area', May 2010, PSch

Mensch am Ufer

Und dann, ohne dass man ihn gerufen hat, ein Mensch am Ufer, in der Morgensonne, der freundlich, fürsorglich fragt: „Kinder, habt ihr nichts zu essen?“ Morgensonne und Ufer stehen im Evangelium für die österliche Welt, für die unbesiegbare Lebenskraft, die alle vergeblichen Mühen überwindet. Lebensleere verwandelt sich in Lebensfülle, ohne dass wir etwas dafür tun müssen. „Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes!“ Die Rechte des Bootes, das ist die Lichtseite, die Glücksseite des Lebens, die der Auferstandene uns zeigt. Und jetzt erkennen die Jünger: „Es ist der Herr!“ Da gibt es kein Halten mehr: Raus aus dem Boot, hinein ins Wasser und hin zum Ufer, über dem die Sonne aufgeht. Hier wartet schon ein Kohlenfeuer mit frisch gebratenen Fischen und Brot und einer, der sagt: „Kommt und haltet das Mahl!“

Leben ohne Ende auf der Seite des Auferstandenen

Es gibt sie, die geistlosen Zeiten im Leben, nur Fischen an der Oberfläche ohne Tiefgang, ohne Fang. Kein Einfall, Esprit, Elan, keine Energie. Wenn die Nacht zu lang war, das Leben plan- und ziellos scheint, wenn alle Mühe vergeblich ist und die Netze leer bleiben, dann schenke uns Gott ein österliches Déjà-vu: Morgensonne über dem Ufer der österlichen Welt. Alles bereit zur ersten Stärkung für das Leben ohne Ende, das man auf der Seite des Auferstandenen erleben kann. Das verleihe Gott uns allen. Amen.

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