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"ABC" des Glaubens - Jungfrauenempfängnis

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'Verkündigung an Maria', Russisch, 16 Jhd. Ikonenmuseum Recklinghausen

'Verkündigung an Maria', Russisch, 16 Jhd. Ikonenmuseum Recklinghausen

Jungfrauenempfängnis

„Empfangen durch den heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria“
(Apostolisches Glaubensbekenntnis)

Die oben zitierte Stelle aus dem Glaubensbekenntnis bringt einige Menschen in Verlegenheit, wenn sie diese Worte im Gottesdienst mitsprechen. Kann man ernsthaft an die Jungfrauengeburt Jesu glauben, ohne den gesunden Menschenverstand auszuschalten? Muss ein Christ / eine Christin wirklich daran glauben?

Wer die Bibel sorgfältig liest, wird feststellen, dass dieser Glaubensinhalt viel umfangreicher ist als allgemein bekannt. Es geht nicht nur um die Frage, ob eine Jungfrauenempfängnis – naturwissenschaftlich betrachtet – eine Möglichkeit ist, sondern es geht um die Identität Gottes.

Die folgende biblische Betrachtung soll erläutern, warum es möglich – und vielleicht sogar unumgänglich ist -, an die Jungfrauengeburt Jesu zu glauben.

Das biblische Bild der Jungfräulichkeit ist die Wüste

Um die Jungfrauengeburt Jesu zu verstehen, muss man wissen, was Jungfräulichkeit für die Menschen der biblischen Welt bedeutete. Es gibt Strömungen der kirchlicher Tradition, in denen Jungfräulichkeit als etwas Tugendhaftes, etwas Reines, etwas Erhabenes gilt. Dementsprechend war eine weiße Lilie ein Symbol der Jungfrau Maria in der kirchlichen Kunst

Aber in dem biblischen Kontext hat Jungfräulichkeit einen anderen Inhalt. Das biblische Symbol dafür ist nicht die weiße Lilie, sondern die Wüste. Zum Beispiel: als die Schöpfung jungfräulich war, war sie „wüst und leer“:

Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte (brütete) auf dem Wasser.

Der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser

Der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser

Es gibt eine Parallelität zwischen Maria und der Schöpfung. Als die Schöpfung jungfräulich war, war sie wüst und leer, d. h.: sie war tot. Erst als der Geist Gottes auf dem Wasser „brütete“ – wie es wortwörtlich heißt – wurde die Schöpfung fruchtbar und entwicklungsfähig. Dementsprechend sagte der Engel Gabriel zu Maria:

Der heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. (Lukas 1, 35)

'Die Jungfrau der Verkündigung', Gerard David, um 1500-1510 (YorckProject)

'Die Jungfrau der Verkündigung', Gerard David, um 1500-1510

Diese Sprache erinnert an die Entstehung der Schöpfung und bringt zum Ausdruck: in Maria soll nicht nur ein Kind entstehen, sondern eine neue Schöpfung. Diese Empfängnis ist nicht ein sexueller Vorgang, sondern ein Schöpfungswunder.

Eine weitere symbolische Vorlage der Jungfrauenempfängnis Jesu ist die Wüstenerde, aus der der erste Mensch erschaffen wurde. Diese Erde war steril. Wie es in dem 1. Buch Mose heißt:

Es war zu der Zeit, da Gott der HERR Erde und Himmel machte. Und alle die Sträucher auf dem Felde waren noch nicht auf Erden, und all das Kraut auf dem Felde war noch nicht gewachsen; denn Gott der HERR hatte noch nicht regnen lassen auf Erden, und kein Mensch war da, der das Land bebaute; aber ein Nebel stieg auf von der Erde und feuchtete alles Land. Da machte Gott der HERR den Menschen aus Erde vom Acker

Wüste

Wüste

Wie zwei frühe Zeugen der Christenheit schreiben:

  • Irenäus: „Wie der erst erschaffene Adam aus unbearbeiteter und noch jungfräulicher Erde (denn Gott hatte noch nicht regnen lassen) durch die Hand, d. h. durch das Wort Gottes geschaffen war, so entstand der zweite Adam, das Wort selbst, aus Maria, die noch eine Jungfrau war“.

  • Pseudoabdias: „Die Erde (von der Adam geschaffen wurde) wird darum jungfräulich genannt, weil sie weder von Blut noch von einem Toten befleckt wurde.“

Die biblische Denkweise wird offenbar in dem Propheten Amos. Im 8. Jahrhundert vor Christus sah Amos den Tag voraus, an dem das Land Israel von Norden her überfallen wird. Er beschreibt diese Katastrophe mit den Worten:

Die Jungfrau Israel ist gefallen, dass sie nicht wieder aufstehen wird; sie ist zu Boden gestoßen, und niemand ist da, der ihr aufhelfe. (Amos 5, 2)

Wenn Israel hier als Jungfrau bezeichnet wird, dann ist nicht damit gemeint, dass es seine Reinheit oder Unbeflecktheit bewahrt hätte, sondern dass es unfruchtbar, wüst und leer geblieben ist und seine Bestimmung nicht erreicht hat. Eine Jungfrau zu bleiben, war für jede Frau in der damaligen Welt eine große Demütigung, denn eine Frau, die Jungfrau geblieben war, war bedeutungslos, nichtig.

