Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten im Jugendgottesdienst: „Halt dich mal zurück! – Vom Fasten

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Aufmarsch zum Rosenmontagszug 2005 in der Mainzer Neustadt (Boppstraße).

Invokavit

„Halt dich mal zurück! – Vom Fasten"

Predigt gehalten von Katharina Hellwig im Kirchsaal Süd

Gestern war Aschermittwoch. Karneval ist vorbei. In Frankfurt hat Fasching ja nicht wirklich eine Tradition. Am Sonntag liefen wieder ein paar einsame Clowns, Cowboys und andere bunte Vögel durch die Gegend (was sicherlich auch an diesem schrecklichen Nieselregen lag, der den ganzen Tag beherrschte), eine wirkliche Karnevalsstimmung kommt jedoch in dieser Stadt nicht auf. Da muss man schon nach Köln oder Mainz fahren, wo eine richtige Tradition gepflegt wird und der größte Teil der Menschen einem Verein angehört und das ganze Jahr auf diese Zeit hinfiebert. Tagelang besuchen die Leute dort irgendwelche Sitzungen, fallen von einer Karnevalsfeier auf die andere und stehen Stunden lang an der Straße, um die Kilometer langen Umzüge zu bestaunen. – Wir waren am Rosenmontag in Mainz, und eins steht fest: Wer Karneval dort überleben will, muss drei Vorraussetzungen erfüllen: 1. Ein originelles Kostüm muss her. 2. Man muss mehr als zehn Bier am Tag vertragen können und 3. Man muss es wirklich mögen, denn ES IST VERDAMMT ANSTRENGEND!

Doch dann plötzlich, wenn der letzte Wagen des Umzuges durch die Straßen gezogen ist, die Berge von Getränkedosen von der Straße gefegt und die letzten Schnapsleichen am Dienstagabend ins städtische Krankenhaus gebracht wurden, ist plötzlich Aschermittwoch, es gibt Matjes und dann werden auch schon die Bordsteine hochgeklappt. Am Dienstag Mittag war ich bei Woolworth, um eine paar Luftschlangen für eine Kinder-Faschings-Feier in der Schule zu kaufen. – Keine Chance!!! Da, wo am Montag noch Glitzerspray, bunte Perücken und Baströckchen zu finden waren, standen jetzt Ostereier, Hasen und Kunstgras... so schnell kann´s gehen! Ja, und mit Aschermittwoch beginnt dann auch schon die sogenannte Fastenzeit. Jetzt mögen einige unter euch denken: „Fastenzeit? Sind das nicht die Moslems, so mit Ramadan und Bairam und so?“ – Nein, bei uns Christen gibt es ebenfalls eine Fastenzeit, auch wenn die Bezeichnung Fastenzeit mit dem kirchlichen Begriff Passionszeit gleichzusetzen ist. Mit dem Begriff Passionszeit wird der religiöse Zusammenhang mit dieser Zeit etwas deutlicher, denn mit der Passionszeit ist die Leidenszeit von Jesus Christus gemeint. Die christliche Fastenzeit dauert 40 Tage, beginnt mit dem Aschermittwoch und endet mit dem Karsamstag. Dabei werden nur die Werktage, also keine Sonntage gezählt. Die Zahl 40 ist in diesem Zusammenhang nicht einfach eine willkürliche Zahl, sie taucht öfter mal in der Bibel auf. Die 40 Fastentage lassen sich auf die vierzigtägige Gebets- und Fastenzeit von Jesus zurückführen, nachdem er von Johannes im Jordan getauft wurde. Wie wir in der Lesung (Mt, 4,2) gehört haben, geht Jesus hierzu in die Wüste. In der Fastenzeit ahmt der Christ an sich demnach die 40 Fastentage von Jesus nach, als eine Zeit der Rückbesinnung. Die Zahl 40 findet sich noch in vielen anderen Bibeltexten. Weitere Ereignisse, die 40 Tage andauern, sind z.B. die Wanderung Elias oder die Tage, die Mose auf dem Berg Sinai verbrachte. Das Volk Israel verbrachte laut Bibel sogar 40 Jahre in der Wüste... Aber zurück zum Fasten.

