Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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DREIKÖNIGSGEMEINDE

Frankfurt am Main - Sachsenhausen

Gedenkgottesdienst - Getauft, ausgestoßen, vergessen?

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'Stolpersteine für Otto und Johanna Hirsch, Ffm-Bergen-Enkheim', 2007, dontworry

Gedenkgottesdienst -
Getauft, ausgestoßen, vergessen?

Der Anlass:
Natascha Schröder-Cordes

Am 8. Mai letzten Jahres bin ich zu einer der ersten Stolpersteinverlegungen in Sachsenhausen gegangen. Verlegt wurde ein Stein für Martha Habermehl, die Gemeindemitglied der damaligen Lukasgemeinde war. Sie wurde 1943 während der Vorbereitungen für die Konfirmation ihres Sohnes von der Gestapo verhaftet und kurz danach im Konzentrationslager Auschwitz ums Leben gebracht.

Mich hat diese Stolpersteinverlegung sehr berührt und zum Nachdenken gebracht. Martha Habermehl war eine Frau in meinem Alter. Sie hatte Kinder im Alter meiner Kinder und war aktiv in der Gemeinde tätig.

'Verlegung Stolperstein Johannes Boltz, Frankfurt am Main 05.11.2007, Reinhard Dietrich

Ich hatte mich vorher schon sehr viel mit der Zeit des Nationalsozialismus beschäftigt, aber bisher nie mit der Frage, wie die evangelische Kirche auf die Verfolgung und Ermordung der Christen jüdischer Herkunft reagiert hat.

Mir wurde klar: Auch in der Dreikönigsgemeinde musste es betroffene Gemeindemitglieder geben. Meine Idee und mein Wunsch, das herauszufinden, stieß sofort auf große Resonanz. Deshalb gründeten wir letztes Jahr in der Gemeinde eine Gruppe, die die Namen dieser Menschen herausfinden wollte.

Mit Hilfe von Hartmut Schmidt, der das Schicksal von Christen jüdischer Herkunft während der NS-Zeit erforscht und die Stolpersteininitiative in Frankfurt leitet, fingen wir an, in unseren Kirchenbüchern nach damaligen Gemeindemitgliedern jüdischer Herkunft zu suchen.

Zur Dreikönigsgemeinde gehörten in der Zeit der NS-Diktatur Christen jüdischer Herkunft. Auch sie fielen dem mörderischen Wahn der Nazis zum Opfer.

Was hat unsere Kirche damals für Verfolgte getan?

Eine Gruppe in unserer Gemeinde gestaltete diesen Gottesdienst zu Erinnerung und Gedenken. Die Vorbereitung geschah in Verbindung mit dem Forschungsprojekt der evangelischen Kirchen in Hessen zur Erforschung des Schiksals von Christen jüdischer Herkunft während der NS-Zeit sowie mit dem Projekt „Stolpersteine“. An vielen Orten in Deutschland und auch in Sachsenhausen werden Messingplatten ins Straßenpflaster eingelassen. Diese so genannten „Stolpersteine“ erinnern an Menschen, die zwischen 1933 und 1945 verfolgt, verhaftet, verschleppt und ermordet wurden. Die „Stolpersteine“ werden zum Gedächtnis an die damals Verfolgten an ihrem letzten selbstgewählten Wohnort verlegt.

Im Anschluss an den Gedenkgottesdienst bestand die Möglichkeit zu Austausch und Gespräch.

Stolpersteine in Sachsenhausen verlegt
am 8. Mai 2010

Bild und Bericht





Die Dreikönigsgemeinde und ihr Pfarrer Martin Schmidt gehörten damals zur bekennenden Kirche und viele Christen, die vom Naziregime unterdrückt wurden, kamen hierher.

Wir fanden in den Kirchenbüchern Namen von Menschen, die nach 1933 gedemütigt, verfolgt und ermordet wurden. Das Leiden der damals Betroffenen und ihrer Familien können wir nur ansatzweise ermessen.

