Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Frankfurt am Main - Sachsenhausen

Predigten von Pfarrer Jürgen Seidl: Off Joh 3,1 - 6

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'Johannes schreibt an die Gemeinden von Sardes und Philadelphia', um 1000, Auftraggeber: Otto III. oder Heinrich II.

3. Sonnntag im Advent

Off Joh 3,1 - 6

Predigt gehalten von Pfarrer Jürgen Seidl am 16.12.2007 in der Dreikönigskirche in Frankfurt am Main.

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen. Amen.
Der Predigttext für den heutigen 3. Sonntag im Advent steht in der Offenbarung des Johannes im 3. Kapitel.

Dem Engel der Gemeinde in Sardes schreibe: Das sagt, der die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne: Ich kenne deine Werke: Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot. Werde wach und stärke das Andre, das sterben will, denn ich habe deine Werke nicht als vollkommen befunden vor meinem Gott. So denke nun daran, wie du empfangen und gehört hast, und halte es fest und tue Buße! Wenn du aber nicht wachen wirst, werde ich kommen wie ein Dieb, und du wirst nicht wissen zu welcher Stunde ich über dich kommen werde. Aber du hast einige in Sardes, die ihre Kleider nicht besudelt haben; die werden mit mir einhergehen in weißen Kleidern, denn sie sind´s wert. Wer überwindet, der soll mit weißen Kleidern angetan werden, und ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des Lebens, und ich will seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt. ff Joh 3,1 - 6

Post, liebe Gemeinde, ein persönlicher Brief im Advent. Da freut man sich, wenn man den Umschlag aus dem Briefkasten holt. Doch was drin steht, ist weniger erfreulich. Der Schreiber hält sich nicht lange mit Höflichkeiten auf, sondern kommt gleich zur Sache und legt seinen Finger auf den wunden Punkt.

"Ich kenne deine Werke", lässt Jesus Christus, der Herr der Kirche, durch seinen Boten ausrichten. "Ich kenne deine Werke". Sie stimmen nicht mit deinem Anspruch überein. "Du hast den Namen, dass du lebst". Du bist auf den Namen des lebendigen Gottes getauft. Du trägst den Namen dessen, der von den Toten auferstanden ist. Du hast das Wort des Lebens gehört. "Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot". Du antwortest auf das Wort des Lebens nicht mit deinem Verhalten. Du richtest deine Lebensführung nicht auf Gott aus. Was dich einmal lebendig gemacht hat, ist abgestorben. Die Begeisterung von einst ist verflogen. Dein guter Ruf gleicht dem Leuchten längst erloschener Sterne. Du bist keine lebendige, sondern eine tote Gemeinde.

"Ich kenne deine Werke: Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot" - das könnte auch einer Gemeinde gesagt sein, in der viel los ist, in der es erfreulich viele Veranstaltungen und Aktivitäten gibt. Und der Herr der Gemeinde sagt: Betrieb - aber kein Leben. Viel Wind - aber kein Geist. Viel los - aber das Entscheidende vergessen.

Das sagt der, dem die Gemeinden als Eigentum gehören, der sie in seiner Hand hat. Also nicht irgendwer, sondern Jesus Christus, der Herr der Kirche. Darum lohnt es sich, darauf zu hören. Es wird ja heute viel über die Gemeinden und die Kirche gesagt und geschrieben. Von notwendigen Einsparungen ist die Rede. Gelder werden gekürzt und Stellen reduziert. Einrichtungen werden zusammengelegt oder geschlossen. Vieles ist anders geworden. Auch in unserer Gemeinde. Und vieles wird sich auch noch ändern. Da bleiben kritische Stimmen nicht aus.

Doch wir werden vor allem auf die Stimme dessen zu hören haben, in dessen Namen wir uns als Gemeinde versammeln. Zu hören haben wir auf den, der die Gemeinde kennt wie keiner sonst, weil er sie liebt wie keiner sonst und der darum allein sagen kann: Ich kenne dich wie sonst niemand. Ich weiß Bescheid über dich. "Ich kenne deine Werke: Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot." Hier macht eben nicht einer seinem Ärger Luft, seiner Unzufriedenheit mit der Kirche und den Pfarrern oder seiner persönlichen Enttäuschung und Verbitterung. Hier spricht der zu uns, der die Kirche kennt und liebt, der sie erhält und trägt. Und der sie darum auch zur Besinnung ruft und ihr den Weg zur Erneuerung weist.

