Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Frankfurt am Main - Sachsenhausen

Predigten von Pfarrer Jürgen Seidl: Off Joh 3,7 - 13

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2. Sonnntag im Advent

Off Joh 3,7 - 13

Predigt gehalten von Pfarrer Jürgen Seidl am 09.12.2007 im Kirchsaal Süd in Frankfurt am Main

'Der Wächter des Paradieses', Franz von Stuck, 1889(1889)

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen. Amen.
Der Predigttext für den heutigen 2. Sonntag im Advent steht in der Offenbarung des Johannes im 3. Kapitel.

Und dem Engel der Gemeinde in Philadelphia schreibe: Das sagt der Heilige, der Wahrhaftige, der da hat den Schlüssel Davids, der auftut, und niemand schließt zu, der zuschließt, und niemand tut auf: Ich kenne deine Werke. Siehe, ich habe vor dir eine Tür aufgetan, und niemand kann sie zuschließen; denn du hast eine kleine Kraft und hast mein Wort bewahrt und hast meinen Namen nicht verleugnet. Siehe, ich werde schicken einige aus der Synagoge des Satans, die sagen, sie seien Juden, und sind's nicht, sondern lügen; siehe, ich will sie dazu bringen, dass sie kommen sollen und zu deinen Füßen niederfallen und erkennen, dass ich dich geliebt habe. Weil du mein Wort von der Geduld bewahrt hast, will auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die kommen wird über den ganzen Weltkreis, zu versuchen, die auf Erden wohnen. Siehe, ich komme bald; halte, was du hast, dass niemand deine Krone nehme! Wer überwindet, den will ich machen zum Pfeiler in dem Tempel meines Gottes, und er soll nicht mehr hinausgehen, und ich will auf ihn schreiben den Namen meines Gottes und den Namen des neuen Jerusalem, der Stadt meines Gottes, die vom Himmel herniederkommt von meinem Gott, und meinen Namen, den neuen. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt! Off Joh 3,7 - 13

Eine offene Tür, liebe Gemeinde. Ein schönes Bild, ein passendes Bild; passend zum Advent: "Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, es kommt der Herr der Herrlichkeit". Im Advent gehen Türen auf. Und das nicht nur am Adventskalender: "Komm, o mein Heiland Jesu Christ, meins Herzens Tür dir offen ist", singt und betet die Kirche im Advent. Gott soll bei uns Einzug halten. Er soll zu uns kommen, in unsere Welt, in unser Leben, in unser Herz.

Eine offene Tür, die niemand zuschließen kann - in dem Sendschreiben an Philadelphia ist das eine Perspektive der Hoffnung. Christen wurden damals wegen ihres Glaubens ins Gefängnis geworfen. Sie saßen hinter Schloss und Riegel und wussten nicht mehr ein noch aus. Was eine verschlossene Tür und eine ausweglose Situation ist, erfuhren sie am eigenen Leib.

Die offene Pforte des Paradiesgartens

Doch man muss nicht wegen seines Glaubens verfolgt werden, um das Gefühl des Eingeschlossenseins oder auch Ausgeschlossenseins zu erleben. Gerade in der Zeit vor Weihnachten leiden Menschen darunter, dass sie einsam sind, nicht mehr dazugehören, dass ihnen Türen verschlossen bleiben und an der eigenen Tür niemand mehr klopft.

Gewiss, nicht jeder ist kontaktarm oder gar kommunikationsunfähig. Nicht jeder droht an seiner Einsamkeit zu ersticken. Manche sind ganz gern allein. Aber jeder stößt in seinem Leben an Grenzen, wo es nicht weitergeht, wo die Wege versperrt sind, wo es eng und dumpf wird. Irgendwo zeigt diese Welt jedem von uns auch ihr abweisendes Gesicht und ihre zugeschlagenen Türen.

Eine offene Tür - das ist die Sehnsucht vieler Menschen. Christus öffnet uns die Tür zum Leben, die Tür zu dem lebendigen Gott. Durch seinen Tod und seine Auferstehung hat Jesus Christus eine Schlüsselposition eingenommen. Er entscheidet, welche Türen aufgehen und welche Türen zubleiben: "Das sagt der Heilige, der Wahrhaftige, der da hat den Schlüssel Davids, der auftut, und niemand schließt zu, der zuschließt, und niemand tut auf".