Mit der Erforschung ihrer Geschichte und der Nennung ihrer Namen in diesem Gottdienst, wollen wir deutlich machen, dass diese Menschen und ihr Schicksal nicht vergessen sind. Und wir möchten ihnen in Gedanken einen Platz in unserer Gemeinde geben.

Ich schließe mit den Worten des jüdischen Schriftsteller Paul Celan:

„Wir brauchen Zeiten und Orte des Erinnerns. Denn die Erinnerung zeit – und ortlos zu machen, hieße, die Ermordeten noch einmal auszulöschen „

Namen derer, die in Verbindung zur Dreikönigsgemeinde standen und die von dem Naziregime ermordet oder in den Tod getrieben wurden.

Indem wir ihre Namen auf unsere Gemeindewebsite setzen, wollen wir dokumentieren, dass diese Personen dauerhaft zu unserer Gemeinde gehören und nie vergessen werden dürfen.
Für jede Person auf dieser Liste wurde in diesem Gedenkgottesdienst in der Dreikönigskirche eine Kerze angezündet.

'Foto: Rolf Oeser

Foto: Rolf Oeser

Flora Cahn. + Auschwitz am 16. Mai 1944 im Alter von 71 Jahren.

Hermann Cahn. + Theresienstadt am 3. September 1942 im Alter von 70 Jahren.

Gertrud Gotthelf. + Lodz. Todesdatum unbekannt. Geboren am 17. Juni 1886.

Siegmund Gotthelf. + Lodz am 17. Juni 1942 im Alter von 62 Jahren.

Isidor von Halle. + Auschwitz am 2. Januar 1944 im Alter von 40 Jahren.

Robert Hess. + Majdanek. Todesdatum unbekannt. Geboren am 30. August 1884

Selma Hess. + Majdanek. Todesdatum unbekannt. Geboren am 24. Oktober 1898.

Foto: Rolf Oeser

Foto: Rolf Oeser

Albert Katzenellenbogen. + Maly Trostenez. Todesdatum unbekannt. Geboren am 11. November 1870

Clara Lehr. + Auschwitz am 27. Mai 1944 im Alter von 51 Jahren.

Alfred Lipstein. + Theresienstadt. Todesdatum unbekannt. Geboren am 3. Juni 1876

Hilde Lipstein. + Theresienstadt. Todesdatum unbekannt. Geboren am 4. November 1886

Georg Oppenheimer. + Auschwitz. Todesdatum unbekannt. Geboren am 26. September 1890

Elisabeth Paul. + Auschwitz 1943 im Alter von 43 oder 44 Jahren.

Helene Paul. + Auschwitz am 10. Dezember 1943 im Alter von 23 Jahren.

Foto: Rolf Oeser

Am Taufbecken werden Kerzen für die ermordeten Menschen angezündet. Foto: Rolf Oeser

Hermann Paul. + Auschwitz am 5. Februar 1943 im Alter von 18 Jahren.

Regine Schermann. + Lodz am 20. Oktober 1941 im Alter von 25 Jahren.

Hermann Schmidt-Fellner. + Mauthausen am 22. Januar 1940 im Alter von 47 Jahren.

Leo Sternberg. + Auschwitz am 28. Oktober 1944 im Alter von 64 Jahren.

Erich Treumann. + Auschwitz am 1. Mai 1943 im Alter von 43 Jahren.

Hedwig Weis. + 5. Februar 1945 im Alter von 41 Jahren.


Predigt gehalten von Herrn Harmut Schmidt und Pfarrer Martin Vorländer am 30. Januar 2011 in der Dreikönigskirche zum Gedenkgottesdienst zum Umgang der Kirche mit Christen jüdischer Herkunft in der NS-Zeit und danach.

