Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrerin Heike Seidel-Hoffmann: Themenpredigt: "ENGEL"

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Themenpredigt: "ENGEL"

Gehalten von Pfarrerin Heike Seidel-Hoffmann:

'The Angel Gabriel Sent by God', Giotto di Bondone (1267-1337)

Vor einigen Wochen gründete die norwegische Prinzessin Märtha Louises in Oslo eine so genannte "Engleskole", zu deutsch "Engelschule". Auf ihrer Homepage versprach die Prinzessin Interessenten in einer 3-jährigen Ausbildung, die umgerechnet 12.000 Dollar kosten soll, den direkten Kontakt mit Engeln. Das war zu viel für die nüchtern-protestantisch geprägten Norweger. Die Presse bezeichnete die Prinzessin als geschäftstüchtige Schwindlerin, führende Repräsentanten der evangelisch-lutherischen Staatskirche forderten ihren Kirchenaustritt. Nach dieser massiven Kritik änderte Märtha Louise ihren Kurs. Auf der Homepage der Engelschule steht nun lediglich, die Prinzessin wolle zusammen mit den Kursteilnehmern nur „versuchen, Kontakt mit Engeln aufzunehmen“. In einem Fernseh-Interview sagte Märtha Louise, für sie seien Engel zwar „nicht körperlich vorhanden“, aber sie seien „Lichtwesen, die manche sehen und andere eben nicht.“ Über ihre angeblichen Kräfte als Wunderheilerin meinte die als Physiotherapeutin ausgebildete Prinzessin, sie könne „auch nicht mehr als andere“: „Aber ich sehe Dinge und höre Dinge, die nicht jeder sieht oder hört.“

Liebe Gemeinde, ich möchte nicht über die Motive der Prinzessin urteilen. Sehr schade finde ich, dass die Kirche hier nicht das Gespräch suchte, sondern von vorne herein ein Urteil fällte. In einem Interview sagt der Neutestamentler Professor Klaus Berger: „Engel stehen für religiöse Erfahrung an der Basis des menschlichen Lebens…sie sind mehr als die üblichen Barockputten… Die Wirklichkeit Gottes ist eine unsichtbare Welt, in der allein die Augen des Herzens taugen und sehen…wer die Bibel aufschlägt, begibt sich in diese Welt. Wenn Sie alle Wunder und Visionen der Bibel wegstreichen, haben Sie in der Tat das Wenige in den Händen, das den deutschen Durchschnittsprotestanten ausmacht: Vernunft und Moral. Aber das ist nicht biblische Religion… Engel sind zwar nicht so real wie der Briefträger morgens am Briefkasten, aber trotzdem wirklich. Engel sind Weisen, in denen uns Gott begegnet… dass uns jegliche Antennen für Engel fehlen, ist kulturspezifisch bedingt. Im mystischen Judentum gibt es Anweisungen, was man tun muss, um himmlischen Mächten zu begegnen. Man soll sich 20 Tage lang auf den Fußboden setzen, kein Fleisch essen, nur Wasser trinken, keine Frau angucken und bestimmte Gebete immer wiederholen. Dann sollen sich bestimmte Erfahrungen von selber einstellen…“

'Tetramorph. Fresco, Meteora
', 16. Jhd.

Liebe Gemeinde, diese Idee von Klaus Berger ist in jedem Fall um sehr vieles billiger als ein Kurs in der Engelsschule. Ich möchte es wagen, Ihnen zwischen diesen Extremen einen Mittelweg anzubieten. Die Bibel spricht von Gott in einer Vielzahl von Bildern. In der hebräischen Bibel ist der Name für „Engel“ „Mal´ak“, das heißt übersetzt „Botschafter“, gedacht ist zunächst an den Botschafter des Königs, der dann natürlich im gewissen Sinne den Herrscher selbst repräsentiert. Der Botschafter stehen für die Ehrfurcht vor Gottes Majestät, man ist eben nicht per Du mit dem Heiligen. Was zählt ist der respektvoller Umgang mit Gott. Wie sehen nun Engel aus? Im Buch Ezechiel wird von einer Vision des Propheten berichtet. Er spricht von geflügelten Wesen, den sog. „Cherubim“, die dem Allherrscher als Thron im Tempel dienen. Es sind vierflügelige Lebewesen mit den Gesichtern von Mensch, Löwe, Stier und Adler – die Symbolik fand später Eingang in die kunstgeschichtliche Darstellung der vier Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes. Diese Engelvorstellung als Mischgestalt von Tier und Mensch kommt aus dem alten Mesopotamien (heute Iran/Irak).

