Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrerin Heike Seidel-Hoffmann: Themenpredigt: "TÜR"

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Themenpredigt: "TÜR"

Gehalten von Pfarrerin Heike Seidel-Hoffmann:

'Jakobstraum', 1991 - Walter Habdank. © Galerie Habdank

'Jakobstraum', 1991
Walter Habdank. © Galerie Habdank

Ohne Passwort kommt man heutzutage nicht weit. Man kommt nicht ans Bankkonto und nicht an den Computer. Nur der richtige Besitzer des Computers kennt sein Passwort und kann so den Computer auch benutzen. Nur die richtige Zahlenkombination öffnet das Bankkonto wie ein Schlüssel und man kommt ans Geld heran. So ähnlich ist es auch mit der Bibel. Die Bibel ist ein Buch, das sozusagen die richtigen Passwörter, die richtigen Schlüssel enthält, damit wir in Kontakt mit dem Heiligen kommen. Biblische Geschichten ermöglichen die Kommunikation mit dem Heiligen und können Türen zu Gott öffnen. Deshalb kann man ohne Bibelgeschichten keine Religion und keinen Glauben vermitteln. Wer Kindern etwas von Gott erzählen will, muss ihnen die richtigen Geschichten erzählen, die etwas weitergeben von dem, wie Gott ist und was er für die Menschen bedeutet. Die Bibel erzählt, dass Gott selbst eine Art Passwort benutzt, um sich vor den Menschen auszuweisen. Ich denke an eine wichtige Figur der Geschichte Israels, an Jakob, den Ahnvater Israels. Jakob träumt in der Wüste von einer Himmelsleiter, an der Engel auf- und absteigen. Oben steht Gott selbst und sagt: „Ich bin der Gott deines Großvaters Abraham und deines Vaters Isaak, und dieses Land auf dem du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben.“ So kann Jakob beruhigt weiterschlafen und sich geborgen fühlen, denn dieser Gott ist der gleiche Gott wie der Gott seiner Väter, der Gott Abrahams und Isaaks. Und Jakob kann sicher sein: Dieser Gott wird mit ihm sein und ihn begleiten und beschützen. Ebenso ist es bei Mose. Als Mose beim Schafehüten in der Wüste Gott aus dem brennenden Dornbusch zu ihm sprechen hört, fragt er ihn: „Wie ist dein Name?“ Und Gott weist sich mit dem gleichen Passwort aus wie bei Jakob: „Ich bin der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Ich werde immer mit dir sein.“

Natürlich geht es immer um die menschlichen Ängste, die daran hindern, zu Gott zu kommen. Die biblischen Geschichten nehmen diese Ängste ernst und begleiten die Menschen auf dem Weg zum Heiligen. Denn wer Gott begegnet, bekommt erst einmal einen Riesen-Schreck. Doch dann leistet Gott selbst eine Art Vertrauensarbeit, durch die es möglich wird, ihm überhaupt entgegenzukommen. Gott weist sich aus durch Passwörter, die Auskunft geben. Es sind diese Passwörter, die Türen öffnen und die die Verbindung von Mensch und Gott herstellen. Gott weist sich aus durch die Tradition von drei Namen: Abraham, Isaak, Jakob. Damit wird Vertrauen erst möglich und der Mensch kann sich dem Unbekannten öffnen; der Macht, die ihn trägt, der Kraft, die ihm entgegenströmt. Und er weiß dass er sich dieser Kraft anvertrauen kann. Die Tradition der Bibel ist also wichtig bei dieser Türöffnung zu Gott hin. Für Christen ist das wichtigste Zugangswort zu Gott „Jesus Christus“. Der Name Jesus Christus verspricht „full access“, vollkommenen Zugang zu Gott. Das ist christliches Bekenntnis.

Joh. 10, 7 - 10: Da sprach Jesus wieder: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ich bin die Tür zu den Schafen. Alle, die vor mir gekommen sind, die sind Diebe und Räuber; aber die Schafe haben ihnen nicht gehorcht. Ich bin die Tür; wenn jemand durch mich hineingeht, wird er selig werden und wird ein- und ausgehen und Weide finden. Ein Dieb kommt nur, um zu stehlen, zu schlachten und umzubringen. Ich bin gekommen, damit sie das Leben und volle Genüge haben sollen.

