Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigte zum 125jährigen Jubiläum der Kirchweihe der Dreikönigskirche: Psalm 84

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Predigt zu Psalm 84

Gehalten von Pfarrer Jürgen Seidl im Gottesdienst zum 125jährigen Jubiläum der Kirchweihe mit Aufführung der Bachkantate "Gott der Herr ist Sonn und Schild" (BWV 79), am 07.05.2006, in der Dreikönigskirche in Frankfurt am Main.

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater, und unserem Herrn Jesus Christus. Amen. „Der Vogel hat ein Haus gefunden und die Schwalbe ein Nest für ihre Jungen“ (Ps 84,4). Ein treffendes Bild, liebe Gemeinde, das der Psalmbeter hier wählt. Haben Sie schon einmal eine Schwalbe beobachtet? Mitten im Flug kann sie ganz plötzlich die Richtung wechseln. Eine Schwalbe vermittelt in ihrem Flug den Eindruck von Leichtigkeit und Freiheit. Das sind Lebensziele, die uns heute als besonders erstrebenswert gelten. Aber selbst flatterhafte Vögel brauchen ein Haus; so braucht die Schwalbe ein Nest für ihre Jungen. Mag die Leichtigkeit noch so erstrebenswert und die Freiheit noch so ein hohes Gut sein – zutreffend beschreibt der Psalm an dem wunderbaren Bild des Vogels, wie nötig wir Orte haben, an denen unsere Seele zur Ruhe kommen kann.

Von Anfang an haben Menschen bestimmte Orte als heilige Orte aufgesucht und verehrt. Orte, wo Menschen Gott begegneten. Orte, wo man auf Erden den Himmel spüren kann. Denken wir an die Begegnung Gottes mit Mose am brennenden Dornbusch, wo Gott zu Mose sagt: "Zieh deine Schuhe aus, denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land." Der Künstler Charles Crodel hat diese Szene auf einem Altarraumfenster unserer Kirche abgebildet.

Von Denzinger hatte, entsprechend den Vorgaben des Magistrats, die neue Dreikönigskirche als städtebauliches Pendant zum Dom auf der anderen Mainseite in Formen der deutschen Spätgotik des 14. Jahrhunderts erbaut und sich dabei genau an die Vorschriften des sogenannten Eisenacher Regulativs von 1861 für protestantische Kirchenneubauten gehalten. Der Innenraum wirkt ausgesprochen harmonisch – wie viele der am Reißbrett geplanten historischen Bauten des 19. Jahrhunderts. Dreikönigs war die erste neugotische Kirche Alt-Frankfurts und auch die letzte, denn für die gut zehn Jahre später errichtete neue Peterskirche wurden Formen der Renaissance verwendet.

Menschen sehnen sich nach Gottes Nähe, nach Stärkung im Glauben und Hilfe im Leben. Für die Juden war der Tempel in Jerusalem ein heiliger Ort, ein Ort der Gegenwart Gottes. Solche Orte sucht man gern und häufig auf. So lesen wir es im Psalm 84, den wir heute eingangs gebetet haben: "Wie lieb sind mir deine Wohnungen, Herr Zebaoth! Meine Seele verlangt und sehnt sich nach den Vorhöfen des Herrn; mein Leib und Seele freuen sich in dem lebendigen Gott" (Ps 84,2.3)

Gottes Nähe ist freilich nicht an bestimmte Orte gebunden. Gott hat Menschen seine Gegenwart zugesagt. So wie es Jesu Verheißung ausdrückt: "Wo zwei oder drei versammelt sind in meinen Namen, da bin ich mitten unter ihnen." Im 1. Petrusbrief ist von der Kirche als einem geistlichen Haus aus lebendigen Steinen die Rede (1 Petr 2,5). Und der Apostel Paulus schreibt an die Gemeinde in Korinth: „Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt?“ (1 Kor 3,16).

Gott ist in der Gemeinschaft des Glaubens am Werk. So sagt es das Augsburger Bekenntnis in Artikel 7: „Die Kirche ist die Versammlung der Heiligen, in der das Evangelium recht gepredigt und die Sakramente recht verwaltet werden.“ Wo das Evangelium von der Gnade Gottes in Jesus Christus verkündigt wird, wo Menschen auf den Namen Gottes getauft werden und in der Feier des heiligen Abendmahls zur Gemeinschaft des Glaubens verbunden werden, da ist die christliche Kirche.

Dieser gottesdienstlichen Versammlung dient auch die Dreikönigskirche, in der am heutigen Sonntag Jubilate vor 125 Jahren der erste Gottesdienst gefeiert wurde. Die Kirchweihe ist das Ereignis, mit dem das Kirchengebäude in den gottesdienstlichen Gebrauch genommen wird. Sie ist daher wichtiger als die Grundsteinlegung. Denn erst durch die Feier des Gottesdienstes in diesem Gebäude gewinnt es eine besondere Bedeutung - zuvor ist es ein Bauwerk wie jedes andere, auch wenn die Architektur natürlich kaum einem durchschnittlichen Gebäude vergleichbar ist.

In jedem repräsentativen Bauwerk kommt auch ein Stück Selbstbewusstsein und Selbstdarstellung der Menschen zum Ausdruck. Man will zeigen, was man sich leisten kann. Und in der Gründerzeit des 19. Jahrhunderts konnte man sich in Frankfurt Einiges leisten. Bei ihrer Weihe war die Dreikönigskirche das zweithöchste Gebäude der Stadt nach dem Dom. Der Sachsenhäuser Dom, wie sie auch genannt wurde. Doch das sind Äußerlichkeiten.