In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass Maria nicht verheiratet war, als sie Jesus zur Welt brachte. Sie war die Verlobte Josefs, noch nicht die Ehefrau. Das heißt: nach der Denkweise der damaligen Zeit war sie noch in dem Zustand der Nichtigkeit.

Die Jungfrauengeburt ist eine Vorschau der Auferstehung

Grabstätte in Jerusalem

Grabstätte in Jerusalem

Die Jungfrauengeburt hängt auch mit Ostern zusammen, denn Matthäus und Lukas schreiben aus dieser Perspektive. Die Jungfrauengeburt Christi ist für sie ein vorweggenommenes Osterwunder, denn so wie Christus als der Auferstandene aus dem jungfräulichen Grab hervorkam (ein Grab, in dem noch niemand gelegen hatte), so kam er in Bethlehem aus einem Mutterschoß hervor - durch eine Jungfrau, die „wüst und leer“ war - wie das Grab, das Jesus aufnahm.

Leben dort zu schaffen, wo es nach menschlichem Ermessen nicht möglich ist, ist ein Auferstehungswunder. Das erste solche Auferstehungswunder war Sara (1. Mose 18, 1 – 15).

Er (Abraham) hat geglaubt auf Hoffnung, wo nichts zu hoffen war, dass er der Vater vieler Völker werde, wie zu ihm gesagt ist (1. Mose 15,5): »So zahlreich sollen deine Nachkommen sein.« Und er wurde nicht schwach im Glauben, als er auf seinen eigenen Leib sah, der schon erstorben war, weil er fast hundertjährig war, und auf den erstorbenen Leib der Sara. (Röm. 4, 18. 19)

Auch die Mutter des Simpson und die Mutter Samuels waren unfruchtbar. Aus einem „toten“ Mutterleib“ ist Leben entstanden. Und unmittelbar vor der Verkündigung an Maria, wurde Elisabeth schwanger, deren Mutterleib auch als „tot“ galt.

Und siehe, Elisabeth, deine Verwandte, ist auch schwanger mit einem Sohn, in ihrem Alter, und ist jetzt im sechsten Monat, von der man sagt, dass sie unfruchtbar sei. Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich. (Lukas 1, 36. 37)

Zu dieser Thematik passt es deshalb, dass das Grab Jesu jungfräulich war.

Der ging zu Pilatus und bat um den Leib Jesu und nahm ihn ab, wickelte ihn in ein Leinentuch und legte ihn in ein Felsengrab, in dem noch nie jemand gelegen hatte. (Lukas 23, 52, 53)

Eine Voraussetzung der Jungfrauenempfängnis war, dass sich Gott schon in dem „Unterleib“ seines Volkes Israel befand

Frostige Stechpalme

Frostige Stechpalme

Frost ist ein Sichtbarwerden des unsichtbaren Wasserdampfes, das ständig um uns herum ist: ein Gleichnis für die Geburt Jesu als das Sichtbarwerden, dass der unsichtbare Gott ständig mit uns ist.

Es wäre eine falsche Einschätzung der Jungfrauenempfängnis, wenn man sie sich so vorstellen würde, als ob Jesus von irgendwo weit oben zu uns herunterkäme, als ob diese Geburt eine Invasion aus dem Weltall gewesen wäre. Sondern weil Gott mitten unter uns ist, ist eine Jungfrauenempfängnis folgerichtig.

Dieser Vorgang ist vergleichbar mit dem Kondensieren von Wasserdampf. Wasserdampf ist immer um uns herum – aber unsichtbar. Durch Kondensieren wird etwas sichtbar, das immer mit uns ist. So ist die Jungfrauengeburt Jesu gemeint. In Jesus wurde sichtbar, dass Gott mit uns ist. Deswegen trägt Jesus die hebräische Bezeichnung „Immanuel“ (= Gott mit uns“)

Siehe Anhang: Tau als Sinnbild der Jungfrauenempfängnis

Der Prophet Zephanja lebte 600 Jahre vor Christus. Er verkündete folgendes:

Jauchze, du Tochter Zion! Frohlocke, Israel! Freue dich und sei fröhlich von ganzem Herzen, du Tochter Jerusalem! ... Der HERR, der König Israels, ist bei dir, („Bei dir“= (wortwörtlich) in deinem Bauch, in deinen inneren Organen, in deinem Unterleib) dass du dich vor keinem Unheil mehr fürchten musst. Zur selben Zeit wird man sprechen zu Jerusalem: Fürchte dich nicht, Zion! Lass deine Hände nicht sinken! Denn der HERR, dein Gott, ist bei dir, (wortwörtlich: in deinem Bauch, in deinen inneren Organen, in deinem Unterleib) (Zephanja 3, 14 – 17)

Gerade vorher hatte der Prophet schonungslos davon gesprochen, was für Angeber, Lügner und Hartherzige in diesem Volk vorkommen. Aber von diesem gewöhnlichen, alltäglichen, moralisch labilen Volk heißt es: „Gott ist in deinem Unterleib, fürchte dich deshalb nicht.“

'O Heiland reiss die Himmel auf' - Beate Heinen, 1993. © ars liturgica Buch- & Kunstverlag, MARIA LAACH,

O HEILAND REISS DIE HIMMEL AUF, Beate Heinen, 1993. © ars liturgica Buch- & Kunstverlag, MARIA LAACH, Nr. 5499. Das Motiv ist beim Verlag erhältlich als Postkarte (Nr. 405499) und als Gruß-Doppelkarte (Nr. 415499).