'Christ's Charge to Peter', 1515 - Raffaello Sanzio

Jesus bezeichnet sich selbst als Tür. Und zwar in doppelter Funktion: Einmal als Tür zu den Schafen, als Zugang zu den Menschen. Denn Jesus selbst ist wahrer Mensch gewesen. Er hat alles Menschliche gelebt und durchlitten: Einsamkeit und Freude ebenso wie Schmerz und Leidenschaft, Distanz und Nähe zu Gott ebenso wie Feinseligkeit und Wut, Trauer und Angst. Nichts Menschliches war ihm fremd und er wollte der Freund aller sein: Freund Gottes und der Freund der Menschen. Deshalb ist Jesus die Tür, durch die wir eintreten können um uns selbst anzuschauen und zu begegnen. Nichts muss uns dabei ängstigen oder befremden, wir brauchen uns dabei vor niemandem zu schämen. Denn in Jesus Christus ist alles an uns und in uns akzeptiert und für wahr befunden worden. Er ist der wahre Mensch, in allen Stärken und Schwächen. Darin können wir ihm ganz vertrauen. Doch Jesus Christus ist mehr: Er ist gleichzeitig auch die Tür zu Gott. Durch ihn kann das Trennende von Gott überwunden werden. „Ich bin die Tür; wenn jemand durch mich hineinkommt, wir er gerettet werden und wird ein- und ausgehen und Weide finden.“ Jesus vergleicht sich selbst mit einer offenen Tür zu Gott hin. Das heißt: Er steht verbindend zwischen zwei Räumen, die uns voneinander getrennt erscheinen. Doch Christus verbindet die Welt Gottes und die Welt der Menschen. Vor die menschliche Furcht vor Gott stellt er sich selbst als guten Hirten. Er selbst verkörpert die Nähe zu Gott, die Rettung und Nahrung verspricht. Die Schafe, die Gläubigen, sollen „Weide finden“. Sie sollen ernährt und gesättigt werden. Der gute Hirte verspricht, dass unser innerer Mensch ganz satt werden soll. Gott will satt machen: Seine Liebe, sein Erbarmen, seine Kraft, sein heiliger Geist, alles steht bereit wie auf einem herrlichen Buffet von dem man sich nur noch zu bedienen braucht, wenn man den richtigen Zugang, das richtige Passwort hat. Und das ist „Jesus Christus“.

Das klingt so einfach und ist doch so schwer. Denn natürlich geht es um den Glauben. Der Glaube ist das Schwierige, das Wagnis, der Sprung in die unbekannte Welt. Es ist schwer, zu glauben, aber Christus reicht die Hand. Die Tür ist offen, und jeder kann eintreten. Für viele Leute sind Kirchen nur noch aus musealen Gründen interessant. Im Urlaub gehen sie in jede Kirche um sie zu besichtigen, doch zu Hause haben sie noch nie ihre Kirche um die Ecke betreten, denn da ginge es ja um mehr. Im Grunde kann jede Kirche ein Tor zum Heiligen öffnen, das mich herausreißen kann aus meinem Alltag und mich mit mir selbst und Gott konfrontiert. Das kann ja eigentlich nur gut sein. Dieser Abstand auch zu sich selbst kann helfen, wieder ins richtige Lot zu kommen, helfen, die Welt, sich selbst und andere wieder neu und anders zu sehen. Heute will man zwar Kirchen besichtigen, aber mit Jesus und der Bibel will man nichts zu tun haben. Dabei bräuchten doch alle Menschen Distanz zu dem, was sie erleben, einen Raum zum Nachdenken und auch zum Miteinanderreden, eben dieses „vor Gott kommen“.

Die christliche Religion will neue Räume zum Leben eröffnen, auch neue Erfahrungen ermöglichen. Religion heißt im Grunde: die Tür zur unsichtbaren Welt öffnen. Diese Welt ist keine Welt hinter der sichtbaren Welt, sondern mitten in ihr. Jesus war ein Mensch aus Fleisch und Blut. Mitten in dieser Welt lebte er mit dem heiligen Gott verbunden. Doch viele Menschen haben Scheu vor dem Heiligen. Sie fragen sich: Was geschieht, wenn ich die Tür zur unsichtbaren Welt erst einmal geöffnet habe? Wer weiß, was sich dahinter verbirgt? In jedem Fall etwas Unbekanntes. Und Menschen mögen das Unbekannte nicht: Es macht Angst, es ist unheimlich, es ist unberechenbar. Das gilt besonders für den Bereich der Religion. Da geht es um Erfahrungen, durch die man in jedem Fall Grenzen überschreiten kann. Türen zum Nicht-Alltäglichen öffnen sich und erschließen neue Zugänge zum Leben und zur Welt. Und wenn ich diese Tür zum Unsichtbaren geöffnet habe, wenn ich mich in dieses Fahrwasser der Religion begeben habe und in den Bereich des Heiligen hineinkomme, dann kann auch das schwierig werden. Mein gewohnter Alltag relativiert sich. Neue Ansprüche werden an mich gestellt, ich werde verunsichert. Ich muss mich beschäftigen mit dem, zu dem ich sonst im Alltag kaum einen Zugang habe: Mit Gott, mit der Ewigkeit, mit meinem Seelenheil, mit der Not der Welt, mit meinem Schicksal, das auf geheimnisvolle Art und Weise verbunden ist mit dem Schicksal anderer. Deshalb ist es mit dem Glauben so schwer.

