Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
Zurück zum Archiv Home der Dreikönigsgemeinde

Evangelisch-Lutherische

DREIKÖNIGSGEMEINDE

Frankfurt am Main - Sachsenhausen

Predigten von Pfarrer Martin Vorländer: 1. Sonntag nach dem Christfest, Predigt über die Jahreslosung Römer 12, 21: Böses mit Gutem überwinden

« Predigten Home

'The Good Samaritan', François-Léon Sicard (French, 1862–1934), 2007, Marie-Lan Nguyen

1. Sonntag nach dem Christfest

Böses mit Gutem überwinden Römer 12, 21


Predigt gehalten von Pfarrer Martin Vorländer am 02. Januar 2011 in der Dreikönigskirche

Liebe Gemeinde im neuen Jahr!

Die Jahreslosung

Die Losung für 2011 steht im Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Rom:

„Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“

Römer 12, 21

Der Graf von Monte Christo

Alle Jahre wieder um Weihnachten und Neujahr gehört meist ein Film ins genüssliche Fernseh-Festtage-Programm: Der Graf von Monte Christo. In dem Klassiker der Weltliteratur geht es um den jungen Seemann Dantès, der in der nachnapoleonischen Ära als Aufrührer denunziert wird und schuldlos in den Kerker wandert. Nach 14 Jahren Haft entkommt er unter abenteuerlichen Umständen. Weitere neun Jahre später, inzwischen unermesslich reich, beginnt er einen Rachefeldzug gegen die damaligen Verräter. Der Graf von Monte Christo versteht sich als personifizierte Vergeltung Gottes – und hält erst inne, als er berufliche Existenzen vernichtet, Menschen in den Wahnsinn, zum Selbstmord und zu heimtückischen Giftanschlägen getrieben hat.

Gerechtigkeit feiert Triumphe

Was fasziniert an dieser Geschichte? Es ist gut zu sehen, dass einer, dem bitter Unrecht getan wird, der beinahe stirbt, dass der ins Leben zurückkehrt – reicher, angesehener als je zuvor. Märchenhaft schön, dass die Gerechtigkeit solche Triumphe feiert. Zugleich freut es einen, dass die ganze gemeine Bagage, die vermeintlichen, doch falschen Freunde und Emporkömmlinge ihre Strafe bekommen. Der erste Teil der Jahreslosung 2011 könnte hier schon mal passen: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden“. Edmond Dantès ist auf Dauer nicht klein zu kriegen. Aber was ist mit dem zweiten Teil der Jahreslosung: „Sondern überwinde das Böse mit Gutem“ (Römer 12,21)? Das kommt in Dumas Roman so gut wie gar nicht vor.

Zwei Augen für eins, das ganze Gebiss für einen Zahn

Es liegt uns näher, rachedurstig oder rachelustig zu sein, als Böses mit Gutem zu überwinden. „Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen, Tod und Verzweiflung flammet um mich her!" heißt es in Mozarts Zauberflöte. Rache ist teuflisches Gefühl, ist brennendes Verlangen, sich aufzubäumen und instinktiv Auge um Auge, Zahn um Zahn, ja mehr noch: zwei Augen für eins, das ganze Gebiss für einen Zahn alle Kränkung postwendend zurückzugeben. Die intellektuellere Variante ist die Behauptung, Rache sei ein Gericht, das man am besten kalt serviert. Man wartet halt ab, bis die Gelegenheit zum Gegenschlag gekommen ist, und führt ihn zielsicher aus.

'Two models representing young hired killers', 2008,  Albeiror24

Selbst entblößt und entblödet

Ob mit kühlem Kopf von langer Hand vorbereitet oder als prompter, heißblütiger Return – es bleibt sich gleich: Rache ist immer nur kurzlebige Lust, dafür aber heillose Zerstörung mit Langzeitwirkung. Mann oder Frau hat dem jeweils anderen gezeigt, was eine Harke ist. Aber wutentbrannt zerbrochene CDs kann man sich wieder kaufen. Die neue Telefonnummer ist geheim, der von der ehemaligen Liebsten zerkratzte Wagen frisch lackiert. Was bleibt, ist ein verächtliches Gegenüber und eine schwer beschädigte eigene Würde. Es tut einem einfach selbst nicht gut, wenn man sich so entblößt und nicht entblödet, sich wie eine männliche oder weibliche Furie aufzuführen.