Eine offene Tür zu Gott - so selbstverständlich wie es klingt, ist es nicht. Die Tür zu Gott ist keine Automatiktür, die sich wie von selbst öffnet, wenn man vor ihr steht. Die Worte und Gleichnisse Jesu machen das deutlich. In der Geschichte von den Brautjungfern feiert die eine Hälfte mit, weil sie den Bräutigam mit brennenden Lampen erwartet und ihn nun zur Hochzeit begleitet. Die andere Hälfte hat sich auf ihre Aufgabe nicht richtig vorbereitet. Sie verpassen den Bräutigam, weil sie Lampenöl nachkaufen müssen und stehen dann vor verschlossener Tür.

Und an anderer Stelle sagt Jesus: "Kämpft darum, dass ihr durch die enge Pforte hineingeht; denn, das sage ich euch, viele werden danach trachten, wie sie hineinkommen, und es wird ihnen nicht gelingen. Wenn der Hausherr einmal aufgestanden ist und die Tür abgeschlossen hat und ihr dann draußen steht und an die Tür klopft und ruft: „Herr, mach uns auf!“, dann wird er euch antworten: Ich weiß nicht, wo ihr her seid".

Hier, im Sendschreiben an die Gemeinde in Philadelphia, klingt es jedoch anders: "Ich kenne deine Werke", sagt Christus, "siehe, ich habe vor dir eine Tür aufgetan, und niemand kann sie zuschließen; denn du hast eine kleine Kraft und hast mein Wort bewahrt und hast meinen Namen nicht verleugnet". Philadelphia ist eine Gemeinde mit kleiner Kraft und großer Treue. Treue ist der lange Atem der Liebe. An der Gemeinde von Philadelphia sollen auch die Feinde des christlichen Glaubens erkennen, dass sie von Christus geliebt wurde und diese Liebe erwidert hat. Die Tür zu Gott steht ihr offen.

Fresco in the parecclesion, Giovanni Dall'Orto, 2006

Die Gemeinde hat bewahrt und gehalten, was sie von Christus empfangen hat. Philadelphia ist eine bewährte Gemeinde. Eine der wenigen, die uneingeschränkt gelobt wird. In den anderen Sendschreiben der Offenbarung des Johannes wird auch harte Kritik vorgetragen. Doch hier ist von Kritik keine Rede. Philadelphia wird gelobt.

Philadelphia ist eine Gemeinde, auf die Christus bauen kann: Sie soll zum Pfeiler im Tempel Gottes werden. Sie spielt eine tragende Rolle bei Gott. Was kann man von einer christlichen Gemeinde größeres sagen? Und: Kann man das von unserer Gemeinde auch sagen? Hat auch die Dreikönigsgemeinde ein uneingeschränktes Lob verdient? Die Frage zu stellen, heißt nicht, sie auch beantworten zu können. Die Antwort auf diese Frage steht nur einem zu: dem, der die Schlüsselfigur ist, der auftut, und niemand schließt zu, der zuschließt, und niemand tut auf. Doch auch wenn uns die Antwort auf diese Frage nicht zusteht, ist es doch sinnvoll, die Frage zu stellen.

Advent ist eine Zeit der Besinnung und der Vorbereitung. Auch eine Zeit der Prüfung und der Bestandsaufnahme. Unternehmen machen in diesen Wochen die Jahresbilanz. Wir sind als Gemeinde im Advent eingeladen, unser Leben vor Gott zu betrachten.

Da geht es nicht nur um Zahlen. Wie viele Menschen am Gottesdienst teilnehmen, wie viele Konfirmanden es gibt, wie viele Senioren besucht werden, wie hoch das Spendenaufkommen ist und wie hoch die Auflage des Gemeindebriefes. Zahlen können mitunter sehr aufschlussreich sein. Und über Kosteneinsparungen wird in unserer Gemeinde seit längerem engagiert diskutiert. Doch von Zahlen ist im Sendschreiben an die Gemeinde in Philadelphia nicht die Rede. Hier geht es nicht um Quantitäten, sondern um Qualität.