In diesem Bild wird veranschaulicht, dass der Himmel – d. h.: Gott selber - mitten unter uns ist. Aber der Himmel ist unsichtbar, denn er ist jenseits der sichtbaren Wirklichkeit. Hier – mitten unter dem Menschenstrom - reißt der Himmel auf und etwas wird sichtbar, das auf der einen Seite einmalig /einzigartig war, aber auf der anderen Seite immer da war und sich millionenfach wiederholt – die Jungfrauenempfängnis. Denn Gott will in jedem von uns geboren sein.

Von diesem Hintergrund muss die Jungfrauengeburt Jesu verstanden werden. Das Wunder der Geburt Jesu besteht nicht bloß darin, dass möglicherweise ein biologisches, gynäkologisches Wunder eingetreten ist (was nicht kategorisch auszuschließen ist, denn für Gott ist alles möglich). Sondern das Wunder besteht vielmehr darin, dass Gott da erscheint, wo es wüst, leer und finster ist. Das Wunder ist, dass Gott unter Menschen erscheinen kann, die gemein, hinterlistig, abartig und kaltblütig sind. Die Welt, in die Jesus erschien, ist nicht eine Märchenwelt, sondern unsere Welt.

Auf der einen Seite war Jesus etwas absolut Einzigartiges und Einmaliges. Das ist das Mindeste, was der Begriff Jungfrauengeburt zum Ausdruck bringt. Aber auf der anderen Seite ist er eine Darstellung dessen, was in jedem Leben vorkommt. In jedem normalen, gewöhnlichen Menschenleben will Gott Gestalt annehmen und in der Gestalt Jesu erscheinen. Und auch da, wo eine menschliche Seele wüst und leer ist – gerade da - will Gott zur Welt kommen.

Wie Angelus Silesius feststellte:

Wird Christus tausendmal zu Bethlehem geborn und nicht in dir; du bleibst noch ewiglich verlorn.

Ein irischer Priester mit dem Namen James Feehan schrieb dementsprechend folgendes:

Warum hat Gott Bethlehem ausgesucht? Bethlehem war ein ödes Dorf, das auf einem Weg lag, der nirgendwo hinführte. Aber das ist der springende Punkt. Gerade weil es bedeutungslos war, weil es leer war, konnte Gott es füllen....In der liturgischen Zeit vor Weihnachten spielen zwei Frauen eine prominente Rolle: Elisabeth und Maria. Beide waren leer, Elisabeth war steril und Maria war Jungfrau. Inmitten dieser Leere erschien die Kraft Gottes. Er füllte ihre Leere aus.
In der Weihnachtszeit entdecken manche von uns unsere Leere. Gott will zu uns kommen, um diese Leere zu füllen: durch ein Wort des Trostes, durch eine Versöhnung, durch die Wiederentdeckung einer verloren geglaubten Freundschaft, durch Wort und Sakrament. Das Problem ist, dass wir häufig versuchen, uns selbst zu füllen, so dass Gott keinen Platz hat, so wie es für ihn keinen Platz in der Herberge gab. Unsere Zeit und unser Leben sind gefüllt mit Einkaufen, mit Hin- und Her-Rennen, mit Planen, Schmücken, Sorgen und Erschöpfung. In dieser Betriebsamkeit ist kein Platz für Gott. Gott kann in die Fülle nicht einkehren, nur in die Leere, in die Leere von Bethlehem, in die Leere von Maria und Elisabeth.

Allerdings drängt sich Gott einem nicht auf. Er wohnt nur da, wo er dazu eingeladen wird. Wie Christus sagte: „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen.“
In St. Pauls’ Cathedral in London hängt ein Bild von dieser Szene. Jesus klopft an einer Tür. Die Tür hat keinen Griff, denn sie kann nur von Innen aufgemacht werden.

Anhang

War die Jungfrauengeburt Jesu ein biologisches Wunder?

'Gottesmutter mit dem Kind', Italien, 16 Jhd., Ikonenmuseum Recklinghausen

'Gottesmutter mit dem Kind', Italien, 16 Jhd., Ikonenmuseum Recklinghausen

Lukas und Matthäus berichteten, dass Josef nicht der Vater von Jesus und dass diese Geburt ein Wunder Gottes war. Besonders Matthäus lässt keinen Zweifel daran, dass Josef bei dieser Geburt keine Rolle spielte.

In diesem Zusammenhang gibt es zwei gegensätzliche Ansichten, die – streng wissenschaftlich gesehen - nicht haltbar sind.