Mein ist die Rache, spricht der Herr

In der Bibel ist gelegentlich von Rache die Rede. Allerdings entspringt sie – „die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr" - keiner verletzten Eitelkeit und blinden Wut, es einem heimzuzahlen. Mit biblischer Rache ist gerichtliches Strafen gemeint, eine Gerechtigkeit, die unsere menschliche übersteigt, eine Gerechtigkeit, die die beschädigte Ordnung, das gestörte Weltgefüge wiederherstellen soll. Es ist die Einsicht, dass nicht gleichgültig ist, was Menschen sich gegenseitig antun. Gewaltsam vergossenes Blut schreit zum Himmel. Deshalb ist es Gott allein, dem das Recht zugestanden wird, zwischenmenschliche Beziehungen, soziale Übereinkünfte und die Nähe zu ihm selbst aktiv wieder herzustellen: „Rächt euch nicht selbst, meine Lieben...", sagt der Apostel Paulus deshalb vor unserem Bibelvers. Rache macht einen Menschen schnell zum bewunderten Helden und lange zum Dummen. Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.

Böse von Jugend auf?

Was ist das Böse? Und woher kommt es? „Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf“, heißt es in der Bibel in der Geschichte von der Sintflut (1. Mose 8, 21). „Das ist ja schrecklich! Wie kann man so schlecht vom Menschen denken?!“, sagte einmal eine Frau zu mir. „Kinder sind doch unschuldig! Kinder können doch nichts Böses tun!“ Nun ja… Nehmen wir mal nur diese kleine Szene: Zwei Kinder spielen im Weihnachtszimmer. Das kleine Brüderchen robbt sich verdächtig nahe an das Barbie-Pferd der großen Schwester heran und in einem günstigen Moment hat es den Plastik-Vierbeiner geschwind an sich gerissen. Großes Geschrei seitens der Schwester und zack, bekommt der kleine Bruder eine übergebraten. Nun schreien zwei, Bruder und Schwester. Sicher: Die beiden sind nicht böse. Aber sie zeigen von klein auf die Möglichkeit, nach dem zu greifen, was nicht für sie bestimmt ist, und zurückzuschlagen, wenn ihnen etwas angetan wurde. Ich denke, die meisten Eltern kennen die erschreckende Erkenntnis, dass ihre kleinen Engel eben auch nicht so engelhafte Züge zeigen können.

Woher kommt das Böse?

Also nochmals: Woher kommt das Böse? Am Anfang der Bibel steht als Antwort auf diese Frage die Geschichte vom Sündenfall: Adam und Eva leben im Garten Eden in unverstellter Verbundenheit mit Gott und der Schöpfung. Zwischen Gott und Mensch passt kein Feigenblatt. Doch das erste Menschenpaar lässt sich von den Versprechungen der Schlange verführen, von den einzig verbotenen Früchten zu essen. „Wenn ihr vom Baum in der Mitte des Gartens esst, werdet ihr sein wie Gott“, lockt die Schlange. Das ist der Kern der Sünde: sein wollen wie Gott. Sich an die Stelle des Schöpfers setzen. Selbstherrlich selbst der Herr der Welt sein wollen und folglich andere knechten.

'Sündenfall',  1375-1383, Meister Bertram von Minden

Übergriffigkeit

Was Adam und Eva tun, ist weit mehr als der bloße Griff nach der verbotenen Frucht. Es ist Übergriffigkeit. Sie vergreifen sich an etwas, das nicht für sie bestimmt war. Sie wollen es sich zueigen machen, einverleiben. Sie überschreiten ihre Grenzen und wollen haben, wollen besitzen. Die Bibel beschreibt ein Grundmoment in uns Menschen, mal harmlos-alltäglich, zu anderen Zeiten fatal-folgenschwer: sich vergreifen, herrschen und den eigenen Willen durchsetzen wollen. Der Mensch, das Wesen, das Grenzen missachtet, kann nicht im Garten Eden bleiben. Adam und Eva werden aus dem Paradies vertrieben.

Augustin und die Erbsünde

Der Kirchenvater Augustin hat die biblische Geschichte von Baum und Schlange, Adam und Eva als Erbsünde interpretiert. Ihn hat weniger die Frage interessiert, woher das Böse kommt, sondern vielmehr: Wie kommt es, dass Menschen Böses tun? Seine Antwort: Von Geburt an, weitergegeben von Zeugung zu Zeugung seit Adam und Eva, steckt im Menschen der Hang, sich von Gott abzuwenden, Gottes Gebot zu ignorieren. Sich von Gott abwenden heißt aber, sich von dem abwenden, der das Leben ist, und sich dem zuwenden, das Nichts ist. Denn das Böse ist das, was Leben vernichtet, ins Nichts stürzt.