Dann gibt es noch die sog. „Seraphim“, das sind die Engel, die unablässig das Lob Gottes verkünden. Sie glühen vom Feuer ekstatischer Liebe zu Gott. Der Prophet Jesaja erzählt in einer Vision, er habe den Thron Gottes umfangen gesehen mit den 6-flügeligen Seraphim. Und einer rief zum anderen und sprach: „Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll.“ Diese Worte singen wir in jeder Abendmahlsliturgie. Es ist schön, dass die Liturgie ein Abbild der himmlischen Wirklichkeit ist, die wir hier in unserer begrenzten Welt erfahren können. Eine besondere Bedeutung haben Engel in der Bibel als Verkündiger der lebensspendenden Kraft Gottes. Sarah und Abraham wird im hohen Alter ein Kind verheißen. Es heißt, drei fremde Männer seien zum Zelt Abrahams gekommen und hätten ihm verkündet, er werde bald einen Sohn haben. Die drei Männer wurden später als Engel gedeutet.

'Die Erscheinung der Engel vor Abraham', Giovanni Battista Tiepolo, 1726-1728

Im Neuen Testament wird der Engel Gabriel zum Verkünder der göttlichen Kraft. Zacharias und Elisabeth, ebenfalls im hohen Alter, wird gesagt, dass sie einen Sohn haben werden: Johannes der Täufer. Und Maria wird die Erwartung eines Sohnes angekündigt, ohne dass sie zuvor einen Mann erkannt hat. Gabriel gilt als Engel der Morgenröte und der Zeugungskraft Gottes. Bei allen Engelbegegnungen steht die Furcht der Betroffenen an erster Stelle, und der Engel sagt immer „fürchte dich nicht“. Am leeren Grab Jesu begegnen die Frauen Männern in weißen leuchtenden Kleidern, „und sie fürchteten sich und flohen voll Furcht und Zittern“. Mit diesen Worten endet das Markusevangelium, das älteste Evangelium. Engel sind Wesen der Begegnung. Sie verkörpern die verschiedenen Wirkungsweisen Gottes in der Welt. Sie versinnbildlichen die Größe, Macht und Stärke Gottes, aber auch seine dunklen, unverständlichen Seiten – „Luzifer“ wird ja als gefallener Engel bezeichnet, der sich Gott eigenmächtig widersetzte. So ist der biblische Engel keine eindeutige Heilsgestalt. Er kann eben auch die dunklen, verstörenden Mächte ins Spiel bringen und bewusst machen.

Das Thema „Jesus und die Engel“ ist interessant. Es heißt, dass Jesus nach der Versuchung des Teufels in der Wüste Engeln begegnete, die ihm dienten. Jesus hat als Exorzist gearbeitet, der gute und böse Geister klar voneinander zu unterscheiden wusste. Das mag uns heute hilfreich sein, denn auch wir machen viele Erfahrungen, die uns verzweifeln lassen: Wenn z.B. die Medien von grausamen Taten berichten, von Menschen, die ihre Opfer quälten und grausam töteten, dann spüren wir, dass wir nicht mehr weiterkommen mit unserer Vernunft allein, in der jeder Mensch doch irgendwie einen guten Kern hat. Es stimmt eben nicht - und da ist die Bibel um Vieles realistischer als unser von der Aufklärung geprägtes Menschenbild – dass der Mensch im Grunde seines Herzens gut ist. Das können wir von der biblischen Rede von den unsichtbaren Mächten lernen: Dass es dämonische Kräfte gibt, die Menschen zu zerstörerischen Handlungen bringen. Dass wir angewiesen sind auf einen göttlichen Bereich, in dem auch Engel eine Bedeutung haben. Wie keine andere Zeit stellt unsere Gegenwart die Frage nach den unterschiedlichen Mächten, die unser Leben beeinflussen, und diese Mächte sind doch unsichtbar! Viele Menschen fühlen sich heute nur noch als Spielball dieser Mächte und Geister, die man kaum noch kontrollieren kann. Der Zeitgeist, der alles Mögliche vorschreibt, der Ungeist, der verborgen in allem Dunklen und Unverständlichen wirksam ist.

