Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Frankfurt am Main - Sachsenhausen

Predigten von Prädikantin Karin Kehr: Röm 10, 9-18 Hören und Reden

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'Mosaic of St. Paul in Veria, Greece', 2006, AJ Alfieri-Crispin

17. Sonntag nach Trinitatis

Hören und Reden Röm 10, 9-18 Hören und Reden

Predigt gehalten von Prädikantin Karin Kehr am 26. September 2010

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.

Amen.

Liebe Gemeinde,

Zwei Mönche unterhielten sich darüber, ob man gleichzeitig arbeiten und beten dürfe. Da sie sich nicht einigen konnten, beschlossen sie Gott im Gebet danach zu fragen und sich am nächsten Tag wieder zu treffen. Der Eine fragte den Anderen: „Und, hast du eine Antwort erhalten?“ „Ja, habe ich“ antwortete der Zweite. „Und was Gott zu dir gesagt?“ fragte der Erste. „Die Antwort lautet: Nein“ meinte der Zweite. „Komisch“ wundert sich der Erste „zu mir hat er Ja gesagt. Was hast du ihn denn gefragt?“ „Nun“ meinte der Zweite „ich habe ihn gefragt, ob ich beim Beten auch Arbeiten dürfe“. „Aha, und ich habe ihn gefragt, ob ich beim Arbeiten auch Beten dürfe.“

An diese Anekdote musste ich denken, als ich den heutigen Predigttext las. Er steht im Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Rom. Im 10. Kapitel heißt es:

9 Denn wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet. 10 Denn wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht; und wenn man mit dem Munde bekennt, so wird man gerettet. 11 Denn die Schrift spricht (Jesaja 28,16): »Wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden.« 12 Es ist hier kein Unterschied zwischen Juden und Griechen; es ist über alle derselbe Herr, reich für alle, die ihn anrufen. 13 Denn »wer den Namen des Herrn anrufen wird, soll gerettet werden« (Joel 3,5).14 Wie sollen sie aber den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie aber hören ohne Prediger? 15 Wie sollen sie aber predigen, wenn sie nicht gesandt werden? Wie denn geschrieben steht (Jesaja 52,7): »Wie lieblich sind die Füße der Freudenboten, die das Gute verkündigen!« 16 Aber nicht alle sind dem Evangelium gehorsam. Denn Jesaja spricht (Jesaja 53,1): »Herr, wer glaubt unserm Predigen?« 17 So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi.18 Ich frage aber: Haben sie es nicht gehört? Doch, es ist ja »in alle Lande ausgegangen ihr Schall und ihr Wort bis an die Enden der Welt« (Psalm 19,5)

Eine ziemlich lange Argumentationskette, die Paulus da aufbaut. Beim ersten Lesen habe ich mich gefragt, was will Paulus der Gemeinde eigentlich sagen? Als er diesen Brief schrieb, war es in Rom noch eine ganz junge Gemeinde. Bunt zusammengewürfelt waren die Menschen in der Gemeinde, Juden und Nicht-Juden aus allen Gegenden des Orients stammend.

In den Kapiteln vor unserem Predigttext legt der Apostel sein Evangelium dar. Es offenbart was der Sünder braucht und nur allein durch den Glauben bekommen kann: die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt und von ihm gefordert wird. Diese Gerechtigkeit können wir Menschen nicht von uns aus erreichen. All unsere Werke stehen doch nur unter dem Todesfluch der Sünde. Wir brauchen Vergebung, die Beseitigung unserer Ungerechtigkeit, ein Wegwerfen der Sünde. Und nur durch den Glauben an Jesus Christus werden wir gerettet.