Abgrundtief böse

Böses tun, heißt bei Augustin, sich selbst und anderen Lebensmöglichkeiten zu rauben. Das nennt er Sünde – Trennung von Gott. Das deutsche Wort Sünde, Sund bedeutet Abgrund. Der Abgrund, in den Menschen sich stürzen, wenn sie sich von Gott als dem Geber alles Lebens abwenden. Von allein kommt man da nicht raus. Gott ist es, der bis in den Abgrund hinabsteigt, um seine Menschen wieder ans Licht nach oben zu bringen. Dieser Abstieg in den Abgrund der Sünde, das ist der Weg, den Jesus gegangen ist.

Der Welt zum Trotz: das Reich Gottes kommt!

Die Welt, in die Gott als Mensch kommt, ist nicht heil. Von Geburt an ist Jesus Christus, der Gottessohn der Gewalt eines Herodes ausgesetzt. Das setzt sich fort bis zum Tod am Kreuz. Doch Jesus verkündigt, allem Bösen in der Welt zum Trotz, das Reich Gottes. Diese Welt ist noch nicht das Reich Gottes. Wir sind noch jenseits von Eden. Trotzdem sagt Jesus an: Das Reich Gottes ist mitten unter euch. Es kommt! Auch wenn noch viel Leid und Böses diese Welt dunkel machen, Gott hat seinen hellen Schein in sie hineingelegt. Gott ist in tiefster Nacht erschienen, um die Abgründe in uns auszuleuchten, um die längsten Nächte unseres Lebens und das größte Dunkel in der Welt hell zu machen.

Kein ahnungsfreies Gutmenschentum

„Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ Es ist kein ahnungsfreies, harmoniesüchtiges Gutmenschentum, das Paulus predigt. Der Apostel weiß sehr genau, wie die Welt aussieht, zu welchen Grausamkeiten Menschen fähig sind. Er hat an eigenem Leib Verfolgung, Nachstellung, Diffamierung, falsche Beschuldigungen und Gewalt erlebt. Auch die Gemeinde in Rom, an die Paulus schreibt, weiß sehr genau, welche Gesichter das Böse haben kann. Die Christen in Rom werden verfolgt. Sie müssen Verhaftung und Folter befürchten. Ihnen droht, im Kolosseum niedergemetzelt zu werden zur Ergötzung der Massen, denen wohlig-blutrünstig schaudert, wenn vor ihren Augen ein Mensch von wilden Tieren zerfetzt wird. In dieser Situation muss die junge römische Gemeinde fürchten, dass ein Christ den anderen verrät, aus Angst oder Berechnung den christlichen Bruder oder die christliche Schwester auffliegen lässt und ausliefert.

Infektiös

„Segnet, die euch verfolgen; segnet und flucht nicht“, schreibt Paulus (Römer 12, 14). Das ist viel verlangt. Sehr viel. Warum beschreibt der Apostel kein Racheszenario, in dem alle, die den Christen Böses tun, von Gott grausam vernichtet werden, so dass es eine wahre Freude ist, wie das Gute mächtig über das Böse triumphiert? Die Antwort klingt einfach und ist doch immer neu erstaunlich: Böses mit Bösem vergelten führt nicht zum Guten, sondern nur zu immer neuem Bösen. Das Böse ist infektiös. Es nimmt von einem Besitz, macht sich in einem breit. Wer dem Bösen in sich Raum gibt, macht stark, was an Gelüsten nach Rache, nach Zurückschlagen und Heimzahlen, nach Beherrschen und Triumphieren auf Kosten des anderen in einem selbst steckt. Böses mit Bösem vergelten – das lässt einen nicht besser dastehen als den anderen.

Überraschung

Das Gute, das ist die Überraschung, den tödlichen Kreislauf von Böses für Böses zu durchbrechen. Oft werden wir Christenmenschen ja veralbert wegen des Jesuswortes, dass man auch die linke Backe hinhalten soll, wenn einem einer auf die rechte schlägt. Betrachten wir das als Motivation zur Überraschung: Wer rechnet schon damit, dass das Gegenüber nicht zurückschlägt? Solche Verblüffung kann man sich zunutze machen – der andere ist aus dem Gleichgewicht gebracht, seine Rechnung geht nicht auf. Man kann das natürlich auch charmant in einer Partnerschaft praktizieren: Nicht immer wie gewohnt reagieren, los schreien bei einem Streit oder verstummen, je nach Temperament.