Heute gedenken wir dankbar vor Gott der Menschen, die haupt- und ehrenamtlich in dieser Kirche in den vergangenen 125 Jahren für die Gemeinde im Segen gewirkt haben. Sie alle haben auf ihre Weise die Erfahrung des 84. Psalms bezeugt: „Gott der Herr ist Sonn und Schild. Der Herr gibt Gnade und Ehre, er wird kein Gutes mangeln lassen den Frommen“. Johann Sebastian Bach hat diesen biblischen Zuspruch wunderbar vertont und allen Mitwirkenden sei für die Aufführung dieser herrlichen Kantate in unserem heutigen Festgottesdienst ganz herzlich gedankt.

„Gott der Herr ist Sonn und Schild“. Von Anfang an haben Menschen hier an diesem Ort Schutz und Hilfe im Namen Gottes gefunden. Zur alten Dreikönigskapelle, die der wohlhabende Sachsenhäuser Bürger Heile Diemar 1340 stiftete, gehörte auch ein Hospital, in dem Kranke gepflegt und Arme und Alte versorgt wurden. Darüber hinaus fanden hier auch unbemittelte Reisende und Pilger Obdach und Verpflegung. Und davon gab es viele, denn an dieser Stelle liefen wegen der steinernen Mainbrücke wichtige Fernhandelswege zusammen. Und die hier beginnende Straßenverbindung nach Oppenheim am Rhein war ein Teil des Jakobsweges nach Santiago de Compostela. Möglicherweise war dies auch der Grund, warum die Kirche 1340 den Schutzpatronen der Reisenden geweiht wurde, den Heiligen Drei Königen, die sich ja auch auf eine lange und gefährliche Reise begeben hatten.

Jedes Jubiläum einer Kirche wirft neu die Frage auf, was wir tun, um dieses Gebäude lebendig zu halten und neu lebendig zu machen. Viele Menschen denken, so lange Kirchengebäude von außen anständig aussehen, brauche man sich nicht groß darum zu kümmern, was in ihnen geschieht. Auch viele Sachsenhäuser sehen die Dreikönigskirche am liebsten von außen. Doch Kirchen, die nicht mehr mit Leben gefüllt sind, verfallen, selbst wenn man ihre Fassade noch einige Zeit aufrecht erhält.

Was wäre wenn die Kirchen aus dem Stadtbild nach und nach verschwänden? Wenn in Frankfurt irgendwann nur noch Banken, Konzerthäuser, Museen und Bahnhöfe signifikante Gebäude wären – Gebäude also, die auf etwas hinweisen und eine bestimmte Botschaft enthalten? Je säkularer, ungedeuteter und unbestimmter unser Leben ist, um so deutlicher sollte die Kirche sein. Die Kirchtürme sollten erkennbar bleiben, auch wenn sie das Stadtbild nicht mehr beherrschen wie die Türme der Banken.

Es ist morgen so wichtig wie gestern, daß Kirchengebäude Orte sind, an denen die Sprache und die Rituale des Glaubens beheimatet sind: am Beginn und am Ende, aber auch in den Wechselfällen des Lebens, in den Zeiten weihnachtlicher Innigkeit und in den Zeiten österlichen Aufbruchs. Kirchen sind wichtig für Menschen, die in ihnen beständig zu Hause sind. Aber wichtig sind sie auch für kirchendistanzierte Menschen, die eher in besonderen Zeiten glauben: in Zeiten besonderen Glücks oder Unglücks, in Zeiten des Gelingens oder Scheiterns. Und selbst wenn die Menschen den Raum der Kirche nur auf Zeit besuchen, wenn sie die Sprache des Glaubens nur bei Gelegenheit in Anspruch nehmen, wenn sie von den Ritualen des Glaubens nur in der Not Gebrauch machen: die Kirche ist für sie da. Das zeigen Kirchengebäude an. Dadurch unterscheiden sie sich von dem Häusermeer, das sie umgibt.

Nicht nur die Silhouette der Kirche muß deutlich bleiben. Es muß auch deutlich bleiben, was in ihr zur Sprache kommt, was in ihr besungen und bekannt wird. Deshalb sollte man nicht leichtfertig fordern, daß es in der Kirche "niederschwellig" zugehen soll. Unsere säkulare Gesellschaft ist nicht darauf angewiesen, daß die Kirche es ihr an Säkularität gleich tut. Unsere säkulare Gesellschaft braucht vielmehr das eigenständige Zeugnis der Kirche, die Eindeutigkeit der christlichen Bot-schaft.

Daß der Gott der Bibel ausdrücklich genannt und bekannt wird, hilft unserer Gesellschaft. Im Verschweigen Gottes, ist unserer Gesellschaft von sich aus kundig genug. Die Gesellschaft ist nicht darauf angewiesen, daß die Kirche sie an Weltlichkeit noch überbietet. Sie braucht vielmehr die besondere Offenheit der Kirche für Gott. Denn ohne diese Offenheit für Gott wird auch aus der Offenheit für den Nächsten nichts. Die Menschen brauchen heute nicht in dem bestätigt zu werden, was sie sich selbst sagen können. Sie sehnen sich nach dem, was sie sich nicht selbst sagen können, was ihrem Leben eine Mitte und einen Sinn, eine Richtung und ein Ziel gibt.

„Gott der Herr ist Sonne und Schild; der Herr gibt Gnade und Ehre.“ Das haben wir als Gemeinde Jesu Christi immer neu zu bezeugen. Damit auch künftige Generationen in den Lobpreis des Psalms einstimmen können: „Herr Zebaoth, wohl dem Menschen, der sich auf dich verläßt!“.

Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.