Erste Ansprache:
Hartmut Schmidt, Historiker und Journalist, Projektgruppe „Stolpersteine Frankfurt“

Hartmut Schmidt mit einem Stolperstein, Foto: Rolf Oeser

Foto: Rolf Oeser

Liebe Gemeinde,

Hier habe ich einen Stolperstein in der Hand. Diese Steine heißen Stolpersteine, nicht weil man darüber ins Stolpern kommt, sie liegen ja flach in den Bürgersteigen, sondern weil sie dafür sorgen, dass man mit dem Kopf ins Stolpern gerät. Der Kölner Künstler Gunter Demnig hat diese Steine zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus erfunden und inzwischen über 25.000 dieser Steine in Städten und Gemeinden in Deutschland und einigen anderen Ländern verlegt. Auf den Steinen steht „Hier wohnte“, der Name des Opfers, sein Schicksal. Wer die Inschrift eines Steines lesen will, muss sich bücken, er muss sich also vor dem Namen und Schicksal des Opfers verbeugen.

In Frankfurt liegen inzwischen 530 Stolpersteine: Die weitaus meisten dieser Steine erinnern an jüdische Opfer, sie liegen vor deren letzen freiwilligen Wohnadresse. Einige Stolpersteine in Frankfurt sind für so genannte Euthanasieopfer, für Kommunisten, Sozialdemokraten und Christen, die Widerstand geleistet haben, verlegt oder für einen einfachen Medizinstudenten, der denunziert wurde, weil der Zweifel an Hitlers Endsieg geäußert hatte, und deshalb in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurde.

Hier in Sachsenhausen liegen bisher nur wenige Stolpersteine, in der Textorstraße, in der Morgensternstraße und in der Laubestraße. Gunter Demnig hat diese und weitere 90 Stolpersteine im Mai des vergangenen Jahres verlegt. Es waren bewegende Tage, vor allem dadurch, weil bei den Verlegungen viele – etwa 100 – Nachfahren der Opfer mit ihren Familien anwesend waren. Rund 40 kamen aus Israel angereist, andere aus Frankreich, den USA und England oder auch von ganz nah. In der Morgensternstraße waren es drei Brüder aus London, die Enkel der Opfer, in der Laubestraße die beiden Söhne von Martha Habermehl aus Offenbach. Ich kann nur einladen, bei einer dieser bewegenden Verlegungen teilzunehmen. Die nächste findet am 3. und 4. Juni statt.

'Yellow badge Star of David called 'Judenstern', 2005, Daniel Ullrich, Threedots

Christen jüdischer Herkunft

Mit Martha Habermehl aus der Laubestraße bin ich beim zweiten Thema: Sie war, wie wir heute sagen, eine Christin jüdischer Herkunft. Die meisten dieser Christen jüdischer Herkunft in Deutschland waren weit vor 1933 getauft worden. Als Hitler an die Macht kam, mussten sie mit Schrecken und Entsetzen plötzlich erfahren, dass sie so genannte „Nichtarier“ waren und der von den Nationalsozialisten konstruierten jüdischen Rasse angehörten. Für die Nazis machte es keinen Unterschied, ob jemand Jude, Katholik, religionslos oder evangelisch war, wenn nur die Großeltern jüdisch waren.

Und die Kirchen, besonders die evangelische, halfen mit bei der Ausgrenzung dieser Menschen. Zuerst stellten sie das Wissen der Kirchenbücher zur Verfügung. Millionenfach wurden „Ariernachweise“ ausgestellt bzw. festgestellt, wer „Nichtarier“ ist. Dann wurde der Arierparagraph auch in der Kirche eingeführt. Mit diesem Arierparagraph waren im April 1933 Beamte nicht „arischer“ Abstammung aus dem öffentlichen Dienst, aus freien Berufen, Universitäten und Schulen ausgeschlossen worden. Das sollten auch „nichtarische“ Pfarrer entfernt werden. Die Vorgängerin unserer Landeskirche, die „Evangelische Landeskirche von Nassau-Hessen“, tat sich dabei besonders hervor. Auch ein Pfarrer dieser Gemeinde, Anton Urspruch, wäre betroffen gewesen, weil seine Frau jüdischer Herkunft war: doch er gab 1933 sein Amt frühzeitig aus Krankheitsgründen auf, weil er nicht mehr in der Lage war - wie der damalige Frankfurter Propst feststellte - „die Anstürme, die wegen der Rasse seiner Frau in der letzten Zeit über ihn gekommen sind und die vielleicht noch kommen werden, positiv zu verarbeiten.“