'The Lesser Bretheren' - Margaret Winifred Tarrant, England (Jesus als Tierfreund - England)

Wir fragen uns doch dauernd: Was ist gut für mich und was nicht, was soll ich kaufen, wie soll ich leben und die alltäglichen immer unübersichtlicher werdenden Bereiche regeln? Jeden Tag müssen wir unzählige Entscheidungen treffen und vieles wächst uns über den Kopf. Denn alles was wir tun hat eben auch eine unsichtbare Dimension, alles was wir tun hat etwas zur Folge, was wir direkt gar nicht sehen und erkennen können. Vergessen wir nicht: Alles Wichtige unseres Leben ist unsichtbar. Liebe und Vertrauen, Ängste und Verzweiflung. Es ist die Erfahrung von Mächten zwischen denen unser Leben oft zerrrissen ist, zwischen Depressionen und Einsamkeit, zwischen Hilflosigkeit und Ohnmacht. Hier würde eine Mystik des Glaubens die auch von den Engeln reden kann vielleicht mehr Menschen überzeugen, dass es in der Kirche nicht nur ums Gutmenschentum geht, sondern um Hilfe und Unterstützung im täglichen Daseinskampf. Denn wir sind als Menschen „instinktverunsichert“, wir stehen vor diesen vielen Entscheidungen und Lebensentwürfen und können eben nicht wie die Tiere unseren Instinkten trauen und einfach danach handeln. Wir stehen vor der Unterscheidung der Geister, vor der Frage welche Kräfte uns bestimmen, was uns zur Klarheit des Lebens hilft und was uns verwirrt und in Dunkelheit bringt. Hier könnte die biblische Vorstellung von Engeln als Boten des Göttlichen für all das stehen, was das Leben fördert und erhält. Sie könnte uns sensibel machen für alles, was dem Leben und Zusammenleben förderlich ist und was es behindert und einschränkt. Wir könnten sehen und erkennen, welche Menschen nur sich selbst zum Maßstab haben und alles und jeden zu ihrem eigenen Vorteil benutzen, ohne nach den Folgen für andere Menschen oder unsere Erde zu fragen. Wir könnten ein neues Gespür entwickeln für die lebenserhaltenden Kräfte und Energien in unserer Gesellschaft und denen, die alles und alle nur ausbeuten und benutzen. Wenn, ja, wenn wir denn an die Engel glauben könnten…ich möchte schließen mit einem Gedicht von Rainer Maria Rilke:

Wiktor Michailowitsch Wasnezow, 1848(1848)–1926/27

„An den Engel“

Starker, stiller, an den Rand gestellter Leuchter: oben wird die Nacht genau.
Wir vergeben uns in unerhellter
Zögerung an deinem Unterbau.
Unser ist: den Ausgang nicht zu wissen
aus dem drinnen irrlichen Bezirk,
du erscheinst auf unsern Hindernissen
und beglühst sie wie ein Hochgebirg.
Deine Lust ist über unserm Reiche,
und wir fassen kaum den Niederschlag;
wie die reine Nacht der Frühlingsgleiche
stehst du teilend zwischen Tag und Tag.
Wer vermochte je dir einzuflößen
von der Mischung, die uns heimlich trübt,
du hast Herrlichkeit von allen Größen,
und wir sind am Kleinlichsten geübt.
Wenn wir weinen, sind wir nichts als rührend,
wo wir anschaun, sind wir höchstens wach,
unser Lächeln ist nicht weit verführend,
und verführt es selbst, wer geht ihm nach?
Irgendeiner. Engel, klag ich, klag ich?
Doch wie wäre denn die Klage mein?
Ach, ich schreie, mit zwei Hölzern schlag ich,
und ich meine nicht, gehört zu sein.
Dass ich lärme, wird an dir nicht lauter,
wenn du mich nicht fühltest, weil ich bin.
Leuchte, leuchte! Mach mich angeschauter
bei den Sternen. Denn ich schwinde hin.

Amen

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Die Freske 'Die Erscheinung der Engel vor Abraham', Giovanni Battista Tiepolo, 1726-1728, und dessen Reproduktion gehört weltweit zum "public domain". Das Bild ist Teil einer Reproduktions-Sammlung, die von The Yorck Project zusammengestellt wurde. Das copyright dieser Zusammenstellung liegt bei der Zenodot Verlagsgesellschaft mbH und ist unter GNU Free Documentation lizensiert.
Das Fresco 'Tetramorph, Meteora', 16. Jhd., das Gemälde von Wiktor Michailowitsch Wasnezow, 1848(1848)–1926/27, sowie die Malerei 'The Angel Gabriel Sent by God', Giotto di Bondone (1267-1337), sind im public domain, weil ihr copyright abgelaufen ist.
Das Mosaik 'St Gabriel', 12. Jhd. (2008, Jastrow), ist lizenziert unter der Creative Commons-Lizenz Namensnennung 2.5.

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