Freundlichkeit statt drüberziehen

Sondern es vielleicht mit etwas anderem probieren: Einer plötzlichen Umarmung, einem sachlichen Argument, einer ruhigen Pause zum Nachdenken, einem Lächeln … all das kann so unerwartet sein, dass sich die Auseinandersetzung besser angehen lässt als mit sattsam vertrauten Verhaltensmustern. Versuchen Sie einmal, richtig giftigen Menschen mit großer Freundlichkeit zu begegnen. Geduld und Freundlichkeit bewirken meist mehr, als wenn man dem anderen mit Worten eine drüberzieht, selbst wenn er es verdient hätte.

Übrigens: Überraschung geht auch andersherum – indem ich etwa jemanden unmissverständlich und unausweichlich konfrontiere mit dem, was er an Ungutem tut oder von sich gibt. Aus falsch verstandenem Harmoniestreben oder auch aus Bequemlichkeit bleibt man sich nämlich gerne mal die christliche Ehre einer Auseinandersetzung schuldig. Benennen, was vergiftend wirkt – nicht um den anderen niederzumachen, sondern um gemeinsam weiterzukommen, auch das kann Wunder wirken.

'Portrait Rudolf Bartschs im Wald einer Frau die Wange streichelnd, im Hintergrund ein Auto', 1953.10, Roger Rössing

Phantasie und Training

Ich gebe freimütig zu: Das ist eine ungeheuer schwere Übung. Ich bin jeden Tag neu hart am Trainieren und Strapazieren meiner christlichen Phantasie: Was könnte das Überraschungsmoment sein, mit dem man nicht der immer gleichen, heillosen Reaktion Raum gibt, sondern den Dreh findet, Böses mit Gutem zu überwinden? Aber Christsein ist anspruchsvoll und fordert heraus, über uns selbst hinauszuwachsen. Auf dem sitzen zu bleiben, wie man eben ist, ist einfach. Menschlich zu wachsen, das ist der Anreiz und Ansporn, den Gott uns gibt.

Gnade statt Aufrechnen

„Lass dich nicht vom Bösen überwinden.“ Du hast mir das und das und das angetan. Ewiges Aufrechnen, das Böse immer und immer wiederholen, Nicht-Vergeben-Können führt in tote Beziehungen. Viele Freundschaften und Ehen zerbrechen nicht an dem einen großen Zerwürfnis, sondern an den vielen kleinen Nadelstichen, die toxisch wirken und das Miteinander vergiften. Das kann man besichtigen in abgestorbenen Beziehungen, in denen Menschen in verbittertem Schweigen erstarrt sind oder sich harte Worte wie Geschosse ins Gesicht schleudern. Das kann man mit Schrecken studieren anhand der Dauerkonflikte unserer Gegenwart. Böses mit Bösem vergelten, nicht vergeben können führt in den Tod. Vergeben können bedeutet Leben. Überwinde das Böse mit Gutem. Dabei helfe uns Gott, der uns nicht unser Versagen vorhält, sondern uns Gnade schenkt, damit das Gute in uns groß wird. Amen.

Das Gemälde 'Los Desatres de la Guerra', Francisco Goya, 1810s, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Die Photographie 'Two models representing young hired killers', 2008, Albeiror24, wurde dem public domain von seinem Urheber zur Verfügung gestellt.
Das Gemälde am Grabower Altar, Petri-Altar (rechter Innenflügel, Außenseite) Szene:'Sündenfall', 1375-1383, Meister Bertram von Minden, und dessen Reproduktion gehört weltweit zum "public domain". Das Bild ist Teil einer Reproduktions-Sammlung, die von The Yorck Project zusammengestellt wurde. Das copyright dieser Zusammenstellung liegt bei der Zenodot Verlagsgesellschaft mbH und ist unter GNU Free Documentation lizensiert.
Die Photographie 'Portrait Rudolf Bartschs im Wald einer Frau die Wange streichelnd, im Hintergrund ein Auto', 1953.10, Roger Rössing, wurde im Rahmen einer Kooperation zwischen der Deutschen Fotothek und Wikimedia Deutschland für Wikimedia Commons zur Verfügung gestellt.

^ Zum Seitenanfang