Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten im Jugendgottesdienst: Entschuldigung

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Predigt „Entschuldigung“

Gehalten von Katharina Hellwig im Kirchsaal Süd:

'Forgiveness', Carlos Latuff

Früher als Kind, wenn ich mal wieder jemanden so gezwickt hatte, dass er oder sie es gepetzt hat, haben alle Erwachsenen immer darauf bestanden, dass ich mich entschuldige. Und weil ich einfach keine Ruhe gehabt hätte, wenn ich mich nicht entschuldigt hätte, habe ich halt „Entschuldigung“ geblökt, nur damit die Großen mich in Ruhe lassen und habe dabei gedacht: Du blöder Depp hast´s doch gar nicht anders verdient, selbst Schuld, wenn Du mich die ganze Zeit ärgerst! Ich wurde also gezwungen, um etwas zu bitten, was ich gar nicht haben wollte: Die Entschuldigung des Anderen. Und auch wenn man irgendwann älter wird und selbst den Zeitpunkt bestimmt, wann man sich bei irgendwem entschuldigt oder ob man überhaupt bei jemandem um Entschuldigung bitten will, schleichen sich immer wieder die Entschuldigungen ein, die eigentlich gelogen und gar nicht ernst gemeint sind. Wenn ich zum Beispiel im Supermarkt einer wildfremden Frau auf den Fuß latsche, sage ich zwar (schon rein aus Reflex): „Ups, Entschuldigung!“ aber eigentlich ist das, wenn wir mal ehrlich sind, nur eine „Pro- forma- Aussage“. Ja, man, da bin ich ihr halt auf den Fuß getreten, na und? Muss ich da jetzt tatsächlich um Entschuldigung bitten? Ich gehe weiter und hab´s schon vergessen, ob sie´s mir jetzt entschuldigt oder nicht.

Oder wenn jemand völlig genervt auf etwas reagiert, was ich sage und sich beschwert und ich mit „Oh, Entschuldigung“ ebenfalls völlig genervt antworte, meine ich doch nicht wirklich das, was ich da gerade gesagt habe, sondern will doch den Konflikt einfach nur schnell beenden. Anders ist das schon bei schwerwiegenderen Dingen, die über „Ups, sorry, ich hab´ die Milch vergessen!“ hinausgehen. Z. B. eine 30minütige Verspätung bei einer Verabredung. Die meisten werden sich in diesem Fall ihrer Schuld bewusst sein und es ehrlich meinen, wenn sie sich für ihr Zuspätkommen entschuldigen. Und doch liegt es immer noch bei dem, der wartet, ob er die Entschuldigung annimmt.

Oder wenn man etwas versprochen hat und es dann nicht einhält, beispielsweise in Zukunft mehr Zeit für die Familie zu haben, sich darüber klar wird, dass man ein Versprechen gebrochen hat, und dabei bei seiner Frau um Entschuldigung bittet, liegt es bei der Ehefrau, zu entschuldigen. Mit dem einfachen Aussprechen des Wortes „Entschuldigung“ ist die Sache also noch nicht vom Tisch.

Die nächste Stufe des Entschuldigens liegt bei mir beim Um- Verzeihung- bitten. Wenn man für etwas um Verzeihung bittet, müssen die Schuldgefühle schon über 30 Minuten Verpätung hinausgehen. Wenn ich vor jemandem stehe und mich entschlossen habe, ihn um Verzeihung zu bitten, muss ich mein Gegenüber schon sehr verärgert oder verletzt haben. Vielleicht war es eine fiese Lüge, vielleicht habe ich in einer harten Zeit im Leben eines Freundes nur an mich gedacht, obwohl der mich dringend gebraucht hätte, vielleicht habe ich während eines Streits Dinge gesagt, die mir im Nachhinein furchtbar leid tun. Um Verzeihung bitten, drückt für mich den tiefen Wunsch aus, es wieder in Ordnung zu bringen, dem Anderen zu zeigen, dass man den eigenen Fehler einsieht. Man zeigt sein Interesse, mit dem Anderen wieder im Guten zu sein. „Verzeih mir, bitte!“ legt also offen dar: Die Schuld liegt bei mir und das Verzeihen liegt an Dir. Das Wort „Verzeihen“ ist also noch nicht zur Floskel umgewandelt worden, wie die Entschuldigung, sondern fällt eher in Situationen, die eine Beziehung (egal, zu wem) mehr belasten als Kleinigkeiten, für die man sich entschuldigt. Doch auch hier gibt es noch eine Steigerung. Es gibt Dinge, die geschehen unter Menschen, die sind wirklich grausam. Es geht schneller als man denkt und man hat mit wenigen Worten das Leben eines Menschens in Frage gestellt. Es müssen nicht immer Extreme sein, wie den Partner zu betrügen, jemanden geschlagen zu haben oder etwas verbrochen zu haben. Es geht sehr schnell und man hat jemanden bis tief in die Seele verletzt. Oftmals entsteht dann eine Art Lücke oder Pause und man geht sich aus dem Weg und spricht nicht mehr miteinander. Je länger man auf beiden Seiten schweigt, desto tiefer wird die Verletzung des Einen und die Hürde des Anderen, sich der Situation zu stellen wird immer höher. Ist man sich lange aus dem Weg gegangen, fällt es einem immer schwerer aufeinander zuzugehen, egal, wie lange man sich schon kennt. Es gibt einen Punkt, an dem reicht weder die Entschuldigung noch die Verzeihung. An diesem Punkt muss man um Vergebung bitten. „Bitte, vergib mir!“ drückt mehr aus, als „es tut mir leid.“, „ich habe etwas falsch gemacht.“, oder „ich trage die Schuld.“

