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Predigten von Pfarrerin Heike Seidel-Hoffmann: Johannesevangelium 15,9-17 „Liebt einander!“

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Predigt: Johannesevangelium 15,9-17 „Liebt einander!“

'The Lesser Bretheren' von Margaret Winifred Tarrant

Gehalten von Pfarrerin Heike Seidel-Hoffmann:

Liebe wird heute vor allem als Gefühl gesehen: Verliebt zu sein, romantische Liebe zu empfinden. Liebe ist für die meisten Menschen eine geheimnisvolle Kraft, die Menschen aneinander bindet, ein Gefühl, ein Wille, ein Gedanke. Das griechische Neue Testament hat für den Begriff „Liebe“ zwei Worte bzw. Wortgruppen. „Philia“ und „agapä“

„Philia“ bedeutet „Liebe“ im Sinne von „liebhaben, jemandem wohlgesinnt sein“, bis hin zu „liebkosen, küssen“ als Zeichen herzlicher Verbundenheit. Es wird für die Liebe Gottes des Vaters zu Jesus gebraucht, ebenso für die Liebe zwischen Eltern und Kindern. Das im profanen griechisch wenig gebrauchte „agapä“ bezeichnet im Neuen Testament ganz umfassend alle echte Liebe: die Liebe Gottes zu uns Menschen, die daraus entspringende Liebe der Menschen untereinander, die Feindesliebe, die Liebe des Mannes zur Frau, aber auch egoistische, fehlgeleitete Liebe. Die hebräische Bibel hat dagegen für „Liebe“ insgesamt acht Wörter bzw. Wortstämme, um Liebe in ihren verschiedenen Sinnfärbungen auszudrücken: „lieben, sich erbarmen, Mitleid, Wohlgefallen oder Verlangen haben, sich einem Wunsch hingeben.“ Die Mehrzahl davon bezeichnet sowohl göttliche wie menschliche und auch die geschlechtliche Liebe. Jesu Gebot an uns heißt „Liebt einander!“ Jesus erklärt dies genauer in Johannes 15, 9-17:

„Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe! Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben, so wie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe bleibe. Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird. Das ist mein Gebot: Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe. Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt. Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage. Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe. Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt. Dann wird euch der Vater alles geben, um was ihr ihn in meinem Namen bittet. Dies trage ich euch auf: Liebt einander!

Neben allem was Jesus seinen Jüngern aufgetragen hat, was er mitgeteilt hat, was er von seinem Vater gehört hat, das Liebesgebot bleibt das wichtigste. Jesus ist ein Botschafter der Liebe: Der Liebe zu sich selbst, der Liebe zu Gott, der Liebe zu anderen Menschen. Das wirkt weltfremd und unpassend für unsere Zeit: wir sprechen von Liebe nur im Privaten, Liebe der Liebenden, Partner, Liebe in der Familie, Kinder, Freunden. Jesus spricht von Liebe zum himmlischen Vater: Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Jesus entgrenzt die Liebe. Aus dem Bereich irdischer Privatheit rückt sie in himmlische Dimensionen. Im Säkularen kennen wir den Ausruf „am liebsten möchte ich die ganze Welt umarmen!“ Verliebte sagen ihn. Bei Jesus ist es so: Seine grundlegende Beziehung zum transzendenten Gott fasst er auf als Liebesbeziehung. Er ist in Gott verliebt – unsterblich, auf immer und ewig. Jesus sagt: „Liebt einander!“

Dieses Liebesgebot soll von nun an für alle Christen gelten. Hier wird die Privatheit des Liebens aufgehoben in einen öffentlichen Anspruch der Liebe, in eine Haltung der Liebe als Haltung einer Christin, eines Christen in seinem ganzen Leben, gemäß dem Doppelgebot der Liebe aus der hebräischen Bibel (5.Buch Mose):
»Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst«.

Es sind hier drei Richtungen der Liebe erkennbar: Liebe zu Gott, Liebe zum Nächsten, Liebe zu sich selbst. Und diese drei gehören untrennbar zusammen. Im Liebesgebot Jesu geht es um zwei Behauptungen der Religion: 1.Liebe geht über das Private hinaus, wird zu einer grundsätzlichen Lebenshaltung für alle zwischenmenschlichen Beziehungen. Und 2. Liebe geht sogar über die zwischenmenschlichen Beziehungen hinaus und erhebt sich in das was die Religionen „Himmel, Gott, Ewigkeit“ nennen. Und diese Liebe ist ein menschliches Lieben ohne eine konkrete Objektbeziehung, denn Gott oder den Himmel oder die Ewigkeit kann man nicht so lieben wie man einen anderen Menschen liebt und doch gibt es diese Liebe zu Gott, die sich gerade in dem zeigt, wie wir mit anderen Menschen und uns selbst umgehen – als eine Art „liebevolle und grundsätzlich menschenfreundliche Grundhaltung. Überlegen wir: wie ist unsere Alltagserfahrung, wen oder was lieben wir, welche einzelne Menschen, welche Tätigkeiten, welche Arbeiten, welche Dinge und Gewohnheiten? Wofür sind wir bereit etwas zu tun, uns anzustrengen, auch, etwas zu opfern? Und sogar im Extremen: Wofür sind wir bereit zu sterben? Jesus sagt:

'Good Shephard', Bernhard Plockhorst (1825–1907)

„Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.“

Der Kreuzestodes Jesu wird von den Autoren des Neuen Testaments gedeutet als Akt der Liebe: „Er ist für uns gestorben.“ Die Liebe ist also grundlegend für unser Leben: Eine starke Macht bis in den Tod, wie es im Hohelied des Predigers Salomo heißt: „Liebe ist stark wie der Tod“. Und dann im Neuen Testament: Die Liebe Gottes ist stärker als der Tod, den Jesus gestorben ist. Diese Liebe hat ihn nicht im Tod gelassen, sondern ihn an sich gebunden und wieder angeschlossen an das Göttliche, an die Quelle des Lebens. Das Nachdenken über die Liebe ist ein Nachdenken über das, an was wir gebunden sind, an wen, an was, an Menschen genauso wie Ideologien, nicht nur privat, auch öffentlich, und das betrifft unser ganzes Menschsein. Denn wir sind dazu da, um zu lieben, wir sollen lieben, unendlich lieben, mit allem was wir sind, das traut Gott uns zu und dazu hat er uns geschaffen. Daher gilt auch: Lieben ist immer gefährlich, Bindungen können uns auch zerstören, ob Liebeskummer, ob Bindung an einen Menschen bis zur sogenannten „Paarsekte“. Liebe kann blind machen, einsam in der Zweisamkeit. Auch Liebe zu Dingen kann uns beuteln: Liebe zum Geld, zur Macht, zu Abenteuer, zu teuren Hobbies, und vor allem: Die rein egoistische Liebe zu uns selbst. Auch das ist eine krankmachende Geschichte, denn sie schneidet uns ab von den anderen, von der Welt und vom lebendigen Fluss des Lebens. Lieben in christlicher Dimension hinterfragt daher immer das Lieben. Im Grunde ist Lieben aus dem Glauben heraus immer auch ein kritisches Lieben. Sogar was den einzelnen Menschen angeht: Jesus weist seine Mutter zurecht, er macht seinen Jüngern nichts zuliebe, seine Beziehung zu Gott relativiert sogar die Beziehungen zur eigenen Mutter, zu den Freunden, und führt ihn dazu ehe-und familienlos zu leben. Was gilt für uns? Die ständige Erinnerung daran, dass die christliche Liebe immer zwei Seiten hat: In unseren menschlich en Beziehungen: Dass wir unsere Bindungen fühlen und verstärken. In unserer Liebe zu Gott: Dass wir unsere weltlichen Bindungen auch relativieren können. Und da wir der Glaube, wird die Religion ein kritisches Freiheitsmoment für jeden Einzelnen: In seiner Beziehung zum Ehepartner, zur Gemeinschaft, zu individuellen Neigungen. Die Liebe zu Gott kann andere Bindungen korrigieren indem sie klar macht, was das eigentlich wichtige im Leben ist.

Bindung und Freiheit gehören zusammen. Wir sollen frei sein zu lieben. Denn Jesus sagt zu seinen Jüngern:

„Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe. Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt.“

Jesus lässt seine Jünger los, knechtet sie nicht, lässt sie allein gerade weil er sie liebt, damit sie ihm ebenbürtig werden. Er will nicht mehr Herr sein über sie, er nennt sie Freunde. Es gibt in dieser Beziehung Jesu zu seinen Jüngern keine Hierarchie von oben nach unten, sondern es finden menschliche Begegnungen auf Augenhöhe statt. Da können wir in unseren Gemeinden nur lernen. Liebe im Sinne Jesu, das ist nicht Knechtschaft, sondern Freiheit. Liebe im Sinne Jesu, das ist nicht Abhängigkeit, sondern Bindung. Ich sage also noch einmal: Liebt einander! Nicht im romantischen Sinn, nicht im privaten Sinn, sondern als innere Haltung der Empathie, des Mitgefühls, der Entgrenzung des eigenen Ichs, als Verbundenheit in der Menschheitsfamilie und mit dem Universum. Nicht weil wir uns alle so gut verstehen, nicht als „piep piep piep, wir haben uns alle lieb“, sondern gerade wegen der Unmöglichkeit des Liebens, trotz Gleichgültigkeit, Kälte, Intoleranz und Hass. Liebe ist die Kraft Gottes für unser Leben, aber auch die stärkste Waffe gegen unsere Feinde. Wir sollen uns begegnen mit Herz, mit Wärme, mit Freundlichkeit und Vertrauen, und dabei immer im Blick haben, dass wir alle voneinander abhängig sind, aber dennoch jeder von uns seine Freiheiten behält.

Amen


Wir danken The Medici Society Limited (www.medici.co.uk/shop/categories/reproduction-prints) für die Genehmigung, 'The Lesser Bretheren' von Margaret Winifred Tarrant kostenlos auf unserer Website zu zeigen.
Das Bild 'Good Shephard', Bernhard Plockhorst (1825–1907) ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.

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