  • Auf der einen Seite sind die Zeugnisse von Matthäus und Lukas keine naturwissenschaftlichen Aufzeichnungen. Für Matthäus und Lukas lagen keine gynäkologischen Untersuchungen vor. Ob die Geburt Jesu ein biologisches Wunder war, lässt sich anhand der Bibel nicht empirisch klären.


  • Auf der anderen Seite wäre es armselig, Gott vorschreiben zu wollen, was er tun und nicht tun kann. Denn wollen wir wirklich einen Gott haben, der nicht größer ist als das, was der menschliche Verstand begreifen kann? Für Gott ist grundsätzlich alles möglich. Die Person Jesu Christi, „wahrer Mensch und wahrer Gott“, ist etwas absolut Einzigartiges. Das Kind in der Krippe ist die Menschwerdung Gottes, und diese Inkarnation ist ein unergründliches Geheimnis. Wie dieses Wunder der Menschwerdung geschah, ist ein unbegreifliches Mysterium. Es wäre eine anmaßende Einschränkung, kategorisch ausschließen zu wollen, dass ein Empfängniswunder geschah, dass medizinisch nicht zu erklären ist. Gerade Wissenschaftler machen die Entdeckung: je mehr wir lernen, um so mehr merken wir, wie wenig wir wissen.

Alma: “junge Frau” oder “Jungfrau”?

Das ist aber alles geschehen, damit erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht (Jesaja 7,14): »Siehe, eine Jungfrau (Hebräisch: Alma) wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben«, das heißt übersetzt: Gott mit uns. (Matt. 1, 22. 23)

Jesaja und Maria. Ikone, St. Katharinenkloster, Sinai, 13 Jhd., public domain

Jesaja und Maria. Ikone, St. Katharinenkloster, Sinai, 13 Jhd.

Alma (Heb.) = (wortwörtlich) junge Frau, wurde in der griechischen Übersetzung (die „Septuaginta“, die Matthäus hier verwendet, mit Parthenos (Griech.) = Jungfrau übersetzt.

Betula (Heb.) aber heißt wortwörtlich Jungfrau in einem neutralen biologischen Sinne.

Die Übersetzung „Parthenos“ stammte von den jüdischen Gelehrten, die in Alexandrien etwa 200 Jahre vor Christus die hebräische Bibel ins Griechische für Juden übersetzten, die Hebräisch nicht lesen konnten. Die Septuaginta galt in der jüdischen Welt zur Zeit Jesu als vollgültige Übersetzung.

Es wurde von vielen Auslegern darauf hingewiesen, dass Alma scheinbar falsch übersetzt wurde. Sie sagten: Jesaja meinte nicht „Jungfrau“, sondern „junge Frau“. Alma bezeichnet eine junge, unverheiratete Frau, reif genug, um Kinder zu gebären. Eine Betula könnte auch eine alte Frau sein, die ehelos und kinderlos geblieben ist. In dem Kontext des damaligen Israels ist eine Alma, die ein Kind bekommt, entweder eine Jungfrau oder eine Prostituierte. Aber Jesaja spricht nicht von einer Prostituierten.

Ob er tatsächlich eine Jungfrauengeburt voraussagen wollte, gilt unter Auslegern als zweifelhaft. Denn Jesaja – wie alle Propheten – wollte nicht unbedingt die Zukunft voraussagen, sondern eine zeitgemäße Situation ansprechen. Es wird manchmal behauptet, dass Matthäus wegen des Jesajatextes auf die Idee einer Jungfrauengeburt kam und dass seine Idee nicht haltbar ist, weil sie auf einen Übersetzungsfehler zurückgeht. Diese Behauptung ist Spekulation.

Die Übersetzung „Parthenos“ war nicht unbedingt falsch. Dass Matthäus die Jungfrauenempfängnis Jesu bezeugte, hing offensichtlich nicht von dem Jesajatext ab, denn was Matthäus berichtet, geht weit über den Prophetentext hinaus. Matthäus hat zwar in der Geburt Jesu eine Erfüllung des Jesajatextes gesehen. Aber die Erfüllung ging weit über das hinaus, was Jesaja ursprünglich beabsichtigt hatte. Das ist so mit allen Christus-Erfüllungen von alttestamentlichen Vorlagen. Jesus Christus, als die Vollendung der alttestamentlichen Geschichte, übersteigt alles, was vorher vorstellbar war.

Tau als Sinnbild der Jungfrauenempfängnis

Jesus in Maria ist das Sichtbarwerden des unsichtbaren Gottes, der immer mit uns ist, so wie Tau das Sichtbarwerden des unsichtbaren Wasserdampfes ist, der immer mit uns ist.

Folgende Szene gilt in kirchlicher Tradition als Vorschau der Jungfrauenempfängnis.