„Bitte vergib mir“ ist die Bitte um die Befreiung einer Last, die ICH mir selbst aufgeladen habe durch mein Verhalten. Mir geht es schrecklich mit dem, was ich gesagt oder getan habe und ich werde zu Recht geplagt von Schuldgefühlen und schlechtem Gewissen. Ich will also nicht nur dem Anderen demonstrieren, dass ich gemerkt habe, was ich angerichtet habe, sondern bitte ihn auch inständig, mich von der Last zu befreien, die ich mit mir herumtrage. Um Vergebung Bitten ist schwer, es setzt nämlich voraus, dass ich über mein Verhalten nachgedacht habe und mich dem Anderen völlig offenbare, denn ganz allein bei ihm liegt die Entscheidung, ob er mir vergibt. Und Vergeben ist oft schwer.

Im „Vater Unser“ bitten wir um die Vergebung unserer Schuld und versprechen gleichzeitig, dass auch wir denen, die uns schuldig geworden sind, vergeben. Oft vergessen wir den zweiten Teil, den wir versprechen. Wir bitten um die Vergebung unserer Schuld, fühlen uns besser, doch kümmern wir uns nicht darum, UNSEREN Part des Abkommens einzuhalten.

„Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ könnte demnach auch in anderen Worten heißen: Vergib uns all das Schlechte, das wir getan haben, dafür vergeben wir auch all denen, die uns Böses zugefügt haben. Es ist wie ein Tauschhandel: Wir möchten etwas, aber dafür müssen wir auch etwas tun. Wir sollten uns vielleicht Gedanken darüber machen, ob Gott seinen Teil auch nicht einhält, wenn wir Unserem nicht nachkommen. Wir sollten uns im Klaren darüber sein, wie bedeutungsvoll dieser EINE Satz im „Vater Unser“ eigentlich ist: Wenn wir wieder die Stufen betrachten, von „Entschuldigung“, über „Verzeihung“ bis zur „Vergebung“ und uns darüber bewusst werden, dass wir Gott um die letzte, wertvollste Stufe der Vergebung bitten, und daran denken, dass er seinen Sohn für unsere Sünden geopfert hat, können wir vielleicht annähernd begreifen, welche Bedeutung ER der Vergebung gibt. Das sollten wir im Hinterkopf behalten, wenn wir mal wieder wie maschanisch dises Gebet sprechen und wie selbstverständlich davon ausgehen, dass unsere Bitte um Vergebung erhört wird. Auch wenn es schwer fällt, schon allein aus Respekt müssen wir unseren Teil auch einhalten.

Jeden Tag machen wir so viel Falsches und Schlechtes und jeden Tag widerfährt uns so viel Ungerechtes und Verletzendes. Doch wir haben uns dazu entschlossen, Christen zu sein und zu Christsein gehört, unseren Mitmenschen zu vergeben. Die Belohnung dafür ist ja auch sehr hoch: Uns wird auch vergeben und eine schwere Last von den Schultern genommen. Wir sollten in Zeiten, in denen Vergebung immer mehr durch Vergeltung ersetzt wird, mit gutem Beispiel vorangehen und viel öfter den ersten Schritt machen, denn irgendwann kommt jeder von uns einmal an den Punkt, wo er jemanden inständig um Vergebung bittet. Wenn man Glück hat, trifft man dann auf jemanden, der sich schon einmal ähnliche Gedanken gemacht hat.

Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.

Amen.

Der Urheberrechtsbesitzer, Carlos Latuff, erlaubt es jedem, dieses Bild 'Forgiveness' für jeglichen Zweck, inklusive uneingeschränkter Weiterveröffentlichung, kommerziellen Gebrauch und Modifizierung, zu nutzen.