Im Mittelalter herrschten noch sehr strenge Fastenregeln. Man durfte gar nichts essen und trinken, außer drei Bissen Brot und drei Schluck Bier oder Wasser, was ja quasi „nichts“ gleichkommt, wenn man sich dies als Tagesration vorstellt. Darunter mögen viele richtig gelitten haben. Stellt euch vor, ihr habt acht bis zehn Stunden harte Feldarbeit täglich und müsstet mit den paar Bissen auskommen, -schrecklich! Besonders verboten waren Fleisch, Eier, Milch und andere Milchprodukte wie Butter u.s.w. Reformatoren wie Martin Luther haben im späten Mittelalter diese Regeln hinterfragt, denn sie fanden, nicht der Verzehr spezieller Fastenspeisen sei wichtig, sondern vielmehr die Gesinnung. Luther formulierte das so:

„Ich will jetzt davon schweigen, dass manche so fasten, dass sie sich dennoch vollsaufen; dass manche so reichlich mit Fischen und anderen Speisen fasten, dass sie mit Fleisch, Eiern und Butter dem Fasten viel näher kämen …“

Er will damit sagen: Wo ist eigentlich der Verzicht, wenn man auf das Eine zwar verzichtet, aber der Verzicht an sich gar nicht zu erkennen ist, weil der ganze andere Konsum alles wieder ausgleicht? Wo ist der Sinn des Fastens, wenn ich auf´s Steak verzichte, aber mir stattdessen ein ganzes Brathähnchen reinziehe, das mir eigentlich besser schmeckt, als das Steak? So zieht Luther folgende Schlussfolgerung:

“Wenn nun jemand fände, dass auf Fische hin sich mehr Mutwillen regte in seinem Fleisch als auf Eier und Fleisch hin, so soll er Fleisch und nicht Fisch essen.“

Will heißen: Wenn also jemand lieber Fisch ist, als Fleisch, dann soll er auf Fisch verzichten und Fleisch essen. Luther sieht das Fasten also mehr als individuelles Trainingsprogramm und nicht als etwas, was man der Masse verordnen oder gar vorschreiben kann. Ein vorgegebenes Verzichtverhalten ist aus dieser Perspektive nicht sinnvoll, denn verzichten kann ich nur auf Dinge, die mir etwas bedeuten. Mit dieser Einstellung kommt er der von Jesus sehr nahe, der scharfe Kritik an der jüdischen Fastenpraxis übte, da diese für ihn mehr Schein als Sein war. Fasten ist demnach kein Druckmittel, um Segen oder gar Errettung zu erzwingen. Es ist ein freiwilliges 'Danke' für eine Vorleistung: Für das Rettungsangebot Jesu. Und das wird durch Glauben in Anspruch genommen.

Jahrzehnte lang war das Fasten etwas eingeschlafen und auch wenn man sich heute so herumhört, ist dafür nicht mehr so viel Platz wie früher. Trotzdem wurde in Teilen der evangelischen Kirche die Fastenzeit neu entdeckt und dabei geht es generell nicht um die Rückkehr zu überlieferten Speisecodes, sondern vielmehr um das, was Luther im Fasten gesehen hat. Nämlich um das Aufbrechen alter Gewohnheiten, um dem Heiligen Geist Raum zu geben. Das mag für euch jetzt sehr abstrakt klingen, doch es heißt eigentlich nicht mehr, als sich auf das Wesentliche im eigenen Leben zu konzentrieren. Nachdenken, Buße tun. Seit ungefähr 25 Jahren verbinden evangelische Christen diese geistliche Praxis auch wieder mit der körperlichen, indem sie ganz bewusst auf liebgewonnene Gewohnheiten verzichten: Platz 1: Rauchen. Platz 2: Alkohol trinken. Platz 3: Viel und fett essen. – Für die meisten Mainzer wäre der Verzicht aller drei Punkte nach den letzten Tagen am gesündesten und empfehlenswert. Seit einigen Jahren gibt es die Aktion „7 Wochen ohne“ der evangelischen Kirche. Inzwischen nehmen Millionen Menschen an diesem gemeinsamen Fasten teil, das sich ursprünglich aus einer Stammtischidee eines Hamburger Pfarrers entwickelt hat.

Glasfenster aus der Minoritenkirche Regensburg Passionsszene aus dem mittleren Chorfenster: Kreuzigung (Fragment), um 1330

Warum nur dieses ganze Schinden? Wer hat etwas davon, wenn ich jetzt sieben Wochen nicht rauche? 40 Tage die Playstation auslasse? Bis Karsamstag kein Auto mehr fahre? Bis zum 11. April keine Schokolade mehr esse? Wozu das tun? – Um herauszufinden, an was man wirklich hängt, um dann bewusst darauf zu verzichten. Eine Neuorientierung. Lebenseinstellungen überdenken. Konsumhaltung hinterfragen. „Weniger für mich, mehr für den anderen“ bedenken. Nicht einfach irgendetwas Bedeutungsloses weglassen, sondern da anpacken, wo´s wehtut. Wo man spürt, dass etwas fehlt. Um ein bisschen näher bei Jesus zu sein und ein kleines, persönliches „Dankeschön“ vorbringen zu können.