Und Gideon sprach zu Gott: Willst du Israel durch meine Hand erretten, wie du zugesagt hast, so will ich abgeschorene Wolle auf die Tenne legen: Wird der Tau allein auf der Wolle sein und der ganze Boden umher trocken, so will ich daran erkennen, dass du Israel erretten wirst durch meine Hand, wie du zugesagt hast. Und so geschah es. Und als er am andern Morgen früh aufstand, drückte er den Tau aus der Wolle, eine Schale voll Wasser!
(Richter 6, 36 – 38)

In einem Altar-Bild von Jan Joest (1460 – 1519) wird die Verkündigung der Geburt Jesu an Maria dargestellt. Der Verkündigungsengel deutet dabei auf eine Szene, die in der Ecke des Bildes zu sehen ist: Gideon kniet vor der Wolle, die mit Himmelstau befeuchtet wird.

'Gideon', Altar-Bild von Jan Joest (1460 – 1519)

'Gideon', Altar-Bild von Jan Joest
(1460 – 1519)

Diese Symbolik greift ein Marienlied von 1130/49 auf:

„Der Himmelstau die Wolle betaute ganz und gar: so kam dir die große Kraft, dass du schwanger wurdest,. Sancta Maria.“

Aus Holland stammte folgendes Lied aus dem Jahre 1666:

„Es fiel ein Himmelstaue in eine Jungfrau fein, es war kein böser Fraue, das macht ihr Kindelein.“

In der katholischen Kirche gibt es in der Adventszeit die Roratemessen (rorate = tauet), frühmorgendliche Messen im Schein von Kerzenlicht. Der Name leitet sich von einem Lied ab, mit dem diese Messe eingeleitet wird:

„Tauet, Himmel, von oben, ihr Wolken regnet den Gerechten. Es öffne sich die Erde und sprosse den Heiland hervor.“ (nach Jesaja 45, 8)

Und in unserem Evangelischen Gesangbuch gibt es ein Lied aus dem Jahre 1622 („O Heiland reiß die Himmel auf“), bei dem es in der zweiten Strophe heißt:

O Gott, ein' Tau vom Himmel gieß,
im Tau herab, o Heiland, fließ.
Ihr Wolken, brecht und regnet aus
den König über Jakobs Haus.

Wir danken Frau Friedgard Habdank sehr herzlich, dass sie uns die Bilder ihres Mannes auf so großzügige und kostenlose Weise zur Verfügung gestellt hat. © Galerie Habdank, www.habdank-walter.de.
Wir danken dem Ikonenmuseum Recklinghausen (www.kunst-in-recklinghausen.de/6im.html) für die Genehmigung, Ikonen aus diesem Museum kostenlos zeigen zu dürfen.
Das Kunstwerk 'Die Jungfrau der Verkündigung', Gerard David, um 1500-1510 und dessen Reproduktion gehört weltweit zum "public domain". Das Bild ist Teil einer Reproduktions-Sammlung, die von The Yorck Project zusammengestellt wurde. Das copyright dieser Zusammenstellung liegt bei der Zenodot Verlagsgesellschaft mbH und ist unter GNU Free Documentation lizensiert.
'Jesaja und Maria', Ikone St. Katharinenkloster, Sinai, 13 Jh., gehört auch zum "Public Domain", weil sein Copyright abgelaufen ist.
Das Hintergrundbild zu 'Tau als Sinnbild der Jungfrauenempfängnis' ist ein Ausschnitt aus 'Pusteblume im Morgentau' von Friedrich Böhringer, creative commons (creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5/)

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PSch

Predigt von Pfarrer Martin Vorländer: 4. Sonnntag im Advent - Lukas 1, 26 – 38 Guter Hoffnung sein - Maria

4. Sonnntag im Advent

Guter Hoffnung sein - Maria

Lukas 1, 26 – 38
Predigt und Fürbitten gehalten von Pfarrer Martin Vorländer am 19. Dezember 2010 in der Bergkirche

Liebe Gemeinde!

Wie die Jungfrau zum Kind

„Ich bin dazu gekommen wie die Jungfrau zum Kinde“, sagt man und das klingt eher entschuldigend: Ich habe nichts damit zu tun, es ist mir zugefallen, ohne dass ich es wollte. Doch der entschuldigende Ton ist fehl am Platz: Wie die Jungfrau zum Kinde – das ist eine Erfolgsgeschichte. In der Bibel kommt das Höchste dabei heraus, wenn ein Mensch sich auf das einlässt, was Gott ihm oder ihr in den Schoß wirft. Wir hören den Predigttext für den vierten Advent aus dem 1. Kapitel im Lukasevangelium:

Und im sechsten Monat ward der Engel Gabriel gesandt von Gott in eine Stadt in Galiläa, die heißt Nazareth, zu einer Jungfrau, die vertraut war einem Manne mit Namen Joseph, vom Hause David: und die Jungfrau hieß Maria. Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Gegrüßet seist du, Holdselige! Der HERR ist mit dir, du Gebenedeite unter den Weibern! Da sie aber ihn sah, erschrak sie über seine Rede und gedachte: Welch ein Gruß ist das? Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria! du hast Gnade bei Gott gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, des Namen sollst du Jesus heißen. Der wird groß sein und ein Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der HERR wird ihm den Stuhl seines Vaters David geben; und er wird ein König sein über das Haus Jakob ewiglich, und seines Königreiches wird kein Ende sein.
Da sprach Maria zu dem Engel: Wie soll das zugehen, da ich von keinem Manne weiß? Der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das von dir geboren wird, Gottes Sohn genannt werden. Und siehe, Elisabeth, deine Gefreunde, ist auch schwanger mit einem Sohn in ihrem Alter und geht jetzt im sechsten Monat, von der man sagt, daß sie unfruchtbar sei. Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich. Maria aber sprach: Siehe ich bin des HERRN Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast. Und der Engel schied von ihr.