'He Who is of God Hears the Word of God', between 1886(1886) and 1894, James Joseph Jacques Tissot

'He Who is of God Hears the Word of God', between 1886(1886) and 1894, James Joseph Jacques Tissot

In unserem Predigttext zeigt Paulus der Gemeinde auf, woher dieser Glaube kommt. So kommt der Glaube aus der Predigt. Dabei ist das Wort im Urtext, das Luther hier mit Predigt übersetzte mit dem Wort Akustik verwandt. Man könnte also auch sagen der Glaube kommt aus dem Hören. Und zwar aus dem Hören auf das Wort Christi.

Es fällt uns heutzutage eher schwer uns auf das Hören zu konzentrieren. In unserer Zeit dominieren eher die Bilder. Fernsehen und Computer sind weit verbreitet, auch durch die Werbung werden wir mit Bildern überschüttet. Viele Menschen glauben, das Sehen sei der wichtigste unserer Sinne. „Ich glaube nur, was ich sehe.“ „Wie soll ich denn an etwas glauben, wenn es nichts Sichtbares oder Begreifbares, das ich in die Hand nehmen kann, gibt?“ Diese Sätze sprechen sicher einigen Menschen aus dem Herzen.

Wie ist das jetzt mit dem christlichen Glauben, da kann ich nichts sehen und auch nichts anfassen. Wie komme ich zum Glauben, der mich aus meinen Sünden rettet? Für den Apostel Paulus ist offenbar das Hören das Wichtigste im christlichen Glauben. Wenn man also nicht genügend glauben kann, dann liegt das am ungenügenden Hören.

'The Blind Girl', 1856, John Everett Millais

Damit möchte ich das Sehen nicht abwerten, ich habe jedoch eine für mich interessante Erfahrung machen dürfen. Vor einigen Jahren hatten wir auf einer Sommerfreizeit ein fast taubes Mädchen dabei und auf einem Wochenende ein blindes Mädchen. Ich habe die Beobachtung gemacht, das das blinde Mädchen sich viel mehr integrieren konnte, als das Mädchen, das sehr wenig hörte.

Vielleicht kennen sie auch den Satz von Antoine de Saint-Exupéry „Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ Ob ich in meinem Leben zufrieden oder glücklich bin, hängt nicht von materiellen Dingen ab, die ich sehen kann. Auch Gefühle und Emotionen, die meinem Leben Sinn geben und grundlegend sind, wie Freundschaft, Liebe oder Hoffnung, sind unsichtbar.

Ebenso ist auch Gott für die Augen unsichtbar. Es gibt Menschen, die sagen: „Ich muß nicht am Sonntag in die Kirche zum Gottesdienst gehen, in der Natur kann ich Gott auch sehen.“ Das sind Zeichen Gottes, Bilder seiner Schöpfung, Hinweise auf ihn, aber das alles ist nicht Gott selbst. Nicht umsonst haben wir das Gebot „Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen.“ Denn wir können nie in einem Bild Gott ganz einfangen. Das Anschauen von Bildern führt kaum zu einem echten Glauben. Die entscheidende Begegnung mit Gott findet über das Hören statt. Wie entscheidend das Hören von Gottes Wort ist, zeigt sich ganz deutlich in der Bibel. Über 1000 mal wird in der Bibel vom Hören auf Gottes Wort gesprochen. Gleich der Anfang der Bibel beginnt mit Hören: Gott sprach: „Es werde Licht und es ward Licht.“ Das Wort Gottes ist der Ursprung unserer gesamten Schöpfung. In der Geschichte Gottes mit dem Volk Israel im Alten Testament sind zentrale Stellen, dass Menschen auf das Wort Gottes hören und danach handeln. Abraham bricht in das Land Kanaan auf, weil er der Verheißung Gottes glaubt, die zu ihm gesagt wird. Moses hört beim brennenden Dornbusch den göttlichen Auftrag das Volk aus der Sklaverei heraus zu führen. Ein sehr wichtiges Glaubensbekenntnis des Volkes Israel ist das „Sch’ma Israel“ „Höre Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr allein.“