Die offene Tür erschließt einen neuen Lebensraum, eine neue Lebensmöglichkeit, ein Leben in der Gegenwart Gottes. Unser Lebensentwurf muss nicht länger nur auf die Erfüllung diesseitiger Wünsche ausgerichtet sein. Die offene Tür im Advent lädt uns ein, von Gott etwas zu erwarten, für Gott offen und aufgeschlossen zu sein.

Zu dieser Erwartung gehört Geduld. Wer etwas erwartet, muß geduldig warten können. Das ist heute nicht selbstverständlich. Wir wollen immer gleich sehen, was herauskommt. Von der Gemeinde in Philadelphia heißt es, dass sie das Wort von der Geduld bewahrt hat und darum vor der Stunde der Versuchung bewahrt wird.

Nun ist Geduld nicht unkritische Ergebenheit. Geduld haben heißt nicht, über alles hinwegzuschauen und alles hinzunehmen, was geändert werden kann und geändert werden soll. Geduld und Gelassenheit brauchen wir in Situationen, die nicht von uns geändert werden können, oder zumindest nicht sofort. Geduld brauchen wir, wenn wir eine leidvolle Situation aushalten müssen. Konflikte in der Familie, Probleme am Arbeitsplatz oder schwere Krankheiten lassen sich nicht immer beheben oder schnell lösen. In solchen Situationen hilft nur ein geduldiges Ausharren, das die Hoffnung nicht aufgibt.

Geduld heißt nicht, sich für immer mit dem Konflikt zu arrangieren oder faule Kompromisse einzugehen. In der Geduld steckt auch Standfestigkeit und langer Atem, die Kraft beharrlich und ausdauernd auf Veränderungen hinzuarbeiten. Geduld lässt Zeit. Wir lassen uns und den anderen Menschen Zeit, dass sich etwas wandeln kann. Wir geben die Hoffnung nicht auf. Wir hoffen auf Gott und bitten ihn, dass er in unser Leben kommt, um es zu verwandeln und zu erneuern.

Und dabei erkennen wir: Wir sind mehr als das, was wir uns selbst geben und kaufen können. Die Bitte um das Kommen Gottes und das geduldige Warten zeigen uns, dass das Eigentliche im Leben uns geschenkt werden muss. So wie uns das Leben überhaupt geschenkt ist.

In diesem Warten und Erwarten ist auch etwas von dem kindlichen Warten auf Weihnachten. Als Kinder haben wir am Heiligabend auf das Christkind und auf die Bescherung gewartet. Wenn wir von der Christvesper nach Hause gingen, sahen wir an den Fenstern schon die strahlenden Weihnachtsbäume in den Wohnzimmern anderer Leute. Zuhause angekommen, mussten wir dann im Kinderzimmer warten, bis die Weihnachtsglocke läutete. Es war ein geheimnisvoller Moment, das nur mit Kerzen beleuchtete Wohnzimmer zu betreten. Solche Augenblicke prägen sich Kindern tief ein. Und wir fühlen uns später daheim und geborgen, wenn diese Gefühle von früher wieder angesprochen werden.

Geduld ist eine adventliche Tugend. Sie erzeugt eine gesunde Spannung in uns. Sie richtet unser Warten auf ein Ziel aus. Und das Ziel des Wartens ist ein Fest. Das Fest der Menschwerdung Gottes und auch das Fest unserer Menschwerdung. Das Weihnachtsfest erschließt und eröffnet uns ein gottgefälliges und deshalb menschenwürdiges Leben.

"Heut schließt er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis; der Cherub steht nicht mehr dafür. Gott sei Lob, Ehr und Preis" - so werden wir am Heiligabend wieder singen, wenn wir aufs Neue seine Ankunft feiern.

Amen

Das Kunstwerk 'Der Wächter des Paradieses', Franz von Stuck, 1889(1889), und dessen Reproduktion gehört weltweit zum "public domain". Das Bild ist Teil einer Reproduktions-Sammlung, die von The Yorck Project zusammengestellt wurde. Das copyright dieser Zusammenstellung liegt bei der Zenodot Verlagsgesellschaft mbH und ist unter GNU Free Documentation lizensiert.
Die Photographie 'Fresco in the parecclesion, Giovanni Dall'Orto, 2006', ist lizenziert unter der Creative Commons-Lizenz Attribution ShareAlike 2.5.

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