Lukas 1, 26 – 38

Rutschpartie vom Himmel

Maria und Gabriel. Eine Szene zart und zugleich mächtig. Ehrerbietig spricht Gabriel, das Himmelswesen, die Erdenbürgerin Maria an: Ave Maria – sei gegrüßt, du Begnadete! Ein engelisch-menschliches Rendezvous – mit beträchtlichen Folgen für Maria: Wiewohl noch Jungfrau wird sie schwanger und wird den Sohn des Höchsten gebären.

Gruppenbild mit Engel

Die Szene ist oft gemalt worden. Ich habe Bilder vor Augen, auf denen sieht man auf der einen Seite den Engel Gabriel mit einer Lilie in der Hand als Zeichen der Reinheit. Auf der anderen Bildseite ist Maria, die Augen demütig, mutig zum Dienen niedergeschlagen. Oben sieht man aus Wolken heraus Gott-Vater auf die irdische Szene herabschauen. Ein Lichtstrahl geht von ihm aus, der das ganze Bild von oben nach unten hin zu Maria durchquert. Das Licht fällt auf Maria und ein kleines, quietschvergnügt lachendes Jesuskind, in Windeln gewickelt, macht auf dem Lichtstrahl eine Rutschpartie in Maria hinein.

Wie soll das zugehen?

„Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Mann weiß?“, fragt Maria den Engel. Als Jugendlicher habe ich mich über Maria gewundert: Wie, sie weiß von keinem Mann? Sie ist doch mit Josef verlobt! Hat sie den vor lauter Schreck vergessen? Nun, ich wurde aufgeklärt: „Nicht wissen“ meint das biblische „noch nicht erkannt haben“, also übersetzt: Maria und Josef waren zwar verlobt, aber noch nicht als Mann und Frau intim miteinander gewesen. Die Hochzeitsvorbereitungen laufen auf Hochtouren. Begegnungen zwischen Maria und Josef gibt es nur im Beisein von Verwandten. Josef braucht keinen Vaterschaftstest, um zu wissen: Dieses werdende Leben ist nicht sein Kind.

Begnadet um einen hohen Preis

Maria und Josef wird von Gott einiges zugemutet. Sie müssen Gerede, Klatsch und Tratsch befürchten. Wie sieht das für Außenstehende aus: Verlobt, noch nicht verheiratet und sie schon schwanger, noch dazu nicht von Josef. Das ist anstößig. „Du Begnadete!“, spricht der Engel Gabriel Maria an. Das Begnadetsein hat einen hohen Preis für sie, es könnte sie sogar das Leben kosten. Nach damaligem Rechtsbrauch hätte Josef Maria anzeigen können. Auf eine offensichtliche Ehebrecherin wartete die Steinigung. Das hätte das Todesurteil für Maria und ihr ungeborenes Kind sein können.

Wirklich ganz Mensch

Die Bibel erzählt: Gott wird wirklich ganz Mensch. Das ist die Ausgangssituation von Weihnachten: Keine traditionelle Familie im herkömmlichen Sinn, keine geordneten Verhältnisse, stattdessen Angst vor Schande, Lebensgefahr. Genau da hinein, in dieses Konglomerat von widerstreitenden Gefühlen und knallharten Gesetzen begibt sich Gott – ein Gott, der Menschen in den allerkomplexesten Lebenssituationen ganz nah, hautnah ist. Das Leben des Gottessohnes ist von Anfang an voller Wunder und zugleich den Schattenseiten dieser Welt ausgesetzt.

Genau da will Gott wohnen

Die anderen Umstände von Maria sind für damalige Zeitgenossen zweideutig, fragwürdig – so wie unsere Biographien und Familiengeschichten nicht immer geradlinig sind, sondern Brüche und offene Stellen haben. Doch genau in dieses unser Leben hinein mit seinen Widersprüchlichkeiten und gnadenlosen Härten kommt Gott und wird Mensch, um uns Menschen nahe zu sein. Er will in unseren Lebensgeschichten Wohnung nehmen, in unseren Herzen und Gedanken, um mit uns gemeinsam einen guten Lebensweg zu finden. Wer diesen Gott bei sich hat, ist wirklich begnadet.

Bedingungsloses Ja

Maria wird unehelich Mutter, obwohl das in den Augen der damaligen Gesellschaft eine Schande war und grausam bestraft werden konnte. Ihre Kraft, den Verhältnissen zu widerstehen, kommt nicht daher, dass sie blinden Gehorsam leistet - wem auch immer. Sie weiß, was sie tut und warum. Sie verhilft Gott zum Durchbruch auf Erden. Mit ihrem bedingungslosen Ja trägt sie dazu bei, dass Gott Mensch werden, sich entwickeln und entfalten kann. In vorbildlicher Weise, mit Leib und Seele, übernimmt Maria Verantwortung für das Geschehen in der Welt.