Auch im Neuen Testament setzt sich die zentrale Bedeutung des Hörens von Gottes Wort fort. Das Johannesevangelium beginnt mit: Am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort. Und einige Verse später: Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns. In Jesus Christus wird Gottes Wort Mensch und kommt so zu uns Menschen auf die Erde. Jesus Christus ist der gute Hirte und die Glaubenden hören auf seine Stimme. Jesus selbst sagt: Wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute. Gottes Wort ist für uns Menschen also lebenswichtig. Das Haus, das auf Sand gebaut ist, wird von der Flut weggespült, das Haus auf dem Felsen hält jedem Sturm des Lebens stand. Wir brauchen Gottes Wort als Orientierung und Lebenshilfe. Wie das tägliche Brot zum Essen, brauchen wir Gottes Wort als Nahrung für die Seele und geistliche Stärkung.

Neben dem Hören auf Gottes Wort kommt für Jesus Christus auch dem Beten eine zentrale Rolle zu. Viele verstehen Beten nur als die Möglichkeit zu Gott zu sprechen, ihm alles zu sagen. Das ist richtig, aber es ist nur die eine Hälfte. Beten ist ein Gespräch mit Gott. Und neben dem Reden ist auch das Zuhören wichtig. Der Theologe Sören Kierkegaard sagte einmal: „Als mein Gebet immer andächtiger und innerlicher wurde, da hatte ich immer weniger und weniger zu sagen. Zuletzt wurde ich ganz still. Ich wurde, was womöglich noch ein größerer Gegensatz zum Reden ist, ich wurde ein Hörer. Ich meinte zuerst Beten sei Reden. Ich lernte aber, dass Beten nicht bloss Schweigen ist, sondern Hören. Und so ist es: Beten heißt nicht, sich selbst reden hören. Beten heißt, stille werden und stille sein und warten, bis der Betende Gott hört.“

'Altar of S. Astvatsatsin Church at Goshavank Monastery', 2006, Raffi Kojian

Still sein und Warten, das ist für viele Menschen sehr schwer. Die schwierigste Übung in der ZEN Meditation für Anfänger ist das Nichts denken. Nur vollkommen ruhig sitzen und an überhaupt nichts denken. Sobald man es versucht, stürmen tausende Gedanken auf einen ein und überall zwickt und juckt es. Davon abzuschalten, sich nicht zu bewegen und alle Geräusche aus der Umwelt auszublenden muß lange eingeübt werden.

Ich versuche mir jedes Jahr eine Woche lang eine Auszeit, eine spirituelle Retraite, zu gönnen. Zur Musikmeditation fahre ich in ein Kloster. Das konzentrierte Hören auf die Musik hilft mir, zur Ruhe zu kommen, vom Alltag abzuschalten und mich Gott zu öffnen. Freiwillig stehe ich im Urlaub sehr früh auf, um an den Stundengebeten der Mönche teilnehmen zu können. Im Hören auf Gottes Wort habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht, dass ein Bibeltext genau auf meine Situation gepasst hat. Er hat mir sozusagen auf die Schulter getippt und gesagt, Hallo, du bist gemeint. Ich habe so Antworten erhalten, die ich im Gebet vor Gott gebracht habe. Nach dem Urlaub versuche ich das auch in den Alltag hinüber zu retten. Neben den sonntäglichen Gottesdiensten sind für mich dabei die Stundengebete wie unser liturgisches Abendgebet und die Komplet oder die Laudes, die in einer Gemeinde in Frankfurt angeboten werden, hilfreich. Manchen Menschen hilft vielleicht eine Kerze, die sie sich anzünden, oder eine CD, die sie einlegen, um zur Ruhe zu kommen und das Gespräch mit Gott zu führen.

Wenn Paulus also sagt: Der Glaube kommt aus der Predigt – aus dem Hören - das Predigen aber durch das Wort Christi. So meint Glaube im christlichen Sinn, sich auf eine Beziehung mit Gott einlassen, mit Jesus Christus und seinen Worten leben. Und Hören heisst, das Evangelium von der befreienden Liebe Gottes anzunehmen. Jesus Christus selbst ist es, der uns von unserer Sünde befreit und die Gerechtigkeit schenkt, die Gott einfordert.