Jesus, der wahre Mensch, ist die Tür, die ich vor mir sehe, aber ich will durch diese Tür doch lieber nicht hindurch gehen, denn wer weiß, was mich da erwartet. Ich will glauben, aber ich habe auch Angst, denn ich weiß nicht, was sich dabei entwickelt und wohin mich dieser Weg dann führt. So geht es vielleicht vielen Menschen und sie trauen sich nur nicht, darüber zu sprechen. Doch wenn ich glauben will, muss ich mich den existentiellen Fragen stellen, die auch unbequem sein können: Was ist der Sinn meines Lebens? Welcher Weg ist der richtige? Welche Entscheidungen soll oder muss ich treffen? Wie kann ich versöhnt und in Frieden mit allen Menschen leben? Wie gehe ich mit Ärger, Streit, Hass, Neid und Konkurrenz um? Wie kann ich wahrhaft lieben? Wie kann ich dankbar jeden Tag meines Lebens annehmen? Das alles sind im Grunde Fragen, vor denen man steht wie vor verschlossenen Türen. Man möchte sie vielleicht öffnen, aber sie lassen sich nicht so leicht öffnen. Man braucht für sie einen Schlüssel, einen Zugang. Die Bibel bietet einen Zugang. Auch Kirchengemeinden oder andere christliche Gemeinschaften bieten einen Zugang. Andere Gläubige bieten einen Zugang. Denn Glauben kann man nicht für sich allein. Einer, Jesus Christus, ist der Hirte, aber die Schafe brauchen sich in der Herde. Dass es für Christen nicht gut ist, allein zu bleiben, spürten auch die Jünger, als der auferstandene Christus ihnen erschien. Im 20. Kapitel des Johannesevangeliums heißt es, dass sie alle in einem Haus versammelt waren. Es heißt, dass sie die Türen verschlossen hatten aus Angst, so wie Jesus verhaftet und getötet zu werden. Doch diese Angst hinderte den Auferstandenen nicht daran, zu ihnen zu kommen und ihnen Frieden zu wünschen. Das ist ein wunderschönes Bild für die Auferstehung. Es geht um das Durchbrechen verschlossener Türen. Auferstehung heißt, dass bis heute kein Schloss und kein Riegel Jesus Christus abhalten kann, die Herzen zu erreichen und in das Leben von Menschen einzutreten. Er tritt ein, er wünscht Frieden und alle Angst wird durch seine Zuwendung überwunden - die Angst vor dem Leben und die Angst vor dem Tod.

„Ich bin die Tür; wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden. Er wird ein- und ausgehen und Weide finden“. Im Mittelalter hat man die Tore zu den Kathedralen mit einem thronenden Christus geschmückt. Da wusste man noch, dass man nur durch Christus eintreten kann in den Bereich eines Lebens in Fülle. Wer die Worte Jesu ernst nimmt und ihm nachfolgt, der kann als Mensch wahrhaft wachsen und reifen: Hin zu sich selbst, zu anderen und zu Gott, hinzu mehr Liebe, Mitgefühl, Vertrauen und Hingabe. Wer die Worte Jesu ernst nimmt und ihm nachfolgt, der muss nicht mehr nur um sich selber kreisen, nicht mehr nur an der Oberfläche leben, nicht gehetzt und ruhelos herumlaufen. Der wird einen Zugang zu seinem Herzen haben und eine Beziehung zu seiner Seele. Und der wird wissen, was zählt im Leben und worauf es ankommt. Wahrhaft da zu sein für die Menschen, die man liebt, aber auch für die, die man um Christi willen lieben soll: Die Armen, die Betrogenen, die Verzweifelten, die am Rand Stehenden.

Jesus Christus ist der gute Hirte. Er will die Menschen in Gottes Nähe führen und sie das Leben in Fülle schmecken lassen. Ich möchte schließen mit Worten aus dem 23. Psalm:

'Junge Lämmer', 2006 -  Friedrich Böhringer

Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.
Er weidet mich auf einer grünen Aue und führt mich zum frischen Wasser.
Er erquickt meine Seele. Er führt mich auf rechter Straße um seines Namens willen.
Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück;
denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.
Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde.
Du salbst mein Haupt mit Öl und schenkst mir voll ein.
Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang,
und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.

Amen

Das Gemälde 'Christ's Charge to Peter', 1515 - Raffaello Sanzio, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Wir danken Frau Friedgard Habdank sehr herzlich, dass sie uns die Bilder ihres Mannes auf so großzügige und kostenlose Weise zur Verfügung gestellt hat. © Galerie Habdank, www.habdank-walter.de
Die Photographie 'Junge Lämmer', 2006 - Friedrich Böhringer, wurde unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht. Es ist erlaubt, die Datei unter den Bedingungen der GNU-Lizenz für freie Dokumentation, Version 1.2 oder einer späteren Version, veröffentlicht von der Free Software Foundation, zu kopieren, zu verbreiten und/oder zu modifizieren.

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