'Entrance Auschwitz II snowed', 2007, Logaritmo

Die Evangelische Landeskirche von Nassau-Hessen schloss schließlich Anfang 1942 – im Gleichschritt mit sechs weiteren deutschen Landeskirchen -„rassejüdischen Christen“, also die „Christen jüdischer Herkunft“, aus der Kirche aus. Ich zitiere die unsägliche Begründung für diesen Ausschluss:

Die nationalsozialistische deutsche Führung hat mit zahlreichen Dokumenten unwiderleglich bewiesen, dass dieser Krieg in seinen weltweiten Ausmaßen von den Juden angezettelt worden ist. Sie hat deshalb im Innern wie nach außen die zur Sicherung des deutschen Lebens notwendigen Entscheidungen und Maßnahmen gegen das Judentum getroffen. Als Glieder der deutschen Volksgemeinschaft stehen die unterzeichneten deutschen evangelischen Landeskirchen in der Front dieses historischen Abwehrkampfes, der u.a. die Reichspolizei-Verordnung über die Kennzeichnung der Juden als der geborenen Welt- und Reichsfeinde notwendig gemacht hat, wie schon Dr. Martin Luther nach bitteren Erfahrungen die Forderung erhob, schärfste Maßnahmen gegen die Juden zu ergreifen und sie aus deutschen Landen auszuweisen.

Von der Kreuzigung Christi bis zum heutigen Tage haben die Juden das Christentum bekämpft oder zur Erreichung ihrer eigennützigen Ziele missbraucht und verfälscht. Durch die christliche Taufe wird an der rassischen Eigenart eines Juden, seiner Volkszugehörigkeit und seinem biologischen Sein nichts geändert. Eine deutsche evangelische Kirche hat das religiöse Leben deutscher Volksgenossen zu fördern. Rassejüdische Christen haben in ihr keinen Raum und kein Recht. Die unterzeichneten deutschen evangelischen Kirchen und Kirchenleiter haben deshalb jegliche Gemeinschaft mit Judenchristen aufgehoben. Sie sind entschlossen, keinerlei Einflüsse jüdischen Geistes auf das deutsche religiöse und kirchliche Leben zu dulden.

Das Nichtwissen und die Nichtbeachtung um dieses beschämende und schrecklichste Dokument unserer Landeskirche scheint mir Ausdruck einer Jahrzehnte währenden Verdrängungsarbeit. Der Text fand weder in der Kirchengeschichtsschreibung der Gesamtkirche noch in den unzähligen Gemeindechroniken Erwähnung. Wenigstens hat die Bekennende Kirche von Nassau-Hessen damals widersprochen: Sie sah darin einen „Verrat an der Taufe“ und sprach einer Kirche, die dies vollzieht, ihre Existenzberechtigung ab.

Im Rahmen des Forschungsprojektes zum Schicksal der Christen jüdischer Herkunft während der NS-Zeit und nach 1945 in Hessen konnten hunderte Schicksale von Gemeindegliedern recherchiert werden. Allein in Frankfurt sind jetzt die Namen von rund 1500 evangelischen Christen jüdischer Herkunft recherchiert. Etwa einhundert von ihnen wurden Opfer des Holocaust. Die meisten gehörten den Kirchengemeinden im Nordend, Westend, Ostend, Innenstadt und Sachsenhausen an. An sie zu erinnern, sie wieder in die Mitte der Gemeinden zurückzuholen, darin treffen sich auch die beiden Projekte, für die ich hier spreche. Bei jeder Stolpersteinverlegung gibt es eine kleine Zeremonie, oft spricht zum Schluss ein Rabbiner ein Gebet, in dem es heißt:

„Von nun an sollen sie wieder in unserer Mitte sein – wo sie eben waren, bevor sie von hier aus ihren Leidensweg gehen mussten. Wir trauern um sie – und um den Verlust, welchen wir uns selbst erst mit ihrem Ausschluss und dann mit dem Vergessen darüber zugefügt haben.“

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

Predigt:
Pfarrer Martin Vorländer

'Frankfurt Brückenturm um 1600', 1887, Frankfurt Archiv, Blatt F02012E

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde!