Glasfenster in einer Autobahnkirche, Baden Baden, PSch

"So denke nun daran, wie du empfangen und gehört hast". Erinnere dich wie es am Anfang war. Das gehört ja zum Sinn der Adventszeit, des Anfangs zu gedenken, des Anfangs, von dem der christliche Glaube lebt. Der christliche Glaube lebt davon, dass Gott Mensch geworden ist. In wenigen Tagen feiern wir wieder dieses großartige Ereignis. "So denke nun daran". Als lebendige christliche Gemeinde leben wir aus der Erinnerung. Lebendig sind wir nicht, weil wir soviele Gruppen und Veranstaltungen haben. Lebendig sind wir, weil wir uns erinnern, was Gott für uns getan hat. Wir erinnern uns daran, dass Gott uns in der Auferweckung Jesu Christi von den Toten den Weg zu einem neuen Leben gebahnt hat, einem Leben, das nicht länger von Sünde und Tod bestimmt ist, sondern von der Liebe Gottes.

In der Advents- und Weihnachtszeit erinnern wir uns an das Leben, das Gott uns in Jesus Christus geschenkt hat: "Sehet was hat Gott gegeben", heißt es in dem Weihnachtslied "Kommt und lasst uns Christus ehren", "Sehet, was hat Gott gegeben: seinen Sohn zum ewgen Leben. Dieser kann und will uns heben aus dem Leid ins Himmels Freud".

Einer Gemeinde, die über dem alltäglichen Betrieb die Mitte ihres Glaubens aus dem Blick zu verlieren droht, die aus Sorge um ihren guten Ruf dabei ist, einen ganz anderen Ruf zu verlieren: "den Ruf zur Sache", einer solchen Gemeinde ruft unser Predigttext zu: "Werde wach und stärke das Andre, das sterben will".

Offensichtlich gab es das auch schon damals in Sardes: Was den Glauben einmal lebendig gemacht hat, die Erfahrung der Nähe Gottes im persönlichen Gebet und in der Begegnung mit anderen Menschen - das ist abgestorben. Früher haben die Worte der Bibel die Menschen angesprochen. Jetzt werden sie gehört, ohne dass sie das Innere erreichen. Das Herz bleibt unberührt vom Wort Gottes. Und die Frage stellt sich, ob nicht alles Einbildung gewesen ist.

Es muss nicht zwangsläufig mit Sünde und Schuld zu tun haben, wenn wir in so einen Zustand geraten und nicht mehr so glauben können wie früher. Es kann auch eine Krise sein, in der Gott uns zu einem neuen Glauben führen möchte. Vielleicht war unser Gottesbild bisher zu sehr von Projektionen bestimmt. Vielleicht muss es zerbrechen, damit wir dem wirklichen Gott begegnen können. Die Krise unseres Glaubens zwingt uns, zu fragen: Wer ist Gott für mich wirklich?

Und: Wer bin ich eigentlich, wenn ich nicht mehr so an Gott glauben kann wie einst? Kann ich Gott und mich neu verstehen lernen? Die Frage nach dem Gottesbild und nach dem Selbstbild hängen ja eng zusammen. Die Antwort, die ich auf die Frage nach Gott finde, die Antwort auf die Frage nach der Mitte meines Lebens, nach dem, woran ich mein Herz hänge und worauf ich vor allem anderen vertraue, diese Antwort sagt auch, wie ich mich und mein Leben verstehe.

An Weihnachten erinnern wir uns oft, wie es früher war, als wir noch Kinder waren und dieses Fest ganz anders erlebten als heute. Und wenn wir in uns hinein sehen, dann entdecken wir vielleicht, was aus früheren Zeiten noch geblieben ist und können daran anknüpfen. "Werde wach und stärke das andre, das sterben will." Der Ruf zur Sache ist ein Ruf zur Umkehr.

Vielleicht ist die Leere noch nicht total, vielleicht ist noch nicht alles an Glauben gestorben in uns. Wenn noch etwas da ist an Gottesahnung und an Sehnsucht nach dem ganz Anderen, dann können wir daran anknüpfen. Vielleicht erinnern wir uns an unsere Begeisterung von einst. Wir können sie nicht einfach wieder entfachen. Doch der Grund der Begeisterung war doch mehr als nur bloße Täuschung und Projektion. Die Ahnung und die Sehnsucht, die wir spüren, sind richtig. Da gibt es eine Dimension unseres Lebens, die wir nicht einfach verdrängen können, eine Ahnung unseres Herzens, dass es nur in Gott Ruhe finden kann, wie immer wir ihn uns vorstellen. Die Ahnung, dass wir uns nicht selbst genug sind.