Erinnern sie sich noch an die Geschichte von den zwei Mönchen vom Anfang der Predigt? Beim Beten soll ich alles Andere sein lassen und mich ganz darauf konzentrieren, hatte der eine Mönch von Gott gehört. Der andere Mönch hatte ein Ja gehört auf seine Frage, ob er beim Arbeiten Beten dürfe. Ich will versuchen auch diesen Teil der Anekdote aus unserem Predigttext herzuleiten.

Denn wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet. Heißt es in Vers 9 am Anfang des Textes. Der Glaube an Jesu Tod und Auferstehung allein reicht nach Meinung von Paulus nicht aus, um gerettet zu werden. Es muß auch das Bekenntnis dazu kommen. Christlicher Glaube ist also nicht nur eine Beziehung zwischen einem Menschen und Gott, die im Verborgenen stattfindet. Sondern Glaube ist immer auch das Weitertragen und Weitererzählen des gehörten Wort Gottes in alle Lande bis an die Enden der Welt.

Zwei stilistische Besonderheiten im Vergleich mit seinen übrigen Briefen fallen bei diesem Brief des Apostels auf. Paulus zitiert in diesen Sätzen immer wieder aus dem Alten Testament. Damit macht er deutlich, dass der Glaube nicht erst seit Jesus Christus, sondern bereits zur Zeit des Alten Bundes, entscheidend gewesen ist. Rettend für Israel war schon immer der Glaube an Gott, nicht die eigenen guten Werke.

Das Zweite ist, dass Paulus hier nicht wie sonst die Gemeinde als Gesamtheit anspricht, sondern in der Du-Form jeden einzelnen Menschen. Und das gilt auch noch heute für jeden von uns. Das Predigen, das Weitererzählen von Gottes Wort, bleibt nicht nur den Pfarrerinnen und Pfarrern oder den Prädikantinnen und Prädikanten überlassen. Von jedem Menschen fordert Paulus das ein. Sie und ich, alle sind wir gesandt zu predigen. Aus dem Predigen können andere Menschen hören und aus diesem Hören kann ihr Glaube erwachsen. Dann können sie den Namen des Herrn anrufen und gerettet werden.

Dies ist in der Umkehrung von Paulus’ Fragen aus dem Predigttext die Argumentationskette wie das Evangelium zu den Menschen gelangt.

Im Hören auf Gottes Wort kann der eigene Glaube wachsen, dann können wir im Herzen glauben, dass Gott Jesus Christus von den Toten auferweckt hat. Wenn dann das Bekennen, das Jesus der Herr ist, dazukommt, werden wir gerettet werden. Zur Rettung braucht es beide Seiten, die Innere und die Äußere, Herz und Mund, Sonntag und Alltag. Das Reden mit Gott und das Hören auf Gott in der Stille. Und das Reden mit meinem Mitmenschen und das Hören auf meinen Mitmenschen, das Zuhören, in der Welt.

Im Sinne von Paulus sage ich: Werde auch du zu einem Freudenboten, der das Gute verkündigt.

Amen

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus, unserem Herrn.

Amen

Die Abbildung 'Mosaic of St. Paul in Veria, Greece', 2006, AJ Alfieri-Crispin, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 Generic license.
Das Bild 'He Who is of God Hears the Word of God', between 1886(1886) and 1894, James Joseph Jacques Tissot, wurde hochgeladen als eine Schenkung der donation by the Brooklyn Museum, und es sind keine copyright Einschränkungen bekannt.
Das Gemälde 'The Blind Girl', 1856, John Everett Millais, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Die Photographie 'Altar of S. Astvatsatsin Church at Goshavank Monastery', 2006, Raffi Kojian, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 2.5 Generic license

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