„Judensau“ am Alten Brückenturm

Am Alten Brückenturm auf der Frankfurter Seite gab es ein Wandgemälde aus dem Mittelalter. Es war bis zum Abriss des Brückenturms 1801 eine der touristischen Attraktionen der Stadt. Der Name des Gemäldes ist ebenso schrecklich wie sein Inhalt: die Frankfurter „Judensau“. Es zeigte einen Rabbiner, der verkehrt herum auf einer Sau reitet, einen jungen Juden unter dem Bauch an den Zitzen, einen weiteren - man glaubt es nicht - am Hinterteil saugend; hinter der Sau steht der Teufel selbst und eine auf einem Ziegenbock, einem Teufelssymbol, reitende Jüdin. Zudem war darüber der verstümmelte Leichnam des Simon von Trient zu sehen, der angeblich einem Ritualmord von Juden zum Opfer gefallen war.

Jahrhunderte alte Schuld

Solche widerlichen Darstellungen gab und gibt es unter anderem an Kirchen in Erfurt, Magdeburg, Wittenberg und Köln, am Regensburger und am Bamberger Dom. Die jahrhundertealte Botschaft dieser Bilder ist klar: Wer Schwein und Juden bildlich zusammenbringt, will eine verwandtschaftliche Beziehung unterstellen. Das Motiv ist ein mittelalterlicher Vorläufer des Antisemitismus.

„Falsche Pharisäer“

Das ist nur ein Beispiel dafür, wie die Kirche immer wieder auf Menschen jüdischen Glaubens herabgeschaut hat. Die Kirche hat in ihrer Geschichte sogar selbst Pogrome gegen Juden angezettelt. Anhaltspunkte für ein hässlich verzerrtes Bild von Juden gibt es leider bereits im Neuen Testament. Im Johannesevangelium werden Juden „Kinder des Teufels“ (Joh 8,44) genannt. Sie sind Symbolfiguren für die finstere Welt, die Jesus und sein Wort nicht aufnimmt. Auch die Pharisäer kommen im Neuen Testament nicht gut weg. Dabei waren sie zurzeit Jesu in Israel beliebt und angesehen. Pharisäer galten als tiefgläubige Menschen, die ehrfürchtig darauf achteten, die Gebote Gottes einzuhalten. Es sind die Pharisäer, die nach der Zerstörung von Jerusalem durch die Römer im Jahr 70 n. Chr. jüdischen Glauben und Lebensweise bewahrt und an die folgenden Generationen weitergegeben haben. In den Evangelien erscheinen die Pharisäer an vielen Stellen als notorische Bösewichter, die nur Übles im Schilde führen. Sie planen Jesu Tod und suchen deshalb nach einer Gelegenheit, ihn der Gotteslästerung zu überführen.
Das verzerrte Bild der Pharisäer hat sich bis heute in unsere Sprache festgesetzt. „Falscher Pharisäer“ wird einer genannt, der sich scheinheilig verhält. Ein Getränk, das „Pharisäer“ heißt, verbirgt im schwarzen Kaffee mit ordentlich Schlagsahne eine gehörige Portion Rum. Das schmeckt zwar köstlich, sagt aber auch etwas aus über das, was man mit einem Pharisäer verbindet: Einer, der innen brandgefährlich ist und nach außen hin harmlos tut.