Glasfenster in einer Autobahnkirche, Baden Baden, PSch

Haben wir den Mut, unser Unerfülltsein anzunehmen. Viele Menschen unterdrücken heute ihre tiefsten Sehnsüchte. Das führt oft in die Sucht. Sucht kann uneingestandene und verdrängte Sehnsucht sein, ein Ersatz für mangelnde Geborgenheit. Die Adventszeit bietet uns die Chance, unsere vielfältigen Süchte wieder in Sehnsüchte zu verwandeln. Sie tut das, indem sie uns an den kommenden Gott erinnert, der unser Leben erfüllen will.

Die Adventszeit fordert uns auf, die Sehnsucht und Ahnung nach dem erfüllten Leben zu stärken, sie zu bekräftigen und neu zu bestätigen. In der Adventszeit können wir uns fragen: Was macht mein Leben denn eigentlich aus? Ist das alles, was ich gerade tue und womit ich mich beschäftige? Wonach sehne ich mich denn wirklich? Wie steht es um mich und was möchte Gott von mir? Wir dürfen und sollen Gott in der Adventszeit bitten, dass er uns durch seinen Geist stärkt, damit wir als Gemeinde Jesu Christi wieder wahrhaft den Namen des Lebendigen tragen und selbst lebendig sind.

"Werde wach und stärke das Andre, das sterben will". Das Bild des Schlafens und Wachens ist für die Adventszeit charakteristisch. Advent ist im Kirchenjahr eine Zeit des Wartens und Wachens. Hier, in unserem Predigttext, ist vom Aufwachen die Rede. Viele Menschen wachen nicht auf, sie verschlafen ihr ganzes Leben. Sie leben in irgendwelchen Illusionen, die sie sich vom Leben gemacht haben. Sie leben dahin, ohne mit der Wirklichkeit in Berührung zu sein.

Aufwachen heißt, die Wirklichkeit so zu sehen, wie sie wirklich ist. Aufwachen heißt, Gott als den tiefsten Grund unserer Wirklichkeit zu erfahren. Wenn ich nur die Oberfläche der Dinge sehe, lebe ich gleichsam im Schlaf. Aufwachen heißt, Gott in meinem Leben entdecken. Wenn ich meine Augen wirklich öffne, werde ich Gott in jedem Menschen begegnen, werde ich Gott in unserer Welt erleben. Gott ist das Geheimnis unserer Welt und unseres Lebens. Solange ich das nicht mit allen Sinnen und meiner ganzen Existenz wahrnehme, schlafe ich.

Wenn wir schlafen und im Schlaf Gott als dem Geheimnis unserer Welt und unseres Lebens ausweichen, wird Christus wie ein Dieb mitten in der Nacht kommen, um uns aufzuwecken. "Wenn du aber nicht wachen wirst, werde ich kommen wie ein Dieb", spricht Jesus Christus, "und du wirst nicht wissen zu welcher Stunde ich über dich kommen werde." Das muss nicht unbedingt die Wiederkunft Christi am Ende der Zeiten sein. Das kann auch so geschehen, dass er unser auf eine Täuschung erbautes Lebenshaus plötzlich einstürzen lässt, so dass wir uns der Wirklichkeit stellen müssen. Es ist daher besser, wenn wir rechtzeitig aufhören, uns etwas vorzumachen und uns der Wahrheit unseres Lebens stellen.

So mahnt uns das Sendschreiben an die Gemeinde von Sardes in der Adventszeit, aufzuwachen und Jesus Christus als den nahen Herrn zu erkennen. Er ist uns heute nahe in diesem Gottesdienst. Er ist uns nahe in den Menschen, denen wir begegnen. Und er ist uns nahe in der Stille und im Gebet. In der Nähe Jesu Christi verwandeln sich Leere und Tod, Schlaf und Müdigkeit in Lebendigkeit und Freude.

Amen

Das Bild 'Johannes schreibt an die Gemeinden von Sardes und Philadelphia', um 1000, Auftraggeber: Otto III. oder Heinrich II., ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.

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