Symbol für unser Ja

Ihre Lebensgeschichte ist ein Symbol dafür, dass Gott nicht über den Kopf von Menschen hinweg handelt, sondern ihr engagiertes Ja braucht und in Anspruch nimmt, um seine Absichten zu verwirklichen. Mit Gottes Hilfe ein engagiertes Ja, das braucht die Welt, das brauchen wir, um Unterdrückung und Gewalt Einhalt zu gebieten, die ganz im Kleinen anfangen und sich schrecklich auswachsen können. Ein engagiertes Ja, um ungerechte Lebensverhältnisse nicht stillschweigend zu dulden, sondern zum Besseren hin zu verändern.

Jungfrau

„Ich bin des Herrn Magd“, sagt Maria. „Magd“ nennt sie selbst sich nur Gott gegenüber. Sie ist eine Frau, die von keinem Mann weiß, wie es in der Bibel heißt. Sie ist Jungfrau. Die biologische Seite an dieser Beschreibung Marias, die später noch mehreren Kindern das Leben geschenkt hat, war für mich nie von Interesse. Zudem handelt es sich um eine innerbiblische Übersetzungsverschiebung: In der Prophezeiung bei Jesaja heißt es, eine „junge Frau“ (hebräisch „imma“) ist schwanger. Bei den Evangelisten wurde aus der jungen Frau eine „parthenos“, eine Jungfrau. Die Mutter Jesu als Jungfrau, das führt über ein verengtes, auf medizinische Fragen fixiertes Verständnis weit hinaus. Maria ist unabhängig. Die junge Frau definiert sich nicht über irgendeinen Mann, auch nicht über den, den sie liebt. Sie ist nicht Frau Josef aus Nazareth, die Zimmermannsgattin, sondern Maria. Sie ist sie selbst – unberührt davon, wen oder was Josef darstellt. Damit liefert sie eine Lernhilfe für ihre schwarz-, blond- oder rothaarigen weiblichen Nachfahren. Maria ist als Persönlichkeit, als Frau intakt. So wird sie zu einer liebes- und gesprächsfähigen Partnerin.

Un-passend

Maria passt in kein Bild. Darum gut, dass es so viele Bilder von ihr gibt. Maria ist, wie wir alle bei Gott sein dürfen: Keine Menschen, die passen müssen, die von klein auf in fremde Vorgaben gepresst werden und dem entsprechen sollen, was andere von uns erwarten. Sondern Gottes unverwechselbare Töchter und Söhne, jede und jeder für sich genommen einmalig, bei Gott unendlich wichtig. Jede und jeder von uns gepriesen, begnadet, gebenedeit. Maria nachzueifern und den eigenen, ganz persönlichen Teil dazu beizutragen, dass Gott in die Welt kommt, das lohnt sich heute wie damals.

Guter Hoffnung

Maria. Eine schwangere Frau. Immer wieder von neuem eine Sensation: Zwei Personen in einer. Bis zu neun Monate lang niemals allein, sondern in jeder Sekunde wachsendes Leben unter dem Herzen tragen. „Guter Hoffnung sein“ nannte man das früher. Einfach guter Hoffnung zu sein war nie einfach – früher wie heute. Menschliches Leben heute wird von Anfang an, noch vor der Geburt, ja in manchen Fällen sogar vor der Einnistung in die Gebärmutter untersucht, gewogen und im ungünstigen Fall für zu leicht befunden, um zum Leben kommen zu dürfen. Die Medizin hat atemberaubende Fortschritte gemacht, die vielfach ein wahrer Segen für Kinder und ihre Eltern sind.

Gewogen und für zu leicht befunden

Ich bin in Sorge, wo dieser Segen Gefahr läuft, in Fluch umzuschlagen. Wir erleben derzeit die Debatte um die Präimplantationsdiagnostik (PID). Die PID hat das Ziel, unerwünschtes menschliches Leben auszusortieren. Aber Menschen dürfen sich niemals anmaßen, menschliches Leben zu selektieren und über sein Lebensrecht zu entscheiden. Befürworter weisen darauf hin, dass sich Menschen sehnlichst ein Kind wünschen, aber befürchten, Erbanlagen zu Krankheit oder Behinderung weiterzugeben, und dieses Risiko ausschließen wollen. Solche Ängste sind ernst zu nehmen. Als Kirche und Diakonie geben wir unser Bestes, um Eltern und ihren werdenden und geborenen Kindern beizustehen.