Tödliche Zuspitzung

Eine tödliche Zuspitzung der Diffamierung von Juden durch Christen ist der Name „Gottesmörder“. Bis ins 20. Jahrhundert hinein spukte durch die Kirchengeschichte der Vorwurf, Juden hätten Christus ans Kreuz geschlagen. Das klingt an in der Erklärung von 1942 der Evangelischen Landeskirche von Nassau-Hessen, die Hartmut Schmidt zitiert hat. Zitat: „Von der Kreuzigung Christi bis zum heutigen Tage haben die Juden das Christentum bekämpft oder zur Erreichung ihrer eigennützigen Ziele missbraucht und verfälscht.“ Zitat Ende. Mit solchen Worten hat unsere Kirche schwerste Schuld auf sich geladen. Sie hat Judenhass mit geschürt und befeuert. Sie hat sogar die Menschen jüdischer Herkunft aus ihrer Mitte verstoßen, die durch die Taufe zu ihr gehörten. Damit hat sie die Taufe selbst verraten. Damit hat sie Jesus Christus verraten, an dessen Kreuz geschrieben stand: „INRI – Jesus von Nazareth, König der Juden.“

Taufe - Ostfenster von Charles Crodel, Dreikönigskirche

Beschämend

Es ist beschämend, wie viele Protestanten und ganze Landeskirchen Hitler begrüßt und zugejubelt haben. Bis auf einzelne beeindruckende Ausnahmen hat sich unsere Kirche damals vor allem um sich selbst gesorgt, statt sich denen zur Seite zu stellen, die ihren Beistand überlebensnotwendig gebraucht hätten. Die Nazis brachten Juden, Sinti und Roma, Menschen mit Behinderung, Kommunisten, Sozialdemokraten, Homosexuelle um. Sie ermordeten, wer sich ihrem Fanatismus nicht unterordnete. Den Gedanken der Freiheit, Toleranz und Humanität trugen nur Einzelne weiter. Ich weiß nicht, ob ich den Mut dieser Einzelnen gehabt hätte. Ich kann ihr Glaubens- und Lebenszeugnis nur bewundern. Um den Mut und die Aufrichtigkeit unseres Glaubens kann ich nur beten.

Hier ist nicht Jude noch Grieche

Was hätte unsere Kirche dem Nationalsozialismus, seinen Mitläufern, seinem Denken, seinem gewalttätigen Menschenbild entgegensetzen müssen? Was muss sie heute denen entgegensetzen, die den Fremdenhass propagieren? Der Apostel Paulus schreibt – wir haben es in der Lesung gehört:

„Ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt eins in Christus Jesus. Gehört ihr aber Christus an, so seid ihr ja Abrahams Kinder und nach der Verheißung Erben.“ Galater 3, 26-29

Sie hören, wie die Taufe hineinstellt in den Glauben von Abraham und Sara. Paulus beschreibt, wie der christliche Glaube Gott und Mensch, Mensch und Mensch verbindet - über alle Unterschiede, Einteilungen und Aussortierungen nach Rasse, sozialer Stellung, Geschlecht hinweg. Nach Paulus ist das die Wirkung der Taufe.

Namen statt Nummern

Die Taufe ist Ausdruck für den alttestamentlichen Ruf Gottes: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“ (Jesaja 43, 1) Der Ruf Gottes gilt an erster Stelle dem Volk Israel. Durch die Taufe gilt er auch uns und nimmt uns hinein in die Zugehörigkeit zu Gott.
„Ich habe dich bei deinem Namen gerufen.“ Eine Konfirmandin sagte bei der Beschäftigung mit der Biografie von Albert Katzenellenbogen: „Er hatte zum Schluss gar keinen Namen mehr. Er war nur noch die Transportnummer Bc-942.“ Das war das Programm der Nazis: Menschen entmenschlichen, ihnen den Namen nehmen und sie nur noch zu einer Nummer machen, eintätowiert in die Haut der KZ-Häftlinge. Unsere Taufe erinnert, mahnt, ruft uns ins Bewusstsein: Kein Mensch ist eine Nummer. Jeder Mensch hat bei Gott einen Namen, eine unverwechselbare Geschichte und Identität, eine Gott geschenkte Würde, die unantastbar ist.