Im Internet bin ich auf einen „Fasten-Chatroom“ gestoßen. Auf der Seite www.abnehmen.de beklagen sich Leute über ihre Gewichtsprobleme, die sie alle haben, weil sie sich in der Weihnachtszeit mal wieder nicht zum richtigen Zeitpunkt zurückhalten konnten und nun mehr oder weniger große „Probleme“ in Form von 7 bis 23 Kilogramm mit sich herumschleppen. Wer sich also nicht selten dämlich dabei vorkommt, so zu tun, als hätte er innerhalb einer (!) Weihnachtszeit mehr als 20 Kilo Übergewicht auf die Wampe bekommen, der trifft sich im Chatroom von abnehmen.de und sucht nach Leidensgenossen:

Sandy3000: „Hey Leute! Wer hat Lust ab Aschermittwoch 40 Tage mit mir zu fasten? Bei mir müssen unbedingt 10 bis zwölf Kilo runter und alleine abnehmen ist sooo langweilig...“

Terminator: „Also ich bin sofort dabei! Der Schweinebraten vom ersten Weihnachtfeiertag ist quasi eins zu eins auf meinen Rettungsringen gelandet und ich muss dringend was tun. Außerdem ist ja jetzt eh Fastenzeit.“

Hallo? Was geht denn bitte hier ab? – Das klingt aber gar nicht nach Verzicht, sondern eher nach lebensverlängernder Maßnahme! Die Passionszeit ist keine Abnehmzeit, die für irgendwelche Diäten missbraucht werden soll, sondern etwas, das im Kopf beginnt und Herz und Seele berühren soll. Es ist nicht der kurzweilige Verzicht auf Völlerei und Unmäßigkeit, sondern soll Raum für Gesinnung geben. Abnehm.de hat also nichts mit dem zu tun, was wir Christen unter Fasten verstehen.

Die Franzosen sagen zum Fasten "Danser devant le buffet", was soviel heißt, wie „Vor dem (leeren) Kühlschrank tanzen“. Ein schöner Ausdruck, finde ich, denn er beschreibt genau zwei Dinge: Zum Einen, dass da ein Verzicht stattfindet, denn der Kühlschrank ist ja leer; und zum Anderen die Freiwilligkeit und den Willen, es gerne zu tun, denn Tanzen ist schließlich ein Ausdruck der Freude. Fasten ist also mehr als bloßer Verzicht oder Gewichtsreduzierung, sondern die bewusste Entscheidung, mich einzuschränken, damit das Wesentliche wieder in den Mittelpunkt rückt. Das Wesentliche ist, dass Jesus für unsere Sünden gestorben ist und sein größter Verzicht am Ende der auf sein eigenes Leben war. Uns zu Liebe, „Weniger für mich, mehr für den anderen“, „Weniger für sich, mehr für uns“... Es ist nun an uns, diesem Opfer einen Sinn zu geben. Jeder für sich. Auf das Rauchen zu verzichten, wäre natürlich eine Idee. Doch wäre es nicht schon wieder zu egoistisch, „lediglich“ auf etwas zu verzichten, was mir und meinem Körper sowieso schadet? Ja, Fasten ist gar nicht so einfach, denn letzenendes muss ich mich nämlich besonders mit einem beschäftigen: mit mir. Und das ist, wie ihr wisst, für jeden immer am anstrengendsten. Amen.

Das Bild 'Aufmarsch zum Rosenmontagszug 2005 in der Mainzer Neustadt (Boppstraße)', Februar 2005 von Martin Bahmann wurde unter der GNU-Lizenz Version 1.2 oder einer späteren Version für freie Dokumentation veröffentlicht.
Das Glasfenster aus der Minoritenkirche Regensburg, 'Passionsszene aus dem mittleren Chorfenster: Kreuzigung (Fragment), um 1330' (Photo: Andreas Praefcke, Januar 2009) wurde von ihrem Urheber zur uneingeschränkten Nutzung freigegeben. Das Bild ist damit gemeinfrei („public domain“). Dies gilt weltweit.

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