Leben – Risiko und Geschenk

Bei allem Segen, den der medizinische Fortschritt bedeutet, müssen wir uns hüten vor der unerfüllbaren Erwartung, Leben sei mithilfe von Wissenschaft und Forschung machbar. Leben ist und bleibt ein Risiko. Und: Leben ist ein Geschenk – und kein Produkt, auf dessen optimale Fertigung es einen Anspruch gäbe. Ich möchte eine Gesellschaft, in der jedem Leben Lebensrecht zugebilligt wird. Die Lehren aus unserer Geschichte zeigen, dass wir allen Versuchen widerstehen müssen, zwischen „lebenswertem“ und „lebensunwertem“ Leben zu unterscheiden.

Solidarität statt Selektion

Unsere Gesellschaft - also wir! - müssen unsere Verantwortung wahrnehmen und Leben mit seinen Schwächen und Stärken annehmen, es willkommen heißen. Niemand wird bezweifeln, dass Eltern sehr oft durch eine Krankheit oder Behinderung ihres Kindes schwer belastet sind – aber das erfordert keine Selektion, sondern praktische Solidarität in der Gesellschaft. Das ist meine Vision: Alle Menschen sollten sein dürfen, ohne und mit Einschränkungen, sie selbst sein.

Two in one

Eine schwangere Frau. Zwei in einer. Zwischenmenschlich ist immer mehr unterwegs, als von außen sichtbar. In einem Plausch mit der Nachbarin über Alltägliches geht einer unausgesprochen schwanger mit Lebensplänen. Mitten im Meeting ist eine Kollegin hochkonzentriert und engagiert bei der Sache – wer würde ahnen, dass sie zugleich über beide Ohren verliebt ist und voller innerer Erwartung das Rendezvous am Abend herbeisehnt?

Mehr als der äußere Schein

Glauben heißt mehr sehen als den äußeren Schein und darauf vertrauen, dass Gott in unserem Leben gegenwärtig ist in sichtbaren und in verborgenen, erst zu entdeckenden Zeichen seiner Liebe. Der erwachsene Jesus wird einmal sagen: „Siehe, das Reich Gottes ist inwendig in euch.“ (Lukas 17, 21 in der ursprünglichen Übersetzung Martin Luthers). Gott ist gegenwärtig in Köpfen, in Herzen, überall da, wo Menschen so leben, dass an ihnen und durch sie etwas von der Liebe und der Leidenschaft unseres Gottes sichtbar wird, der das Leben und die Freiheit will. Wir gehen gleichsam schwanger mit Gottes Reich, das in uns wachsen will und durch uns zur Welt kommen soll

Ganz Gott

Zwei in einem. Das bekennen wir von Jesus Christus: Wahrer Mensch und wahrer Gott. Jesus ist ganz Mensch. Aber er ist nicht nur Mensch. Sonst würde an Weihnachten für uns Menschen nichts geschehen. Jesus wäre dann vielleicht ein Wunderheiler oder Guru gewesen, aber nicht der Heiland und Erlöser. Wir würden auf uns selbst sitzen bleiben und wären von Gott so weit entfernt wie der Morgen vom Abend. Die Geschichte von der Ankündigung der Geburt Jesu drückt aus: Dieser Mensch Jesus ist ganz Mensch und ganz Gott. Mit ihm kommt Gott selbst zur Welt. Damit ändert sich unser Leben: Gott kommt darin vor. Wie ein Lichtstrahl fällt er hinein in mein, in Ihr Leben. Gott ist uns menschlich und zugleich göttlich nahe, egal, ob unsere Lebensumstände gerade verworren oder engelgleich klar und leicht sind.

Dornen zu Rosen

Gottes Einfall in unser Leben kann eine Zumutung sein. So war es auch für Maria. Doch mutig hat sie sich Gottes Zumutung gestellt: „Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast.“ Maria durch ein Dornwald ging… Maria erlebt, dass Gottes Zumutungen wie Dornen sind, die zu Rosen werden. Solches zu erfahren, wenn das Leben sich kratzbürstig und verletzend zeigt, dass Dornen zu Rosen werden, das wünsche ich uns auch.
Amen.

Fürbitten zum 4. Advent

Es kommt ein Schiff geladen.

Großer Gott, unterwegs zu uns, sei voll Gnaden mit denen, die schwer beladen auf den Heiligen Abend zugehen, weil die Sorge des Lebens auf ihren Schultern lastet, Kummer und Harm ihnen das Herz schwer machen. Sei voll Gnaden mit denen, die an Körper und Seele groß Pein und Marter viel leiden.

Großer Gott, unterwegs zu uns, sei voll Gnaden mit denen, die um einen geliebten Menschen trauern. Wir bitten dich für unsere Verstorbenen: Lass sie segeln hinein in die Weite deiner Seligkeit. Lass sie ankommen und Anker werfen im Land des ewigen Lebens, das wir alle in Christus erben dürfen.

Großer Gott, unterwegs zu uns, sei voll Gnaden mit uns, die wir bis ans höchste Bord geladen sind mit Hoffnung. Hoffnung für unser Leben, für unser Miteinander, Hoffnung für unsere Welt im Großen wie im Kleinen. Sei du unser Segel der Liebe und dein Heiliger Geist unser Mast hier, jetzt und in Ewigkeit. Amen.

Das Gemälde 'The Annunciation', séc. XVIII, Catedral Basílica do São Salvador da Bahia, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.

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