Verbundenheit statt Gleichmacherei

'Marlies Flesch-Thebesius', Foto: Rolf Oeser

'Marlies Flesch-Thebesius', Foto: Rolf Oeser

„Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau.“ Das ist keine Gleichmacherei, keine Gleichschaltung. Das ist Verbundenheit. Verbundenheit zwischen Gott und Mensch, zwischen Mensch und Mensch. Paulus schreibt: Wir gehören zusammen wie ein Leib, wie ein Körper. „Wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit.“ (1. Korinther 12, 26) Das brauchen wir unter uns getauften Christenmenschen, das brauchen wir über den Kreis der Kirche hinaus: Mitgefühl, Anteilnahme, die Fähigkeit, das Leid anderer so nachzuempfinden, dass es uns selbst „Leid tut“.

Bekenntnis zum gekreuzigten und auferstandenen Gott

Taufe bedeutet Bekenntnis. Bekenntnis zu Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen. Der am Kreuz hängt, ist Gottes wahrer Mensch. Nicht der strahlende, kraftstrotzende Held, „zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl“, wie Hitler ihn mit aller Gewalt in aller Welt durchsetzen und die ausmerzen wollte, die nicht in seine wahnsinnigen Kategorien der so genannten „Herrenmenschen“ passten. Der am Kreuz hängt, ist Gottes wahrer Mensch. Christus offenbart wahre Humanität, weil er sich aller Macht und Gewalt entäußert, weil er das Scheitern und Leiden auf sich nimmt bis zum Tod am Kreuz. „Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist“. (Philipper 2, 9) Diesen Vers aus dem Philipperhymnus hat Martin Schmidt, einer der sehr aufrechten Pfarrer der Dreikönigsgemeinde während der Nazi-Zeit, in das Zentrum des damaligen Konfirmandenunterrichts gestellt. Frau Flesch-Thebesius, selbst 1935 Konfirmandin in Dreikönig, hat davon erzählt.

'Martin Schmidt'

Kirche ist nie Herrschaft von Menschen

Martin Schmidt stand für das Bekenntnis: Kirche ist nie Herrschaft von Menschen, auch nie Diktatur eines Menschen. Während der Kirchenkampf zwischen „Deutschen Christen“ und der Bekennenden Kirche andere Gemeinden in Frankfurt heftig entzweit hat, erklärte sich der Kirchenvorstand der Dreikönigsgemeinde am 1. November 1934 einmütig für die Bekennende Kirche. Der Beschluss beginnt mit den Worten. „Im Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes!“ Ausrufezeichen. Das zeigt, wie sehr sich die Kirchenvorsteher des Ernstes bewusst waren.

'Protokollauszug_1_Nov_1934'

Die Dreikönigskirche war nach Erzählungen von Zeitzeugen für viele, die damals bedrückt oder verfolgt waren, eine Anlaufstelle. Unsere Kirchenfenster, die Charles Cordel nach dem 2. Weltkrieg geschaffen hat, erinnern an die Bekenntnistreue der Dreikönigsgemeinde. Sie zeigen die fünf Hauptstücke des Lutherischen Katechismus: Die zehn Gebote, die Taufe, das Glaubensbekenntnis, das Abendmahl, das Vaterunser. Taufe ist Bekenntnis zum wahren Gott und wahren Mensch. Und Gottes wahre Menschlichkeit zeigt sich im Mit-Leiden und im leidenschaftlichen Eintreten für den menschenfreundlichen Gott und für alle seine Geschöpfe. Dazu helfe uns Gott. Amen.

Die Photographie 'Stolpersteine für Otto und Johanna Hirsch, Ffm-Bergen-Enkheim', 2007, dontworry, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.
Die Photographie 'Verlegung Stolperstein Johannes Boltz, Frankfurt am Main 05.11.2007, Reinhard Dietrich, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license. Die Photographie 'Entrance Auschwitz II snowed', 2007, Logaritmo, wurde von Ihrem Urheber dem public domain zur Verfügung gestellt.
Die Abbildung 'Frankfurt Brückenturm um 1600', 1887, Frankfurt Archiv, Blatt F02012E (Ausschnitt aus einem Aquarell von Peter Becker, 1887 für Conrad Binding geschaffen. Privatbesitz, Frankfurt am Main), ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Das Bild 'Yellow badge Star of David called 'Judenstern', 2005, Daniel Ullrich, Threedots, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.

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